„Ich bin nicht bereit, dass Hass das letzte Wort ist“

Micheal Friedman, Fridays for Israel, FU-Berlin (2023) Foto: Dr. Frank Gaeth Lizenz: CC BY-SA 4.0


Je schwieriger und bedrohlicher die Lebenssituation für Juden und Israelis in Deutschland wird desto produktiver wird der Publizist und Fernsehmoderator Michel Friedman. Nun legt er beinahe jährlich ein neues Buch vor, jeweils gut und voller Leidenschaft geschrieben. Von unserem Gastautor
Von Roland Kaufhold.

In seinem sehr persönlich gehaltenen Werk Fremd (2022), welchem er leitmotivisch die Bemerkung „Ich bin auf einem Friedhof geboren“ vorangestellt hatte, hatte sich der streitbare, 1956 als Staatenloser in Paris geborene jüdische Publizist an die „sprachlose Angst“ seiner nach Paris und dann nach Deutschland übersiedelten polnisch-jüdischen Eltern erinnert. Nach ihrer Übersiedelung nach Deutschland blieben die Friedmans weiterhin Fremde, Staatenlose im Land der Täter. Die Angst blieb. Der neunjährige Michel Friedman spürte diese eigene und familiäre Angst täglich – und fand doch erst über ein halbes Jahrhundert später die Mut und die Kraft, diese frühesten Ängste als Jude in Deutschland in lyrische Worte zu gießen.

Nach dem barbarischen, über Jahre vorbereiteten Überfall der Hamas sind zahlreiche Bücher hier zu erschienen, darunter von Moshe ZimmermannFania Oz-SalzbergerEva Ilouz; weiterhin die Erinnerungen der befreiten Geisel Eli Sharabi.

Judenhass. 7. Oktober 2023“ ist das neue, schmale, aber wortgewaltige Werk Michel Friedmans betitelt. Friedman schreibt über das Versagen der deutschen Politik. Er beschreibt sein ungläubiges Entsetzen darüber, dass das Pogrom der Hamas, bei dem zahlreiche linke Kibbuzim und israelische Ortschaften im Umfeld von Gaza verwüstet und mehr als 1200 Israelis kaltblütig ermordet wurden, in seinem Umfeld solche eine Kälte und Gleichgültigkeit hervorgerufen hat.

Er beschreibt den Schock und die Botschaft, die die Bilder des Überfalls in ihm hervorriefen – und der von der Mehrzahl seiner deutschen Umwelt nicht geteilt wird. Man sehe die bestialisch Ermordeten, die Wehrlosen, die Leichen. Und doch reagiere die Mehrheitsgesellschaft hierauf mit der Botschaft: „Ihr seid keine Menschen. Ihr seid es nicht einmal wert, getötet zu werden.“ (S. 9)

„Ich stehe vor den Scherben meiner Arbeit“

In dem Kapitel „Wo seid ihr?“ beschreibt er den ungläubigen Schock über die Gleichgültigkeit, mit dem die Mehrheitsgesellschaft auf das Pogrom reagierte. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland erlebte nahezu nur Teilnahmslosigkeit – und From the river to the sea – Brüllerei auf deutschen Straßen.

Gerade unter Intellektuellen begegnete Friedman nahezu ausnahmslos nur Schweigen und Gleichgültigkeit. Eine sehr engagierte jüdische Freundin teilte ihm mit: „Ich stehe vor den Scherben meiner Arbeit.“ (S. 23)

Den Rückfall in die ängstliche Versuchung, sich als Juden unsichtbar zu machen, beobachtet er überall. Friedman reagiert hierauf mit Entschlossenheit, die er über sein Buch weiterreichen möchte: „Ich bin nicht bereit, dass Hass das letzte Wort ist.“ (S. 32) Er werde den Judenhassern nicht verzeihen, dass sie deutschen jüdischen Kindern Ängste und Resignation zugefügt hätten.

In einem „Brief an Jüdinnen und Juden“ beschreibt er die kollektive Erschütterung. Und er erinnert an Ignatz Bubis knapp 30 Jahre zurückliegende scheinbare Resignation als Lebensbilanz. Diesem Empfinden möchte er etwas entgegen setzen – und beschreibt doch seine eigenen Gefühle der absoluten Ohnmacht: „Am Anfang waren wir verzweifelte Optimisten, dann wurden wir skeptische Optimisten (…) Nach dem 7. Oktober sind wir Verzweifelte.“ (S. 36f.) Sein Appell sei, dass sie als Juden, alle gemeinsam, wieder aufstehen, „ins Leben“ gehen sollten (S. 38), noch selbstbewusster als vor dem 7. Oktober.

Immer wieder, seit Jahrzehnten, beschreibt Friedman Judenhass und Rechtsextremismus. Auch er halte die Regierung Netanyahus für „äußerst problematisch. Sie ist rechtsextrem. Ich wünsche mir, dass sie bei den nächsten Wahlen abgelöst wird.“ (S. 48) Jedes durchschaubare Bemühen jedoch, nun die israelische Regierung mit Nazideutschland zu vergleichen, überschreite „eine rote Linie“ (ebd.) Und wenn die Hamas Menschen als Schutzschilde missbrauche, so sei die Hamas und nur die Hamas für dieses Unglück verantwortlich: „Ich wünsche mir, dass sich die Palästinenser von der Hamas befreien und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ (S. 49)

Damit ist das Entscheidende zu all den antiisraelischen Kundgebungen seit dem 7.10. gesagt.

„Das Gerücht über die Juden“

Er selbst, so hebt Friedman erinnernd hervor, habe den Davidstern als Jugendlicher bewusst und gegen die Ängste seiner Eltern getragen. Den Wunsch, sich als Juden in Deutschland unsichtbar zu machen, habe er immer abgelehnt.

In dem Kapitel „Das Gerücht“, hierbei bezieht er sich auf Adornos legendäre Formulierung von dem „Gerücht über die Juden“ als die kürzeste Definition des Antisemitismus, erinnert er sich an eigene frühe Begegnungen mit diesem Gerücht, etwa als er auf dem Schulhof von einem Mitschüler als „Scheißjude“ beleidigt wurde, nur weil er diesen Jungen, den er nicht mochte, nicht habe abschreiben lassen. Als sein Vater daraufhin den Vater dieses Jungen wutentbrannt anrief, brüllte dieser ihn an „So seid ihr Juden!“ (S. 55). Daraufhin ergriff der junge Michel den Telefonhörer und entgegnete Passendes, insbesondere dass sie als Juden ja bekanntlich alle Macht der Welt hätten… Die Friedmans hörten nie wieder etwas von diesem Vater.  Vergleichbares hörte er auch von einem Geschäftspartner seines Vaters. Der jugendliche Michel hätte sich gewünscht, dass sein Vater diesen Menschen einfach rausgeworfen hätte.

Die Entschlossenheit zum offenen Widerspruch hatte sich Michel Friedman früh erworben. Diese Bereitschaft zur Gegenwehr ist die eigentliche Botschaft seines Buches. Hierbei verweist er auch auf Sartres legendären Essay Überlegungen zur Judenfrage aus dem Jahr 1944.

Die Unfähigkeit zur Trauer

Immer wieder geht Friedman der Frage nach, wie man sich das nahezu kollektive Schweigen der Mehrheitsgesellschaft zum Hamas-Pogrom erklären könne. Und ob nicht die Gleichgültigkeit der Mehrheitsgesellschaft sehr viel gefährlicher für ihn als Jude sei als die lärmenden Drohungen und offenen Vernichtungswünsche, die seit dem Pogrom in noch direkterer Weise insbesondere in unseren Millionenstädten auf linksradikalen und vorgeblich „propalästinensischen“ Demos fortgesetzt herumgebrüllt werden. Offenkundig habe es in Deutschland keine wirkliche, authentische Fähigkeit zur Trauer (A. Mitscherlich) gegeben. Und auch lokale Forschungsprojekte oder die Stolpersteine – vergleiche Stella Leders Buch (2021) – hätten offenkundig noch keine wirkliche Erinnerungskultur hervor gebracht.

Er erlebe in den letzten Jahren immer stärker, wie sehr die Verrohung, die Enthemmung, der „verschämte gutbürgerliche Antisemitismus“ (S. 70) alltäglich werde. Sarrazin habe mit seinem Buch als Schleusenöffner fungiert. Judenhass sei keine Meinung, so der Jurist Friedman. Er sei eine Lebenshaltung und „nichts anderes als Gewalt“ (S. 78).

Das Selbstverständnis des jüdischen Lebens habe sich, nicht nur in Deutschland aber auch, seit dem Pogrom verändert. Die AfD sei kein Betriebsunfall – nicht nur an dieser Stelle habe ich an Ralph Giordanos geharnischten Brief an Kanzler Kohl aus dem Jahr 1992 denken müssen.

Überlegungen zur Auswanderung

In dem Kapitel „Judenhass trifft uns alle“ wiederholt Friedman seine von ihm veröffentlichten Überlegung, Deutschland zu verlassen, wenn die Gefahr für jüdisches Leben existentiell werde; wenn „Parteien Mehrheiten bekommen, für die der Hass eine Grundbedingung ist“ (S. 93f). Natürlich ist sich Friedman hierbei des Triumpfgebrülls gerade des rechten Lagers bewusst, welches sich regelmäßig in den sozialen Medien entlädt, wenn Friedman über seine Auswanderungspläne aus Deutschland spricht. Auch die couragierte, liberale jüdische Bildungsminister Karin Prien musste dies erleben, nachdem sie öffentlich über ihre jüdische Identität und ihre Gefühle der Selbstgefährdung sprach.

Es sei noch einmal daran erinnert: Nur die Juden überlebten ab 1933, die rechtzeitig aus Nazi-Deutschland geflohen sind…

Den Abschluss von Friedmans dichtem, lesenswertem Buch bildet ein „Brief an meine Söhne“: Ja, es gebe der brutalen, gewalttätigen Judenhass in Deutschland. Sie würden ihm ihr ganzes Leben lang begegnen. Sie würden versuchen, sie als Juden einzuschüchtern und Gewalt auszuüben:

„Denkt daran: Hass ist grenzenlos. Aber nichts von dem, was die Hassenden über Euch sagen werden, ist wahr oder hat irgendetwas mit Euch zu tun. (…) Berfreit Euch von den Unglücklichen, die glauben, sie könnten glücklich werden, weil sie andere Menschen hassen.
Hasst nicht. Niemanden. (…)
Seid, wer Ihr seid. Lebt Euer Leben. Feiert es.““ (S. 95)

Michel Friedman (2024): Judenhass. 7. Oktober 2023, Berlin Verlag, 105 S., 12 Euro#

 

Der Text erschien bereits auf Hagalil

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