„Ich hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl“ – Wie der unerfüllte Kinderwunsch mein Leben zerstörte

Bild: KI/Sora

Es sollte der Beginn von etwas Wunderschönem werden. Meine Frau und ich wünschten uns ein Kind. Nach längerer Zeit des Hoffens entschieden wir uns für eine künstliche Befruchtung. Wir vertrauten uns einem Kinderwunschzentrum an, verließen uns auf die dortige Expertise, folgten allen Anweisungen, hielten alle Termine ein. Doch dann kam alles anders. Von unserem Gastautor Till Oliver Becker.

Meine Frau verletzte sich während dieser Zeit leicht am Knie, ein kleiner Arbeitsunfall. Sie musste das Bein ruhig halten und bewegte sich an Krücken. Als sie in diesem Zustand noch einen Termin im Kinderwunschzentrum wahrnahm, ahnten wir nicht, was bereits in ihrem Körper vor sich ging. Die Medikamente, die sie dort im Rahmen der Behandlung bekam, erhöhen das Risiko für Thrombosen – und meine Frau war erblich vorbelastet. Eine gefährliche Kombination, die jedoch niemand in der Praxis zu sehen schien. Und wir? Wir waren medizinische Laien, konnten die richtigen Schlüsse nicht ziehen.

Die Schmerzen wurden schlimmer. An einem Freitag brachte ich sie schließlich zum Orthopäden. Er erkannte sofort, was los war: eine Thrombose. Er schickte sie ins Klinikum. Es war zu spät. Drei Tage später starb sie an den Folgen einer Lungenembolie.

Im Krankenhaus kämpften die Ärzte noch mehrere Stunden um ihr Leben. Ich wartete nebenan, hilflos. Meine Frau starb, weil das Risiko, das längst bekannt war, übersehen wurde. Davon war ich überzeugt, und auch die Polizei und die Staatsanwaltschaft teilten diesen Eindruck. Es wurde ermittelt, Akten wurden beschlagnahmt, Zeugen befragt.

Doch am Ende stellte der Gutachter fest, es sei einfach eine „Verkettung tragischer Umstände“. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit blieb folgenlos. Mein Anwalt sagte mir später, dass Gutachter und Ärzte derselben Fachrichtung sich oft kennen und nicht gern gegeneinander aussagen. Beweisen kann ich das nicht. Aber die Wahrheit fühlte sich anders an als das, was im Gutachten stand.

Danach begann für mich der eigentliche Abgrund. Ich rutschte in eine tiefe Depression. Wochenlang war ich zu nichts mehr fähig: Ich öffnete keine Post mehr, aß kaum, erledigte nichts. Wären da nicht meine Hunde gewesen, ich weiß nicht, ob ich es geschafft hätte. Sie zwangen mich dazu, mich wenigstens um sie zu kümmern: Gassi gehen, füttern, spielen und kuscheln.

Mit Hilfe meiner Schwestern, guter Freunde und einige Zeit später auch einer neuen Partnerin fand ich langsam zurück. Es war ein langer Weg. Meine Partnerin hilft mir immer noch, mit den Resten der Trauer und der Schuld zu leben. Sie trägt meine Stille, wenn die Erinnerungen hochkommen. Sie leidet darunter, wenn ich mich abschließe, wenn ich schweige und weit weg bin. Aber sie erträgt es für mich, und dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Ich lebe wieder.

Bis heute.

Heute schaute ich auf die Webseite der Lokalzeitung und sah die Ärztin des Kinderwunschzentrums. Mit ihrem falschen Lächeln, wie damals, wie ich es noch vor mir sehe. Sie gibt Interviews, macht Werbung für ihre Praxis. Ohne Strafe. Ohne Konsequenzen.

Ich zitterte, mir wurde heiß und kalt, und ich spürte, wie sich alles von damals wieder in mir regte. Ich will nicht wieder in diese Dunkelheit fallen. Ich bin es mir und der Frau, die mir heute zur Seite steht, schuldig, standzuhalten.

Deshalb schreibe ich diese Zeilen. Zum ersten Mal erzähle ich öffentlich, was damals geschah. Mit dem Makel einer Depression, die ich nur dank meiner Familie, meiner Freunde und meiner Partnerin überlebt habe. Mit dem Schmerz eines verlorenen Jahres, das ich in Lethargie verbracht habe. Und mit der Schuld, die ich mir selbst gebe: weil ich mein ungutes Gefühl nicht ernst nahm. Weil ich nicht laut genug war. Vielleicht hätte ich es verhindern können.

Aber ich konnte es nicht. Und jetzt bleibt nur, es zu erzählen. Damit es wenigstens nicht vergessen wird.

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