Impfversagen: Schönsprech wird Europa nicht retten

Peter Liese Foto: European Parliament Lizenz: CC BY 2.0

Für das Versagen der EU-Kommission bei der Beschaffung von Impfstoffen werden Hunderttausende Europäer in diesem Jahr mit ihrem Leben zahlen. Für die Europaabgeordneten ist nicht einmal das ein Grund für deutliche Kritik.

Bürger wählen aus ihrer Mitte Abgeordnete in ein Parlament, um gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Das Parlament beschließt den Haushalt und entscheidet, was mit dem Geld der Menschen gemacht wird. Es verabschiedet Gesetze und es kontrolliert die Regierung. Auf das Europäische Parlament trifft all das, trotz allem Pathos und Getöse vor Wahlen entweder gar nicht oder nur sehr eingeschränkt zu. Es kann zwar den Präsidenten der EU-Kommission wählen, aber vorgeschlagen wird der von den Staats- und Regierungschefs. Über den Haushalt kann es nur gemeinsam mit dem Ministerrat bestimmen und auch das Recht, Gesetzesvorschläge auszuarbeiten hat es nicht. Im Kern ist jeder Gemeinde- oder Stadtrat ist mit mehr Rechten ausgestattet als das Europaparlament. Das Europaparlament ist kaum mehr ein teurer Sitzriese, der sich an seiner eingebildeten Bedeutung berauscht.

Aber eines können seine Mitglieder: Ihre Stimme dazu nutzen, um für die Interessen der Bürger einzutreten, die sie gewählt haben. Umso trauriger und beschämend ist es, dass sie nicht einmal das tun. Als Ursula von der Leyen gestern vor dem Europaparlament ihre Impfpolitik erklärte, die für die Hunderttausende Europäer wegen mangelnder Impfstoffe in diesem Jahr mit ihrem Leben zahlen werden, hielten sich die meisten Parlamentarier mit Kritik zurück. Obwohl Ursula von der Leyen kaum eigene Fehler zugeben wollte, sagte Manfred Weber (CSU) „Sie und ihr ganzes Team leisten gute Arbeit für Europa.“ Und auch die Sozialisten hatten sich für einen Schmusekurs gegenüber den konservativen Politikerinnen von der Leyen und Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides entschieden: „In meiner Fraktion werden wir immer ein fordernder Partner sein. Aber wir werden immer ein Partner sein.“ Ließ Iratxe García Pérez wissen. Nur Nicola Beer (FDP) sprach von einem massiven Vertrauensverlust und sagte zu von der Leyen „Sie müssen jetzt die Scherben aufsammeln.“ Ska Keller von den Grünen mahnte eine globale Verteilung des Impfstoffs an, den die Europäische Union nicht hat.

Typisch für die Haltung vieler Euroabgeordneten ist der Christdemokrat Peter Liese, der mehr wie ein mittelmäßiger Pressesprecher der EU-Kommission als ein Vertreter der Bürger auftritt, wenn er im Westfalenblatt nicht das Versagen der EU, sondern deren Kritiker für den Vertrauensverlust verantwortlich macht: „Der Vertrauensverlust beruht vor allem darauf, dass von Kritikern in der Politik, aber auch von einigen Medien eine einseitige Kampagne durchgeführt wird und die positiven Dinge nicht berücksichtigt werden. Und ich widerspreche energisch: In der Tat brauchen wir mehr EU.“ Die meisten Bürger würden vor die Wahl zwischen mehr EU oder mehr Impfstoff gestellt, sich wohl für die Vakzine entscheiden.

Viele Europaabgeordnete scheinen zu glauben, der europäischen Idee am besten zu dienen, wenn sie die Institutionen der EU vehement gegen jede Kritik verteidigen. Dabei ist nicht jeder, der die Arbeit von Kommission oder Parlament kritisiert, ein Gegner Europas. Im Gegenteil: Das Versagen der EU-Kommission bei der Beschaffung der Impfstoffe und die Vertrauensverluste der Bürger sind Sprengstoff für die Europäische Union. Und das Problem wird mit jedem Tag größer, an dem die Mitgliedsstaaten der EU im globalen Impfwettlauf weiter zurückfallen. Die Europäische Union ist kein Selbstzweck, sie wurde geschaffen in dem Glauben, dass es für die Bürger besser ist, wenn einige Aufgaben nicht mehr von den Nationalstaaten alleine, sondern gemeinsam organisiert werden. Der Kauf von Impfstoffen hätte eine Erfolgsgeschichte werden können, ja müssen, aber die Kommission hat versagt und nun werden sehr viele Menschen sterben, die hätten weiterleben können, wenn die EU ihrer Arbeit gut gemacht hätte. Doch nicht die Kritik an diesem Fakt ist das Problem. Wer versucht, das Versagen wegzureden, wird es vergrößern, denn wenn die Frage der Impfstoffversorgung nicht sehr zügig gelöst wird, werden die Bürger ihren nationalen Regierungen Druck machen, mehr Impfstoffe zu besorgen und es ist eine Frage der Zeit, bis die nachgeben werden. In Krisenzeiten fallen Tabus schnell. Und Schönsprech wird das nicht aufhalten können, sondern nur eine bessere Arbeit.

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Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
3 Jahre zuvor

Da stehe ich sprachlos vor diesem Riesenversagen und bekomme dann mit, daß diverse Apparatschiks, einschließlich das hauptverantwortliche Apparat-Chick, das sich nie einer Wahl stellen musste, mit dem Schönreden beginnen. Das klingt wie Endsiegparolen vor dem Zusammenbruch.
Dem Autor muß ich widersprechen: Die EU IST eine Selbstzweckorganisation. Dorthin wird nationale politische D- bis Z-Ware abgeschoben um die von den Abschiebenden eingeflüsterten Dinge zu tun.
Und wenn man dann gar im Kopf ist wie Stoibers Edi, der bei Frau Merkel… ääh… Christiansen nicht mehr weiß, mit welchem Bahnhof er in den Flughafen fährt, bekommt man bei der EU den Posten als Entbürokratisierer. Dieses Unternehmen "Abendsonne" ist ebenfalls Realsatire.
Die EU ist einfach nur eine Failed Organisation, die selbst den Berliner Senat toppt.
Den Versagern kann man nur sagen: "Lock them up!" und den einzelnen Staaten: "Take back control!".
Zurück zur EWG.

Mawa
Mawa
3 Jahre zuvor
Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
3 Jahre zuvor

@Mawa #2
Die Erwartungshaltung ist doch auch gerechtfertigt. Schließlich liefern die meisten Medien ja auch. Das von GEZ-Schutzgeldern finanzierte Staatsfernsehen, das sonst für jeden von einem SUV umgefahrenen Grashalm einen Brennpunkt macht, hält sich ekelerregend zurück. Dort hoffen scheinbar viele auf eine Seibert-Karriere.

Bochumer
Bochumer
3 Jahre zuvor

Staatsversagen ist die Vergabe der Impftermine: Bei der Vergabe des Termins für meine Mutter habe ich von der Hotline widerspreche Aussagen bekommen. Das ist nicht akzeptabel. Die Politiker reden ja davon bis März für die Ü80 ein Angebot zu machen: Unser Termin ist Anfang April. 2021. Den März 21 scheinen Merkel und ihre Candycrush-Bande nicht zu meinen.

Das finde ich jedenfalls übler als die Tatsache, dass nicht sofort für alle Impfstoff da ist. Das ist auch nicht zu erwarten. In der EU wurden schon mehr Leute geimpft als in Israel (wo die Palästinenser ja immerhin einige Tausend (!) Dosen bekommen haben). In England wird auf die zweite Spritze verzichtet. Sehr vorbildlich ist das nicht. Die Mutante könnte sich ja nicht von ungefähr dort bilden: Es wurden auf der Insel zu viele Fehler gemacht

Hollis Brown
Hollis Brown
3 Jahre zuvor

"Europäisches Parlament"? Ist das nicht dieser seltsame Ort, wo bereits vor Jahrzehnten das "bedingungslose Grundeinkommen" eingeführt worden ist?

Ärgerlich ist, dass die Ruhrbarone es für nötig halten, das dort abgesondete Gefasel auch noch zu kommentieren. "Totschweigen" wäre die bessere Lösung.

Mawa
Mawa
3 Jahre zuvor

#3
nicht gerechtfertigt sondern bestenfalls nachvollziehbar. Ansonsten stimme ich Ihnen zu. Dank dieser Verhältnisse sieht die Zukunft unseres Gemeinwesens leider düster aus. Es wäre zu begrüßen, wenn wir uns schnellstens von diesen Abhängigkeiten befreien würden. Ich fürchte aber, Merkel hat hier ganze Arbeit geleistet und wir werden noch Jahre unter ihrem Hofstaat leiden müssen. Dazu kommt die sich überall breitmachende Verblödung durch ein sabotiertes Bildungssystem.

Petra Urbach
Petra Urbach
3 Jahre zuvor

Ich frage mich , wer eigentlich die Verträge mit Biontech ausgearbeitet bzw. kontrolliert hat. Es müssen ja Juristen/Vetragsrechtler am Werk gewesen sein u zudem war Frau VDL ja vor Urzeiten zumindest im medizinischen Bereich tätig. Wie um Himmels Willen können da solche dicken Böcke im Liefervertrag zustande kommen. Wer steht dafür gerade? Eine ominöse Kommission, aber sicher keine einzige beteiligte „Person“. Ein Trauerspiel

Werner Welling
Werner Welling
3 Jahre zuvor

Auf die Frage wer für diese Impfpolitik verantwortlich gemacht werden soll, so sage ich,
jeder dieser EU-Politik-Mörder. Ja Mörder oder von mir aus Totschläger.
Wenn wegen mir aus welchen gründen auch immer Menschen Sterben, werde ich dafür vor ein Gericht gestellt und Verurteilt. Tausende werden wegen der Unfähigkeit dieser Peter Liese oder
von der Leyen sterben und Sie sagen dir ins Gesicht, Wir haben nichts Falsch gemacht.
Diese Ignoranz und Arroganz ist nicht mehr zu ertragen.

Mawa
Mawa
3 Jahre zuvor

Karl Popper hat einmal geschrieben, es sei nur entscheident ob/wie man eine Regierung wieder loswerden kann: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13523345.html
Ich stimme dem zu und sehe, die Politik ist übervoll mit von Dilettanten, von denen wir nicht nicht wissen, wie wir sie je wieder los werden. Ein Gemeinschaft ist verloren, wenn sie so etwas für sich zulässt. In diesem Sinne ist von der Leyen nur ein Symptom.

Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
3 Jahre zuvor

@Mawa #7 und #9

So leider richtig. Irgendwie sehe ich Parallelen: Die Poor Old Party in den USA schafft es nicht, sich von Trump zu lösen, während die ebenfalls armselige CDU es nicht schaffen wird sich von Honeckers Rache zu emanzipieren.

Mawa
Mawa
3 Jahre zuvor

#10
ja, aber das sind parteiinterne Geschichten. Entscheident ist doch, welchen Einfluss wir als Gemeinwesen auf unsere Regierung haben, insbesondere deren Wechsel, und da haben die USA uns einiges voraus. Für Europa stellt sich doch immer mehr die Frage: Wie werden die Dilettanten jemals wieder los? Das werden doch immer mehr und bei den Medien sehe ich fast nur noch deren Lautsprecher.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

Ich empfehle zu diesem Thema das Lesen der Analyse "Einkäufer in letzter Instanz" des Dezernates Zukunft.
Danach geht das Impfversagen auf grundsätzliche politische Fehler zurück.
1. das fehlende frühzeitige Aufbauen von Produktionskapazitäten für Impfstoffe, die in allen erfolgreicheren Staaten Grundlage hoher Impfquoten ist inkl. der USA unter Trump.
2. der Versuch der EU Administration die Haftung für Impffehler weitgehend der Industrie anzulasten, was zu erheblichen Entwicklungsverzögerungen geführt hat.
Beides gilt auch für die deutsche Regierung.

Yilmaz
Yilmaz
3 Jahre zuvor

Wie gerade im Focus zu lesen ist, macht sich Herr Laschet große Sorgen, dass die Bevölkerung in den ärmeren Ländern der Welt nicht genug Impfstoff bekommt. Da ist er zu großzügigen Spenden bereit.

Allmählich glaube ich, unsere Politiker haben den Schuss nicht gehört!

Meine Mutter (93) darf seit dem Lockdown light das Heim nicht mehr verlassen. Ich darf seit Silvester nicht mehr ins Heim, weil es einen Corona- Fall gegeben hat. Die Pfleger sind sehr angespannt und hatten für die Impfung alles vorbereitet inklusive Informationen weitergeben und Unterschriften einsammeln. Sie bemühen sich sehr, aber der Impfstoff kommt nicht und man erfährt auch nichts, wann man endlich mit dem Impfteam rechnen kann.
Eigene Impftermine erhält man auch nicht.

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