(K)eine U-Bahnstation wie jede andere

U-Bahnstation in Köln-Kalk Foto: Jochum


Eine U-Bahnstation in Köln-Kalk. Wie so viele andere – Treppen führen von den Bürgersteigen hinunter, von der ersten unterirdischen Etage erreicht man über die Rolltreppen die Bahnsteige an den Gleisen. Unscheinbar, unauffällig, unspektakulär, so sieht sie auf den ersten Blick aus. Nichts weist darauf hin, dass diese U-Bahnstation „Kalk-Post“ ein Geheimnis birgt. Von Christiane Jochum.

Auf der ersten Ebene oberhalb der Gleise befindet sich eine breite, blaugraue Stahltür, mit Graffiti besprüht, die unauffällig quasi in der Wand verschwindet. Wer nicht weiß, was sich hinter ihr verbirgt, gönnt ihr keinen zweiten Blick, läuft an ihr vorbei, ahnungslos von der Welt neben der Welt.

„Haben Sie warme Sachen, eine Jacke oder einen Pullover dabei“, fragt der Tourführer, bevor er die Tür aufschließt. „Gleich wird es ziemlich kühl und wir werden ungefähr anderthalb Stunden unterwegs sein.“

Die Tür öffnet sich und gibt den Blick in einen ca. 75 m langen Gang frei, der in ein ineinander verschachteltes System von Räumen unterschiedlicher Größe und Funktionen mündet. Hier sollten rund 2.400 Menschen im Fall eines Angriffs mit biologischen, chemischen oder atomaren Waffen für rund 14 Tage Schutz finden und komplett versorgt werden können. Die Stadt unter der Stadt ist mit allen lebenswichtigen technischen Einrichtungen ausgestattet; es gibt Luftfilter, Dieselaggregate, Öltanks in den Technikräumen, die Wasserversorgung und -aufbereitung ist ebenfalls gesichert. Sanitäreinrichtungen, Küche und Krankenstation, die auch für Operationen geeignet ist, sind ebenso funktionstüchtig vorhanden wie die aus Komprimatnahrung bestehenden Lebensmittelvorräte.

Komprimiert sind auch die Platzverhältnisse in den Schutzräumen. Zwar gibt es für jeden eine Liege zum Schlafen, die Aufenthaltsräume sind jedoch so konzipiert, dass die Menschen dichtgedrängt sitzen müssten. Wir probieren es aus, setzen uns so hin, wie es im Ernstfall vorgesehen war. Das unbehagliche Gefühl, mit völlig fremden Menschen im engen Körperkontakt über einen längeren Zeitraum verbringen zu müssen, lässt die Gruppe betreten schweigen.

Wie wäre die Evakuierung in die Schutzräume im Angriffsfall abgelaufen? „Haben Sie die Schienen im Boden am Ende der Treppen in die U-Bahnstation gesehen?“ fragt unser Tourguide. „In den Wänden verbergen sich Stahltore, die ausgefahren werden und die U-Bahnstation nach außen abschotten. Hier würden auch die Menschen, die über die Treppen in die Station flüchten, dekontaminiert, das heißt, sie müssten ihre Kleidung gegen einen Overall tauschen. Diese Overalls bestehen aus einem dünnen, papierähnlichen Stoff und wie der nach zwei Wochen in engem Kontakt mit gut 2.400 Menschen ausgesehen hätte, können Sie sich denken.“

Um weitere Raumkapazitäten zu schaffen, wären U-Bahnzüge in die Station eingefahren, deren Gleise anschließend sofort durch schwere Stahltore abgeriegelt worden wären. Eine bedrückende Vorstellung, wenn ich sehe, wie viele tausend Menschen ständig in der U-Bahn unterwegs sind. Wie wären die 2.400 Menschen, die hier Schutz finden könnten, ausgewählt worden? Hätte es eine Triage gegeben? „Nein“ lautet die unmissverständliche Antwort. „Wer zuerst gekommen wäre, hätte halt Glück gehabt. Die anderen…. na ja.“

Ob das wirklich ein solch großes Glück gewesen wäre? Wie hätte die Welt außerhalb der Bunkeranlage im Fall eines Angriffs mit ABC-Waffen ausgesehen? Eine verwüstete, unbewohnbare, lebensfeindliche Landschaft? Es hätte mit großer Wahrscheinlichkeit den Tod auf Raten bedeutet. Aber in den 1970er Jahren, als diese Schutzräume gebaut wurden, war die Furcht besonders vor atomaren Angriffen so groß, dass allein in Köln neun bis zehn unterirdische Zivilschutzanlagen geplant wurden. Nur der Bunker in der U-Bahnstation Köln-Kalk wurde 1979 fertiggestellt (Kosten ca. 7 Millionen D-Mark) und erst 2005 außer Betrieb genommen. Seit 2016 kann er an jedem ersten Sonntag eines Monats besichtigt werden und lässt den Besucher ahnen, was das zumindest temporäre Überleben auf rund 4.000 qm in drangvoller Enge bedeutet hätte. Wenn es überhaupt dazu gekommen wäre, denn um die Bunkeranlage mit ihren Einrichtungen in Betrieb zu nehmen, hätte es eine Vorlaufzeit von zwei Wochen gebraucht. Zeit, die im Ernstfall gar nicht zur Verfügung gestanden hätte.

Erinnerungen an die Zeit Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre werden wieder lebendig, zumindest bei den Teilnehmern der Führung, die sich noch an die Diskussionen um den Nato-Doppelbeschluss, die Demonstrationen, kurz: an die tiefgreifende Furcht vor atomaren Angriffen erinnern konnten. Die Existenz des Bunkers unter Köln-Kalk ist real und lässt, mit Blick auf die weltweiten Krisen und Kriege, den Frieden, in dem wir seit Ende des Zweiten Weltkrieges leben, umso kostbarer erscheinen.

Weitere Informationen und Anmeldung zur Führung durch den Bunker auf der Website des  DOKK (Dokumentationsstätte Kalter Krieg

https://welt.unter.koeln/

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