Musk übernimmt Twitter – Der Schmerz der Hypermoralisten

Elon Musk Foto: JD Lasica Lizenz: CC BY 2.0

Um 6 Uhr mitteleuropäischer Zeit war es geschehen. Mit dem Tweet „the bird ist freed“ meldete der reichste Mensch der Welt, Elon Musk, Vollzug. Zum Preis von etwa 44 Milliarden US $ übernimmt der Südafrikaner das Unternehmen. Das Ziel der Übernahme, so Musk selbst, sei der Aufbau eines digitalen Marktplatzes der Ideen, zum Wohle der Menschheit. In welcher Weise der polarisierende und häufig sprunghafte Unternehmer dies umsetzten will bleibt abzuwarten. Musk profilierte sich in den vergangenen Monaten als strikter Verteidiger der Meinungs- und Diskursfreiheit, der einen Raum aufbauen wolle, in dem es weder eine linke noch eine rechte Diskurshoheit gebe. Häufiger Kritikpunkt Musks gegenüber Twitter waren die völlig intransparenten Entscheidungen und Mechanismen, die in der Vergangenheit zu einer Vielzahl an Sperren gegenüber Accounts führten. Betroffen waren hierbei insbesondere Nutzer, die Gegenpositionen zu linken („woken“) Ansichten vertraten.

Reaktionen auf die Übernahme ließen nicht lange auf sich warten. Etliche reichweitenstarke Accounts, darunter auch deutsche Politiker wie Saskia Esken und Kevin Kühnert, kündigten an Twitter zu verlassen.  Man sorge sich, so der häufige Tenor, vor „rechten Einflüssen“, einem Verlust demokratischen Gedankenguts sowie einer Zunahme von Hatespeech. Der Spiegel titelte sogar, dass die Übernahme „von Rechten“ gefeiert würde.

Dass unter dem Vorwand, man gehe gegen Fehlinformationen, Hass und Hetze vor, auch unliebsame Meinungen und Positionen auf verschiedenen Ebenen blockiert wurden, ist ein offenes Geheimnis. Das Vorgehen folgte hierbei bekannten Mustern. Positionen, die im Widerspruch zur vermeintlichen Diskurshoheit und der gefühlten Mehrheitsposition standen, wurden als rechts gelabeled und mit Meldungen überzogen, die schlussendlich das Twitter-Zensurteam auf den Plan riefen. Mittlerweile gibt es eigene Kanzleien, die sich darauf spezialisiert haben, bei Twitter geblockte Nutzer zu vertreten und nicht nur die Entsperrung, sondern auch hohe Entschädigungszahlungen sowie hochdotierte Unterlassungserklärungen zu erreichen. Entsprechende Erfolge werden öffentlichkeitswirksam bei Twitter kommuniziert. Insbesondere auch im deutschsprachigen Raum, das zeigt die Vielzahl an Klagen, ist ein Meinungsaustausch im Rahmen dessen, was juristisch legal ist, nicht bedingungslos gewährleistet.

Zeitgleich zeigt Twitter eine bemerkenswerte Toleranz gegenüber Aussagen und Positionen, die nicht im Mittelpunkt des aktuellen Diskurses stehen oder eine kritische Reflexion der eigenen Ideologie erforderten. So dürfen die Mullahs im Iran und andere Islamisten seit Jahren ungestört antisemitische Hassparolen und Vernichtungsideologien verbreiten und auch, dass das iranische Staatsoberhaupt, der Holocaustleugner Chamenei, die Proteste in Teheran als kriminelle Agitation bezeichnete, die es mit äußerster Gewalt niederzuschlagen gelte, war kein Grund für die Twitter-Offiziellen aktiv zu werden und führte auch nicht zu Protesten seitens der reichweitenstarken Community. Ebenso nutzt die Volksrepublik China Twitter seit geraumer Zeit völlig unbehelligt, um eine Umdeutung politischer Ereignisse und wirtschaftlicher Entwicklungen im Sinne der autoritären Xi-Jinping Ideologie vorzunehmen.

Künftig müssen Twitternutzer damit rechnen, sich Widerspruch und kritischen Aussagen zu stellen, ohne darauf hoffen zu können, dass diese von den Twitter-Zensoren gesperrt und so aus dem Diskurs entfernt werden. Dass der Begriff Zensur hierbei vollkommen angemessen ist zeigt sich auch darin, dass selbst renommierten Magazinen wie die Washington Post die zuletzt bei Twitter für den Bereich Policy verantwortliche Juristin Vijaya Gadde als Chefzensorin bezeichnet haben. Gadde war nicht nur dafür verantwortlich, was bei Twitter geschrieben werden durfte sondern war auch maßgeblich an der Sperre berühmter Accounts beteiligt. Gaddes Einfluss war so weitreichend, dass sie im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2020 dafür sorgte, dass der Account der NY Post zeitweise gesperrt und so verhindert wurde, dass ein kritischer Beitrag über den Sohn des damaligen Präsidentschaftskandidaten, Hunter Biden, verbreitet werden konnte. Gadde wurde von Musk direkt nach der Übernahme entlassen.

Interessant ist auch der Vorwurf, man störe sich an der Idee, dass Twitter nun einem einzigen reichen Mann gehöre, der das Produkt in sein Geschäftsportfolio integriert. Twitter war nie primär im Streubesitz oder unterlag keinerlei demokratischen Kontrolle. Vielmehr war es so, dass das bisherige Geschäftsmodell darin bestand, Bubble-Positionen einen sicheren Hafen zu bieten und zu diesem Zweck den zulässigen Diskursrahmen einzuschränken.

Es bedarf eines ausgesprochen kritischen Demokratieverständnisses, hierin einen insgesamt wünschenswerten Zustand zu erkennen.

Zur Demokratie gehört Widerspruch und es gibt keinerlei Veranlassung anzunehmen, dass Musk mit der Meinungsfreiheit im Sinne demokratischer Spielregeln zu brechen gedenkt. Und wer aufgrund des Kaufs jetzt Twitter verlässt, beweist kein aufgeklärtes Diskussionsverständnis, sondern eine unfassbare Doppelmoral.

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Dr.Dagmar Schatz
1 Jahr zuvor

Man sollte hier vllt auch mal klarstellen, dass das restriktive deutsche Verständnis von Pressefreiheit – dass sich unter Anderem aus die Weiss-Goebbels-Kontroverse entwickelt hat – seinerseits in der Welt auf Unverständnis stösst. Der angelsächsische Raum ist da libertärer und beruft sich machmal sogar auf die Pilgerväter. So ist z.B. Holocaustleugnung nur in sechs Ländern strafbar. Es geht sogar bei Historikern durch, Motto, wenn man das verbietet, was dann… Es wir – manchmal berechtigt – angeführt, dass historische Tatberstände nicht durch die Politik bestimmt werden dürften. Und dann werden sämtliche Kinder mit ihren Bädern ausgeschüttet. Leider wurde auch diese Diskussion hier in D nicht geführt… https://web.archive.org/web/20081111031740/http://www.lph-asso.fr/actualites/42.html … Musk scheint mir mittlerweile auch so eine Art Projektionsfläche zu sein. Ich denke, er hat sich bei der ersten Kaufentscheidung schlicht verschätzt und jetzt die zweite 180°-Drehung hingelegt. Er folgt dem angelsächsischen Verständnis von Pressefreiheit und ich finde das nicht zu beanstanden.

Rudi
Rudi
1 Jahr zuvor

Mir war gar nicht bewusst, dass die „Letzte Generation“, deren Twittersperrung am 15.Oktober hier gefeiert wurde, eine „Gegenposition zu linken („woken“) Ansichten“ vertritt.
Grüße aus Köln
Rudi

Michael
Michael
1 Jahr zuvor

Daumen hoch für diesen Artikel.

Steffen Voß
1 Jahr zuvor

Die Sache ist komplexer. Kevin Kühnert ist ja auch schon vor Wochen gegangen; Robert Habeck vor Jahren.

Dorothee Bär hat einmal gesagt, auf Twitter seien nur „Politiker, Journalisten und Psychopathen“. Viele Menschen haben den Eindruck gewonnen, dass es auf Twitter immer lauter wird. Der Algorithmus sucht sehr zuverlässig immer die größten Aufreger raus und spielt sie noch mehr Leuten in die Timeline. Wem man folgt, hat leider kaum noch Einfluss darauf, was man angezeigt bekommt.

Zusätzlich gibt es unglaublich viele Profile, bei denen man überhaupt nicht erkennen kann, ob das echte Menschen sind, oder der Fünft-Account von irgendeinem frustrierten Typen oder ein Profi-Troll aus St. Petersburg. Man weiß es einfach nicht.

Als Privatmensch kann man sich die Sache noch so halbwegs hinkuratieren. Ich habe die Twittertrends von „Deutschland“ auf „Bhutan“ gestellt, weil ich dann schon eine Menge weniger von den Säuen angezeigt werden, die gerade durchs Dorf getrieben werden. Ich blocke inzwischen konsequent Leute, die über Themen twittern, die mich nicht interessieren. Das ist nicht mehr die Höchststrafe für Arschlöcher, sondern ein Mittel der privaten Moderation.

Als Person der Öffentlichkeit kann man da nicht mithalten. Schaut Euch die Kommentare unter JEDEM Beitrag von Saskia Esken oder Kevin Kühnert an. Da geht es nicht um Gegenargumente. Da geht es ums Fertigmachen. Klar, mit dem blauen Promi-Haken sieht man davon schon viel weniger. Aber die Stimmung ist immer aufgeregt und oft aggressiv.

Twitter ist einfach keine gute Plattform für eine demokratische Öffentlichkeit, weil sie davon lebt, möglich viel Werbung anzuzeigen und die Leute möglichst lange zu beschäftigen.

Twitter für etwas anderes zu halten, ist romantischer Kitsch.

Reginald
Reginald
1 Jahr zuvor

Ich habe mittlerweile Bauchschmerzen beim Thema Social Media.Social Media verhindert eine ausführliche,sachliche und fundierte Diskussion.Ja ich finde sogar das Social Media absolut demokratiefeindlich ist.Mir gefällt das Metaverse überhaupt nicht.

ZeroZero
ZeroZero
1 Jahr zuvor

Twitter geht den Weg von Facebook. Das hat weniger mit Demokratie und dem fehlendem Verständnis für Diskurse zu tun als vielmehr mit den Lauf den soziale Plattformen mit der Zeit gehen:
die Jüngeren ziehen nicht nach und sammeln sich woanders, übrig bleibt dann nur die ü50 Riege.

Annett Grundmeier
Annett Grundmeier
1 Jahr zuvor

Ausgewogene Sichtweise. Wie kommt die auf diese Plattform?

SvG
SvG
1 Jahr zuvor

Welch eine scheinheilige Rosinenpickerei in D -wie immer- in Bezug auf Twitter betrieben wird: #metoo und #Aufschrei haben alle geliebt, und die Initiatirorinnen waren sich des Wertes eines kostenfreien, barrierearmen Medienzugangszur Welt durchaus bewußt und haben es gerne genutzt. #keineillegaleeinreise oder #akwsjetztbauen dürften sich hingegen eher weniger der Beliebtheit der Medien, gerade der halbstaatlichen, erfreuen.

Helmut Junge
1 Jahr zuvor

Schlimmer als bisher wird es wohl nicht werden. Die Superreichen haben eine unglaubliche Macht. Nicht nur Musk. Außer Musk zeigt das aber niemand von denen öffentlich. Aber die haben ihr Geld nicht nur auf dem Konto. deren Geld steckt überall drin. Kürzlich hab ich zufällig erfahren, daß die vielen Picnic Autos im westlichen Ruhrgebiet dem Herrn Bill Gates gehören. Deren Geld arbeitet und ist überall sichtbar.egal wohin unser Blick schweift, sehen wir das Eigentum irgendeines Superreichen.

Klopfer
1 Jahr zuvor

Wer auf Twitter nur Politikern, Aktivisten und Journalisten folgt, darf sich nicht wundern, wenn er da ein verzerrtes Bild von Twitter bekommt. Politische Auseinandersetzungen sind natürlich besonders giftig, das war schon vor dem Aufstieg des Internets so. Wer sich moralisch unwiderlegbar für überlegen hält, der hat kaum Hemmungen, Andersdenkende wie niederes Geschmeiß zu behandeln, da nehmen sich Rechte und Linke auch nichts.
Tatsächlich gibt es aber nur eine winzige Minderheit an toxischen Tweets, selbst Politik spielt insgesamt keine wirklich riesige Rolle bei Twitter.

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