Plastiksprengstoff und Minen für jedermann: Amazon entfernt das „Improvised Munitions Handbook“ im Kindle-Shop

Improvised Munition Handbook (Screenshot Amazon.de)
Improvised Munition Handbook (Screenshot Amazon.de)

Es war Anfang der 90er Jahre, als ich in der Hackerbibel des Chaos Computer Club über einen Bericht zum „besten Buchkatalog in der Welt“ stolperte, herausgegeben vom Buchverlag Loompanics  Unlimited.

Das Sortiment war auf „spezielle Themen“ ausgerichtet:

Lockpicking, Sprengstoffherstellung, Guerilla-Taktiken, Herstellung von Waffen, Nahkampf, Bombenbau, Leben im Untergrund, verschärfte Verhörtechniken, Drogenherstellung, Staatsgründungen und Staatsstreiche (Nicht als historische Abhandlung, sondern im Hinblick auf Beantwortung der Frage „Wie führe ich es durch?“), Sextechniken, Dokumentenfälschungen und so weiter. Der Freizeitspaß für die ganze Familie.

Richtig authentisch waren einige der Experten, die ihre Werke bei Loompanics veröffentlichten, nicht unbedingt:

Als Autoren des (beliebten) Werkes Hit Man: A Technical Manual for Independent Contractors identifizierte die Washington Post keinen bis dahin unbekannten Auftragsmörder, sondern eine alleinerziehende Hausfrau mit zwei Kindern. Mutmaßlich nicht weniger gefährlich, aber eben doch kein Auftragskiller.

Der Katalog selbst war ein Highlight und wäre, wenn es ihn noch geben würde, einen eigenen Beitrag auf Ruhrbarone wert. Was mit den Texten zu den teilweise obskuren Angeboten zusammenhängen könnte: Das Selbstverteidigungswerk War with empty Hands wurde im, auf billigsten Recycling-Papier gedruckten, Buchverzeichnis mit dem Hinweis auf die militärische Vergangenheit des Autoren beworben. Im Beirut der 80er Jahre hatte dieser, laut Werbetext, in seinem Hotelzimmer mehrere Terroristen der Hisbollah eigenhändig getötet. Der Wahrheitsgehalt dieser Anpreisungen darf, wie die Urheberschaft des Auftragsmörder-Handbuchs zeigt, angezweifelt werden.

Der Katalog selbst war trotzdem ein kurzweiliges Lesevergnügen: Für ungefähr fünf US-Dollar (Wenn ich es richtig in Erinnerung habe!) lag das Werk, wenige Wochen nach der Bestellung, in meiner Buchhandlung parat.

Alles für den Kleinkrieg

In meiner darauffolgenden Buchbestellung war der Klassiker Total Resistance – eine englischsprachige Übersetzung des Werkes Der totale Widerstand – Kleinkriegsanleitung für jedermann von Major Hans von Dach – enthalten: In Deutschland war „Der totale Widerstand“ seit 1988 bis vor wenigen Jahren als erstes und bislang einziges Buch aus der Schweiz auf der Liste der indizierten Printmedien der Bundesprüfstelle.

Loompanics ist mittlerweile Geschichte, wie ich im Dezember 2024 feststellen musste. Ich wollte dort Total Resistance, als Geschenk für jemanden, der sich beruflich aktuell mit den Themen des Werkes auseinandersetzt, bestellen.

Wenige Minuten später wusste ich auch, dass das Buch nicht mehr auf dem Index stand und bei Amazon, auch in der deutschen Version, erhältlich war.

Wieso das Werk auf dem Index zu finden war, habe ich nie richtig verstanden: In diesem Werk geht es um theoretische Grundlagen des Guerrilla-Krieges, ebenso könnte man Vom Kriege (Clausewitz) oder Die Kunst des Krieges (Sun Tzu) auf den Index setzen. Bücher, die in den meisten Haushalten zu finden sein dürften.

Aufgrund meines Kaufes wurden mir von Amazon nun „ähnliche Bücher“ vorgeschlagen. Zu meiner Überraschung, ich ging zuerst von zensierten Werken aus, habe ich jetzt (seit dem 27. September 2025) das vollständige TM 31-210 Improvised Munitions Handbook auf meinem E-Book-Reader. Schaden kann das nicht, immerhin steht der Russe vor der Türe. Für 3,09 Euro ist das Werk ein echtes Schnäppchen.

Die Ruhrbarone hatten, bezüglich dieses Angebotes, Fragen an das BKA und Amazon.

Kleinkriegsanleitung für jedermann: "Der totale Widerstand" (Foto: Peter Ansmann)
Kleinkriegsanleitung für jedermann: „Der totale Widerstand“ (Foto: Peter Ansmann)

Improvised Munitions

Eines der Highlights bei Loompanics war in den 90er Jahren, neben (eher altbackenen) Klassikern wie The Anarchist Cookbook, das inzwischen auch in Deutschland frei erhältlich ist, die Reihe Improvised Munitions Black Book, die aus insgesamt vier Werken besteht. Herausgegeben von Desert Publications, konnte man sich hier informieren wie man Plastiksprengstoff herstellt, Minen baut, improvisierte Feuerwaffen produziert. Andere Werke des Herausgebers waren The Poor Man’s James Bond, Two Component High Explosive Mixtures and Improvised Shaped Charge und das Special Forces Demolitions Training Handbook.

Wissen, das grundsätzlich – abhängig von der Zusammensetzung der Nachbarschaft – nicht schaden und sich als nützlich erweisen kann.

Die, im Handbuch beschriebenen, improvisierten Sprengfallen kamen in der Vergangenheit auch gegen US-Truppen und deren Verbündete zum Einsatz. Wie zum Beispiel in Afghanistan:

Das Handbuch wurde in Nachrichtenberichten verschiedener Medien erwähnt, nachdem es bei Personen beschlagnahmt worden war, die im Verdacht standen, Guerilla- oder Terroraktivitäten zu planen.

Das Handbuch ist eine der besten offiziellen Referenzen zur Herstellung von improvisierten Sprengsätzen (IEDs), und einige der darin beschriebenen Waffen wurden von ausländischen Truppen gegen US-Soldaten eingesetzt. So wurde beispielsweise die Handgranatenfalle in einer Dose gegen US-Truppen in Vietnam eingesetzt. Darüber hinaus wurde das Handbuch in vielen verlassenen Unterschlupfen verschiedener islamistischer Gruppen gefunden, beispielsweise in Kabul, Mazar-e Sharif und Kandahar (Afghanistan) sowie in zerstörten Ausbildungslagern. 

(Quelle: Wikipedia)

Herstellung von TACC im Improvised Munitions Handbook (Foto: Peter Ansmann)
Herstellung von TACC im Improvised Munitions Handbook (Foto: Peter Ansmann)

Terrorist Content Online (TCO)

Die rechtliche Lage ist klar: Der Besitz dieser Werke, sonst müsste man schließlich auch Chemiebücher verbieten, ist in Deutschland nicht strafbar. Das Bundeskriminalamt geht jedoch aktiv gegen die Verbreitung von Anleitungen für die Herstellung von Sprengstoffen und anderen gefährlichen Substanzen im Internet vor. Die rechtliche Grundlage dafür, ist die Terrorist Content Online-Verordnung (TCO):

Bei dem Joint Action Day, der vom Bundeskriminalamt initiiert worden war, beteiligten sich in der vergangenen Woche 10 EU-Staaten sowie die USA. Diese länderübergreifende Aktion diente insbesondere der koordinierten Ergreifung von Maßnahmen zur Identifizierung und Löschung von Herstellungs-, Ausbringungs- und Bauanleitungen im Internet in Bezug auf chemische, biologische und radioaktive Substanzen sowie Explosivstoffe und unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen. Im Rahmen dieser internationalen Zusammenarbeit wurden über 1733 Links mit Anleitungen zum Bau von Sprengvorrichtungen bei den Serviceprovidern zur Löschung gemeldet, darunter über 600 Links, die das Bundeskriminalamt identifiziert hatte.

(Quelle: BKA)

Mit Blick auf diese Handlungen des BKA, hatten die Ruhrbarone Fragen an des Bundeskriminalamt.

Eine Sprecherin des BKA hat unsere Fragen beantwortet:

Ruhrbarone: Ist dem BKA dieser Teil der Produktpalette auf Amazon bekannt?

Bundeskriminalamt: Dem Bundeskriminalamt ist grundsätzlich bekannt, dass Anleitungen zum Anfertigen von Munition und Sprengsätzen online frei verfügbar sind.

Ruhrbarone: Wie bewertet das BKA dieses Angebot, auch mit Hinblick auf eine sich radikalisierende Islamistenszene wegen der aktuellen Lage im Nahen Osten?

Bundeskriminalamt: Für potenziell tatgeneigte Personen, auch aus dem Bereich der Politisch motivierten Kriminalität, ergeben sich insbesondere durch die fortschreitende technisch/technologische Entwicklung nicht abschließend eingrenzbare Möglichkeiten des Bezugs von Herstellungsanleitungen für (unkonventionelle) Waffen, Sprengstoffe/Sprengvorrichtungen etc. Hierunter fallen insbesondere Publikationen, die vor dem jeweiligen ideologischen Hintergrund erstellt wurden und an die jeweilige Szene adressiert sind, deren weitere Verbreitung allerdings letztlich nicht hierauf begrenzt ist. Seitens des Bundeskriminalamtes werden diese Herstellungsanleitungen, die in einem ideologischen/strafbaren Kontext eingebettet und verbreitet werden, als besonders relevant eingeschätzt.

Zudem sind auch Publikationen umfasst, die vor einem anderen Hintergrund erstellt wurden (bspw. sog. „Feldhandbücher“ o.Ä. sowie rein naturwissenschaftliche (z.B. chemische) Quellen/Inhalte), aus denen sich ein Missbrauchspotenzial ergeben kann.

Grundsätzlich muss daher davon ausgegangen werden, dass sich entsprechendes Wissen angeeignet werden kann bzw. in unterschiedlicher Form mittels unterschiedlicher Quellen und IT-Hilfsmittel verfügbar ist.

Die emotionalisierende Wirkung der Lage in Gaza trägt weiterhin zur abstrakt hohen Gefährdung durch jihadistisch motivierte Gewalttaten in Deutschland bei. Insgesamt wird daher eine derartige Verfügbarkeit von Anleitungen zum Anfertigen von Munition und Sprengsätzen allgemein kritisch bewertet. Inhalte mit Bezug zum islamistischen Terrorismus werden nach Möglichkeit im Rahmen der TCO-Verordnung (s.u.) entfernt.

Ruhrbarone: Gab und gibt es Versuche diese Angebote zu unterbinden?

Bundeskriminalamt: Um der digitalen Verbreitung islamistischer Propaganda entgegenzuwirken, meldet die beim BKA angesiedelte nationale Internet Referral Unit (IRU) seit Oktober 2018 Links zu jihadistischer bzw. terroristisch-islamistischer Propaganda an Online Service Provider (OSP), mit der Anregung, die dazugehörigen Inhalte wegen Verstoßes gegen die eigenen AGBs zu entfernen. Am 07.06.2022 ist die TCO (Terrorist Content Online) – VO (Verordnung) des Europäischen Parlamentes europaweit in Kraft getreten, die darauf abzielt, terroristische Inhalte schnell und rechtsverbindlich aus dem Internet zu entfernen. Sie gibt den EU-Mitgliedsstaaten die Befugnis, Entfernungsanordnungen (EA) gegenüber Hostingdienstanbietern (HDA) erlassen zu können. Die bislang bestehende freiwillige Basis der Bearbeitung von Referrals wird somit um eine sanktionsfähige Verpflichtung erweitert. Für Deutschland nimmt das BKA die zentrale Rolle bei der Umsetzung der Verordnung wahr. Insofern entsprechende Inhalte bei den verfügbaren, hier in Rede stehenden Anleitungen festgestellt würden, wäre eine Entfernungsanordnung folglich möglich.

Bisher wurden hier keine Maßnahmen im Rahmen der TCO-Verordnung gegen Amazon ergriffen.

Ruhrbarone: Wäre die Löschung dieses Angebots, wenn man bereits gegen Angebote im Darknet, wie es in der Pressemitteilung steht, vorgeht, nicht ein konsequenter erster Schritt?

Bundeskriminalamt: Da es sich bei dem Angebot nicht um terroristische Inhalte im Sinne der TCO-Verordnung handelt, besteht hier keine rechtliche Handlungsgrundlage, um eine Löschung zu veranlassen.

Amazon hat das Produkt entfernt

Unsere Fragen an Amazon, nach der Bewertung des Angebotes und der Zielgruppe, wurde durch eine Pressesprecherin des Konzerns beantwortet:

Amazon: Wir investieren viel Zeit und beachtliche Ressourcen, um sicherzustellen, dass unsere inhaltlichen Richtlinien eingehalten werden. Wir entfernen Bücher, die diesen Richtlinien nicht entsprechen.

Offensichtlich verstieß das Buch gegen die inhaltlichen Richtlinien.

Das Kindle-Angebot Improvised Munitions Handbook ist aktuell nicht mehr bei Amazon erhältlich.

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