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„Sogar Mobilfunkanbieter warnen vor Netzausfällen“

Mobilfunk-Station Foto: bauerpower Lizenz: CC BY-SA 2.0 de


Passend zum langen Wochenende einige Gedanken zum Selbstschutz und zur Verletzbarkeit unserer kritischen Infrastrukturen.

Gercek: Im Nachgang zu unserem letzten Interview tauchten Fragen auf, wie wir uns auf den Winter vorbereiten sollten. Außerdem überschlugen sich die Ereignisse, da Nord Stream 1 und 2 offensichtlich sabotiert wurden und in der Eifel eine Natopipeline leck schlug, durch die Kerosin fließt. Wie sicher ist die deutsche Infrastruktur zur Energieabsicherung?

Magnus Memmeler: Unsere Infrastruktur zur Energieversorgung ist schlicht unsicher. Die Machtdemonstration, die Gaspipelines, die russisches Gas nach Europa liefern sollten, direkt im Gebiet der NATO zu zerstören zeigt uns deutlich, wie wenig wir in der Lage sind tausende Kilometer diverser Versorgungsleitungen zu sichern.

In der Politik scheint Momentan Leon Eckert der Politiker zu sein, der sich am ernsthaftesten mit den damit zusammenhängenden Herausforderungen im Bevölkerungsschutz auseinandersetzt.

In diesem Jahr, wir berichteten, hat ein Jugendlicher auf einem Trecker ausgereicht, um einen Landstrich stromlos zu setzen, indem er ausversehen einen Strommast umgefahren hat. Sie können sich sicherlich vorstellen was passiert, wenn das gezielt und planvoll an mehreren Stellen gleichzeitig geschieht. Wer soll und kann tausende Kilometer Überlandleitungen überwachen? Dieses Problem besteht leider begleitend zu den auf Kante genähten Netzkapazitäten, deren Zustand inzwischen auch mehrfach in aller Deutlichkeit von vielen Experten beschrieben wurde.

Die Meldung zum Schaden an der Kerosinpipeline in der Eifel zeigt, dass auch unaufmerksam durchgeführte Bauarbeiten ein Risiko für die Energieversorgung darstellen können. Am 19.02.2019 wurde in Berlin-Köpenick ein Kabel des Mittelspannungsnetzes durchtrennt. Der Stromausfall betraf 30.000 Haushalte, 5 Pflegeheime, ein Hospiz, eine Dialyseeinrichtung und zwei große Krankenhäuser. Dieser Ausfall zog sich über 24 Sunden und zeigte, dass wir extrem schlecht auf die Folgen von anhaltenden Strommangellagen vorbereitet sind. Die betroffenen Kliniken waren, obwohl wir das bislang alle gerne glaubten, nicht auf einen so langen Stromausfall vorbereitet.

Gercek: Verfügen Kliniken etwa nicht über Notstromversorgung?

Memmeler: Willkommen im Föderalismus. Die Gesundheitsversorgung ist Ländersache, weshalb es beispielsweise auch nur in 15 von 16 Bundesländern Krankenhausalarm- und Einsatzpläne gibt. Auch wenn der Stadtstaat Berlin ansonsten oft Anlass zum Stirnrunzeln gibt, ist Berlin das einzige Bundesland, welches diese auch regelmäßig beübt. Und die Vorschriften zur Ersatzstromversorgung von Kliniken sind absolut unterschiedlich und reichen von drei bis vierundzwanzig Stunden Befähigung zur Notstromversorgung. Und auch diese Versorgung muss häufig nicht für die gesamte Klinik, sondern nur für die Bereiche von Notaufnahmen, Intensivstationen und Operationssälen sichergestellt werden. Offensichtlich empfinden die Gesetzgeber die übrigen Menschen, die in Kliniken versorgt werden müssen, für als ausreichend selbsthilfetauglich – Ironie ende.

Im Beitrag  findet man dies allgemeinverständlich dargestellt und recht gut zusammengefasst. Der Bevölkerungsschutz warnt seit Jahren vor dieser Versorgungs- und Regelungslücke, denn im Falle eines großflächigen Stromausfalls kann diese Regelungslücke die Kapazitäten des Bevölkerungsschutzes unmittelbar an ihr Limit bringen, was ohnehin zu befürchten wäre. Für Pflegeheime sieht es nicht besser aus.

Gercek: Sie haben hier schon oft über die Herausforderungen im Bevölkerungsschutz gesprochen aber nun betonen Sie recht deutlich, dass ein Risiko besteht, dass der Bevölkerungsschutz in einer solchen Lage überfordert sein könnte. Was befürchten Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen?

Memmeler: Fangen wir mit den ganz einfachen Wahrheiten an. Auch wenn die Bevölkerung immer davon ausgeht, dass Pflegepersonal, Feuerwehrangehörige und Bevölkerungsschützer unkaputtbar und immer einsatzbereit sind, handelt es sich bei dieser Personengruppe um Menschen.

Alle Menschen, die sich im Bevölkerungsschutz und in der Daseinsvorsorge engagieren, stehen in einem solchen Schadensfall auch vor der Frage, ob sie sich nicht zunächst um die eigene Familie kümmern sollen und eventuell sogar müssen, bevor sie anderen zur Hilfe eilen. Niemand kann deshalb verlässlich sagen, mit wie vielen Einsatzkräften wir im Falle eines großflächigen Schadensfalls bei Stromausfall rechnen können. Gleiches gilt für Kitas, Pflegeeinrichtungen, Dialysen, Kliniken und so weiter, was das Problem potenzieren wird.

Wenn in einer solchen Situation auch noch die Notstromversorgung in vulnerablen Einrichtungen mangelhaft geplant wurde, ist das Limit schnell erreicht. Im Fall des Stromausfalls in nur einem Stadtbezirk von Berlin, war der dortige Bevölkerungsschutz bereits extrem gefordert. Was passiert bei drei Bezirken oder einem Stromausfall in der gesamten Stadt Berlin mit über 3,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern? Im Krankenhausplan Berlin sind ca. 100 Kliniken gelistet, was recht schnell verdeutlicht wie groß das Risiko eines Stromausfalls über nur 24 Stunden ist, wenn nur Berlin betroffen wäre. Spielen Sie das einfach mal für die einzelnen Bundesländer durch und beziehen dabei auch noch die Pflegeheime mit ein und Sie wissen schnell, wie zügig bei allen zu ergreifenden Maßnahmen ein Niveau erreicht wäre, bei dem Triage im großen Umfang erforderlich würde.

Zusätzlich muss der Bevölkerungsschutz auch auf funktionierende Infrastruktur zurückgreifen und die eigene Energie- und Kommunikationsversorgung sichern, was zusätzlich Einsatzkräfte bindet. Für die Bevölkerung müssen sogenannte Leuchttürme zur Verfügung gestellt werden, um Wärme und Grundversorgung für die sicherzustellen, die nicht vorbeugen konnten oder die Notwendigkeit schlicht naiv ausgeblendet haben. Die Meldung zeigt, dass sich auch Polizei und Bevölkerungsschutz noch immer im Zustand der Ertüchtigung befinden. Die erforderlichen Redundanzen sind vielerorts schlicht noch nicht vorhanden. Oder anders ausgedrückt, uns fehlt vielerorts der Plan B zur Regelversorgung.

Deshalb sind, wie ich so oft betont habe, auch die Bürgerinnen und Bürger gefordert, die notwendigen Vorbereitungen für Mangellagen zu ergreifen. Hier sehe ich jedoch recht pessimistisch in die Zukunft und auf diesen Winter.

Gercek: Was beunruhigt Sie so sehr, wenn Sie die Selbsthilfebefähigung unserer Mitmenschen ansprechen?

Memmeler: Die recht knappe Meldung  zeigt wovor ich auch am vergangenen Wochenende gewarnt habe. Die Erfolgsmeldungen zu Gasspeicherfüllständen haben große Teile unserer Bevölkerung bereits wieder recht sorglos agieren lassen. Der Gasmangel ist für viele schlicht nicht greifbar, obwohl jeden Tag Meldungen über Energiepreise unsere Nachrichten dominieren. Und andere sorgen sich, verfallen aber in blinden Aktionismus und gefährden dabei sich und andere.

Seit zwei Wochen lesen wir wieder regelmäßig von Kohlenmonoxid – Vergiftungen, weil Wohnungen mit Holzkohlegrills und anderen unklugen Feuerstätten geheizt wurden. Alle großen Onlinemedien haben völlig euphorisch sogenannte Teelichtöfen abgefeiert, mit denen angeblich problemlos geheizt werden könne. Solche völlig unreflektiert und ungeprüft verbreiteten Meldungen haben bereits zu Wohnungsbränden geführt, weil es zu Wachsbränden gekommen ist, da zahlreiche und nebeneinander platzierte Teelichter schlicht brandgefährlich sind. Auch hier sind wir wieder beim Thema Kommunikation. Unvorbereitete Mitmenschen und populistische Medienschaffende stellen eine absolut kritische Kombination dar, wenn es gilt, einer Krise begegnen zu müssen. Hier sei dieser Beitrag beispielhaft empfohlen, der die Risiken gut beschreibt:

Zusätzlich nutzen verfassungsferne Organisationen und Parteien die aktuelle Mangelsituation aus, um den Zusammenhalt in der Bevölkerung zu destabilisieren, was ebenfalls eine Herausforderung darstellt, der wir begegnen müssen. Wer zu einem „heißen Herbst“ aufruft, dabei Falschaussagen nutzt, um die Bevölkerung gegen die eigene Regierung aufzubringen, muss ebenfalls als kritischer Faktor betrachtet werden, wenn es um den Selbstschutz geht. Instabile Strukturen fördern Risiken und destabilisieren bislang sehr gut funktionierende und solidarische Nachbarschaften, die sich gegenseitig Hilfe leisten könnten. Auch die Bundesregierung hat dies erkannt, weshalb das Territoriale Führungskommando seine sehr wichtige Aufgabe erfüllt und dazu nun bereit steht.

Dem allen kann der Bevölkerungsschutz nur begegnen, wenn Spontanhelfende ordentlich eingebunden werden und deren Ressourcen gut geführt und begleitet zur Gefahrenabwehr beitragen können. Die EU Norm ISO 22319 könnte hierzu als Grundlage herangezogen werden, hat sich aber leider noch nicht etablieren können, wie wir in 2021 leidlich erfahren mussten.

Gercek: Zum Abschluss möchte ich Sie fragen, was Sie unseren Lesern raten. Wie kann jeder von uns Vorsorge betreiben?

Memmeler: Nehmen Sie zunächst einfach mal ernst, wenn sogar Mobilfunkanbieter vor Netzausfällen warnen. Das wäre der erste Schritt, um zu verinnerlichen, dass man mit der Familie, allein und in der Nachbarschaft planen muss. Orientieren Sie sich auf den Seiten des BBK, welche private Vorsorge doch sehr leicht darstellbar ist.  Und lassen Sie sich nicht durch Querdenker und Verfassungsfeinde verunsichern, wenn diese mit nicht überprüfbaren und einfachen Lösungen zum Aufstand aufrufen, weil alle anderen die Risiken nicht erkannt haben oder die so einfachen Lösungen nicht anwenden. Wenn alles so einfach wäre, hätten wir keine Probleme – außer diese gefährlichen Spinner.

Lassen Sie die Finger von Heizstrahlern, die unser Stromnetz noch schneller ans Limit führen, wenn viele Mitmenschen diese Dinger zeitgleich nutzen. Wer über die finanziellen Möglichkeiten verfügt, kann Akkuaggregate beschaffen, die nichts anderes als sehr große und relativ leistungsstarke Batterien sind. Viele werden kleinere Modelle vom Camping kennen. Mit Solarkollektoren lassen diese sich sogar wieder neu aufladen, wenn diese Notlösung länger genutzt werden müsste. Mit der Akkuleistung können dann z.B. Kühlschränke und andere Verbraucher betrieben werden.

Das wichtigste Element der Vorsorge ist jedoch, momentan so viel Energie zu sparen, wie es eben erträglich und möglich ist, damit eine Mangellage möglichst lange vermieden werden kann. Wenn dies durch möglichst viele Mitmenschen ernst genommen wird, kann es möglich sein, dass ich mich im kommenden Sommer als Panikmacher beschimpfen lassen muss, weil der Notstand, vor dem so sehr gewarnt wurde, doch wieder ausgeblieben ist. Sollte dies nicht gelingen, lesen Sie dieses Interview noch einmal, um zu begreifen, was uns droht.

Gercek: Herzlichen Dank

Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen

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