Eurokrise: mit dem Knirps durch den Wolkenbruch

Als ich Anfang letzter Woche an dieser Stelle das Geständnis abgelegt hatte, so vor zehn, fünfzehn Jahren für den Euro geworben zu haben, bin ich von einigen Lesern dahingehend missverstanden worden, dass ich heute kein Euro-Befürworter mehr sei. Deshalb bitte ich um Nachsicht, dass ich mich selbst zitiere: „Die Folgen eines Scheiterns der Gemeinschaftswährung wären verheerend“, schrieb ich, gleichzeitig aber auch, dass „zu befürchten (steht), dass der Euro die nächsten beiden Jahre nicht überleben wird“. Diese Befürchtung ist in den letzten Tagen nicht kleiner geworden. 

Inzwischen ist Irland unter den sog. Euro-Rettungsschirm geschlüpft. Doch auch dort ist mittel- und langfristig keinerlei Rettung zu erwarten. Denn zum einen steigt der Zins, den Irland am Kapitalmarkt zahlen muss, ungebremst weiter. Der „Spread“, also die Renditedifferenz zwischen 10-jährigen irischen Staatsanleihen und deutschen Bundesanleihen, bewegt sich Richtung 7 %, wobei zu berücksichtigen ist, dass inzwischen auch die deutschen Zinsen steigen, weil die Anleger sich um die auf Deutschland zukommenden Belastungen sorgen. Auch dieser Trend ist nicht ganz ungefährlich

Unter dem „Euro-Rettungsschirm“ zahlt Irland einen Zinssatz von 5,8 %. Das ist weniger als die inzwischen knapp zehn Prozent, die auf dem freien Markt fällig werden, aber mehr als dieses Land auf absehbare Zeit bewältigen kann. Irland hat schon jetzt ein „Minuswachstum“ und deflationäre Tendenzen, und die Regierung musste ein rabiates Sparpaket auf den Weg bringen, was das BIP und die Preise weiter runterdrücken wird. Stellen Sie sich vor, Sie sind pleite und wissen, dass Ihr Einkommen in den nächsten Jahren kontinuierlich sinken wird. Und dann komme ich und biete Ihnen einen Freundschaftskredit mit läppischen 5,8 % Zinsen an. 

Inzwischen gilt es als ausgemachte Sache, dass spätestens im Januar auch Portugal den „Rettungsschirm“ wird in Anspruch nehmen müssen. Die Spekulation hat sich längst Spanien vorgeknöpft, schon allein um auszutesten, wie viel all die Rettungsversprechen im Ernstfall wert sind, um in Erfahrung zu bringen, wo man eigentlich mit dem Euro dran ist. Dass damit nebenbei auch leicht Geld verdient werden kann, ist ein angenehmer Nebeneffekt, aber nicht die Wurzel des Problems. Ein europäischer Staat nach dem anderen wird im nächsten oder in den nächsten Jahren bankrott machen. Es steht nirgendwo geschrieben, dass nach Spanien, also nachdem die sog. PIGS-Staaten durch sind, Schluss sein muss. 

Mitunter findet man „PIIGS“ auch mit zwei „i“ buchstabiert, womit dann auch noch Italien mit im Boot säße. Wie auch immer: für alle betroffenen Staaten gilt dasselbe wie für Irland. Durch das mit dem „Rettungspaket“ verbundene Spardiktat wird das Wachstum völlig abgewürgt und der Haushalt strukturell gegen die Wand gefahren. Brüderle hat schon recht, wenn er sagt, „der EU-Rettungsschirm sei eine temporäre Hilfe und kein dauerhaftes Transferinstrument“. Genau hier liegt das Problem. Brüderle sagte dies bei der Vorstellung des Buches „Rettet unser Geld“, das sein Parteifreund, der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel verfasst hat. „Er stimme nur in Teilen zu“, legte der Bundeswirtschaftsminister dar. Wir wissen nicht, in welchen Teilen. Henkel warnt in seiner Neuveröffentlichung vor dem „Totalausverkauf Deutschlands“. Die Bundesregierung setze mit ihrer milliardenteuren Beteiligung an der Rettungsaktion für Irland den Wohlstand der Republik aufs Spiel. Seit Beginn der Währungsunion glänze Deutschland als Zahlmeister, während andere Länder ungeniert kassierten. 

Noch widerspricht die Bundesregierung dem Sarrazin-Sympathisanten Henkel, doch letztlich nur halbherzig. Denn bei der Linie, die gegenwärtige Eurokrise mit kurzfristigen Rettungspakten und langfristig mit einer „Insolvenzordnung“ bewältigen zu wollen, handelt es sich – zurückhaltend formuliert – um eine große Illusion. Wenn gleichzeitig eine Transferunion, eine Wirtschaftsunion und damit letztlich auch eine politischen Union Europas entschieden abgelehnt wird, wird die Währungsunion nicht zu retten sein. Henkel verweist an dieser Stelle darauf, dass vor der Einführung des Euro die Welt doch auch halbwegs in Ordnung gewesen sei, dass also ein Auseinanderbrechen der Eurozone, wofür er offen plädiert, ein ökonomischer Segen sei – und zwar ohne größere politische Gefahren. 

Henkel plädiert für zwei Eurozonen: eine harte, um Deutschland herum aufgestellte im „Kerneuropa“, und eine andere, in der sich die „Sünder“, die Weichwährungsländer am Mittelmeer versammeln. Ausdrücklich zählt er Frankreich – im übrigen nicht völlig zu Unrecht – zur weichen Zone. Es liegt auf der Hand, dass mit einem solchen Zwei-Eurozonen-Modell die Achse Paris-Berlin (früher Paris-Bonn) der Vergangenheit angehören würde. Im Grunde würde der gesamte politische Integrationsprozess rückgängig gemacht. Ganz abgesehen davon, dass sich mit der Stärke eines D-Mark-ähnlichen Nordeuro die deutschen Exportchancen verdüstern dürften, wären die politischen Folgen dieses Euro-Auseinanderbrechens dramatisch. 

Die gegenwärtige Eurokrise verdeutlicht, dass Europa unausweichlich an einer Gabelung angelangt ist. Entweder es werden jetzt rasche und kräftige Schritte auf dem Weg zu einer ökonomischen und politischen Integration gegangen, oder Henkels Wunschszenario wird zunächst schleichend und dann mit einem großen Knall Wirklichkeit. Außenpolitisch hätten wir es auf dem Kontinent mit einer den meisten von uns nicht mehr bekannten Konstellation zu tun. Und innenpolitisch müssten sich nicht nur linke, sondern auch liberale Geister auf eine nachhaltig veränderte Atmosphäre einstellen. 

Die Sache ist noch nicht entschieden, doch die Chancen für ein Überleben des Euro stehen nicht gut. Selbst die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua – selbstverständlich „überzeugt, dass der Euro eine große Zukunft hat“ – beschwichtigt, dass „„falls die Krise Spanien überflutet, dann bedeutet dies großen Ärger, aber auch nicht das Ende des Euro“, um dann anzumerken: „Eine Auflösung der Euro-Zone wäre politisch untragbar.“ Wenn sich diese Befürchtung inzwischen schon bis nach China herumgesprochen hat, sollte man sie im direkt betroffenen Gebiet ein wenig ernster nehmen. 

Eine Währungsunion aus Deutschland, Benelux, Österreich und ein oder zwei skandinavischen Ländern plus der Schweiz als assoziiertem Mitglied. Grüezi, Bhüeti, Hoi und Moin, liebe Rechtspopulisten alle miteinander!