Taktik, Mädchen und Protest

Protest am Bauzaun der Startbahn West. Foto: Rainer Momann, http://www.momann.com Lizenz: Gemeinfrei


Schaue ich mir die Bilder von den Protesten am Wochenende in Garzweiler an, kommt mir sehr vieles bekannt vor. Inhaltlich habe ich heute mit dem Protest keinerlei Sympathie, ich mag die “Unsere Erde brennt” Hysterie nicht, das apokalyptische ist mir vollkommen fremd, und wenn ich in der taz über 
Awarness-Tische lese, erfasst mich ein Gefühl heftigster Fremdscham. 

Aber wenn ich dann Transparente sehe, auf denen “Heute die Kohle, morgen der Kapitalismus” steht, ist mir klar, dass sich vieles nicht verändert hat und ja, die taz hat schon Recht, wenn sie schreibt: “Der Erfolg der jungen Schülerbewegung, die am Freitag in Aachen rund 40.000 Menschen auf die Straße brachte, ist auch für die kapitalismuskritische Linke eine Wachstumsgelegenheit.” 

Es ist schon etwas her, aber Ende der 70er Jahre schloss ich mich der radikalen Linken an. Ich machte bei einer Antifa-Gruppe an meinem Frankfurter Gymnasium mit. Die erste Demonstration, an der ich teilnahm, richtete sich gegen einen NPD-Parteitag am 17. Juni 1978 in Frankfurt. Der Kampf gegen Neonazis war – und ist mir bis heute – ein wichtiges Anliegen. In den ganzen Jahrzehnten, die seitdem vergangen sind, hat sich daran nichts geändert. Wenig später schloss ich mich, auch noch in Frankfurt, kleinen, anarchistischen Gruppen an. Ich war beim ersten Schwarzen Block am 1. Mai 1980 dabei, der nicht wegen der Kleidung „Schwarzer Block“ genannt wurde, sondern weil er der Block der Anarchisten in der 1. Mai Demo des DGB war. Es gab den IG Metall Block, es gab den ÖTV Block, die ganzen lächerlichen K-Gruppen dieser Zeit hatten einen Block und – damals erstmals – auch die Anarchisten. Auch wenn ich nun schon lange kein Anarchist mehr bin, hat mich die damalige radikale Ablehnung von Autorität und Staat geprägt. Der Staat und ich, wir werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Der Beziehungsstatus wird über “Es ist kompliziert” nicht hinauskommen. 

Aber in jener Zeit las ich nicht nur Bakunin, Bergmann oder Enzensbergers wunderbares Buch “Der kurze Sommer der Anarchie”, ich nahm auch an den Demonstrationen und Protesten jener Zeit teil. Und bei denen ging es um Atomkraft, die Startbahn West und die Verhinderung der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen. Keines der drei Themen interessierte mich wirklich. Als Anarchist hatte ich keinerlei Sympathien für die Sowjetunion und den Warschauer Pakt. Die Sowjetunion war für mich der Staat, dessen Gründer den Matrosenaufstand von Kronstadt und die Machnowschtschina in der Ukraine blutig niedergeschlagen hatten. Und mir war, bei aller zeittypischen linken Paranoia, sehr bewusst, dass ich in Ost-Berlin oder Moskau nicht mit einem schwarzen Stern an der Jacke hätte über die Straße gehen können. 

Meine Teilnahme an Protesten gegen Atomkraftwerke war immer zutiefst verlogen. Meine Eltern arbeiteten bei der KWU und bauten Kernkraftwerke, mit 16 jobbte ich dort in den Sommerferien. Ich hatte nie das Gefühl, dass Kernkraftwerke besonders gefährlich waren und mir war klar: Daher kam das Geld, von dem ich als Jugendlicher lebte. 

Die Friedensbewegung mochte ich vom ersten Tag nicht – alles stieß mich ab: In Gladbeck, wo ich in dieser Zeit lebte, war sie wahrscheinlich noch enger als anderswo mit der DKP verbunden, denn die saß dort sogar im Rat der Stadt. Ich mochte die friedensbewegten evangelischen Pfarrer nicht, meine zum Teil wirklich ängstlichen Mitschüler, die Rentner mit ihren lila Kirchentagsschals, die tatsächliche oder gespielte Naivität, diese ungeheure Mischung aus Dummheit und Verlogenheit, die schon damals so typisch für die Friedensbewegung war.  

Blieb die Startbahn West. Ich war das, was man heute “erlebnisorientiert” nennt. Fahrten zu Startbahn-Demonstrationen waren Action-Ausflüge, die einen vom öden Gladbeck nach Frankfurt führten. Abends versackte ich in der Karotte am Affentorplatz, am nächsten Tag ging es zum “Aufstand”.  Dass damals Lodenmantel tragende Ehepaare aus Waldorf-Mörfelden den Protest von uns Langhaarigen in schwarzen Lederjacken unterstützen, sah ich als Zeichen dafür, dass wir dabei waren, die Herzen der Massen zu erobern. Erst später wurde mir klar, dass ihre Sympathie einen ganz banalen Grund hatte: Nichts hätte den Wert ihrer Immobilien in Flughafennähe so sehr gesteigert wie die Verhinderung der Startbahn. Die Frage der Immobilienwerte ist übrigens bis heute ein wichtiger Grund für den Erfolg der Umweltbewegung und der Grünen. 

Warum also nahm ich an den Protesten teil? Abgesehen davon, dass man damit in jener Zeit in gewissen Kreisen bei den Mädchen punkten konnte, was vor allem in der Pubertät ein vollkommen legitimer Grund ist? 

Der Grund, warum ich an den langweilen Latschdemos der Friedensbewegung unter der heißen Bonner Sonne mitmachte, mich von Bundesgrenzschützern durch den Flörsheimer Wald jagen und von Wasserwerfern in Kalkar nassspritzen ließ, war – neben der Action an der Startbahn und in Kalkar – taktischer Natur. Es galt daran mitzuwirken, möglichst viele Menschen gegen den Staat und das System aufzubringen. “Ein Schlag mit dem Polizeiknüppel lehrt dich mehr über den Kapitalismus als zehn Semester Politikstudium” war einer der Sätze, die ich damals sehr schlüssig fand. Und mir war jedes Thema recht, um möglichst vielen Menschen auf ihrem Weg in die Opposition behilflich zu sein. Nein, daran, dass ich die “Revolution” erleben würde, glaubte ich nicht, auch mit 16 war ich kein vollkommener Trottel. Für mich war klar: Generation für Generation würde gegen den Staat ankämpfen müssen. Meine würde sicher noch verlieren, aber irgendeine würde in Zukunft gewinnen. Anarchismus, das ist nun einmal auch eine große, romantische Erzählung von der Freiheit. Zumindest war es das damals für mich. 

Das, was die taz als “Wachstumsgelegenheit für die kapitalismuskritische Linke” bezeichnet, fasst es ganz gut zusammen. Und nein, die meisten Kids, die heute bei Fridays for Future mitlaufen, werden das nicht so sehen. Aber sie werden Leute kennenlernen, die nur deshalb an ihren Demonstrationen teilnehmen, um sie auf ihre Seite zu ziehen. Und die meisten der Jugendlichen werden sie für ziemliche Idioten halten, das war damals so und wird heute nicht anders sein. Aber ein paar werden die große Erzählung vom Kampf gegen den Kapitalismus faszinierend finden.  Sie werden die Szene, oder besser bestimmte Fraktionen der Szene, mögen, sie werden die Rebellion, die Action und die damit verbundenen Codes zu einem Teil ihrer selbst machen. 

Und dann in ein paar Jahren bei Demonstrationen mitlaufen, deren Inhalt sie vielleicht überhaupt nicht interessiert. Ich hörte damit übrigens auf, als ich mein Abi machte, in einer Punkband spielte und anfing zu schreiben. Das war 1986.  

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Nina
Nina
4 Jahre zuvor

Stefan arbeitest Du an Deiner Autobiographie? 😉
Schöner Text.

thomas weigle
thomas weigle
4 Jahre zuvor

Das Problem der "Friedensbewegung" waren nicht die paar Hanseln der DKP, selbst wenn sie in 3-4 Räten( Bottrop, Gladbeck und Marburg sind mir erinnerlich) bundesweit vertreten waren, es war der "Krefelder Appell", der aus Ostberlin gesteuert, formuliert und zumindest tw. von dort finanziert wurde, wie wir heute wissen und damals schon von konservativer Seite behauptet wurde.

MCO
MCO
4 Jahre zuvor

Was möchte der Schreiber hier eigentlich mitteilen? Das die Jugendzeit, inclusive der eigenen, aus fake Rebellion, Mitläufertum und falschen Idealen besteht? Man soll nicht von sich auf andere schließen, aber selbst wenn das wahr wäre, bleibt immer noch der "Weg zum Werden was man ist" dabei übrig. Immerhin haben diese prägenden Elemente einen Ruhrbarone Schreiber heranreifen lassen, der jetzt möglicherweise für die wirklich wichtigen Dinge eintritt, zu Weisheit und Weitsicht gelangt ist, die Welt zu einem besseren Ort machen möchte und kruden Gedanken natürlich längst mit Erhabenheit gegenübertritt. Mindestens seit 1986 jedenfalls.. Vielen Dank trotzdem für den Schwank aus der Jugendzeit. Es klingt wie ein Paradebeispiel für eben jenen Sachverhalt der bemängelt werden soll, ein Schwank zwischen Selbstdarstellung und Selbstdiffamierung. Bei näherer Betrachtung fällt auf das sich einige Dinge scheinbar nie ändern, auch nicht bei denen die früher mal laut und im Aufbruch waren. Das Unverständnis der Erwachsenen gegenüber denen die noch auf der Suche nach Sinn und Lösungen sind zum Beispiel. Wer wenn nicht die junge Generation ist aber zuständig für markante Veränderungen? Vermutlich nicht die Gereiften, die jeglichen Rebellionsimpuls erst siebenundzwanzigmal durchdenken, zu dem Schluss kommen das das damals ja bereits alles Unfug war und dann lieber wieder in der hart erarbeiteten Komfortzone vor einem Bildschirm Platz nehmen und nach Feierabend üblicherweise fünfe grade sein lassen. Die Sicherheit des Erwachsenseins im Wohlstand macht manchmal ziemlich gleichgültig und formt aus jugendlichem Sand im Getriebe eine Burg, auf das alles so bleibe wie es ist.

"Folgen Sie meinem Rate und meinem Beispiel, trinken Sie eine Flasche Champagner und essen Sie ein paar Dutzend Austern dazu, und ich bin überzeugt, daß Ihnen die Weltlage sofort in einem weit rosigeren Lichte erscheinen wird." (O.v.Bismarck)
Sorry, vielleicht habe ich den Text auch einfach nicht verstanden und fand ihn grundlos dämlich.

Nina
Nina
4 Jahre zuvor

@MCO: Die Kernaussagen dieses schönen Textes sind: Nazis sind doof und Mädchen sind cool.
🙂

Ulrike
Ulrike
4 Jahre zuvor

"Nazis sind doof und Mädchen sind cool.": … und was machen wir dann mit den Nazimädels? Insbesondere denen aus Dortmund und Duisburg die rote Haare und Piercings haben? Wie etwa das wohl 20-jährige Mädel Ina aus Duisburg, die im KZ und auf Nazidemos lächelnd nen Beutel trägt mit der Aufschrift: "Mein Beutel ist wichtiger als Israel"?

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