
Der Physiker und Kabarettist Vince Ebert beschreibt in seinem neuen Buch Wot Se Fack, Deutschland?, wie heute Politik und Ideologie über Wissen und Tatsachen gestellt werden, und gibt seinen Lesern auch eine Anleitung zum Widerspruch. Stefan Laurin sprach mit Vince Ebert .
Ruhrbarone: Es ist das dritte Buch, das ich von dir gelesen habe. Es ist, wie du selber auch schreibst, deutlich düsterer.
Vince Ebert: Ja, auf jeden Fall. Die Stimmung ist ja auch düster. Ich mache das Ganze – also auch auf Tour – schon seit 25, 26 Jahren. Und ich merke in meinen Programmen und im direkten Kontakt mit den Leuten, dass die Stimmung in Deutschland von einer großen Mut- und Hoffnungslosigkeit geprägt ist. Das hat nicht unbedingt damit zu tun, dass wir uns in einem Entwicklungsland befinden – der Standard ist ja noch einigermaßen okay –, aber die Leute haben einfach wenig Vertrauen, dass die Zukunft besser wird als die Vergangenheit.
Worin sich Deutschland von vielen Entwicklungsländern unterscheidet, ist, dass die Menschen dort, sobald sie merken, dass es besser wird, sehr optimistisch sind.
Ebert: Total. Wenn wir gerade sehen, was in Argentinien abgeht, was Javier Milei nach eineinhalb Jahren dort bewegt hat – indem er im Grunde genommen das genaue Gegenteil von dem macht, was die EU tut: weniger Bürokratie, radikaler Abbau von Ministerien, weniger Staatsausgaben, mehr Eigenverantwortung für die Leute.
Argentinien war ja vor 100 Jahren reicher als Deutschland – und wurde dann 100 Jahre lang durch diverse linke und rechte Regierungen kontinuierlich in den Keller gewirtschaftet. Durch Milei entsteht dort auf einmal ein totaler, positiver Boost. Sensationelles Wirtschaftswachstum gepaart mit einem unglaublichen Zukunftsoptimismus. Das wäre eigentlich eine Blaupause dafür, wie es in Deutschland und Europa laufen müsste. Aber wenn du dann Merz als Kanzler reden hörst und er sagt: „Was Milei da macht, ist kein Vorbild“, dann denke ich mir: In welcher Welt lebt der?
Was du in dem Buch beschreibst, sind ja die zwei ideologische Überbauten, die für die Misere verantwortlich sind und die von großen Teilen der Politik, aber auch von vielen Medien geteilt werden. Das eine ist das postmoderne Denken, zu dem eine Ignorierung von Wissenschaft und Fakten dazugehört – weil es angeblich keine Wirklichkeit gibt und alles Konstrukte sind, wie zum Beispiel die Geschlechter. Das andere ist die Postwachstumsökonomie: die Vorstellung, dass Wachstum grundsätzlich böse, schädlich, unglücklich machend sei, die Menschen arm mache und die Umwelt zerstöre. Das sind – wenn ich dich richtig verstehe – für dich die beiden großen Probleme. Und sie hängen ja auch zusammen.
Ebert: Also, ich bin Physiker und habe in meinen Programmen immer versucht, Wissenschaft, Bildung, Universitäten und Bildungseinrichtungen hochzuhalten. Ich habe mich dafür starkgemacht, dass man Zusammenhänge wertneutral untersucht – so wie es der wissenschaftliche Ansatz eigentlich vorsieht.
In letzter Zeit sehe ich jedoch, dass Universitäten und Hochschulen immer mehr ideologisiert werden. Immer weniger wird dort ergebnisoffene Wissenschaft betrieben. stattdessen herrscht zunehmend ein politischer Aktivismus.
Das war in den Geisteswissenschaften schon früher so – in der 68er-Zeit waren Universitäten immer von politischem Aktivismus durchdrungen. Das ist per se ja auch keine schlechte Sache: Die Bürgerrechtsbewegung in Amerika kam von den Universitäten, die Aufarbeitung der NS-Zeit ebenfalls. Das ist positiv.
Was aber in den letzten Jahren passiert, ist, dass sich dieser Aktivismus in praktisch allen Fächern und Fragestellungen ausbreitet – durch Gender Studies, die die Gesellschaft nicht verstehen sondern „umbauen“ möchte, in der Klimaforschung, mit dessen Hilfe man die Welt retten will. Natur- und Ingenieurswissenschaften werden immer mehr durchdrungen von gesellschaftspolitischen Zielen und Weltbildern, die mit dem Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis und der Suche nach Wahrheit wenig zu tun hat.
Das zieht sich bis in die Wissenschaftskommunikation im Fernsehen. Oder wie ich es im Buch schreibe: Man möchte nicht mehr informieren – man möchte missionieren.
Du beschreibst ja auch, dass mittlerweile bei naturwissenschaftlichen Fächern quasi immer eine Genderperspektive eingebaut werden muss – was ja auch Geld kostet, das eigentlich für das Forschungsvorhaben gedacht ist.
Ebert: Ja. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die maßgeblich Drittmittelförderung betreibt, hat ganz klare Regelungen: Wenn Du zum Beispiel einen Sonderforschungsbereich einrichten möchtest, um die Ausdehnung des Universums nach dem Urknall zu erforschen, musst du dafür eine zusätzliche Stelle (Kosten: zirka 80 000 Euro pro Jahr) für „forschungsorientierte Gleichstellungs- und Diversitätsstandards“ schaffen, damit dein Projekt bewilligt wird. Fortan soll also die Gisela aus der Gleichstellungsabteilung sicherstellen, dass bei der Simulation eines Quark-Gluon-Plasmas vor 13,8 Milliarden Jahren auf jeden Fall „Diversitätsdimensionen, geschlechtliche Identität, ethnische Herkunft, Intersektionalität, Migrationsgeschichte, Weltanschauung und chronische Erkrankungen“ berücksichtigt werden.
Zum einen bindet oder verschwendet das enorme finanzielle Mittel, die für die echte Forschung fehlen. Zum anderen entsteht an den Universitäten und Hochschulen eine Wissenschaftlerzunft, die sehr straff „auf Linie“ gehalten wird. Wenn du bestimmte Fragen stellst, die politisch nicht genehm sind – gerade zu Themen wie Klimaforschung, Migration oder Gender – und diese kritisch untersuchen möchtest, dann wird dir sehr klar signalisiert: Entweder bekommst du dafür keine Fördergelder, oder alleine schon das Stellen dieser Fragen wird innerhalb der Uni sanktioniert.
Das ist für eine Universität, für jede Bildungseinrichtung, eine fürchterliche Entwicklung. Denn Wissenschaft sollte vor allem für Offenheit und Freiheit im Denken stehen. Kepler und Galilei waren totale Ketzer, indem sie sagten: Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Universums. Oder Darwin, der behauptete, Menschen und Affen hätten gemeinsame Vorfahren. Wissenschaft ist per Definition politisch unkorrekt.
Was aber gerade an Universitäten passiert, ist der Versuch, mit einer politischen Überkorrektheit alle kritischen Fragen niederzubügeln.
Du beschreibst, dass dir bei deinen Auftritten, Vorträgen und Gesprächen mit Politikern und Unternehmern viele im Großen und Ganzen recht geben. Die gleichen Leute, die dir privat zustimmen, sagen öffentlich das Gegenteil.
Ebert: Da herrscht ein ganz starker Opportunismus. Es hat sich eine Duckmäuser-Mentalität breitgemacht. Ich erlebe es oft: Nach einem Vortrag sagt mir der CEO unter vier Augen mit geballter Faust, was alles schiefläuft und was man dringend ändern müsste. Dann geht er ans Rednerpult – in der ersten Reihe sitzt der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises – und er macht den feigen Bückling.
Wenn ich im Osten spiele, erzählen mir Leute, die die DDR noch erlebt haben, dass es damals ähnlich war: Man hatte eine private Meinung und eine öffentliche Meinung, und die konnten völlig auseinandergehen.
Das ist eine Entwicklung, die wir uns selbst zuzuschreiben haben. Wir haben uns in dieses ängstliche Duckmäusertum selbst hineinmanövriert. Im Buch geht es mir gar nicht darum, mich an den Rändern abzuarbeiten und zu sagen: „Die Grünen sind doof“ oder „Die Rechten sind doof“. Sondern meine Kritik richtet sich an das wertkonservative, liberale Bürgertum – und das parteiübergreifend. Dort hat man schon vor 20, 30 Jahren damit angefangen, sich bei Kontroversen feige wegzuducken. Man hat immer gehofft: „Der Sturm zieht schon vorbei, so schlimm wird es nicht werden.“
Es war lange Exotenthemen in den „Studies“
Ebert: Aber inzwischen hast du in jedem größeren Konzern in der HR-Abteilung einen Diversitätsbeauftragten – und der hat teilweise mehr Einfluss als der Leiter der Entwicklungsabteilung. Ein guter Freund von mir ist Partner einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Der hat vor zwei Jahren auf LinkedIn einen satirischen Post von mir geliked, in dem ich über die Existenz von nur zwei biologischen Geschlechtern geschrieben habe. Am nächsten Tag wurde er zur Gleichstellungsbeauftragten zitiert und musste sich wie ein Schulbub zusammenstauchen lassen, was ihm einfalle, diesen Post zu liken. Das sei nicht Firmenpolitik.
Über LinkedIn und Twitter bekomme ich regelmäßig private Nachrichten von Leuten in höheren Positionen, die mir schreiben: „Wenn ich das und das sage, bekomme ich Probleme in meinem Unternehmen.“ Das ist also nicht nur an Universitäten oder in der Politik so, sondern auch in Firmen. Und wir haben das zugelassen. Vor 20, 30 Jahren haben sich die Vernünftigen und Besonnenen aus der Debatte zurückgezogen – jetzt haben die Narren das Feld übernommen.
Wir haben ja derzeit einen gewissen „Vibe-Shift“, die grün- linke Hegemonie scheint mir zumindest in Teilen gebrochen. Siehst du das auch so? Oder sitzen die Leute so fest im Sattel, dass sie das einfach aussitzen?
Ebert: Ich glaube, den „Marsch durch die Institutionen“, das muss man den Linken einfach lassen – den haben sie knallhart und sehr erfolgreich durchgezogen. In den letzten vier, fünf Jahrzehnten haben sie Strukturen geschaffen, in Medienhäusern, Verwaltungen, im Justizwesen, in vielen Bereichen, die nicht so einfach durch einen Regierungswechsel zu beseitigen sind. Wir sehen das ja: Alle dachten, Merz sei das konservative Element. Und dann rudert er bei fast allen Themen zurück, weil der aktivistische Druck so groß wird, dass er glaubt, das nicht auszuhalten – und nach einem Schritt vorwärts zwei zurückgeht.
Gibt Opportunismus nicht auch Hoffnung? Viele Leute auf diesen Positionen ändern sich im Laufe ihres Lebens. Nicht jeder bleibt sein Leben lang Überzeugungstäter.
Ebert: Die Überzeugungstäter sind zahlenmäßig gering, aber sie sind gut organisiert und schwer durch Argumente zu überzeugen. Sie dominieren derzeit noch den Diskurs. Die Opportunisten – ja, da hast du recht – könnten irgendwann umschwenken. Der Zenit ist ja wahrscheinlich schon überschritten. Die meisten sind inzwischen genervt, merken, dass es nicht funktioniert, dass es unerträglich wird. Aber es tut noch nicht genug weh. Viele hoffen immer noch, dass das Land irgendwie „die Kurve“ kriegt.
Früher war ich fast geschmeichelt, wenn mir ein CEO oder ein Politiker unter vier Augen sagte: „Herr Ebert, ich finde super, was Sie machen, aber verstehen Sie bitte, in meiner Position muss ich vorsichtig sein.“ Heute sage ich ihnen ins Gesicht: Genau das ist das Problem! Ihr müsst eure Stimme erheben – vom Elternabend bis zum Bundestagsbeschluss. Wir brauchen mehr Dissens. Deutschland ist eine Konsensgesellschaft, was uns in vielen Bereichen geholfen hat. Aber es gibt Themen, da gibt es keinen Konsens. Da muss man sagen: „Nein, das sehe ich anders, da finden wir auch keinen gemeinsamen Nenner. Und ich werde dafür kämpfen, dass sich deine Ansichten nicht durchsetzen werden.
Die Energiewende wird bis 2025 über 11 Billionen Euro kosten. Eine unvorstellbare Summe.
Ebert: Ich habe mein vorheriges Buch über die Energiewende geschrieben, warum sie nicht funktioniert und wieso die deutsche Herangehensweise weltfremd ist – und auch da stellt sich kein großer Firmenboss hin und sagt den Satz, den alle insgeheim denken: „Klimaneutralität ist eine Utopie. Vollkommen unrealistisch“ So, wie Deutschland die Energiewende betreibt, ist es physikalisch, ökonomisch und technisch unmöglich. Stattdessen heißt es: „jaja, wir müssen hier und dort ein bisschen nachbessern …“ Keiner hat die Eier zu sagen: Das funktioniert nicht. Manchmal denke ich: Wir sind von unseren Problemen so dermaßen fasziniert, dass man es viel zu schade fände, sie zu lösen.
Ich rede oft mit Ingenieuren. Die sagen: Eigentlich ist es zu spät, den Kurs zu ändern. Spätestens mit dem Atomausstieg gibt es keine Brücke mehr zurück. In einer Wettbewerbssituation mit China oder den USA – etwa im KI-Bereich – kann man so weder neue Technologien wie Rechenzentren ansiedeln noch alte Industrien erhalten. Der Standort ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Haben wir diesen Point of No Return überschritten? Oder gibt es noch eine realistische Chance, mit einem Politikwechsel etwas zu retten?
Ebert: Ein radikaler Bürokratie-Abbau – das zeigt Milei gerade – wäre tatsächlich recht schnell möglich. Aber mit der Zerstörung von voll-funktionsfähigen, modernen Kernkraftwerken haben wir Tatsachen geschaffen, die sich nicht einfach so zurückdrehen lassen. Wir brauchen ja alleine für den Bau eines simplen Flughafens 14 Jahre! Auch in anderen Bereichen haben wir teilweise unumkehrbare Entwicklungen in gang gesetzt, etwa in der Migrationspolitik: In den letzten 10 Jahren kamen über 3,5 Millionen Menschen zu uns, da ist die Demographie ein gnadenloser Selbstläufer und wird unsere Sozialsysteme an den Rand des Kollapses bringen. In meinem Buch schreibe ich ja nicht nur über Einwanderung, sondern auch über Auswanderung – ein Thema, das oft völlig untergeht. Seit „Wir schaffen das“ 2015 verlassen etwa 250.000 Menschen pro Jahr dieses Land. Und die sind meist Hochqualifiziert: Ärzte, Wissenschaftler, Ingenieure. Wir erleben eine Massenflucht der Klugen. Und diese Leute kommen nicht wieder zurück.
Ich habe kürzlich mit einem Immobilienmakler gesprochen, der sagt, derzeit seien extrem viele Luxusimmobilien in Deutschland auf dem Markt. Ein klares Indiz dafür, dass reiche und sehr erfolgreiche Leute das Land verlassen – und zwar endgültig. Wer diesen Schritt nach langen Überlegungen einmal getan hat, kehrt nicht nach zwei Jahren zurück, nur, weil die Regierung umsteuert. Das sind hochbedenkliche Entwicklungen.
Trotzdem mag ich den Ausdruck „Point of No Return“ nicht, weil er so endgültig klingt, aber klar ist: Wir müssen grundsätzlich etwas ändern. Ich habe im Buch geschrieben: Wir stehen am Ende des goldenen Zeitalters. Das muss nicht heißen, dass wir in zehn Jahren ein Entwicklungsland sind, aber so gut wie in den 80er oder 90er Jahren wird es wohl nicht mehr werden. Auf der anderen Seite sind Europa und der aufgeklärte Westen grundsätzlich sehr veränderungs- und korrekturfähig – diese Fähigkeit hat uns groß gemacht. Nur: Momentan haben wir sie verloren.
Und genau dieser aufgeklärte Westen ist Ziel des Angriffs.
Ebert: Richtig – alles, wofür er steht. Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt, Rationalität, Meinungs- und Redefreiheit, Humanismus.
Ich glaube, viele im klassischen Bürgertum haben immer noch nicht begriffen, dass es sich hier um einen massiven Kulturkampf handelt. Regenbogenfahnen oder Gendern mögen wie Nebensächlichkeiten wirken, aber sie stehen für etwas Größeres: den Versuch eines vollständigen gesellschaftlichen Umbaus.
Das Gendern ist ja nicht einfach nur eine harmlose sprachliche Modeerscheinung, da steckt etwas viel perfideres dahinter: Sprache wird benutzt, um Menschen in „gut“ und „böse“ einzuteilen. Wer gendert, gilt als guter Mensch – wer es nicht tut, als schlechter. Das ist Spaltung, nicht Toleranz. Die Aufklärung verband Natur- und Geisteswissenschaften, ließ sie voneinander profitieren. Der woke Postmodernismus hingegen – wie Judith Butler ihn etwa vertritt – bestreitet objektive Wahrheiten.Nach ihrer Logik haben Chromosomen nichts mit Geschlecht zu tun, es sei nur eine Frage des Gefühls. Das ist zutiefst antiaufklärerisch, eine Rückabwicklung von 300 Jahren Rationalität.
Vor 60 Jahren hat der große Martin Luther King sinngemäß gesagt: Behandle jeden Menschen als Individuum und bekämpfe jene, die versuchen, Menschen auf ein äußeres Merkmal wie zum Beispiel ihre Hautfarbe zu reduzieren. Heute argumentiert der postmoderne, woke Zeitgeist genau umgekehrt: Äußere Merkmale oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe sind entscheidender als der Charakter des Einzelnen. Würde Martin Luther King heute in einer Talkshow seine humanistischen, aufgeklärten Ideale darlegen – er wäre er in den Augen der woken Bewegung ein Rassist.
Im zweiten Teil des Buchs deckst du viele Bereiche ab – von Energie über Migration bis Biologie – und lieferst den Lesern Material, um gegen diesen Unsinn zu argumentieren. Glaubst du, dass man damit noch außerhalb der eigenen Bubble durchdringt?
Ebert: Sachliche Diskussionen sind das längst nicht mehr – es sind emotionale, fast schon religiöse Auseinandersetzungen. Trotzdem müssen die vielen, die im Stillen ähnlich denken, den Mund aufmachen. Sonst dominieren die Lautesten – wie bei der „Infantilisierung“ der Gesellschaft, die mit Greta Thunberg begann. Politiker und Wirtschaftsführer ließen sich von einer 16-Jährigen behandeln wie ungezogene Kinder, ohne mit sachlichen Argumenten zu widersprechen.
Es ist eine Unterwerfung vor einer Ideologie, in der Widersprüche und offensichtliche Absurditäten als vollkommen logisch gelten. Diese Leute hören nicht von allein auf.
Also soll das Buch auch Mut machen, den Opportunismus und die eigene Feigheit zu überwinden?
Ebert: Ich schätze, 80 Prozent der Menschen in Deutschland sind im Kern vernünftig und denken ähnlich wie du und ich. Wenn all diese Leute das offen kundtun würden, statt zu schweigen, hätten die Irren keine Chance. Wer schweigt, darf sich nicht beschweren, wenn andere alle Entscheidungen treffen.
Du wohnst in Wien und kannst nächstes Jahr die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Machst du das?
Ebert: Ja. Österreich hat zwar dieselben Probleme wie Deutschland – hohe Steuern, Beamtenstaat, Wirtschaftskrise – aber ich bin hier integriert, mit einer Österreicherin verheiratet, fühle mich wohl. Der Diskurs ist politisch heterogener und entspannter, die konservative ÖVP hat sich nicht so von links-grün vor sich hertreiben lassen wie die CDU. Und es ist mehr Selbstironie da, mehr Leichtigkeit. Vielleicht ja auch, weil der Abstieg des ehemaligen Weltreiches der Habsburger schon länger zurückliegt und man genug Zeit hatte, sich damit zu arrangieren …

Vince Ebert: Wot Se Fack, Deutschland?: Warum unsere Gefühle den Verstand verloren haben
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Das Buch ist sehr gut geschrieben und zeigt (humorvoll!) so manche Absurdität auf und beschäftigt such auch ausführlich (sogar für den Laien verständlich!) mit den Fakten und wie diese unter die Räder gekommen sind. Das Buch ist daher sehr, sehr empfehlenswert!
Jaja. Eigentlich denken fast so wie ich, sind aber nur zu feige, es zu sagen. Genau. Ich bin der Repräsentant der schweigenden Mehrheit. Wer was anderes denkt, ist deswegen ein schlimmer Unterdrücker. Und ich bin auch der, der rational denkt. Andere sind einfach nicht sachlich genug.
Also egal wie, „eigentlich“ habe ich Recht / vertrete die Mehrheit / vertrete den sachlichen Standpunkt – meine Position ist die, die legitimerweise „eigentlich“ vorherrschen müsste, und dass das nicht so ist, ist auf die eine oder andere Art illegitim.
Wenn Leute, die so denken, und gleichzeitig Kettensägenpolitiker preisen, die alles aus dem Weg sägen wollen, was ihnen nicht passt, inkl. Demonstrationsrecht, Verfassungsvorschriften und so, bekomme ich schon so ein paar besorgte Gedanken.