„Von schleichender Deindustrialisierung zu sprechen, ist eigentlich noch verharmlosend“

Manuel Frondel Foto: ven Lorenz/RWI Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0

Unter dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck war grüner Wasserstoff das Zaubermittel, mit dem Industrie und Gaskraftwerke klimafreundlich werden sollten. Habecks Nachfolgerin Katherina Reiche ist da skeptischer.

Das Prinzip kennt jeder als Knallgasprobe aus Schulzeiten: Mit Strom aus Wind und Sonne sollte nach dem Willen des früheren Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) Elektrolyseure Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten und so „grünen Wasserstoff“ herstellen. CO₂-frei sollte er moderne Hochöfen antreiben, in der Chemieindustrie eingesetzt werden und in Kraftwerken Strom erzeugen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint.

Was nach einer guten Idee klingt, stieß in der Wirklichkeit auf einige Probleme: Weder wird in Deutschland genug des teuer herzustellenden Wasserstoffs produziert, noch gab es genug Nachfrage nach dem Zaubermittel der Energiewende. Unternehmen wie RWE und Eon, die sich lange begeistert von den Chancen des grünen Wasserstoffs zeigten, gaben schon im vergangenen Jahr mehrere angekündigte Projekte auf. Der Stahlhersteller ArcelorMittal stieg im Juni, kurz bevor Fördergelder in Höhe von 1,3 Milliarden Euro fließen sollten, aus der grünen Stahlherstellung aus. Auch bei ThyssenKrupp in Duisburg, deren grüner Hochofen mit zwei Milliarden Euro vom Land NRW und der Bundesregierung gefördert werden soll, ist man mittlerweile skeptischer geworden.

Und nun glaubt auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nicht mehr daran, dass grüner Wasserstoff in nächster Zeit bei der Energiewende eine große Rolle spielen wird. Der von ihrem Ministerium veröffentlichte Monitoringbericht zur Energiewende spricht sich dafür aus, auch Wasserstoff zu verwenden, der aus Erdgas gewonnen wird. „Es macht Sinn, wenn die Bundesregierung beim Hochlauf des Wasserstoffs nicht nur auf grünen Wasserstoff setzt, sondern auch die Nutzung von CO₂-armem Wasserstoff ermöglichen will“, sagt Andreas Löschel, Leiter des Lehrstuhls für Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum und Leitautor des Weltklimarats. Es sei vernünftig, den Hochlauf niedrigschwelliger anzugehen und die Regulierung erst hochzufahren, wenn Wasserstoff etablierter sei. „Die nun diskutierte Variante, Wasserstoff aus Erdgas in Kombination mit CCS herzustellen, ist absehbar eine deutlich günstigere Option als grüner Wasserstoff. Vor allem im Moment, wo der Gaspreis niedrig ist.“ CCS ist ein Verfahren, bei dem Gas das CO₂ entzogen und später dauerhaft unter der Erde gespeichert wird. Es sei richtig, jetzt wegen der Versorgungssicherheit neue Gaskraftwerke zu bauen. „„Die perspektivische Umstellung auf Wasserstoff ist wegen des Klimaschutzes wichtig, dürfte aber in jedem Fall wohl erst gegen Ende des kommenden Jahrzehnt gelingen.“ Technisch sei es nach Ansicht vieler Experten ein kleineres Problem, die neuen Gaskraftwerke später entsprechend umzurüsten.

Nicht überzeugt von Reiches Plänen ist Manuel Frondel, Leiter des Bereichs „Umwelt und Ressourcen“ beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen: „Schon der Bau und Betrieb neuer Erdgaskraftwerke ist für Staat und Verbraucher sehr teuer. Wenn zusätzlich noch CO₂-Abscheidung und -Speicherung bezahlt werden müssen, steigen die Stromkosten weiter. Das ist den Verbrauchern kaum zuzumuten.“

Es gäbe durchaus Hoffnung, dass eine weniger rigide Wasserstoffpolitik neue Investitionen anstößt. Sollte auch kohlenstoffarm hergestellter Wasserstoff erlaubt sein, statt allein grüner Wasserstoff, könnten Unternehmen eher auf wasserstoffbasierte Produktionsprozesse setzen. „Trotzdem sind auch die Herstellungskosten von kohlenstoffarmem Wasserstoff sehr hoch. Deshalb ist ein echter Wasserstoffboom nicht zu erwarten.“ Begeisterung für Wasserstoff gäbe es bisher vor allem in Reden und Ankündigungen, weniger in der Realität. „Die Energiewende ist extrem teuer und hat die Industrie in Deutschland bereits stark geschwächt.“ Von ‚schleichender Deindustrialisierung‘ zu sprechen, sei eigentlich noch verharmlosend. Um weitere Verluste zu verhindern, müssen die künftigen Energiekosten deutlich gebremst werden.“

Sowohl Löschel als auch Frondel setzen darauf, dass Deutschland Wasserstoff aus dem Ausland importieren wird, da die Produktion in Deutschland wegen der hohen Energiepreise zu teuer ist. Doch auch dabei gibt es aus Sicht von Andreas Löschel ein entscheidendes Problem: Es seien erst einmal Investitionen nötig, um die Produktionskapazitäten im Ausland  aufzubauen: „Weltweit wurden viele Projekte diskutiert und auch angekündigt, doch gebaut wird tatsächlich wenig bis nichts. Das wird sich erst ändern, wenn Länder wie Deutschland eine verlässliche  Perspektive bieten.“ Niemand gäbe Geld für die Herstellung von Wasserstoff aus, wenn die Unsicherheiten zu groß sind.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits bei Ippen-Media

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hase12
hase12
2 Monate zuvor

Wenn man es sich ehrlich machen würde, würde man auf die Kernenergie setzen. Aber auch hier gilt wieder der alte deutsche Ausspruch: „Man sagt nicht was man denkt, weil dies wäre ehrlich!“

Ein Jammer!

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