“Wenn die UEFA sagt, der Fußball solle nicht politisch sein, meint sie eigentlich, er solle nicht demokratisch sein.“

Zum Christopher Street Day erstrahlte die Allianz Arena am Abend des 9. Juli 2016 für dreieinhalb Stunden regenbogenfarbig – zur EM soll das nicht möglich sein | Credit: wikipedia/Sinnbildner/ CC BY-SA 4.0

Die UEFA untersagt der Stadt München ein bunt erstrahlendes Stadion in Regenbogenfarben – und legt sich damit ein stinkendes Kacktor ins eigene Nest. Die Münchner wurden in ihrer Forderung für eine bunte und farbenfrohe Allianz Arena unter anderem von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, deutschen Nationalspielern und dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) unterstützt. Seit der Unterlassung seitens der UEFA werden kritische Stimmen lauter – auch unsere Autoren Thommy Junga und Peter Hesse wollen den Fall nicht unkommentiert stehen lassen.   

Peter Hesse: Hallo Thommy, der japanische Fußballprofi Kumi Yokoyama hat sich als Transgender-Mann geoutet. Der frühere Spieler vom 1. FFC Frankfurt, derzeit in der US-amerikanischen Frauenfußball-Liga aktiv, setzt damit ein Zeichen gegen Gender-Diskriminierung. Wie viele Lichtjahre wird es noch dauern, bis diese Nachricht ohne ein negatives Geschmäckle in Ungarn angenommen wird?

Thommy Junga: Hallo Peter, vermutlich ist das leider in vielen Ländern noch ein echtes Problem, nicht nur in Ungarn. Mit Werten wie Toleranz und Gleichbehandlung scheint es aber auch bei uns nicht soweit her zu sein, wenn du dir den unsäglichen Schwachsinn anschaust, der zuletzt zu den Live-Kommentaren von Claudia Neumann verbreitet wurde. Der Sport im Allgemeinen tut sich da schwer und ist seltener Vorbild, als er es sein möchte. Und: die öffentlich geführte Diskussion um die bunte Stadionbeleuchtung in München wirkt schon bizarr, wenn man die UEFA-Kampanie #equalgame bedenkt. Man fragt sich, was wohl Schlimmes passiert wäre, hätte man es regenbogenmäßig darauf ankommen lassen.

Peter Hesse: Europa soll eine Gemeinschaft aus 27 Staaten zu sein, die einen gleichzeitigen Wertekanon haben sollen – im europäischen Fußball scheint das nicht zu gelten. Im Gleichheitsgrundsatz wird in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zusammengefasst mit den Worten: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Demnach ist jeder Mensch vor dem Gesetz gleichberechtigt und darf nicht diskriminiert werden. Jeder Mensch soll einen Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied haben – etwa aufgrund rassistischer Zuschreibungen, nach Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, sowie nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sozialem Stand. Ich halte es für skandalös, dass die UEFA sich hier über das hinwegsetzt, was die Städtekämmerer in München probieren wollten: mit der Regenbogen-Beleuchtung in der Münchener Allianz Arena im Spiel gegen Ungarn wollten sie ein Zeichen für mehr Toleranz senden – nicht mehr und nicht weniger.

Thommy Junga: Schon klar…

Rainer Koch ist dem Oktober 2013 DFB-Vizepräsident | Credit: wikipedia/BFV/ CC BY-SA 3.0 de

Peter Hesse: DFB-Präsident Rainer Koch kommentierte bei Facebook am Dienstag den Fall mit den Worten: „Da die Beleuchtung vom Münchner Stadtrat als eine gezielte Aktion gegen die Entscheidung des ungarischen Parlaments begründet worden ist, handelt es sich nicht mehr um ein bloßes Statement im gemeinsamen Kampf gegen jede Form von Diskriminierung, sondern um eine politische Aktion.“ Ich finde das absolut untragbar vom DFB diesen Fall so zu kommentieren – aber vermutlich hat Herr Koch zulange die Sepp-Blatter-Universität für moderne Heulerei besucht, oder?

Thommy Junga: Da ist sicher auch ein Flügel nach dem Ungarn Sandor Cśanyi benannt, einem engen Vertrauten und Unterstützer von Viktor Orban, der zufällig auch Vizepräsident der UEFA ist – wird aber bestimmt keine große Rolle gespielt haben. Sein UEFA-Chef Aleksandar Čeferin hat vor dem Turnier große Reden darüber gehalten, dass „der Kampf gegen Diskriminierung im Vordergrund der Vision und Überzeugung der UEFA steht“. Das ist für mich allerdings eine zutiefst gesellschaftspolitische Aussage. Der Kuschelkurs der letzten Tage mit einem rechten Despoten könnte im Kontrast zu diesen Worten nicht größer sein und stellt das letzte Bisschen moralische Integrität des europäischen Verbandes in Frage. Wenn die UEFA sagt, der Fußball solle nicht politisch sein, meint sie eigentlich, er solle nicht demokratisch sein.

Peter Hesse: Wenn es schon in der Allianz Arena zu München nicht erlaubt ist, sollen etwa die Fußballarenen von Eintracht Frankfurt, dem 1. FC Köln, Hertha BSC Berlin, FSV Mainz, VfL Wolfsburg, dem FC Augsburg und Eintracht Braunschweig am Mittwoch während der EM-Partie der deutschen Mannschaft gegen Ungarn (Spielbeginn: 21 Uhr) in den bunten Regenbogenfarben erstrahlen. Ist das ein schwacher Trost oder ein gewichtiges Statement?

Das Stadion von Eintracht Frankfurt wird zur Partie Deutschland gegen Ungarn mit den Farben des Regenbogen illuminiert | Credit: wikipedia/Vasyatka1/ CC BY-SA 4.0 

Thommy Junga: Beides. Schön zu sehen, dass es noch eine Stimme derer gibt, die nicht in Ehrfurcht vor der UEFA zerfließen. Der Dominoeffekt in der Liga hat natürlich Gewicht und schafft die nötige Aufmerksamkeit, zieht einen der größten Sportverbände über die Fan-Bubble hinaus in eine kollektive gesellschaftliche Wahrnehmung. Der DFB muss sich nun umso dringender fragen, in welcher Weise man in Zukunft diesem Kontinentalverband begegnen will. Dieses Thema ist ja nur eine der vielen Baustellen. Da böte sich für einen eh im Umbruch begriffenen DFB eine echte Chance. Es fehlt mir allein der Glaube.

Peter Hesse: Ja, am Ende kommt ja doch wieder nur die beigefarbene Variante von Egidius Braun als DFB-Präsident heraus. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter zeigt sich vom DFB enttäuscht, einem Verband, der 24.000 Vereine und 7,1 Millionen Mitglieder vertritt. Reiter kommentierte: „Ich finde es beschämend, dass die Uefa uns hier in München verbietet, ein Zeichen für Weltoffenheit, für Toleranz, für Respekt und für Solidarität zu den vielen Menschen der LGBT-Community abzugeben. Ich finde es auch sehr enttäuschend, dass der DFB trotz der überragenden politischen Zustimmung hier in München und in Bayern und der gesamten Bundesrepublik sich nicht in der Lage sah oder sich nicht in der Lage sehen wollte, dieses Ergebnis zu beeinflussen.“

 

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Helmut Junge
3 Jahre zuvor

Wenn die Eigentümer mit den Regenbogenfarben ein Signal für eine gute Sache setzen wollten, könnten sie das jeden Tag machen. Über Jahre hinweg. Wenn sie das wirklich wollen. Aber sie haben es gestern nicht gemacht, bnicht vorgestern, und vermutlich werden sie es auch morgen nicht machen. Sie wollen es nur Heute oder garnicht. Sehr schade. Es geht also nicht um die Sache, sondern um etwas anderes. Was auch immer.

Thomas
Thomas
3 Jahre zuvor

Heuchlerisch finde ich die Linkspartei. Homosexuelle Handlungen sind dort teilweise strafbar. Orban hat sich das ganze doch von Russland abgeguckt. Dort gibt es keine Sanktionen.

der, der auszog
der, der auszog
3 Jahre zuvor

Auch wenn ich eine andere Entscheidung der UEFA begrüßt hätte, kann ich die Aufregung über den Beschluss, die Allianz-Arena in München heute Abend nicht in den Regenbogenfarben erscheinen zu lassen, nicht nachvollziehen und zwar aus den Gründen, die Helmut in Kommentar #1 nennt.

Offensichtlich geht aber selbst Fußballspielen in Deutschland schon nicht mehr, ohne eine moralische Botschaft zu transportieren, egal wie egal den meisten Fußballfans in Europa und der Welt das deutsche Bedürfnis sein dürfte, nicht nur in einer moralisch einwandfreien Welt leben, sondern auch kicken zu wollen.

Mein Tipp an Peter, Thommy und all die anderen, die ein Problem mit der Entscheidung der UEFA haben: Schaut euch das Spiel gegen Ungarn einfach nicht an.
Setzt ein Zeichen! – In einer Demokratie wird niemand dazu gezwungen Dinge zu tun, mit denen er, sie oder es moralisch ein Problem hat.

Holgaaaa
Holgaaaa
3 Jahre zuvor

So sehr ich das Anliegen verstehen kann, politik hat beim Fußball nix verloren. Und hier geht es eindeutig um Kritik an der politischen Entscheidung des ungarischen Parlamentes. Wie ist es anders zu erklären, dass die Regenbogenbeleuchtung ausschließlich für das Spiel gegen Ungarn geplant war? Wenn zukünftig bei jedem Spiel mit Beteiligung von Ländern wie Ungarn, Russland, Iran,… usw. usw. eine derartige Debatte losgetreten wird, spielt der Fußball bald nurnoch eine Nebenrolle. Frei nach dem Motto: Fußball bleibt Fußball und Politik bleibt Politik.

DAVBUB
DAVBUB
3 Jahre zuvor

Vielleicht ist mein Bildschirm ja zu klein: Das Regenbogenfahnenmeer, das ich nach dem Hype der vergangenen Tage erwartet hatte, konnte ich bislang nicht entdecken. Auch die zehntausend Regenbogenwinkelemente, die vor den Kameras der ÖR von "Vertretern der verschiedenenen (wieso eigentlich nicht diversen?) LGBTQ-Gruppen" ausgepackt wurden, habe ich nicht sehen können. War ja auch vielleicht zu naß zum Verteilen, gell? Oder war das wieder nur ein Sturm im Wasserglas des MPK?

Tolduso
Tolduso
3 Jahre zuvor

"Wenn der Junga sagt, daß er am besten weiss was die UEFA meint, meint er eigentlich sie müsse sich dem politischen Druck des Zeitgeist-Mobs beugen, weil, ist so."

Ali Mente
Ali Mente
3 Jahre zuvor

Schade das die Provokation abgesagt wurde. Das wäre einge gute Gelegenheit gewesen der Welt unsere moralische Überlegenheit zu demonstrieren.

DAVBUB
DAVBUB
3 Jahre zuvor

An der Schule gegenüber – wo man in den Pausen gerne und oft Schreieereien wie "Du Hure", "Du Bastard", Scheißschwuli" "Scheißjude" hört, war heute morgen noch eine Regenbogenfahne zwischen zwei Fenster geklemmt. Die war um 12 Uhr verschwunden. Woanders werden die verbrannt: https://www.welt.de/vermischtes/article232063809/Freudenberg-Gesamtschueler-stehlen-Regenbogenfahne-und-zuenden-sie-an.html
Damit will ich keine Freude über dieses Vorgehen äußern, ganz im Gegenteil. Allerdings zeigen diese beiden Vorfälle, daß der medial erweckte Eindruck, daß ganz D sich im Rausch der Toleranz, Weltoffenheit und Liebe befände, eben nur das ist: ein medialer Popanz. Und die Gelegenheit für nachrangige Politiker wie den münchener OB oder weithin unbekannte Kulturschaffende wie den Leiter des Dortmunder U's ist, sich ihre fünf Minuten Ruhm abzuholen. In der Realität sieht es leider doch immer noch anders aus. Zwar haben wir auf dem Papier in fast allen Bereichen die Gleichstellung, aber bewerben Sie sich mal als Schwuler im Kindergarten, und sei es nur als Gärtner… Statt gegen die Ungarn den Europameister in Moral zu geben, sollten wir lieber vor unserer eigenen Tür kehren.

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