Zeit für Ehrlichkeit

Pressekonferenz mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Microsoft-Deutschlandchefin Dr. Marianne Janik am Forum :terra nova in Elsdorf. Foto: Ina Fassbender/Microsoft Lizenz: Copoyright

„In Nordrhein-Westfalen haben wir hervorragende Voraussetzungen, zum führenden deutschen und europäischen KI-Standort zu werden“, schrieb der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Juli in einem Beitrag für die Konrad-Adenauer-Stiftung. In der Hightech-Agenda der Bundesregierung findet sich der ebenso schöne wie folgenlose Satz: „Wir verbessern die Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von KI-Kapazitäten (Algorithmen, Daten, Rechner, Softwaretools, KI-Chips) für Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft messbar.“ Und Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte auf dem Digitalgipfel Berlin im November: „Europa muss den Führungsanspruch bei innovativen KI-Technologien übernehmen.“ Hätte er von Führung gesprochen und nicht von einem Führungsanspruch, das Publikum wäre wohl lachend von den Stühlen gefallen.

Die Wirklichkeit ist trister – und sie wird es noch lange bleiben: In Gangelt kann ein Rechenzentrum nicht gebaut werden, weil es frühestens 2035 ans Stromnetz angeschlossen werden kann. In Hessen sieht es nicht besser aus. Dank Energiewende und klagewütiger NGOs hat Deutschland weder genug Strom noch genug Stromleitungen für Rechenzentren. Bei den vielgepriesenen Batteriespeichern sieht es nicht besser aus: Auch sie erhalten kaum Netzanschlüsse. Wie dieses Blog bereits im August berichtete, handelt es sich dabei nicht um lokale oder regionale Sonderfälle. Deutschland ist ohne Not aus der Kernkraft ausgestiegen und will bald auch auf Kohlestrom verzichten. Um Wutbürger vom Klagen abzuhalten, werden große Hochspannungsleitungen unterirdisch gebaut – was nicht nur teurer ist, sondern auch erheblich länger dauert.

Das Land sitzt in der Energiefalle, und Politik wie Bürger haben diese Entwicklung gewollt. Strom sollte besser gespart als produziert werden, und dem Rest der Welt wollte man zeigen, wie die Energieversorgung der Zukunft aussieht. Am grünen deutschen Wesen sollte die Welt genesen. Tatsächlich sieht sie vor allem, wie sich ein einst reiches Industrieland selbst schwächt – und folgt ihm nicht. Indien will seinen Anteil an Kohlestrom um 87 Prozent steigern und Kohle zudem in Gas umwandeln, um unabhängiger zu werden. Sicher: Das Land baut auch erneuerbare Energien und Kernkraft aus – doch Ziel ist günstiger Strom in großen Mengen. China erweitert Erneuerbare und Kernkraft, ist aber ebenso bereit, Kohlekraftwerke wieder ans Netz zu nehmen. Kohle gilt dort zwar als unmodern, liefert aber weiterhin rund 58 Prozent des Stroms. Auch die Länder des globalen Südens haben auf der Weltklimakonferenz deutlich gemacht, dass sie Europa nicht folgen werden. Deutschland hat keinen Grund, sich darüber zu empören: Wer CO₂-freie Kernkraftwerke abschaltet, aber Braunkohlemeiler weiterlaufen lässt, zeigt, dass grüne Ideologie wichtiger ist als das Klima.

Die Folgen sind Deindustrialisierung, Wohlstandsverluste und der Abstieg zum digitalen Schwellenland. Es wäre an der Zeit, den Bürgern das offen zu sagen. Sie merken es ohnehin – früher oder später. Und sie haben, wie Politik und Unternehmen, den Kurs lange bejubelt, der das Land nun in Richtung Abgrund treibt. Die grüne Bessermenschen-Party ist vorbei. Der Kater wird unangenehm.

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