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Der perfekte Sturm

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Wenn mehrere Stürme sich vereinigen, bilden sie einen perfekten Sturm. Ein Wettereignis, das von ungewöhnlicher Härte und oft nicht vorhersehbar ist. Ein solcher perfekter Sturm braut sich zur Zeit über den offenen Gesellschaften Westeuropas zusammen.

Die Offene Gesellschaft hatte immer Feinde, Gruppen, die sie vernichten wollten, die Angst vor der Freiheit mit ihren vielen Möglichkeiten hatten, die immer auch Wagnis und Unsicherheit bedeuten. Bis heute schafften es die Demokratien ihre Gegner robust zu bekämpfen oder zu integrieren ohne ihren Kern, die Freiheit des Individuums in möglichst vielen Lebensbereichen, allzu sehr zu verletzen. Doch das gelang nur, weil die Zahl der Gegner überschaubar war und politisch oft aus einer, höchstens zwei Richtungen kamen und nur schwach oder indirekt in die Mitte der Gesellschaft hinein wirkten. Aus den revolutionären Kadern der maoistischen Parteien der 70er Jahre wurden so innerhalb weniger Jahre die etablierten und handzahmen Funktionäre der Grünen.

Heute ist die Situation weniger entspannt und ich zweifele daran, dass die alten Methoden zur Verteidigung der Offenen Gesellschaft noch funktionieren werden. Die Zahl ihrer Gegner ist zu groß, die Kooperationen sind zu unübersichtlich, die Verflechtungen mit ausländischen Akteuren zu vielschichtig, das Vertrauen in Institutionen wie Politik oder Medien zu gering, der Hass anschlussfähiger und die Kräfte, die in Frage kommen für Freiheit und Individualismus zu streiten zu verunsichert.

Ob AfD, Pegida, Hogesa, Salafisten, Graue Wölfe, abstruse linksradikale Reste antiimperialistischer Gruppen im Umfeld der Linkspartei, Nazis, Anhänger von Verschwörungstheorien, Esoterik und diverse ökoreligiösen Strömungen – fast alle diese Gruppen wachsen mit besorgniserregender Geschwindigkeit und so unterschiedlich sie auch sind, besteht zwischen ihnen in wesentlichen Punkten Einigkeit: Sie lehnen eine offene, pluralistische Gesellschaft ab. Antiamerikanismus und Antisemitismus sind bei ihnen mindestens weit verbreitet wenn nicht sogar ideologische Grundlage. Die Medien nehmen sie nur noch als Lügenpresse wahr. Offene Debatten sind ihnen verhasst.

Diejenigen, die sich ihnen entgegenstellen könnten, sind in weiten Teilen verunsichert. Jahrzehnte der postmodernen Diskurse haben dazu geführt, das nicht geringer Teile derjenigen, die man gemein hin als Intellektuelle bezeichnen kann, obwohl dieser Begriff in Deutschland eher albern wirkt, kaum noch in der Lage sind, sich hinter die Werte zu stellen, die es zu verteidigen gilt. Für wen große Teile der Literatur und der Philosophie nicht mehr als Geschreibsel alter, weißer Männer sind, wer nicht mehr erkennt, dass Aufklärung und Individualismus die wichtigsten Gründe für den Erfolg des Westens sind, wer an der Universalität der Menschenrechte zweifelt, weil sie ja Traditionen anderer Kulturen herabsetzen, kann in den aufkommenden Konflikten keine entscheidende Rolle übernehmen. Die Gegenseite kennt diese Verunsicherung nicht und erwartet nicht nur Respekt für jeden noch so großen Unfug, sondern erhält ihn zum Teil auch. Schon wird Kritik an der Dummheit von Rechtsradikalen als Klassismus stigmatisiert und gibt es Anleitungen zum sensiblen Beschimpfen der Gegner.

Die Offene Gesellschaft wird nur zu verteidigen sein, wenn sich eine Mehrheit nicht nur ihrer Vorteile sondern auch ihrer Überlegenheit gegenüber anderen Gesellschaftsmodellen bewusst wird. Ich will weiter in einer Gesellschaft leben, in der jeder Einzelne seinem Streben nach Glück folgen kann und nicht auf die Idee kommt, sie anderen aufzuzwingen. Nur in solchen Gesellschaften kann es Freiheit und Wohlstand geben, nur solche Gesellschaften haben die Kraft zur Innovation – sei es im technischen, kulturellen oder sozialen Bereich. Mir ist die Angst vor Chemtrails ebenso egal wie der Wille eines Mullahs, Mädchen die Schule zu verbieten oder eines evangelikalen Christen ein Bordell in seiner Nachbarschaft zu verbieten. Eine Offene Gesellschaft bieten Platz für viele Lebensentwürfe und die meisten von ihnen wird der Einzelne weder nachvollziehen können noch gut heißen. Das muss auch niemand. Eine robuste Egal-Haltung hilft im Alltag weiter und reicht vollkommen aus. Was eine Offene Gesellschaft nicht erträgt ist, wenn sie gleichzeitig angegriffen wird und sich zu wenige finden, sie zu verteidigen. In diese Situation kommen wir langsam und wenn wir das nicht schnell erkennen, finden wir uns mit ein wenig Pech in einer Welt wieder, die an Dantes Hölle erinnert.

 

 

 

 

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discipulus senecae
discipulus senecae
8 Jahre zuvor

"… wenn sich eine Mehrheit nicht nur ihrer Vorteile sondern auch ihrer Überlegenheit gegenüber anderen Gesellschaftsmodellen bewusst wird." Wie Recht sie haben! Das politisch korrekte Kuschel-Gesabbel, daß mann auch die anderen 'Gesellschaftsmodelle' anerkennen, respektieren und als gleichberechtigt ansehen sollte, geht mir schon ziemlich lange auf die Nerven.

Und das meine ich ausdrücklich nicht ironisch!

Walter Stach
Walter Stach
8 Jahre zuvor

Stefan Laurin,

ja, es gib aktuell erhebliche Gefährdungen der freien-pluralistischen Gesellschaft. Für mich sind das im wesentlichen zwei: a.) die Bedrohung durch der Islamismus, wie er verstanden und praktiziert wird z.B. durch den IS und b.) die Bedrohung durch die anwachsende deutschnationale, völkische, richtiger wohl faschistische Bewegung in Deutschland. Und beides zusammen kann in der Tat zu einem "perfekten Sturm" werden.

disciplus senecae
für mich ist es selbstverständlich, daß das, was zu den substantiellen Bestandteilen unser freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft und unseres freiheitlichen Rechtstaates gehört, nicht zur Disposition stehen kann, für keinen einzelnen Menschen, der hier lebt, für keine Bewegung, ob islamistischer oder faschistischer Ausrichtung.
Und das erfordert, nicht nur über das OB und das Wie des Tuns eines insofern abwehrbereiten Staates nachzudenken, sondern vor allem darüber, ob unsere Gesellschaft, die Mehrheitsgesellschaft, willens und fähig ist, ihrerseits für das Einzutreten, was sie als freiheitlich-pluralistiche ausmacht. Letzteres erscheint mir zumindest fraglich zu sein, ua. auch deshalb, weil die Mehrheitsgesellschaft sich gar nicht hinreichend bewußt zu sein scheint, was sie denn eigentlich als freiheitlich-pluralistische in ihrem Innersten zusammen hält.

Differnzierter sollte man m.E. bei Antworten verfahren, wenn danach gefragt wird, ob und wie "unser Gesellschaftsmodell, unsere staatliche Ordnung" über Deutschland, über die sog. westliche Staatenwelt hinaus für diese zu einem ihrer wichtigsten "Exportgüter" werden kann, werden sollte, ggfls. zu realisieren auch mit den Mittels des Krieges.

kE
kE
8 Jahre zuvor

Ein Problem habe ich im Text nicht gefunden.

Wo sind die Grenzen, die sich eine offene Gesellschaft setzen will?

Ist es OK, wenn ein paar Leute meinen, dass sie in einer Gemeinschaft mit Stammesfürst aufwachsen will?
Was ist mit Kindern, die in solchen "Teil-Gesellschaften" aufwachsen?
Was ist bspw. mit Gruppen, dere Kinder in einer Welt aufwachsen, die bspw. das 19. Jahrhundert abbildet?

Thomas Ebern
Thomas Ebern
8 Jahre zuvor

Die Feinde der offenen Geellschaft sind m.E. vor allem die im Bundestag vertretenen Parteien, die mit ihrer moralisierenden Willkür die Regel außer Kraft setzen.

Björn
Björn
8 Jahre zuvor

Die Argumente der hier vertretenen Haltung sind in vielem richtig. Allerdings werden die Probleme die durch eine heute herrschende Form des Individualismus real existieren nicht benannt und somit auch nicht erkannt warum diese gesellschaftliche Lebensart von so vielen Seiten angegriffen wird.
Um zu verstehen was und warum es passiert, ist die Erkenntnis der Komplexität gesellschaftlicher Gesamtsysteme unumgänglich. Wie viel persönliche Freiheit steht jedem einzelnen Menschen, in einer Welt die er sich mit 7,4 Milliarden Menschen teilt, zu? Und in welchem Maß verringert sich die individuelle Freiheit jeden Tag wenn die Weltbevölkerung täglich um 250000 Menschen wächst?
Hat nicht jeder Mensch ein natürliches Recht auf den gleichen Anteil an der Erde Reichtum?
Ist das, was wir Demokratie nennen, nicht schon lange ein schönes Wort für eine Diktatur des Geldes? Unabhängig von dem was jeder einzelne glaubt existiert eine global herrschende Realität in der nur Wenige das Meiste der globalen Ressourcen kontrollieren und davon profitieren.
Die größte Gefahr die für diese Minderheit besteht, ist, wenn die Mehrheit ungeachtet aller Unterschiede erkennen würde, das diese Minderheit die größte Gefahr für die Mehrheit der Erdbevölkerung darstellt. Wer heute von individueller Freiheit spricht muss jeder Zeit den Anderen die gleiche Freiheit zu gestehen die er für sich in Anspruch nehmen will und hier gehört der Zugriff auf Ressourcen in jedem Fall dazu. Das lässt sich in keiner Art weg diskutieren.

Franz
Franz
8 Jahre zuvor

Man muss schon ein handzahmer Faschist sein wenn man wie Lauer nicht in der Lage ist, die Zeichen der Zeit zu deuten.
Die Menschen verlieren immer mehr an dem berühmten Wohlstand und noch mehr an Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft. Unsere Regierungen treiben uns in einen offenen Konflikt nach dem Nächsten, seit 1991 wird Völkerrecht augenzwinkernd gebrochen und das auch offen zugegeben. Kriege werden auf Lügen aufgebaut und Menschen die sich dagegen wehren, werden als Verschwörungstheoretiker denunziert und diffamiert.
Wer die US-amerikanische Regierung kritisiert kann nur ein Antiamerikaner sein, auf die Idee, dass es gerade Solidarität zu der US-amerikanischen Bevölkerung ist, darauf kommt der weissdeutsche Lauer nicht.
Genauso verhält es sich mit Israel. Das Land wird immer totalitärer, gerade dort bricht die offene Gesellschaft zusammen. Künstler wie Natalie Cohen Vaxberg leiden unter staatlicher Repression, weil sie eben nicht nur auf eine palästinensische Flagge, sondern auch auf die israelische kackt.
Gerade die überhebliche Behauptung auf die gesellschaftlich hart erkämpfte Demokratie ist es die sie abschafft.

Es sind die Reaktionäre wie Lauer, die die neue Bourgeoisie sind. Jedes Gespür für Rebellion ist ihnen abhanden gekommen, sie stecken in der gleichen Feel Good Attitüde wie in den 1920er Jahren die Bourgeoisie, die Auschwitz erst möglich gemacht hat.
Es soll keiner sagen, er hätte es nicht kommen sehen!

Franz
Franz
8 Jahre zuvor

@laurin
Verzeihung, miese Autokorrektur.

Michael Voregger
8 Jahre zuvor

Der geschätzte Kollege Stefan Laurin liegt in vielen Punkten richtig, aber lässt die ökonomische Komponente etwas außer Acht. Die reichsten ein Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen derzeit 33 Prozent der Vermögen und das oberste Promille besitzt mehr als 17 Prozent des Reichtums. Weltweit besitzen nach einer aktuellen Studie der internationalen Hilfsorganisation Oxfam die 62 reichsten Menschen der Erde mittlerweile genauso viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Die Gründe liegen in einer Gesellschaftsordnung, die man immer noch Kapitalismus nennen sollte. Individuelle Freiheit und offene Gesellschaft funktionieren nur bei angemessener Verteilung des vorhandenen Reichtums. Alles andere öffnet noch ganz andere Möglichkeiten für rechte Populisten und neue Nazis. In Rahmen der weiter voranschreitenden Digitalisierung werden Millionen von Arbeitsplätzen wegfallen und Ersatz ist nicht in Sicht. Kein Wunder das selbst beim elitären Weltwirtschaftsforum in Davos über das Grundeinkommen gesprochen wird. Da kommt die eine Welt aus Konsumenten scheinbar immer näher. Für einige Menschen ist Dantes Hölle schon heute Alltag. Also auf gegen das Pack und für ein bessere Gesellschaftsordnung.

kE
kE
8 Jahre zuvor

@11:
Was unterscheidet ein Grundeinkommen von einem Sozialsystem wie es hier vorhanden ist?

Verteilung ist ein interessantes Thema. Hier sind zuerst die einzelnen Staaten gefragt. Ein Staat wie Indien fliegt in den Weltraum, hat Superreiche, ist eine Atommacht, unterhält ein umfangreiches Militär und hat gleichzeitig extreme Armut.

Wieso soll die aktuelle bzw. schlechte Vermögensverteilung ein Türöffner für rechte Populisten und Nazis sein? Ich hätte hier eher einen Türöffner für linke Gruppen gesehen.
Dass linke Gruppe nicht unbedingt Vermögen besteuern, zeigt Griechenland eindrucksvoll.

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