Abschied von Christoph

Christoph Böll 2011 mit einem Exemplar seiner Hommage an Max Imdahl: Sehenden Auges. Foto © Böll Filmproduktion


Persönliche Erinnerungen des Filmkritikers Peter Kremski an seine 50-jährige Freundschaft mit dem Filmemacher Christoph Böll.

Mit Christoph Böll verband mich eine lange Freundschaft. Begonnen hat sie in den 1970er Jahren im Studienkreis Film, dem Filmclub an der Ruhr-Universität Bochum. Im Oktober 1973, gleich zu Beginn meines Studiums, wurde ich Mitglied im Uni-Filmclub. Christoph gehörte schon seit zwei Jahren dazu.

Mitte der 70er Jahre bekamen wir dann mehr miteinander zu tun, da wurde ich ganz unerwartet neuer Filmclub-Vorsitzender mit Christoph als Geschäftsführer. Das waren die Jahre 1975/76. Die gemeinsame Zeit im Studienkreis ging aber, schätze ich, bis 1980.

Wenn ich an die gemeinsame Zeit im Studienkreis Film zurückdenke, dann kommt mir automatisch das jährliche Open Film Showing im Filmclub in den Sinn, ein Amateurfilmwettbewerb, zu dem Studenten ihre Filme meist auf Super-8 einreichten. Christoph war regelmäßig mit einem Film dabei, und irgendwie habe ich das Gefühl, er hat auch meistens gewonnen. Er hat im Laufe der Zeit unzählige Filme auf Super-8 gemacht und in diesem Medium eine unglaubliche Virtuosität erreicht.

Peter Kremski, Michael Sablotni, Christoph Böll 1976 im Büro des Studienkreis Film (Foto mit Klebestreifen, abgelöst von einer Pinnwand). Foto © Peter Kremski

Aber meine persönlichen Erinnerungen an unsere Freundschaft gehen weiter. In meinen Uni-Jahren kam ich mit Freunden von Zeit zu Zeit zu einem Literaturkreis zusammen, da gehörte er ein paarmal dazu. Jeder brachte zu einem vorher vereinbarten Thema Literatur mit, manche auch selbst verfasste Texte, dann wurde vorgelesen.

Christoph hatte einen Kriminalroman geschrieben oder eher einen Anti-Kriminalroman, ein völlig dadaistisches Ding, in dem es nichts gab, was man als normal bezeichnen könnte. So vereinbarten wir in unserem Literaturkreis das Thema Kriminalroman und trafen uns dazu auf dem Polizeirevier Bochum-Querenburg, wo der NRW-Schriftsteller Volker W. Degener,  im Hauptberuf Polizeihauptkommissar, zu unserem Gastgeber wurde.

Christoph scheute jedoch davor zurück, sein Werk selbst vorzulesen, bedauerlicherweise, denn keiner hätte es so gut gekonnt wie er, er war ein begnadeter Humorist & Satiriker. So gab es etwa gleich in der Anfangsszene seiner Kriminalgroteske unter den Wohnrequisiten auch einen Theo-Rehtisch, und so wortspielerisch ging das in einem fort in seiner Wahnsinnserzählung.

Weil er nicht lesen wollte, schob er mir sein Oeuvre zu, doch ich konnte nicht vortragen, ohne bei jedem Satz vor Lachen zu weinen, so dass noch einmal ein anderer übernehmen musste, damit das Lesen flüssiger wurde. Hauptkommissar Degener, der ein ernstzunehmender Schriftsteller war, wird sich sehr über uns gewundert haben. Nur Christoph aber hätte das Ganze erst zur vollen Wirkung gebracht, wenn er es selbst gelesen hätte mit diesem sehr speziellen Charisma, das er hatte.

Wieder einige Zeit später (1979/80) gründete ich mit befreundeten Kommilitonen ein literarisches Kabarett, auch da war Christoph mit von der Partie. Wir haben Sketche geschrieben und geprobt, sogar auf der Kammerspiel-Bühne des Bochumer Schauspielhauses, zeitweise mit Coaching des Bochumer Medizinstudenten Joe Bausch, damals Ensemblemitglied in Roland Rebers Theaterpathologischem Institut, heute Gerichtsmediziner in den Tatort-Krimis des WDR. Es war eine lustige Probenzeit, aber viel zu oft haben wir nur endlos über unsere Sketche diskutiert und sie damit zerredet und es deshalb nie zu einer Aufführung gebracht.

Und dann gehörte in diese Zeit noch das gemeinsame Fußballspielen von einigen aus unserem Kreis von Möchtegern-Kabarettisten (ergänzt durch ein paar andere Hobby-Fußballer), jeden Sonntagmorgen um 11 Uhr auf der Schmechtingwiese in Bochum-Hamme. Das war Christophs Initiative, das Fußballspielen war ihm wichtiger als alle unsere anderen Aktivitäten. Er war mal kurze Zeit Vereinsspieler bei TuS Querenburg gewesen, wurde in seiner Fußballerkarriere aber durch einen Meniskusvorfall gestoppt.

Christoph war ein leidenschaftlicher Fußballer, hatte jedoch zurzeit unserer gemeinsamen Fußballspiele nicht sehr viel Kondition, lief anfangs immer hinterher oder ließ sich auf den Boden fallen und bat uns um die Gnade, ihn dort für immer liegen zu lassen. Aber wenn er vor dem Tor den Ball bekam, dann war es aus, dann wurde er plötzlich wieselflink, fing an zu zaubern und zu tricksen und der Ball war drin. Da war er auch als Fußballer mit einem Mal so virtuos, wie wir das von ihm als Super 8-Filmer kannten.

Peter Kremski, Christoph Böll, Michael Sablotni vor der Rotunde in Bochum (multimediales Konzert von Dream Control & Christoph Böll am 25.11.2018). Foto © Heike Mund

Das sind meine Erinnerungen an die Anfangsjahre unser dauerhaften Freundschaft. Sonntag früh (am 8. Oktober) bekam ich die schmerzliche Nachricht von Michael Sablotni, dem gemeinsamen Freund aus der Zeit im Studienkreis Film, dass Christoph nach schwerer Erkrankung gestorben ist. Gesehen haben Christoph und ich uns das letzte Mal im August vorigen Jahres bei der Jubiläumsfeier des Filmbüros NW in Köln. An dem dort präsentierten Jubiläumsbuch waren wir beide mit Texten beteiligt.

Christoph Bölls künstlerische Genialität habe ich erst später wirklich zu begreifen begonnen. 2015 bereitete er eine große Ausstellung vor im Osthaus Museum Hagen, die den ganz wunderbaren Titel Pforten der Wahrnehmung tragen sollte und als Filmschau konzipiert war. Er bat mich zum geplanten Ausstellungskatalog Texte beizutragen zusammen mit Irmi Bernrieder, auch sie einst Mitglied im Studienkreis Film, dem Uni-Filmclub an der Ruhr-Universität Bochum. Dazu habe ich mir dann das ganze filmische Oeuvre Christophs aus den späteren Jahren angeschaut.

Ich hatte schon früher gelegentlich über Christoph gearbeitet. Einen Essay über seine beiden Spielfilme Der Sprinter (1983) und Sisi und der Kaiserkuss (1990) hatte ich 1992 in der Schweizer Zeitschrift Filmbulletin publiziert zusammen mit einem Interview („Film ist Lüge -vierundzwanzigmal in der Sekunde“). Und für das WDR-Fernsehmagazin Kulturszene hatte ich 1996 über seinen Film Der Tag, als die Fische das Aquarium verließen berichtet, das dafür mit ihm geführte Interview („Mein Vater wäre wohl gerne Erzbischof gewesen“) als Text dann in der Zeitschrift des Grimme-Instituts veröffentlicht.

Cover des Ausstellungskatalogs 2015. Foto © Böll Filmproduktion

Zur Vorbereitung auf die Textarbeit am Katalog saßen Irmi und ich mit Christoph nun zusammen in der Black Box des Filmmuseums Düsseldorf und sahen noch einmal ein paar von Christophs Super-8-Filmen aus den 1970er Jahren, die wir schon seinerzeit beim Open Film Showing des Studienkreis Film gesehen hatten. Nach der Vorführung des 18-minütigen Super-8-Films Wie schön ist doch der Blick aus meinem Fenster (1977) drehte ich mich zu Christoph um und konnte nur noch voller Bewunderung sagen: „Christoph, das war ja genial!“

Christoph war schon in seiner Studentenzeit ein filmischer Virtuose, der eine unbändige Lust am Experimentieren hatte und mit pfiffigen Ideen und formalen Kabinettstückchen das Publikum verblüffte. Genial auch, wie er in diesem, seinem vermutlich besten Super-8-Film, die Bilder auf suggestive Weise durchgängig mit Musik von Tangerine Dream (Rubycon Part II) vertonte.

Was für eine göttliche Fügung, dass 38 Jahre später bei einem multimedialen Konzert als Special Event zu seiner Ausstellung im Osthaus Museum Hagen frühere Mitglieder der Band Tangerine Dream, die sich mit ebenfalls früheren Mitgliedern der Band Birth Control zu einer neuen Gruppe mit dem Namen Dream Control zusammengefunden hatten, die Live-Musik zu einer von Christoph erdachten raffinierten Film-Performance beisteuerten.

Kirmes. Ein Film von Christoph Böll (2015). Foto © Böll Filmproduktion

Christophs neuester Film sollte auf diese Weise seine spektakuläre Premiere feiern. Ein Film, gedreht auf dem Wurstmarkt in Bad Dürkheim im Auftrag des TÜV Rheinland. Künstlerisch hatte Christoph alle Freiheit, wieder einmal virtuos zu experimentieren, diesmal mit Unterstützung des phänomenalen Drohnen-Spezialisten Thomas Eichhorn. So wurde der 23-minütige Film zu einem sinnlichen Erlebnis in der Tradition des Absoluten Films. Es gab drei Jahre danach auch eine Aufführung mit den Duisburger Philharmonikern in der Duisburger Mercator-Halle, dort mit Musik von Gustav Mahler aus seiner 4. Sinfonie.

Wurstmarkt Bad Dürkheim sollte der Film ursprünglich heißen. Das fand ich für diesen berauschenden Film doch irgendwie unappetitlich. Ich schlug Christoph vor, ihn schlicht und einfach Kirmes zu nennen. Pforten der Wahrnehmung, den Titel zur Ausstellung, steuerte übrigens in Anlehnung an Aldous Huxley Museumsdirektor Tayfun Belgin bei, auch er als Student der Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum einstmals ein sehr aktives Mitglied im Studienkreis Film. So erwies sich der Studienkreis Film der Ruhr-Uni Bochum rückblickend betrachtet doch als eine gute Seilschaft.

Zwischen Christoph und mir gab es eine lange freundschaftliche Verbundenheit, die sich in den letzten zehn Jahren erneuerte und vertiefte. Anfang Oktober 1973, zu Beginn des Wintersemesters 1973/74 an der Ruhr-Universität Bochum haben wir uns kennengelernt, das ist genau 50 Jahre her. Viele Erinnerungen gehen mir jetzt durch den Kopf. Mein Freund Christoph, ich werde Dich sehr vermissen.

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