„Auch eine abgeschliffene Hitlerglocke bleibe eine Hitlerglocke“

Kirchenwahl.- Propaganda der „Deutschen Christen“ in Berlin Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1985-0109-502 Lizenz: CC-BY-SA 3.0


In mehr als einem Dutzend evangelischer Kirchen hängen noch Adolf Hitler gewidmete Glocken. Über den Umgang mit ihnen gibt es Streit.

In wie vielen deutschen Städten und Gemeinden Hitlerglocken die Zeit ansagen oder gläubige Christen zum Gottesdienst rufen, weiß niemand. Aber die Überbleibsel der engen Verbindung von Teilen der evangelischen Kirche zum Nationalsozialismus hängen immer noch in Kirchtürmen. Es erscheint fast so, als ob der Bund zwischen den Deutschen Christen, einer völkischen Strömung innerhalb der evangelischen Kirche, und den Nazis bis in die heutige Zeit bestand hat, obwohl alle, die diese Verbindung einst schlossen, längst tot sind.

Auffällig sind sie nicht, diese Glocken mit Hakenkreuz und dem Bekenntnis zu Adolf Hitler. Sie klingen wie Glocken nun einmal klingen und hängen, vor neugierigen Blicken geschützt, in den Kirchtürmen. Nur evangelischen Pfarrer, evangelisches Personal und ab und an ein Handwerker bekommt sie zu Gesicht. Und die stört es so wenig wie ihre Gemeinden, wenn der Klöppel die Hitler-Glocken zum Klingen bringt.

Gilbert Kallenborn sieht das anders. Der Saarländer jüdischen Glaubens kämpft seit Jahren gegen die Hitlerglocken. „Eigentlich ist die Sache eindeutig. Es ist verboten Propagandamittel einer verbotenen Partei vorrätig zu halten. Und das trifft auf das Hakenkreuz als Zeichen der NSDAP zu, egal ob es auf einem Kuchen, einem T-Shirt oder eine Glocke zu sehen ist.“

Bekannt wurde Kallenborn durch seinen Prozess gegen Hitlerglocke im rheinland-pfälzischen Herxheim am Berg, den er durch eine von seinem ersten Anwalt falsch gewählte Strategie verloren hatte.
Mittlerweile geht es ihm längst nicht nur um die Glocke von Herxheim am Berg. Er hat weitere Glocken ausgemacht. In Thüringen und Sachsen-Anhalt, den Hochburgen der „Deutschen Christen“ weiß er von neun Hitlerglocken. „Das ist ein Sumpf“, sagt Kallenborn. In Herxheim am Berg am Berg würden sie wenigstens so viel Anstand haben, ihre Glocke am Holocaustgedenktag nicht zu läuten. In Sachsen-Anhalt und in Thüringen wollte man selbst darauf nicht verzichten.

Von Seiten der Politik gab es für den Saarländer bislang kaum Unterstützung. Als Kallenborn in Thüringen eine Petition gegen die Verwendung der Nazi-Glocken auf den Weg brachte, ließ ihm der Landtag von der Staatskanzlei von Ministerpräsident Bodo Ramelow ausrichten: „Bei den Kirchenglocken, die als Vermögengegenstände von öffentlich-rechtlich korporierten Religionsgemeinschaften kultischen Zwecken dienten, handele es sich um so genannte res sacrae, die einem besonderen religionsverfassungsrechtlichen Schutz unterliegen würden.

Auch die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) war ihm keine große Hilfe. Sie könne eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Thüringer Landesbischöfin Ilse Junkermann wegen Vorrätig halten, nutzen und läuten der Thüringer Naziglocken am Holocaustgedenktag nicht bearbeiten.

Den Vorschlag der Landesregierung Thüringens, mit Geldern aus den Lottoeinnahmen den betroffenen Kirchen neuen Glocken zu spendieren, lehnt Kallenborn ab: „Das Geld der Lottospieler soll behinderten Kindern, Armen und der Kultur zu Gute kommen. Es kann doch nicht sein, dass die reiche evangelische Kirche die Milliarden vom Staate bekommt, sich neue Glocken finanzieren lässt.“

Gilbert Kallenborn und sein neuer Anwalt Josef Schirra setzen nun weiter auf den Rechtsweg. Wahrscheinlich vor dem Verwaltungsgericht Neustadt werden sie auf eine Beseitigung der Glocke in Herxheim am Berg Aufgrund ihrer Eigenschaft als Nazi-Propagandainstrument klagen. „Ich gehen davon aus“, sagt Schirra, dass wir in sechs bis zwölf Monaten aufgrund des öffentlichen Interesses eine Entscheidung des Gerichts haben werden. Und mit dem Urteil kann man dann weiterarbeiten.

Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) teilte auf Anfrage mit, dass sie den betroffenen acht Gemeinden, in deren Kirchen neun Hitler-Glocken hängen anbiete „die Inschriften und Symbole mit Bezug zur Nazi-Zeit auf Kosten der Landeskirche zu entfernen“. Einen direkten Zugriff auf die Gemeinden habe man allerdings nicht.

Die betroffenen Glocken seien bis zur Zerstörung der Nazi-Symbole nicht öffentlich zugänglich. „Die Gemeinden werden hierzu beraten, so dass die Glocken weder Konfirmanden- noch Besuchergruppen zugänglich gemacht werden.“ Die EKM gäbe derzeit nicht bekannt, in welchen Kirchen die Glocken hängen. Es solle vermieden werden, dass sich Menschen Zugang zu den Glocken verschaffen, Fotos von den Glocken machen oder die Kirchen anderweitig für ihre Zwecke nutzen. Für betroffene Kirchengemeinden gibt es zudem im April einen Konsultationstag, der Möglichkeiten „reflektiert, mit der Problematik umzugehen.“ Zu diesem Konsultationstag komme auch ein Vertreter der Jüdischer Landesgemeinde Thüringen.

Gilbert Kallenborn reicht das nicht. Auch eine abgeschliffene Hitlerglocke bleibe eine Hitlerglocke. Er erwartet, dass sich die betroffenen Kirchen an der Gemeinde Schweringen in Niedersachsen orientieren:  Die hatte im vergangenen Jahr die Nazisymbole abgefräst, die Glocke entwidmet und dann, nachdem sie mit neuen Symbolen verziert wurde, erneut gewidmet.

Der Text erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jüdischen Allgemeinen 

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Nina
Nina
5 Jahre zuvor

Abfräsen reicht doch, muss man da noch so einen Zirkus drum herum machen?

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
5 Jahre zuvor

"Er erwartet, dass sich die betroffenen Kirchen an der Gemeinde Schweringen in Niedersachsen orientieren: Die hatte im vergangenen Jahr die Nazisymbole abgefräst, die Glocke entwidmet und dann, nachdem sie mit neuen Symbolen verziert wurde, erneut gewidmet."
Ist das nicht Geschichtsklitterung?

Jens Koenig
Jens Koenig
5 Jahre zuvor

Wenn ein Hakenkreuz Bestandteil der Sache ist, KANN es sich nicht um ein res sacer handeln.

Marcus
Marcus
5 Jahre zuvor

Anstatt sich so über die Hitlerglocken aufzuregen hätte man sich 2017 mal lieber über den Antisemiten Martin Luther empören sollen.

Nina
Nina
5 Jahre zuvor

Aufregen find ich schon angebracht. Mich wundert, dass die Pfarrer sich nicht aufregen. Aber vielleicht haben sie das ja…und konnten nichts bewirken. Ich hätte jedenfalls keinen Bock, mit einem Hakenkreuz konfrontiert zu sein, jeden Tag. Zu wissen, das ist da eingefräst, würde mich ziemlich anwidern.

Gerd
Gerd
5 Jahre zuvor

"Der Wiederstand gegen Hitler und die seinen nimmt umso mehr zu, je länger sie vergangenen sind."

Derweil der neue Faschismus wächst und gedeiht!

Mika
Mika
5 Jahre zuvor

#6 genau das habe ich beim Lesen auch gedacht, Gerd. Diese symbolischen Kämpfe um Zeichen und Nebensächlichkeiten gegen wehrlose „Gegner“ wirkt sehr entrückt. Es gäbe durchaus realen Antisemitismus, mit dem man sich befassen könnte.

gilbert kallenborn
gilbert kallenborn
5 Jahre zuvor

zu Komm # 2 Wolfram Obmeranns: Nein,das ist keine Geschichtsklitterung,sondern aus dem
evangelischen Kirchenrecht selber stammend.Es ist hilfreich,sich mit einer Materie zu befassen,
bevor man darüber schreibt.Denn diese Nazi-Hakenkreuzglocken wurden 1933-1945 in öffentlichen
Gottesdiensten (!) unter dem DC-Deutsche Christen- evangelischen Reichsbischof Müller,
Hitleranbeter und fanatischer Judenhasser,eingesegnet und liturgisch geweiht -nicht Jesus
Christus, geweiht;dem Juden,sondern Adolf Hitler-dem Massenmörder an den Juden.
Am 12.April 2019 hatte mein langer Kampf (über ,25 Jahre) endlich Erfolg:
DIE NAZIGLOCKEN IN THÜRINGEN WERDEN SCHWEIGEN UND ENTFERNT WERDEN!!!
Siehe Thüringer Allgemeine Zeitung vom 12.April 2019 und dpa bundesweit

Jonny Michel
5 Jahre zuvor

Auch im erzgebirgischen Lößnitz in Sachsen spielt täglich viermal ein "Hitler-Glockenspiel". Es ist auf dem Turm der St. Johanniskirche installiert.

http://nachpoliert.info/Politik/Naziglocken/naziglocken.html

thomas weigle
thomas weigle
5 Jahre zuvor

@Marcus Ich bin sehr dafür, dass man sich mit dem AS des Bruder Martin befasst. Sein AS ließ allerdings den Juden einen Ausweg: sie konnten evangelisch werden, bei den Nazis gab es diesen Ausweg nicht. Luther wurde erst zum wütenden Antisemiten, als die Juden einfach nicht ihren Glauben aufgeben wollten, und nicht, wie von ihm erwartet, Mitglieder seiner neuen schönen Kirche wurden.

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