
Ein arabischer Israeli aus Nazareth, in Haifa geboren, Sohn eines orthodoxen Priesters. Später Kampfsoldat in der Golani Brigade, heute Journalist, in Israel ist Yoseph Haddad wie ein Rockstar bekannt. WINA, das jüdische Stadtmagazin aus Wien, hat ihn im März interviewt. „Wir müssen Stärke zeigen“, sagt er, „tun wir das nicht, werden wir vernichtet.“
Für hiesige Ohren unerhört, was Yoseph Haddad (39) sagt. Spricht man mit Ukrainerinnen darüber, die es ins Ruhrgebiet geschafft haben, sagen sie sanft und entschieden: Ja. Auch sie konfrontiert mit einer Mentalität, die wahllos vernichtet. Vor mehr als zwanzig Jahren, am 4. Oktober 2003, wurde das Maxim Restaurant in Haifa zerbombt, ein arabisch-jüdisches Restaurant. 21 Israelis, Juden wie Araber, wurden ermordet, 51 weitere schwer verletzt, nur kurz zuvor hatte Haddads Familie im Maxim gegessen. Die 28jährige Hanadi Jaradat mordete im Auftrag des Islamischen Dschihad, der 18jährige Yoseph Haddad begreift: „Diesen Terroristen ist es egal, dass sie Araber töten. Sie haben es auf uns abgesehen, weil wir Israelis sind. Wenn wir als arabische Israelis der IDF beitreten, der israelischen Armee, tun wir dies, um unser Land zu verteidigen.“ Gegen wen, gegen was? „Die Mentalität des Nahen Ostens.“
Sagt Haddad im Interview, das Alexia Weiss im März für Wina geführt hat mit ihm: „Israel ist ein westliches Land mit westlichen Werten, aber wir befinden uns im Nahen Osten. Und unsere Verbündeten im Westen verstehen nicht, dass wir gegen den Nahen Osten kämpfen und nicht gegen den Westen. Aber in unserem Kampf gegen die Hamas, gegen den Islamischen Dschihad, gegen die Hisbollah, gegen die Huthis und die Mullahs im Iran sind wir in einer anderen Arena. Und wenn wir deren Mentalität nicht verstehen, können wir nicht gewinnen.“
Welche Mentalität es bräuchte, um dagegen zu bestehen, fragt Wina, Haddad antwortet mit einem Beispiel:
„Ein paar Monate vor dem 7. Oktober 2023 (den infernalischen Massakern, die Hamas, Islamischer Dschihad und andere Terrorgruppen gegen Israelis verübten; thw) infiltrierte die Hisbollah Israel im Norden, sie drang auf israelisches Gebiet ein und stellte ein Zelt auf. Was war die Antwort Israels? Nichts. Man hat versucht, das Problem auf westliche Weise – also mit Diplomatie – zu lösen. Unsere Verbündeten im Westen haben geklatscht und gemeint: gute Arbeit. Ihr seid das reife Land im Nahen Osten! Aber wir haben ja kein Problem mit dem Westen, sondern eines im Nahen Osten. Und dort denkt man sich: Wir sind gerade in israelisches Land eingedrungen, und Israel hat nichts dagegen unternommen, das bedeutet, es ist ihnen egal, und damit geben sie zu, dass es ohnehin nicht ihr Land ist, und es bedeutet zugleich, sie haben Angst. Es gibt eine Menge Gründe für den 7. Oktober. Einer davon war die Reaktion Israels auf diesen Vorfall.“
Und weiter: „Wenn man diese Mentalität richtig verstehen würde, müsste man anders reagieren. Wenn um 19 Uhr ein Zelt auf israelischem Boden aufgestellt wird, müssen um 19:10 Uhr vier F-16 drüberfliegen und Bomben abwerfen. Das ist es, was man im Nahen Osten tut, und so müssen wir mit unseren Feinden und den Terroristen umgehen. Das ist die Mentalität des Nahen Ostens. Und nur, wenn wir da ein Gleichgewicht schaffen, können wir existieren. Tun wir das nicht, werden wir vernichtet.“
Unerhört im Westen. Ein Gleichgewicht der Mentalitäten schaffen, das hieße ja – man kann sich die Kommentare aus dem Stehsatz vorstellen – ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘. Hieße ‚Vergeltung‘ anstelle von ‚Verhältnismäßigkeit‘. Hieße, dass Israel seine „alttestamentarische Rachsucht befriedigt“, wie es Adolf Hitler am 30. Januar 1939 im Deutschen Reichstag vorformuliert hat.
„Ich bin überzeugt, dass sie bereits einen weiteren 7. Oktober planen“
Von seinem Blick auf eine Mentalität, die Israel partout zerstören will, kommt Haddad zu gänzlich anderen politischen Einsichten. Ob Hamas & Co denn tatsächlich nur die Sprache der Waffen verstünden, fragt Wina, darauf Haddad:
„Es geht nicht um die Sprache der Waffen. Es geht um die Sprache der Terroristen. Wir müssen Stärke zeigen, das ist der einzige Weg.“ Israel habe in der vergangenen Zeit ständig versucht, sich Ruhe zu erkaufen, aber „wir kaufen immer wieder Zeit, in der sie sich auf einen neuen Angriff vorbereiten. Ich bin überzeugt, dass sie bereits einen weiteren 7. Oktober planen.“
Wie abhalten davon? Vielleicht mit humanitärer Hilfe? Kürzlich hat Die Zeit einen Text von Maxim Biller (hier nachzulesen) „depubliziert“, hat also versucht, einen Gedanken, der in der Welt ist, wieder herauszuschaffen aus ihr in schierer Verzweiflung darüber, dass er richtig sein könnte. Dass es, wie Biller schrieb, „unmenschlich“ und doch „strategisch richtig“ sein könnte, die humanitäre Hilfe, die nach Gaza gehe, zu drosseln. Eben weil sie 1:1 auf das Konto der Hamas eingezahlt werde, sagt Haddad, der ein weiteres Beispiel anführt:
„Wissen Sie, wie die ersten Geiselfreilassungen im November 2023 gelungen sind? Damals war der Stiefel der IDF quasi nur mehr einen Zentimeter vom Hals der Hamas entfernt. Damals wurde die humanitäre Hilfe weitgehend eingestellt. Das hatte zur Folge, dass viele Palästinenser auf die Straße gingen und demonstrierten. Damals wurde ich im Fernsehen gefragt, ob diese Demonstrationen größer werden könnten. Ich sagte: Nur, wenn wir mehr Druck auf die Hamas ausüben. Solange die Bevölkerung glaubt, die Hamas sei weiter stark, entsteht keine Bewegung gegen die Hamas. Deshalb wäre es wichtig, die humanitäre Hilfe einzustellen und es Israel so zu ermöglichen, die Hamas zu besiegen.“
Haddad ist keine Stimme des rechten Flügels in Israel, auch keine des linken, sondern – „Parties from all sides see something in my message and values“ – die eines arabischen Israeli mit 1,5 Mio Followern auf seinen SM-Accounts. Anstatt den Palästinensern eine Zwei-Staaten-Lösung anzudienen, spricht er von „zwei Möglichkeiten: Entweder ihr bekämpft Israel oder ihr koexistiert mit Israel. Und wenn sie sich entscheiden, uns zu bekämpfen, werden wir sie so lange bekämpfen, bis jemand sagt, wir geben auf, wir wollen Frieden. Ich denke, das wäre die beste Option – nur leider habe ich sie noch nicht auf dem Tisch gesehen.“
Den Tisch gedeckt sieht der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. „Von der Armee befreit wurden schon lange keine Geiseln mehr, auch ist die Hamas militärisch weitgehend besiegt“, wissen sie in Hamburg: „Selbst hochrangige israelische Armeeangehörige und Politiker sprechen bereits seit vielen Monaten davon, dass fast alle militärischen Ziele erreicht seien.“
Nur warum werden die Geiseln, anstatt befreit werden zu müssen, nicht einfach freigelassen? Der Spiegel behauptet, Israels Regierung sei das „wichtigste Hindernis“. Die Frage, was die palästinensischen Geiselnehmer jetzt, wo Hamas „weitgehend besiegt“ sein möchte, daran hindert, ihrem Krieg selber ein Ende zu setzen, stellt sich dem Spiegel nicht. Ist aber Haddads Punkt auch heute, dem Tag, an dem sich Israel und die UN darauf verständigt haben, humanitäre Hilfskorridore zu weiten. Die zwei Möglichkeiten, von denen Haddad spricht, formuliert er konkret:
„Entweder ihr ändert euer Bildungssystem, oder wir werden die ganze Zeit Krieg führen. Und wenn wir die ganze Zeit im Krieg sind, werdet ihr leiden, also ändert euer Bildungssystem.“
Im Moment, sagt er, sei es so, „dass die Menschen in Gaza, auch jene, die nicht Teil der Hamas sind, diese Mentalität teilen, die Israel zerstören möchte. Warum? Weil sie in den Schulen der UNRWA dazu erzogen werden, Israelis zu töten, Juden zu töten.“ UNRWA steht für die internationale Staatengemeinschaft. Und Haddad schließt erneut seine Perspektive an, die eines arabischen Israeli: „Glauben Sie nicht, dass ich als Araber davon ausgeschlossen bin. Als jemand, der sich für Israel einsetzt, werden sie mir sogar eher eine Kugel in den Kopf jagen als einem Juden, denn ein arabischer Kollaborateur des Zionismus zu sein, ist für sie noch viel schlimmer, als Jude zu sein. Man muss die Menschen daher erziehen. Es geht um Bildung.“
„Grenzen der Aufklärung“
Auch dafür bringt er ein Beispiel an: „Sehen Sie sich die Vereinigten Arabischen Emirate an. Vor der Unterzeichnung des Abraham-Abkommens 2020 (dem Kooperationsabkommen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain, im Anschluss daran auch mit dem Sudan und Marokko; thw) haben viele Menschen in den Emiraten den Holocaust geleugnet. Heute wird der Holocaust in den Schulen gelehrt. Warum ist das nun möglich? Weil es die Führer so für den Rest des Volkes beschlossen haben. So funktioniert der Nahe Osten. Wenn man diese Entscheidung dem Volk überlassen hätte, hätten sie dem wohl nicht zugestimmt. Aber jetzt akzeptieren sie es, sie werden aufgeklärt und lernen. Das müssen wir auch in Gaza erreichen.“
Es gibt Proteste in Gaza gegen Hamas, wer protestiert, zahlt mit Haft, mit Folter, mit seinem Leben. „Weitgehend besiegt“, wie der Spiegel behauptet, ist Hamas offensichtlich nicht. Nur woran scheitern die, die sich in Gaza selber gegen Hamas auflehnen? An der militärischen Macht des Hamas-Regimes oder an dem, was Haddad Mentalität nennt?
Lange her jedenfalls, dass einem ein solches Vertrauen in Bildung begegnet ist, eine solche Hoffnung auf Aufklärung, wie Haddad sie formuliert. Wina spricht im Interview mit ihm von einer fälligen „Ent-Hamasifizierung“, angelehnt an die Ent-Nazifizierung nach 1945. Der Vergleich trägt. Nicht nur, weil er zeigt, dass eine Ent-Hamasifizierung möglich wäre, sondern ebenso, dass sie unmöglich sein könnte, wenn Bildung auf Granit stößt, an die Grenze der Aufklärung.
Eben so, als „Grenzen der Aufklärung“, haben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno das Kapitel über Antisemitismus in ihrer Dialektik der Aufklärung genannt, verfasst in den Jahren, als die Vernichtungslager im Hochbetrieb liefen. Am Anfang die „begeisterte Prophetie des eigenen Untergangs“, geboren aus einem „Vernichtungsdrang“, dem am Ende gleichgültig sei, „ob er gegen andere sich richtet oder gegens eigene Subjekt“.
Es liest sich heute wie auf Hamas gemünzt. Erst der begeisterte Drill zum suicide bombing, dann werden die eigenen Familien zu Sandsäcken abgefüllt, hinter denen sich Märtyrer verschanzen, die ihren großen Spaß ausleben. Aufklärung, so Horkheimer/Adorno, stößt an ihre Grenzen dann, „wenn die Menschen einander nicht aus falscher Selbstbehauptung töten und quälen, sondern weil sie Spaß daran haben. Niemand wird sie daran hindern, weil alle Macht solche von Menschen über Menschen ist.“
Was Vernichtungsdrang ist, hat Haddad verstanden, als Israelis – Juden, Muslime, Christen, Agnostiker, Linke und Rechte, Alte und Junge, ein Säugling – im Maxim Restaurant in Haifa unterschiedslos zerstückelt wurden, die Attentäterin eingeschlossen, eine studierte Juristin und Rechtsanwältin. Grenze der Aufklärung. An ihr formuliert Haddad eine letzte Wahl. Keine zwischen Hamas und PLO, sondern die zwischen Aufklärung und Krieg. Humanitäre Korridore führen – es ist eine verteufelte Frage – führen wohin?
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Hier das gesamte Interview mit Yoseph Haddad von Alexia Weiss, das sie für Wina geführt hat, dem jüdischen Magazin aus Wien: „Wir müssen Stärke zeigen, das ist der einzige Weg“
Definitiv lesenswert auch ihr Wina-Interview mit dem Geologen Joel Roskin: „Ich sehe keine Möglichkeit, den Gazastreifen wieder in bewohnbares Gebiet zu verwandeln”

Hieße, dass Israel seine „alttestamentarische Rachsucht befriedigt“, wie es Adolf Hitler am 30. Januar 1930 im Deutschen Reichstag vorformuliert hat.
Die Rede Hitlers, in der dies vorkommt war im Jahr 1939, nicht 1930!
Richtig. Korrigiert.
[…] und zeigen ein anderes Problem– Islamistische Einflussagenten unterwandern Deutschland– Aufklärung oder Krieg: Yoseph Haddad, arabischer Israeli, über eine Mentalität, die Israel vernic…– Die Betroffenheitskirmes hat immer auf.– Wie die BBC Berichte über Gaza […]