Nordrhein-Westfalen wird schrumpfen – vor allem das Ruhrgebiet und das Sauerland sind vom demographischen Wandel betroffen. Abriss und neue Nutzungsmodelle stehen in der Diskussion.
Bruckhausen hat keine Chance mehr: Über ein Drittel der Wohnungen steht leer. Die Substanz der Gebäude ist schlecht, die Nähe zu den verbliebenen Duisburger Stahlwerken sorgt für immense Umweltbelastungen. Ein Hauch von Schwefel liegt immer in der Luft. In Bruckhausen sollen 200 Häuser abgerissen werden. Es gibt viele Bruckhausens im Ruhrgebiet, und der Abriss ganzer Quartiere wird zu einer Zukunftsaufgabe der Region. Auch die vom Frankfurter Architekturbüro Albert Speer & Partner (AS&P) veröffentlichte Projektskizze Ruhrplan 21 sieht dazu an vielen Stellen keine Alternative. Aber ist Abriss wirklich das letzte verbleibende Mittel? Dr. Michael Denkel von AS&P sieht noch eine weitere Möglichkeit: Die Neu- und Zwischennutzung von leer stehenden Gebäuden. Die seien vor allem für die Kreativwirtschaft attraktiv: „Dass das Ruhrgebiet noch über viele Flächen verfügt, die nicht durchoptimiert sind, ist eine Chance. Gerade Künstler und Gründer aus dem Bereich der Kreativwirtschaft nutzen solche Gebäude gerne. Sie sind ein wichtiger Raum für neue Ideen und Projekte. Hier können sich Menschen ausprobieren.“
Zwar warnt Denkel davor, dass das Ruhrgebiet zu große Hoffnungen mit der Kreativwirtschaft verbindet, aber als Branche sei sie durchaus präsent – auch wenn von ihr nicht der entscheidende Impuls zur wirtschaftlichen Erneuerung ausgehen wird.
Wichtig sei, dass auch die Bereitstellungen von Gebäuden für Kreative konzentriert und nach Plan verläuft. Dann könnten, sagt Denkel, von solchen Zwischennutzungen Impulse für die Stadtentwicklung ausgehen.
Solche Impulse will Tino Buchholz setzen. Der Stadtentwickler hatte mit über 100 Künstlern im August die leer stehende Kronenbrauerei in Dortmund besetzt. Die Räumung erfolgte noch am selben Tag, aber seitdem ist man mit der Stadt im Gespräch. Man sucht scheinbar nach passenden Räumen für die Künstler. Es finden Gesprächsrunden zwischen der Initiative für ein Unabhängiges Zentrum und Kulturdezernent Jörg Stüdemann statt.
„Wir sind“, sagt Buchholz, „eine Chance für Dortmund. Wir wollen etwas bewegen, gründen und werden mit unserer Arbeit helfen, einen Teil der Stadt attraktiver zu machen.“ Ein altes Quartier attraktiver machen heißt in der Planersprache Gentrifizierung: Erst kommen die Künstler in die billigen Wohnungen und Werkstätten, dann die Szene-Kneipen und Galerien und irgendwann steigen die Mieten, wird saniert und die Ursprungsbevölkerung muss das Viertel verlassen, weil es sich die Preise nicht mehr leisten kann. In Berlin war das so. Am Prenzlauer Berg, dem Musterbeispiel für Gentrifizierung in Deutschland sind 80 Prozent der Bewohner in den vergangenen 20 Jahren zugezogen. Der bestimmende Dialekt in dem herausgeputzten Bezirk in Berlin Mitte ist längst das Schwäbische.
Buchholz würde mit seiner Initiative gerne in die Dortmunder Nordstadt ziehen. In dem Problemstadtteil hat sich schon heute in Ansätzen eine Künstlerszene etabliert, der es vielfach an geeigneten Räumen fehlt. Viele, auch öffentliche Gebäude, stehen leer, obwohl es zahlreiche Interessenten für preiswerte Räume gibt. Die Initiative will solche Räume nutzen, die Betriebskosten tragen und eigenverantwortlich renovieren. Nach zehn Jahren, so der Plan, würde man gerne kaufen – zum Ursprungspreis. Buchholz: „Wir wissen, dass wir mit unserer Arbeit die Attraktivität eines Quartiers steigern und wollen am Ende nicht mit leeren Händen dastehen. Verdrängungsprozesse wie am Prenzlauer Berg befürchtet der Stadtentwickler nicht: „Das wird hier nie die Region die Kreative aus aller Welt anzieht. Außerdem wollen wir eng mit den jetzigen Bewohnern zusammen arbeiten.“
Trotz begonnener Verhandlungen besteht allerdings wenig Hoffung für Buchholz und seine Freunde. In einer den Ruhrbaronen vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der CDU-Fraktion zur Zwischennutzung von öffentlichen Gebäuden durch Kulturinitiativen stellt Stüdemann fest:
„(…) aus liegenschaftlicher Sicht (kann) eine Nutzungsüberlassung von leer stehenden Infrastrukturimmobilien und bebauten Besitzungen des Allgemeinen Grundvermögens an Kulturinitiativen nicht empfohlen werden.“
Für Buchholz ist die Konsequenz klar: Finden sich keine Räume, werden er und viele andere Dortmund verlassen. Er hat schon eine Alternative: „Leipzig.“ Dort sind Zwischennutzungen üblich. Die sächsische Stadt hat längst eine große Anziehungskraft für junge Kreative, auf die man in Dortmund keinen Wert zu legen scheint.
Auch in Essen scheiterten Besetzer aus der Künstlerszene. Schon nach wenigen Tagen verließen sie freiwillig ein leer stehendes Gewerkschaftshaus am Rand der Innenstadt. Und auch in Köln steht es schlecht um die ebenfalls von vielen Künstlern seit April besetzte ehemalige Deutz-Kantine im Stadtteil Kalk. Das zur Sparkasse Köln-Bonn gehörende Immobilienunternehmen S RheinEstate GmbH will bald räumen lassen. Geschäftsführer Jürgen Lange: „Das Gebäude ist aus Sicherheitsgründen nicht als Veranstaltungszentrum zu nutzen. Die Stadt ist nicht bereit für die Umbaukosten aufzukommen, also bleibt uns kein anderer Ausweg als die Räumung – wenn die Besetzer nicht vorher die alte Kantine freiwillig verlassen.“
Geht es nach Michael Denkel von AS&P sollten sich allerdings auch Boomstädte wie Köln oder Düsseldorf Gedanken darüber machen, wie sie Freiräume für unkonventionelle Initiativen in ihren Städten sichern. „In Frankfurt haben wir solche Räume schon nicht mehr. Dort wird jetzt überlegt, junge Kreative in Offenbach anzusiedeln, damit sie in der Region bleiben.“ Frankfurt versucht sich damit zukünftige Potentiale zu sichern – auch in Zusammenarbeit mit der ungeliebten Nachbarstadt mainaufwärts.
Im Ruhrgebiet ist man noch nicht so weit. Auch wenn der für Kreativwirtschaft zuständige Kulturhauptstadtdirektor Dieter Gorny die Essener und Dortmunder Kunstbesetzer für ihren Tatendrang lobte und ihnen öffentlich Unterstützung zusicherte, tut sich im Ruhrgebiet erst einmal wenig, junge Kreative zu halten. Man darf gespannt sein, wann aus dem Ruhrgebiet der Ruf nach staatlichen Geldern laut wird, sie ins Revier zurückzuholen.





