Bedeutungssimulant Bundesverband Musikindustrie

„I’m a loser baby, so why don’t you kill me?“ (Beck, Loser) BVMI Vorstand 2017 (c) BVMI/Oliver Walterscheid v.l. Philip Ginthör, Bernd Dopp, Frank Briegmann, Dr. Florian Drücke, Konrad von Löhneysen


Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) hat den gestrigen Echo vergeben. Industrie – das klingt beeindruckend. Bis man sich die Zahlen anschaut.

2007 wurde der Bundesverband Musikindustrie durch den Zusammenschluss der deutschen Vertretung der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) und des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft gegründet. Es war ein Zusammenschluss in der Not: Innerhalb eines Jahrzehnts war der Umsatz der gesamten Branche von über 2,6 Milliarden Euro auf knapp über 1,5 Milliarden Euro in sich zusammen gefallen – ein Niveau, dass bis heute, mit viel Mühe, gehalten wird. Industrie sollte Größe und Bedeutung simulieren. Vor zehn Jahren war zudem der Begriff der Kreativwirtschaft in aller Munde – es passt, das Dieter Gorny seit der Gründung bis zum vergangenen Jahr der  Vorsitzende des BVMI war. Als professioneller Hersteller von heißer Luft war es Gornys Ziel, den Verband stärker und bedeutender erscheinen zu lassen, als er ist. Denn für eine ganze „Industrie“ ist ein Umsatz von gut 1,5 Milliarden Euro lächerlich. Vergleicht man den Sitzriesen Musikindustrie mit den fünf umsatzstärksten  Branchen Deutschlands, wird deutlich, wie sehr das der Fall ist:

  1. Kraftfahrzeugbau, Umsatz: 406 Mrd. €
  2. Maschinenbau, Umsatz: 219 Mrd. €
  3. Chemie, Umsatz: 194 Mrd. €
  4. Ernährung, Umsatz: 175 Mrd. €
  5. Elektronik und Elektrotechnik, Umsatz: 183 Mrd. €

Was sich da gestern als „Industrie“ hat feiern lassen, ist der Verband einer darbenden Branche, deren wichtigstes Geschäft, der Verkauf von Tonträgern, seit Jahrzehnten rückläufig ist. Das Produkt Musikstück verliert zudem wirtschaftlich an Wert. Der BVMI beklagt sich in seinem Jahresbericht über die niedrigen Margen, die bei Streamingdiensten erzielt werden:

 Das Streaming ist dabei, sich durchzusetzen. Inzwischen nutzen 13,5 Prozent der Bevölkerung hierzulande kostenpflichtige AudioStreaming-Angebote – im Vorjahr waren es noch 8 Prozent, vor zwei Jahren 5 Prozent. Eine für die Branche sehr gute Entwicklung, die die Diversifizierungsstrategie – von Vinyl bis zur Cloud – weiter bestätigt.
Aber: Je größer der Digitalanteil, desto wichtiger ist, dass die Refinanzierbarkeit von Inhalten im digitalen Raum sichergestellt ist. Wer online Inhalte anderer anbietet, muss für diese Inhalte auch Lizenzen zahlen! Es ist geradezu irrwitzig, welche geringen Beträge die Video-Streaming-Dienste, der größte unter ihnen YouTube, zum Branchenumsatz beitragen: in Deutschland 1,9 Prozent. Gegenüber 34,6 Prozent, die durch die Premium- und werbefinanzierten Angebote der AudioStreaming-Dienste erlöst werden. Und das, obwohl fast 50 Prozent des Musik-Streamings in Deutschland über Video-Streaming-Dienste stattfindet.

Wer sich wunderte, warum der Echo gestern so glamourös war wie die Weihnachtsfeier eines Mittelständlers muss sich klar machen, dass der gesamte Umsatz der Musikindustrie dem eines großen, mittelständischen Unternehmens entspricht: Die gesamte Musikbranche setzt soviel um wie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young.

Für die Branche war die Diskussion über  den Antisemitismus von Kollegah und Farid Bang daher verheerend. Der Ruf der BVMI ist beschädigt, die Umsätze sind sowieso gering – und die Show war peinlich. Für jemanden, der sehr stark auf das Wohlwollen der Politik  angewiesen ist, Gesetze zu erlassen, die seine wirtschaftliche Position stützen, weil die Käufer und Nutzer sich von den Bereichen des Marktes, an dem noch Geld verdient wird, abwenden, ist das nicht ohne Risiko.

 

 

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ke
ke
6 Jahre zuvor

War die Diskussion verheerend?
Ich sehe die vielen Berichte eher als Werbung für die Veranstaltung und auch für die Künstler.
Wie viele Menschen haben wohl neugierig Lieder gestreamt? Auch Cents lassen sich aufaddieren und die Abrufzahlen vieler Lieder bei den Streaming-Diensten sind enorm.

Als Kind hatte ich LPs, später CDs gekauft. Meistens waren nur wenige Lieder interessant. Der Rest Füllmaterial. Auch lagern viele Medien im Regal. Final bedeutet das nur, dass ich immer viel zu viel Geld bezahlt hatte.

Heute gibt es Computer mit tollen Soundprogrammen. D.h. der Materialeinsatz ist gering. Ich höre, abgesehen vom Radio bei manchen Autofahrten nahezu gar keine Musik mehr.
Sie interessiert mich nicht.

Auch wenn hier auf die geringe Bedeutung der Musikindustrie und die geringen Gebühren verwiesen wird, viele Künstler und Musikschaffende, die erfolgreich sind, machen keinen armen Eindruck.
Ja, es muss nicht jeder der singt und spielt auch davon leben können. Das kann auch nicht jeder Tennisspieler.

Künstler brauchen Öffentlichkeit, bunte Blätter brauchen "Stars". Deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass viel Geld für heiße Luft ausgegeben wird.
Final muss der Konsument entscheiden, was ihm Musik bedeutet, und der Wähler, welche Partei er wählt, wenn mal wieder über Gelddruckgesetze der Content Industrie entschieden wird.

Aktuell gilt dies bspw. im Bereich des Leistungsschutzrechtes.

Bebbi
Bebbi
6 Jahre zuvor

blockquote>Als professioneller Hersteller von heißer Luft</blockquote>

So viel Lob für Gorny hätte ich hier nicht erwartet, dass er als professionell eingeordnet wird.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

Liebe Musik"industrie", ich bin nach diesem zur Schau gestellten Schwanzlutschen erigierter Antisemiten und deren Hoffähigmachung durch einen peinlichen Kindergarten voller Möchtegern-"Kapitäne" sehr froh darüber, dass euer Verband an mir in den letzten 25 Jahren nicht einen einzigen Pfennig bzw. Cent verdient hat.

Ines C.
Ines C.
6 Jahre zuvor

Und so schwätzt sich die evangelische Bäckerblume aus der Verantwortung des EKD- Ethikratmitglieds: http://www.evangelisch.de/blogs/die-frage-der-woche/149572/14-04-2018?kamp=b-009&kamp_r=start

Das verstößt gegen das Stuttgarter Schuldbekenntnis, dem Neuanfang der Evangelischen Kirche nach WW II "Abr wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt…haben".

Jetzt kann ich nachvollziehen, wie SPD-Urgesteine sich in der Schröder-SPD fühlen.

ke
ke
6 Jahre zuvor

@4 Ines C.
Das Verhalten der Ethikrat-Mitglieder die evangelisch und katholisch in der Bezeichnung haben würde mich auch genauer interessieren.

Wie haben die großen christlichen Kirchen in D reagiert als es um diese Frage ging.

Insgesamt wird es immer deutlicher, dass die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland ihre Bedeutung verlieren. Der Vergleich mit der SPD passt.

Eigentlich glaube ich schon, dass man diese Organisationen braucht, nur leider tauchen sie immer ab, wenn sie gebraucht werden bzw. zeigen keine Haltung, wenn ein Aufschrei notwendig ist.

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

Widerwärtig!!!!

Damit meine ich
a.)
den Inhalt dessen, was Kollegah und Farid Bang von sich geben:
",,,,Dein Chick ist 'ne Broke -Ass-Bitch, denn ich fick sie, bis ihr Steinbein bricht…"
"…Mein Körper definiert als von Auschwitz-Insassen…."
"…Menschen mit Sprengstoffgürtel massakrieren…."
"…mit einem LKW als wärst du auf dem Weihnachtsmarkt….
usw. usw.
daß
b)
bar jeder Nachdenklichkeit den Protagonisten ein Preis verliehen wird,
daß
c.)
mehre hunderttausend Menschen ihre Platten gekauft und Millionen Menschen sie gehört haben,
daß
d.)
das Alles in der öffentliche Meinung -in der veröffentlichten Meinung- nicht, bestenfalls ganz am Rande berichtens- und kommentierenswert erscheint.

Das stimmt mich -noch- nachdenklicher als das schon ohnehin der Fall ist, wenn es darum geht, vorgebliche Grundwerte und herkömmliche Regeln im menschlichen Miteinander in Deutschland mit den Realitäten zu vergleichen, z.B. dann, wenn "aus der christlichen Community" – den christlichen Kirchen, den sog. christlichen Parteien und den ihnen nahestehenden Medien-, dieser Werte, dieser Regeln wegen gegen ihre vorgebliche oder tatsächliche Bedrohung durch sog. Rechts- und Linksradikale und durch Islamisten polemisiert wird.

In diese Nachdenklichkeit beziehe ich ein die quantitative und qualitative Relation der kommentierenden Beiträge hier bei den Ruhrbaronen zum Kopftuchverbot für junge Mädchen muslimischen Glaubens -mit meiner Beteiligung- einerseits gegenüber andererseits dem, was bisher zu den Widerwärtigkeiten von Kollegah und Co. hier bei den Ruhrbaronen zu lesen war.

Was stimmt hier nicht mit der permanenten Behauptung in Gesellschaft und Staat, wenn stets aus allen denkbbaren Anlässen die verbale "Verteidigung" sog. westlicher Werte und sog. zivilisatorischer Regeln -Respekt/Anstand-eingefordert wird, z.B. im Kampf gegen den Islamismus, aber "die Kollegahs " wegen ihrer Widerwärtigkeiten bezogen auf diese sog. westlichen Werte und bezogen auf die Achtung simplen Regeln des Anstandes, des Respektes Beifall finden, damit viel, viel Geld verdienen, Preise erhalten und lobenden, zumindest sehr verständnisvolle, nachsichtige Kommentierungen -auch hier bei den Ruhrbaronen- finden?

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