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Braucht Gelsenkirchen eine eigene Universität?

Frank Baranowski Foto: © Stadt Gelsenkirchen / Catrin Moritz


Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) wünscht sich eine neue Universität für das nördliche Ruhrgebiet. Forscher und Gründer sollen für die dringend benötigten neuen Jobs sorgen.

Die kleinen Windhosen aus grauem Staub tanzen in der Frühlingssonne. Bis fast an den Horizont reichen die Baumreihen, eine einsame Zwiebel liegt auf dem Boden. Wenn nicht gerade Schalke04 spielt oder ein Flohmarkt stattfindet, sind die großen Parkplätze der Veltins-Arena nichts anderes als eine weite Ödnis. Das könnte sich vielleicht in wenigen Jahren ändern, denn die Flächen sollen Standort einer neuen Universität werden.

„Eine Universität im nördlichen Ruhrgebiet würde uns als Region guttun“, sagt Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD).  „Viele Unternehmen suchen dringend Fachkräfte, um weiter wachsen zu können und von den Forschungsinstituten, die sich an einer Universität ansiedeln könnten, würden weitere Impulse ausgehen.“  Zum Beispiel die Gründung neuer Unternehmen.

Erstmals stellte Baranowski die Idee im November vergangenen Jahres der Öffentlichkeit vor, als er in Herne mit dem SPD-Vordenker Nils Heisterhagen über die Zukunft der Sozialdemokratie diskutierte. Nach dem Neujahrsempfang Gelsenkirchens, als er ein weiteres Mal die Hochschulgründung vorschlug, wandte er sich schriftlich an NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Der schrieb Baranowski, dass er ebenfalls der Überzeugung sei, dass die Hochschullandschaft im Ruhrgebiet weiter gestärkt werden müsse und er den Vorgang an das Wissenschaftsministerium weiterleite.

Für die Uni wünscht sich Baranowski ein breites Fächerspektrum: „Wir sollten bei der Gründung schon die Stärken unserer Region einbringen. Mit Gelsenwasser, dem Institut für Unterirdische Infrastruktur und dem Umbau der Emscher zu einem naturnahen Gewässer durch die Emschergenossenschaft gibt es hier viel Kompetenz in Fragen der Infrastruktur. Gelsenkirchen ist Modellstadt im Bereich Digitalisierung und spätestens seit der Internationalen Bauausstellung hat sich hier auch ein großes Wissen im Bereich Stadtplanung und Strukturwandel herausgebildet. Fachleute aus der ganzen Welt besuchen uns, um zu schauen, was wir hier machen. Gleiches gilt für die Bereiche Medizin oder Reha-Technik. Ich denke, dass das alles gute Themen für eine Uni an der Emscher wären.“

Eine Unigründung könnte für den wirtschaftlichen Schwung sorgen, den Gelsenkirchen, die ärmste Stadt Deutschlands, und sein Umland dringend nötig hätten: In Bottrop, Gelsenkirchen und dem Kreis Recklinghausen wohnen zwischen den Flüssen Emscher und Lippe rund eine Million Menschen. Hohe Arbeitslosigkeit und schrumpfende Städte prägen seit Jahrzehnten den Alltag. Ganze Städte wie Herten, Waltrop oder Datteln werden nicht einmal mehr von Personenzügen angefahren. Länger als anderswo bestimmte der Bergbau die Wirtschaft. Die letzte Zeche Deutschlands, die Ende des vergangenen Jahres schloss, lag in Bottrop. Herten war in den 80er Jahren noch stolz darauf, die Bergbau-Stadt Europas zu sein. Nirgendwo wurde damals mehr Kohle gefördert als in Gelsenkirchens kleiner Nachbarstadt.

Und während in Essen, Dortmund, Bochum und Duisburg Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre Universitäten und Fachhochschulen gegründet wurden, tat sich im Norden des Ruhrgebiets lange nichts. Zwar gab es schon damals die Idee, in Gelsenkirchen eine Uni zu gründen, aber die wurde dann in Wuppertal gebaut. Mit dem späteren NRW-Ministerpräsidenten und Wuppertaler Johannes Rau (SPD) als damaligen Wissenschaftsminister hatte die Schwebebahn-Stadt einen mächtigen Fürsprecher. Das Gelsenkirchener Sozialdemokraten zu dieser Zeit die Ansicht vertraten, die Stadt brauche ohnehin keine Uni, weil in Gelsenkirchen hart gearbeitet und nicht studiert werde, war allerdings auch nicht sonderlich hilfreich.

Erst 1992 wurde hier mit der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen eine eigenständige Fachhochschule gegründet.  Baranowski wünscht sich, dass sie weiterwächst, aber ein Ersatz für eine richtige Uni ist sie für ihn nicht: „Fachhochschulen und Universitäten, das zeigt sich in vielen Städten, können gut nebeneinander existieren und voneinander profitieren. Aber Max-Planck-Institute und Helmholtz-Forschungseinrichtungen suchen die Nähe von Universitäten. Dass wir keine solche Institute in der Emscher-Region haben liegt unter anderem daran, dass wir keine Universität haben.“

Eine 2015 veröffentlichte Studie des Regionalverbandes Ruhr bestätigen die wirtschaftlichen Effekte von Universitäten: Sorgen die vielen Hochschulen im Ruhrgebiet gerade einmal für eine regionale Nachfrage in Höhe von gut 550 Millionen Euro im Jahr, schaffen die vier Universitäten des Ruhrgebiets 1,6 Milliarden Euro. Sie ziehen deutlich mehr wissenschaftliche Fördermittel und Unterstützung durch die Wirtschaft an, die dann der Region wieder zu Gute kommen. Auch den Effekt für neue Jobs schätzt die RVR-Studie für groß ein: „Der wirksamste Technologietransfer läuft über Köpfe. Das hohe Studierenden- und vor allem Absolventen- und Absolventinnenpotenzial schafft hierfür exzellente Voraussetzungen.“

„Es gibt mehrere wichtige Faktoren für Gründer“, sagt Tobias Kollmann, Professor für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen, „Sie brauchen die passenden Räumlichkeiten, funktionierende Netzwerke und eine gute Infrastruktur. Und sie brauchen zudem schon bald qualifizierte Mitarbeiter. Die werden oftmals, wie die Gründer selbst, an Hochschulen ausgebildet.“ Fast 80 Prozent der Gründer im IT-Bereich hätten einen Hochschulabschluss und die benötigten Programmierer, gäbe es auf dem Land kaum.

Die Frage ob Fachhochschule oder Uni hält Kollmann nicht für entscheidend: „Wichtiger sind die Schwerpunkte. Es gibt Technische Hochschulen, die bei den Ingenieurswissenschaften oder in der Informatik stark sind und dann auch entsprechende Startups hervorbringen.“

Aber das sind für Kollmann nicht die einzig wichtigen Faktoren: „Wichtig ist auch, dass die Hochschulen die Studenten an das Thema Gründung aktiv heranführen. Und dabei geht es nicht nur um Förderprogramme, sondern auch um Lehrveranstaltungen, die ein integrativer Bestandteil des Studiums sind. Veranstaltungen in Entrepreneurship müssen für Betriebswirte und Informatiker verpflichtend sein.

Baranowskis Wunsch nach einer Emscher-Uni wird von seinen Nachbarstädten geteilt. Hertens Bürgermeister Fred Toplak (Parteilos) sagte auf Anfrage der Welt am Sonntag: „Ich begrüße den Vorstoß von Oberbürgermeister Baranowski ausdrücklich. Ich werte ihn als einen Anstoß für einen entsprechenden Diskussionsprozess, den man allerdings nicht auf eine Stadt beschränken, sondern auf die Region bezogen führen muss.“ Bernd Tischler (SPD), Bottrops Oberbürgermeister, ist im Gespräch mit Baranowski und wünscht sich eine Verzahnung einer künftigen Uni mit der in seiner Stadt ansässigen Hochschule Ruhr West und auch der Kreis Recklinghausen begrüßt die Initiative aus Gelsenkirchen.

NRW-Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (Parteilos), im Rahmen der Ruhrkonferenz des Landes auch für das Thema Hochschule verantwortlich, reagiert auf Anfrage zögerlicher. Die Ministerin betont zwar, Hochschulen, ob Universitäten oder Fachhochschulen, seien „immer ein positiver Standortfaktor.“ Inwieweit sich der für eine neue Hochschule jährlich anzusetzende Kostenrahmen im Verhältnis zu der bereits sehr dichten Hochschullandschaft Nordrhein-Westfalens rechtfertigen lässt, bedürfe allerdings einen sorgfältigen Analyse: „Der Landesregierung erscheint es nicht hilfreich, sich jetzt zu einzelnen Vorschlägen oder Wünschen zum Ausbau der Wissenschaftslandschaft zu verhalten. Es gilt, sie in ein kohärentes Gesamtkonzept zu überführen, das die Landesregierung für zielführender hält, als die Sammlung einzelner Vorschläge, die aus unterschiedlichen Interessenslagen und Vorstellungen stammen.“

Gelingt es Baranowski nicht, Ministerin Pfeiffer-Poensgen für seine Uni-Idee zu begeistern, werden Windhosen aus grauer Asche noch lange das Bild auf den Schalke-Parkplätzen bestimmen und Gelsenkirchen die ärmste Stadt Deutschlands bleiben.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

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ke
ke
4 Jahre zuvor

Es ist eine spannende Frage, ob wir noch eine weitere Uni in der Region brauchen. Ich gehe eher nicht davon aus.

Offen ist für mich das Thema Parkplätze. Wir pflastern zurzeit entlang der Autobahnen riesige Gelände zu. Gleichzeitig sind die Parkplätze an vielen Stellen (z.B. Stadien, Hallen, Einkaufszentren, Unis) häufig kaum genutzt. Warum werden diese Gelände nicht vorrangig genutzt?
Der aktuelle Flächenverbrauch passt nicht zur neuen grünen Welt. Hier sind sicherlich Effizienzsteigerungen möglich und mit der Digitalisierung sollte eine temporäre Verfügbarkeit (z.B. nicht während einer Veranstaltung) kein Problem darstellen.

Nina
Nina
4 Jahre zuvor

Ich finde die Idee gut, dann kann sich GE erholen. Die Stadt tut mir so Leid.
@ke: Du wolltest doch mehr Zeit, sagtest Du. Also mein Vorschlag: Reduzier Deine Arbeitszeit, mach Ausflüge und dann ein Studium generale in Gelsenkirchen. ❤️

Detlev Winkler
Detlev Winkler
4 Jahre zuvor

Quatsch! Statt Hirngespinsten hinterherzulaufen, die vieleicht in Jahrzehnten wirken, sollte man sich auf die bestehenden UNIs/TUs konzentrieren und die Standorte DU/E/BO/DO im nationalen und – schon ambitioniert – internationalem Wettbewerb nach vorne bringen. Fürs schlecht angebundene nördliche Ruhrgebiet sollte man in Hardware und technische Infrastruktur investieren: Straße, ÖPNV und insbesondere Schiene… Aber trotz propagierter Verkehrswende schläft da das Verkehrsministerium und die VRR-Institutionen weiterhin… Keine große Idee geschweige denn Umsetzung dazu, nirgends. Ein Trauerspiel, seit Jahrzehnten!

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