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Corona und Katastrophenschutz: Staatliche Ignoranz und Totalversagen

Corona in einer Bearbeitung von K. Gercek

Zum 55. Mal seit dem 15. März 2020 unterhalten sich die Ruhrbarone mit Magnus Memmeler.  Bis heute sind 54 Interviews entstanden, die auf den Katastrophenschutz blicken und die Corona-Krise nachzeichnen. Im 55. Interview geht es um die „Bundesnotbremse“, um den Notstand in den Krankenhäusern, um die niederländische Lockerheit, um exekutive Ignoranz und Totalversagen und einiges mehr. 

Ruhrbarone: Die „Bundesnotbremse“ des neugefassten Infektionsschutzgesetzes wurde von Bundestag und -rat beschlossen und trat umgehend in Kraft. Vornehmlich gegen die dort normierten Ausgangsbeschränkungen wird das Bundesverfassungsgericht von oppositioneller Seite bemüht. Währenddessen erklärt der Virus allen, was unter exponentiellem Wachstum zu verstehen ist. Demgemäß droht der Kollaps der Intensivmedizin des bundesdeutschen Gesundheitswesens. Wie sehen Sie das?

Memmeler: Mit „nur“ eineinhalb Monaten Verspätung wurden durch den Bund Maßnahmen auf den Weg gebracht, die leider deutlich hinter dem zurück bleiben, was zwischen Bund und Ländern eigentlich Anfang März vereinbart und niemals umgesetzt wurde. Eigentlich tragisch, dass wir uns trotzdem glücklich schätzen müssen, dass überhaupt etwas geschieht.

Gestern haben die Ruhrbarone mir vorgegriffen, als sie im Beitrag „Traurige Corona-Bilanz – ein ganzes Westfalenstadion voller Toter“ die bildhafte Darstellung sehr gut rüber gebracht haben, die ich heute nutzen wollte. Über 81.000 Todesopfer sind eine Katastrophe und bedeuten nicht nur 81.000 Einzelschicksale, sondern auch 81.000 Familienschicksale. Hinzu kommen etliche tausend Long-Covid erkrankte Menschen, die leider auch zu selten erwähnt werden, uns und das Gesundheitswesen aber langfristig fordern werden.

Traurige Corona-Bilanz: 81.158- Ein ganzes Westfalenstadion voller Toter

Dies und die in den letzten Wochen immer wieder vorgetragenen Warnungen und Hilferufe von Intensivmedizinern und Virologen müssen wir im Kopf haben, wenn wir die „Bundesnotbremse“ und die Hintergründe bewerten, die sie uns beschert haben. Eventuell ist das Bild vom Westfalenstadion, in dem sinnbildlich ein wirkliches Geisterspiel stattfindet für die Bevölkerung plastischer, als unsere bisherigen Vergleiche von täglich abstürzenden Verkehrsflugzeugen.

Die Inzidenzzahl von über 240 in meinem Heimatkreis, die identischen Zahlen aus Köln, Leverkusen und anderen Regionen, plus die Warnungen der Schwerpunktkliniken zeigen, dass wir deutlich zu spät bremsen. Ein Blick in die Niederlande zeigt, was uns drohen könnte, weil wir viel zu spät handeln.

Niederländische Mediziner befürchten den Notzustand in Krankenhäusern. Wenn die Infektionszahlen in den Niederlanden nicht schnell zurückgingen, dann drohe in der nächsten Woche „Code Schwarz“ in den Kliniken im Nachbarland. Dies sagte der Vorsitzende der Vereinigung der Intensivmediziner, Diederik Gommers, am Freitag, als er zur Lage im Gesundheitssystem der Niederlande interviewt wurde.

Wie auch schon in den Niederlanden, werden auch in der Bundesrepublik zahlreiche geplante Eingriffe, auch bei Risikopatienten, in der Bundesrepublik abgesagt. Dies betrifft insbesondere Schwerpunktkliniken mit dem Auftrag der Maximalversorgung. Um es deutlich zu sagen – erforderliche Operationen von Krebspatienten und anderen Risikogruppen müssen abgesagt werden, weil die Schwerpunktkliniken ausgelastet sind. Unsere Kliniken sind voll mit Patienten, die wir über Ostern dadurch provoziert haben, weil keine strengeren Schutzmaßnahmen veranlasst wurden.

Trotz der extrem kritischen Lage wollen die Niederlande aber ab der kommenden Woche erste Lockerungsschritte einleiten, worüber wir hierzulande den Kopf schütteln, da wir Patienten aus den Niederlanden und Belgien aufnehmen, um dort zu entlasten – was absurd wirkt, wenn beide Länder zeitgleich über Lockerungen nachdenken. Zur Ehrlichkeit gehört aber, dass wir zugeben müssen, dass wir nicht besser sind. Bayerns Wirtschaftsminister, Hubert Aiwanger von den Freien Wählern fordert:

„Wir müssen jetzt schnellstmöglich all die Dinge lockern, die der Bund uns erlaubt.“

Mit dieser Forderung spricht sich der Herr dafür aus, die deutlich über die Bundesregelungen hinaus gehenden Maßnahmen in Bayern zu lockern. Hat der Vogel sich schon einmal die Inzidenzwerte der Landkreise in Bayern angeschaut? Zeitgleich betonen Länder wie Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, dass sie bei Ihren Landesregelungen bleiben wollen, da diese deutlich über die Regelungen des Bundes hinausgehen. Und in NRW will das Ministerium von Herrn Laumann zum Beispiel im Kreis Lippe prüfen, ob der dortige Landrat Axel Lehmann vollkommen folgerichtig die Bundesregelungen im Kreis Lippe umsetzen darf. Kannst Du Dir nicht ausdenken, was gerade geschieht oder eben auch nicht geschieht.

An dieser Stelle möchte ich die Aussage von Jens Spahn wiederholen, die er am 22. April 2020, also ziemlich genau vor einem Jahr getätigt hat:

„Wir werden einander in ein paar Monaten wahrscheinlich viel verzeihen müssen.“

Offensichtlich war Herrn Spahn und vielen anderen zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass uns ohne ordentliche Stabsstrukturen und konsequente Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse Chaos und permanente Versäumnisse drohen werden.

23.392 Neuinfektionen am Samstag und eine bundesweite Inzidenz von 164,4 lassen eigentlich keinen Spielraum, um über Lockerungen zu diskutieren, dennoch werden wir in der kommenden Woche erleben, dass es zu zahlreichen Klagen gegen die Ausgangssperre kommen wird, da dieses Mittel aus der Sicht vieler nicht hinreichend im Gesetz begründet wurde. Nach allen bislang gemachten Erfahrungen wirkt dieses Vorgehen schlicht dilettantisch. Auch wenn ich Herrn Lindner permanent schütteln möchte, hat er bei der Bewertung der handwerklichen Leistung leider Recht.

Besonders deutlich wird die gesetzliche Willkür, die leider nichts von dem berücksichtigt, was die Wissenschaft vehement fordert, wenn wir uns das Zustandekommen des Grenzwertes für den Schulbetrieb betrachten. Die sich gegenüberstehenden Forderungen, den Präsenzunterricht bei einer Inzidenz von 200 oder bereits ab 100 zu untersagen, mündete im Grenzwert 165, weil die Bundesinzidenz diesen Wert aufwies, was den Entscheidern als Orientierung ausreichte. Zumindest wird das von einigen Beteiligten inzwischen so zu Protokoll gegeben und man schämt sich nicht einmal dafür, dass wir vom Zufall regiert werden.


Magnus Memmeler mit Maske Foto: Privat

Magnus Memmeler (53 Jahre) lebt in Kamen. Seit über 31 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutz-konzepten.

 

 


Weil auch Reiseeinschränkungen stets zu spät und unzureichend eingeleitet werden, dürfen wir inzwischen auch die indische Mutation B.1.617 in der Bundesrepublik begrüßen, was eventuell zu weiteren Problemen führen könnte, da diese Virusmutation noch nicht ausreichend untersucht ist, um die Wirkung der bisherigen Impfungen oder die Mortalität der Mutation beurteilen zu können.

Mein Fazit lautet deshalb, dass ein Westfalenstadion voller Leichen eine Katastrophe ist und die Bundesbremse, die katastrophal zusammengeschustert wurde, um ja alle Bedürfnisse zu befriedigen, sehr schnell nachgebessert werden muss, um nicht von Gerichten einkassiert zu werden. Deshalb rettet uns aktuell nur schnelles Impfen und die Vernunft des Einzelnen. Wobei diese Vernunft leider auch nicht bei jedem unterstellt werden darf, wie wir durch die sehr schnell gescheiterte Aktion einiger Schauspielerinnen und Schauspieler eindrucksvoll erleben durften.

Ruhrbarone: Bleiben Impfungen, die Vernunft des Einzelnen und regelhafte Stabsarbeit die einzige Hoffnung? Wie steht es mit der Impfkampagne und wie vernünftig sind wir eigentlich noch?

Memmeler: Beim Impfen geht es immer mehr voran – auch wenn wir auch hier föderale Strukturen wahrnehmen können, die zu Unterschieden in der Umsetzung führen. Plötzlich hat Hessen Probleme, den Impfstoff in die Arme zu bekommen und einige Länder geben die Vorgaben der Impfpriorisierung in Arztpraxen bereits mehr oder weniger auf. AstraZeneca darf, weil von vielen Mitmenschen kritisch bewertet, zum Beispiel in Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ohne Altersbeschränkung verimpft werden, wenn eine ausführliche Risikoaufklärung in den Arztpraxen erfolgt ist.

Der Impfstoff von Jansen wurde nun ebenfalls ohne Einschränkungen freigegeben, was für zusätzliches Tempo in den Arztpraxen sorgen wird, weil der Impfstoff nur einmalig verimpft werden muss. Die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt, Sandra Ciesek, unterstützt das Vorgehen in den drei benannten Bundesländern, da sie die bekannten Risiken, angesichts von immer jüngeren Patienten auf den Intensivstationen, für überbewertet hält, wenn hier in den Arztpraxen gut durch die Ärzte aufgeklärt werden kann, die um den Gesundheitszustand ihrer Patienten wissen.

Als Beleg für Ihre Aussage wies Ciesek auf einen „Risiko-Rechner“ der Universität Cambridge hin. Die Berechnung der Universität vergleicht für bestimmte Altersgruppen, wie groß das Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung ist und wie hoch das Risiko ist, nach einer Impfung mit AstraZeneca eine seltene Thromboseform erleiden zu müssen. Die Berechnung zeigt laut Ciesek klar:

„…dass der Impfstoff bei Weitem sicherer ist als das Risiko einer Covid-19-Infektion.“

Aus heutiger Sicht erscheint es sogar realistisch, dass die Aussage von Herrn Spahn zutreffen wird, dass die Impfpriorisierung ab Juni wahrscheinlich vollständig aufgehoben werden kann und muss. Da in den kommenden Wochen ausreichend Impfstofflieferungen angekündigt sind, wäre es sogar fahrlässig, wenn der Impfstart durch Arbeitsmediziner weiter hinausgezögert würde – insbesondere, da nicht zu erwarten steht, dass wir in dieser Republik einen wirklichen Shutdown erleben werden, durch den zahlreiche Neuinfektionen in den Betrieben vermieden werden könnten. Das hätte Ende Oktober und / oder Ende Februar erfolgen müssen.

Leider lässt aber inzwischen auch bei vielen Mitbürgern die Geduld nach, wenn es um das Thema Impfen geht. Wie im Ennepe-Ruhr-Kreis in dieser Woche geschehen, fordern immer wieder Menschen vehement und spontan Impfungen in Impfzentren ein, da zahlreiche Impfzentren bis zu 40% nicht wahrgenommene Impftermine beklagen müssen und durch ungeschickte Berichterstattung sodann der Eindruck entsteht, man müsse sich nur zum Impfzentrum begeben und würde dort bereitwillig begrüßt. Dem ist noch nicht so, da die ungenutzten Termine an Menschen vergeben werden, die aufgrund von Vorerkrankungen auf Wartelisten geführt werden.

Aber wer möchte die Ungeduld der Menschen verurteilen, wenn man seit vielen Monaten hört, dass nur noch wenige Wochen oder Monate des Durchhaltens gefordert sind und gefühlt unendlich viel Impfstoff zur Verfügung steht. Wenn dann auch noch Fußballspiele mit Publikum in München angekündigt werden, weil die UEFA dies für die EM wünscht, dann fühlen sich die Menschen leider in der Wahrnehmung bestärkt, dass eigentlich doch schon alles geregelt ist. Am 22.10.2018 veröffentlichte das BBK im Kontext einer LÜKEX Übung einen Hinweis zum Krisenmanagement und der erforderlichen Krisenkommunikation unter dem Titel „Risiko- und Krisenkommunikation“. Leider wurde auch das Werk in dieser Pandemie bislang erfolgreich ignoriert.

Mangelhafte Risiko- und Krisenkommunikation begleiten uns durch diese Pandemie wie ein roter Faden. Insbesondere die recht einfach zu verstehenden Hinweise für Pressearbeit, Begleitung von Sozialmediaaktivitäten und die Kommunikation von möglichen Risiken in der Krise, hätten uns in den vergangenen 14 Monaten einiges ersparen können. Insbesondere den immer wieder verhaltensauffälligen Reportern bei Focus und Bild möchte ich an dieser Stelle empfehlen, dieses Werk zu konsumieren und ihre Beiträge der letzten 14 Monate kritisch zu hinterfragen. Gleiches gilt aber auch für 16 Staatskanzleien und diverse Bundes- und Länderministerien.

Für alle Bürgerinnen und Bürger aber selbstverständlich auch für die Politik ist sogar der „Leitfaden Krisenkommunikation“ des BMI abrufbar, der bereits seit August 2014 in der überarbeiteten Fassung bereitgestellt wurde. Man hätte es also besser wissen können und durch konsequente Umsetzung auch viele Pannen vermieden, die uns durch diese Katastrophe begleitet haben.

Es bleibt also nur noch festzustellen, dass viel Wahnsinn, über den wir uns hier austauschen mussten, hätte vermieden werden können, wenn man vorhandenes Wissen genutzt hätte.

Der ehemalige Chef des BBK Unger ist auch deshalb nicht mehr im Amt, weil ihm vorgeworfen wurde, dass er mit Handschellen einfach zu schlecht jonglieren konnte. Die vorhandenen Konzepte des BBK, die durchaus vorhandenen Kompetenzen und auch die bestehende Vernetzung mit den Hilfsorganisationen wurden durch den Bundes – Horst nie abgerufen. Vielmehr hat er viel zu spät begriffen, dass ein zufällig Gesundheitsminister gewordener Bänker aus dem Münsterland uns durch diese Pandemie leiten sollte und sein ganzes Ressort dabei einfach nur blass ausgesehen hat.

Seit dieser Erkenntnis herrscht im Bund blanker Aktionismus, wenn es gilt den Bevölkerungsschutz neu zu denken. Der Startschuss war hier eindeutig die Berufung des BBK -Präsidenten Armin Schuster, mit dem nun alles wieder gut werden soll.

Ruhrbarone: Sind Ihnen die zahlreichen Meldungen zum Impfgeschehen heute weniger wichtig sind als sonst?

Memmeler: Wenn ich ehrlich bin, bin auch ich in dieser Woche müde. Ich bin zu müde geworden, um hier Wissenschaftler zu zitieren, die zuvor Politiker beraten haben, um dann von denselben Personen ignoriert zu werden. Alles, was uns helfen könnte, den hoffentlich nun eintretenden Endspurt besser gestalten zu können, als es zu befürchten steht, ist uns allen doch seit vielen Monaten bekannt.

Warum wird dieses Wissen dann von so vielen Menschen nicht in die Tat umgesetzt? Diese Frage richtet sich an jeden einzelnen, der sich beim Einkauf verhält wie eine offene Hose oder diskutieren will, warum eine Delegiertenversammlung momentan besser in Präsenz, als in einem Videoformat von statten gehen sollte.

Für mich macht es deshalb heute mehr Sinn, wenn wir beiden versuchen, den Bevölkerungsschutz dadurch zukunftsfähig zu gestalten, indem wir versuchen, den blinden Aktionismus zu stoppen, der gerade in der Politik einsetzt und darauf verweisen, dass es wirkliche Experten gibt, die es anzuhören lohnt.

Die 131. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Heimat von Montag, dem 12. April 2021 hat bei den geladenen Experten des Bevölkerungsschutzes sehr viel Demut gefordert, um nicht allzu deutlich mit der Politik ins Gericht zu gehen.

Bevölkerungsschutzexperten: Staatliches Totalversagen und vorsätzliches Ignorieren

Albrecht Broemme, Präsident a. D. – Bundesanstalt Technisches Hilfswerk,Vorsitzender – Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit e. V., Berlin, Gerd Friedsam,  Präsident – Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, Bonn Dr. Alexander Götz, Vorsitzender – Arbeitskreis V „Feuerwehrangelegenheiten, Rettungswesen, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung“ Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, Prof. Dr. Christoph Gusy, Universität Bielefeld, Christian Reuter, Generalsekretär und Vorsitzender des Vorstands Deutsches Rotes Kreuz e. V. – Generalsekretariat, Berlin, Arne Schönbohm,
Präsident – Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Bonn, Armin Schuster,
Präsident – Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bonn, Prof. Dr. Martin Voss, Institut für Sozial- und Kulturanthropologie, Berlin, Oberstleutnant André Wüstner, Bundesvorsitzender – Deutscher Bundeswehrverband e.V., Berlin, sind in diesem Ausschuss angetreten, um aus ihrer Sicht eine „Bilanzierung des Bevölkerungsschutzes angesichts der Corona-Pandemie“ vorzunehmen, was zu recht eindeutigen Aussagen in deren Stellungnahmen geführt hat, wenn man bereit ist, die zahlreichen Andeutungen zwischen den Zeilen zu verstehen und die gemäßigt vorgetragene Kritik als das versteht, was da öffentlich vorgetragen wurde.

Führende Bevölkerungsschutzexperten haben dem Staat und den Bundesländern nicht weniger als das Totalversagen und das schuldhafte Ignorieren vorhandener Schutzkonzepte vorgeworfen. Wenn der Vertreter der Bundesbehörde THW das folgende zu Protokoll gibt, ist das eine Backpfeife:

„Die Koordination des länder- und ressortübergreifenden Krisenmanagements kann nur unter Beteiligung aller relevanten Akteurinnen und Akteure erfolgreich sein. Zusätzlich bedarf es einer guten politischen Vernetzung. Die hierfür erforderlichen Institutionen sind in den deutschen Krisenmanagementstrukturen vorgesehen, werden aber in der derzeitigen Krisenlage aufgrund der Covid19-Pandemie, ähnlich wie bei vorhergegangenen Krisenlagen, nicht systematisch genutzt. Dabei handelt es sich um den ressortübergreifenden Krisenstab sowie die interministerielle Koordinierungsgruppe des Bundes und der Länder.“

„Die Zusammenarbeit und die Abstimmung des Bundes und der Länder können verbessert werden, wenn die Vorteile einer Ressort und Ebenen übergreifenden Stabsarbeit in Form einer „Besonderen Ablauforganisation (BAO)“ durch die Einrichtung ressortübergreifender Krisenstäbe z.B. unter Federführung der Innenressorts konsequent genutzt werden. Krisenstäbe müssen bei allen Bevölkerungsschutzlagen bei Bund und Ländern automatisch eingerichtet und Lageberichte und ggf. Entscheidungsvorlagen an das Bundeskanzlerinnen-Amt bzw. die Staatskanzleien weitergegeben werden.“

Zum besseren Verständnis und der notwendigen Einordnung der Schärfe in diesen Aussagen möchte ich betonen, dass es sich beim THW um eine Organisation handelt, die direkt dem Innenministerium untersteht und durch den Bund finanziert wird. Auch im weiteren Verlauf der Stellungnahme des THW nimmt die Kritik nicht ab, da auch das THW feststellt, dass vorhandenes Wissen vorhanden war, leider nie genutzt wurde und die erforderlichen Stabsstrukturen nie aufgebaut wurden, da eine Pandemie keine Katastrophe sein durfte, die diese geübten Automatismen ausgelöst hätte.

Den durch das THW und die übrigen Experten ins Feld gebrachten Steilpass hat Armin Schuster, als neuer Präsident des BBK sehr gerne aufgenommen, um erneut zu betonen, dass sein Amt sehr gerne die erforderliche koordinieren Funktion ausüben möchte, die allerseits gefordert wird, wenn denn auch ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stünden. Die abzuwartende Reaktion aus den Bundesländern wird zeigen, ob die nun gegenüber den Hilfsorganisationen angebotene Nestwärme ausreichend sein wird, um erfolgreicher agieren zu können, als es seinem Vorgänger Unger vergönnt war.

Unter anderem der Bericht des Bundesrechnungshofes „zur Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit bei Elektrizität“ zeigt, dass neben dem gesundheitlichen Bevölkerungsschutz noch zahlreiche Herausforderungen auf uns zukommen können und werden, bei denen ein zukunftsfähiger Bevölkerungsschutz gefordert ist. Deshalb hoffe ich, dass wir uns nicht in kosmetischen Schnellschüssen verlieren, sondern die vorhandenen Konzepte endgültig als verbindlich für die zukünftige Krisenbewältigung erklären, bevor wir hektische Novellierungen anstoßen, die ausschließlich dazu dienen sollen, eine neue Behördenstruktur im Katastrophenschutz zu rechtfertigen.

Wie auch viele andere Bevölkerungsschützer wünsche ich mir die Wiederbelebung des Bevölkerungsschutzstammtisches, der einst regelmäßig durch die SPD angeboten wurde, um ein Forum zu schaffen, in dem ungeschminkt Klartext vorgetragen werden kann, damit der Politik das Thema Bevölkerungsschutz nahegebracht werden kann und um auf vorhandene Probleme hinweisen zu können. Nur so kann die erneute und erneute Wiederholung von peinlichen Fehlern vermieden werden, die sogar das THW recht eindeutig zu Protokoll gegeben hat.

Drücken wir die Daumen, dass zukünftige Katastrophen unmittelbar als das eingestuft werden, was sie sind. Eine Katastrophe ist nun einmal eine Katastrophe und kein Spielplatz für politische Eitelkeiten. Bitte bleiben Sie gesund und lassen Sie uns darauf hoffen, dass die Bevölkerung noch etwas länger geduldig und vor allem vernünftig bleibt.

Ruhrbarone: Besten Dank und bleiben Sie gesund.

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Robert Müser
Robert Müser
3 Jahre zuvor

Vielen Dank für diese nüchterne Betrachtung der letzten Wochen im Corona-Irrenhaus Deutschland.

Mein persönliches High-Light des politischen Unvermögens waren die Aussagen des stellvertretenden MP von NRW auf dem FDP-Parteitag:

„Wir lehnen eine Placebo-Politik ab, die mit pauschalen Ausgangssperren Menschen ihre Grundrechte beschneidet und dabei keine Erfolge bei der Pandemie-Bekämpfung erreichen wird. Wir setzen als freie Demokraten nicht darauf, Menschen einzusperren.“

Jeglicher Kommentar überflüssig.

Passendes Rätsel dazu:
Redet hier ein Regierungsverantwortlicher oder Oppositionsvertreter?
Oder sind hier sogar Zeuge einer Querschwurbler-Demo?
Für die richtige Lösung erhalten Sie drei OP-Masken in NRW-Landesfarben.

Bleiben Sie gesund!

Angelika, die usw.
Angelika, die usw.
3 Jahre zuvor

"…Drücken wir die Daumen, dass zukünftige Katastrophen unmittelbar als das eingestuft werden, was sie sind. Eine Katastrophe ist nun einmal eine Katastrophe und kein Spielplatz für politische Eitelkeiten…" Genau!

"…Bitte bleiben Sie gesund…"
Danke, gleichfalls!

Enno
Enno
3 Jahre zuvor

So lange wir Sauerstoffanlagen ins Ausland schicken können, wird die Lage in Deutschland nicht so schlimm sein, alles andere wäre ja Wahnsinn:

https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/corona-epizentrum-indien-deutschland-sagt-hilfe-zu,SVcMwzA

Deutschland will Sauerstoffanlagen liefern

Eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums sagte, aktuell würden die Möglichkeiten zur Abgabe einer mobilen Sauerstoff-Herstellungsanlage sowie Möglichkeiten zur Transportunterstützung für weitere Hilfsgüter geprüft. Die Regierung in Neu-Delhi hatte bereits am Freitag mitgeteilt, dass eine Lieferung von 23 Anlagen zur Aufbereitung von Sauerstoff aus Deutschland geplant sei.

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