
In einer Zeit, in der Antisemitismus in Deutschland offener, aggressiver und gesellschaftsfähiger geworden ist, genießt ausgerechnet der Zentralrat der Juden das höchste Vertrauen aller religiösen Institutionen. Das ist kein Zufall.
Seit 1945 war die Lage für Juden in Deutschland nie so gefährlich wie seit dem Massaker der Hamas und ihrer Verbündeten in Israel am 7. Oktober 2023. Statt Solidarität begann eine Welle des Antisemitismus, die bis heute anhält. Postkoloniale und antiimperialistische Linksradikale, Islamisten und Rechtsradikale hetzen gegen Israel, greifen Juden an und lassen ihren Vernichtungsfantasien freien Lauf. Unterstützt werden sie dabei von Teilen der Wissenschaft, Künstlern und Intellektuellen. In dieser Lage verwundert auf den ersten Blick die Ergebnisse einer Umfrage des Instituts Forsa für den Stern, RTL und ntv.
Von allen religiösen Institutionen bringen die Deutschen dem Zentralrat der Juden in Deutschland das meiste Vertrauen entgegen: 35 Prozent vertrauen dem Zentralrat. Er liegt damit vor der evangelischen und katholischen Kirche (28 und 14 Prozent) und dem Islam und seinen Verbänden (sieben Prozent).
Dieses Vertrauen hat sich der Zentralrat in Jahrzehnten erarbeitet. Seine in der Öffentlichkeit präsenten Vertreter wie Ignatz Bubis, Paul Spiegel, Charlotte Knobloch, Dieter Graumann und der heute Vorsitzende Josef Schuster stehen für eine intellektuelle Aufrichtigkeit und einen Mut, der selten geworden ist. Als 2015 Schuster während des Höhepunktes der Flüchtlingswelle sagte: „Viele der Flüchtlinge fliehen vor dem Terror des Islamischen Staates und wollen in Frieden und Freiheit leben, gleichzeitig aber entstammen sie Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind. Denken Sie nicht nur an die Juden, denken Sie an die Gleichberechtigung von Frau und Mann oder den Umgang mit Homosexuellen“, formulierte er ein Unbehagen, das schon damals viele erfasst hatte, die sich aber in einer Atmosphäre, in der sich das Land am Gefühl, Moralweltmeister zu sein, berauschte, kaum zu sagen wagten. Andererseits würde Schuster nie plump und schlicht eine Stadtbild-Debatte auslösen, wie Bundeskanzler Friedrich Merz es vor wenigen Wochen getan hat. Zwischen klug und viel reden besteht nun einmal ein großer Unterschied.
Der Zentralrat setzt sich für seine Mitglieder ein, wie es die christlichen Kirchen für ihre nicht tun. Er stellt sich gegen jede Form des Antisemitismus und das nicht nur in Deutschland. Die Verfolgung von Christen ist für die großen Kirchen hingegen kein herausragendes Thema. Ihnen ist die Zusammenarbeit mit Muslimen und der interreligiöse Dialog wichtiger als die Solidarität mit ihren Glaubensbrüdern. Schuster und der Zentralrat hingegen verbinden den Schutz der eigenen Mitglieder mit der Solidarität mit bedrohten Christen und Muslimen. Das ist gelebter Glaube: „Was dir verhasst ist, das tue deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora, alles andere ist Auslegung. Geh, lerne!“, sagte der antike Rabbiner Hillel, und der Zentralrat und Schuster leben und arbeiten in der Tradition dieses Satzes.
Auch gegen die aktuell am weitesten verbreitete Form des Antisemitismus, den Hass auf Israel, stellen sich Schuster und der Zentralrat. Die Existenz Israels ist ihm wie den jüdischen Gemeinden eines der wichtigsten Anliegen, und egal wie laut der Mob auf den Straßen Deutschlands die Vernichtung des Judenstaates fordert – der Zentralrat steht zu Israel und weicht nicht zurück. Dabei wird die israelische Politik immer wieder kritisiert, aber auch hier beeindruckt der Kurs: Die israelische Politik wird kritisiert wie dänische oder amerikanische. Es ist Kritik unter Freunden.
Der Zentralrat und sein Vorsitzender Josef Schuster stehen nicht für einfache Parolen, sind nicht TikTok-kompatibel, sondern äußern sich ehrlich, offen, konsequent und differenziert. Und das schafft Vertrauen.
Transparenzhinweis:
Der Autor ist freier Mitarbeiter der vom Zentralrat herausgegebenen Jüdischen Allgemeinen
