Derniere: Keine Dakotas in Berlin


Unser Gastautor Waldemar Manfred Barnekow über den Umgang mit der Erinnerung an die „Rosinenbomber“ und ihre Piloten, die im kalten Krieg die Berliner retteten und Deutschland zeigten, für was die USA und der Westen stehen. 

Meine Tochter hatte richtig gesehen, meine Augen waren mit Tränen gefüllt, an diesem 13. Juni um kurz nach vier, auf dem oberen Deck des Parkhauses neben dem Terminal 2, die eine Hand filmte, mit der anderen winkte ich wie ein Kind. Es waren neun DC 3, in der militärischen Version C-47 Dakota genannt, die im Tiefflug über die Landebahn flogen, ohne offizielle Ankündigung, von Norderstedt kommend, bei uns langsam hochzogen, zur Innenstadt hin, nach der Elbe und Finkenwerder, ganz langsam dann wieder entschwanden. Lange noch sah ich ihnen schweigend hinterher. Das sind doch nur Flugzeuge, meinte sie und umarmte mich. Nein, entgegnete ich erklärend, das sind DC-3. Ich werde in meinem ganzen Leben nie wieder neun DC 3 zusammen fliegen sehen. Aus der ganzen Welt von den letzten, die noch fliegen können, sind in diesen Tagen um die dreißig in Deutschland zusammen gezogen worden, das wird es nicht noch einmal geben.
Sicher ist das ein einleuchtender Grund, das Töchterchen gab sich zufrieden. Dass mein Empfinden viel tiefer war, mochte ich nicht auch noch erzählen, es tut zu weh, das auszuführen. Es war symbolisch, es war wie eine Derniere, ein Bild für das Verlöschen meiner Welt, an deren Anfang die Dakotas standen, aus denen die Fallschirmtruppen in die Normandie sprangen, über Eindhoven, den Gravebrücken, Nijmegen und Arnheim ausstiegen, den Nachschub transportierten. Meine Welt war die Freie Welt, die Welt von Rechtsstaat, Eigenverantwortung, Marktwirtschaft, parlamentarischer Demokratie, der Freiheit. Der Freiheit zu tun, was man selber für sich für richtig hält, eine Meinung zu besitzen und sie auch dann auszusprechen, wenn andere sie nicht teilen, sich dorthin zu bewegen, wonach einem der Sinn steht, mit den Mitteln, die man möchte, der Freiheit, die nur da Grenzen findet, wo sie die des anderen beschädigt; der Freiheit des Leben und Leben lassen.

Das Verlöschen meiner Welt, in der verschiedene Auffassungen miteinander wettstreiten und die Mehrheit entscheidet, ohne die Minderheit einzuschränken, sie zu verfolgen, zu verteufeln, einer Welt ohne das absolute Richtig oder Falsch, dessen Konsequenz immer Unterdrückung des “Falschen” wäre. Es war die bundesrepublikanische Welt und sie wurde von den Soldaten der Alliierten mit Waffengewalt zu den Deutschen gebracht, sie zahlten einen hohen Blutzoll dafür. Ja, es war nur ein Nebeneffekt ihres Kampfes, nicht die Befreiung des Nazivolkes von sich selbst hatten sie angestrebt, sondern die Befreiung Europas von den Deutschen. Aber als ihnen das gelungen war, mussten sie mit diesen Deutschen etwas anfangen.
Es wäre gerecht gewesen, moralisch sogar geboten, den Morgenthauplan umzusetzen, die Deutschen auf Äckern darben zu lassen, sie zu deindustrialisieren und jede neue deutsche Staatlichkeit zu verhindern. Aber die Westdeutschen bekamen von ihren Besatzern eine neue Chance. Und nein, sie bekamen sie nicht deshalb, weil sie als Verbündete im Kalten Krieg gebraucht wurden, wie es seit den 68ern auf der linken Seite so lange wiedergekäut wurde, bis die Mehrheit hier es zu glauben begann, um die Großherzigkeit billig zu machen. Die Erkenntnis führte, dass nicht Gerechtigkeit, die zu Unrecht als Revanche empfunden worden wäre, ein neues Friedenseuropa schaffen würde, sondern ein Deutschland, dessen Bewohner die Vorteile der Freiheit erkennen und den Schutt der Vergangenheit beiseite räumen. Das Glück, dass es Adenauer war und nicht Schumacher, der Kanzler wurde und der Deutschland fest im Westen wollte, weil er seinem Volk nicht traute, allein zur Vernunft zu kommen, ließ die Vision Wahrheit werden.

Zuvor aber festigte ein Ereignis den Willen der Westmächte, den Deutschen die Hand zu reichen. Die Sowjets wollten den Westen Berlins unter ihre Knute bringen, die Besatzungszonen der Westmächte empfanden sie als einen Pfahl in ihrem Fleische bei der Errichtung des Imperiums der Finsternis, der Gulags und des sozialistischen Elends. Sie versuchten West-Berlin auszuhungern, in dem sie die Transitwege zu den Westzonen blockierten. Sie hofften, die Einwohner würden sich für sie entscheiden, wenn die Alternative ungeheizte Wohnungen ohne Strom und leere Mägen wäre. Doch die Berliner standen auf, von ihrem größten Bürgermeister angeführt, sie boten den Besatzern das Bild jener, denen die Freiheit lieber war, als die Sicherheit in Diktatur. Und der Westen sah, es würde sich lohnen, diese Berliner zu behalten. Fast ein Jahr, mit gewaltigem Aufwand, Kosten und auch Verlusten versorgten Amerikaner und Briten mit ihren Dakotas, Skymasters, umgebauten Lancastern und vielen anderen Flugzeugtypen Berlin. Rosinenbomber nannten sie die Berliner, die Russen gaben auf, Alliierte und Deutsche begannen eine neue, für unmöglich gehaltene Partnerschaft, die am Anfang des größten Erfolgsmodells der deutschen Geschichte stand, der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Grundgesetz und ihrer stabilen Politik.

Siebzig Jahre danach beginnt ein anderes Deutschland immer mehr diese meine Bundesrepublik zu zerfressen. Siebzig Jahre danach taten sich jene zusammen, die noch an die alten Werte glaubten, um ein rauschendes Fest im Gedenken an die Luftbrücke dort zu veranstalten, wohin ihre Flieger alles Lebensnotwendige brachten, in Berlin, in Tempelhof, wo heute eine Freifläche für die Berliner ist, mit noch immer gut erhaltenen Landebahnen. Sie ließen aus aller Welt die Dakotas kommen, sie mögen organisatorische Fehler gemacht haben, sie liefen gegen die bürokratische Wand eines Berliner Senates, dem jene Partei angehört, die damals auf der anderen Seite der Luftbrücke stand, die SED, die für Stalin jene blutige Diktatur organisieren und verwalten sollte, zu der die Berliner des Jahres 1948 auf keinen Fall gehören wollten. Dieser Senat schob ein Hindernis nach dem anderen nach, immer geschickt die Hände in Unschuld waschend, die fröhliche Erinnerung an den Kampf für die Freiheit, die nicht mehr die Freiheit der Mehrheit dieser moralisch verkommenen Stadt ist, zu verhindern. Auch in Tegel durfte nicht gelandet werden, am Ende nicht einmal überflogen. Das Deutschland des freien Westens, das auch die Dakotas schufen, ist nicht mehr das von heute.

Gail Halvorsen ist einer der Piloten, die damals flogen. Gail Halvorsen wurde zum berühmtesten Piloten der Luftbrücke mit seiner Idee, Süßigkeiten an selbstgebastelten kleinen Fallschirmen im Landeanflug abzuwerfen. Gail Halverorsen ist heute 98, er lebt nicht nur noch, er kam mit den Dakotas nach Deutschland, um noch einmal Candies über Berlin hinabsegeln zu lassen. Im Deutschland des Jahres 2019 war das nicht erwünscht.
Es könnte argumentiert werden, Berlin mit seiner SED Regierungsbeteiligung, der Vorreiterschaft beim Rückfall in den übelsten Sozialismus, wäre ein besonders negativer Ort im Lande, nicht repräsentativ. Aber das stimmt nicht. Eine totalitäre Partei, deren Mitglieder missionarisch davon erfüllt sind, ihren Lebensstil anderen aufzuzwingen, ist in ganz Deutschland die Partei der Stunde. Die Mehrheit der Journalisten macht ungeniert in Nachrichten, Magazinen und Talkshows die Propaganda für sie. Die USA sind für die überwältigende Mehrheit der Menschen im Land negativ belastet, ihr Präsident ein Hassobjekt, Großbritannien verachtet und verspottet, weil es sich dieser verbürokratisierten, undemokratischen EU entziehen will. Jene, die Deutschland gegen jede Moral die Hand reichten und ihm den Wiederaufbau ermöglichten, sind den heutigen Deutschen ein Gegner. Mit neuer urdeutscher Hysterie rasen sie ein weiteres Mal. Die irre Furcht vor der Klimaapokalypse hat sie gepackt, wieder rennen sie einer Idee ohne Rücksicht auf Verluste hinterher und wieder ist der Feind der westliche Lebensstil. Im Osten, da wo die SED herrschte, ist diese noch immer stark, aber rechts hat sich zusätzlich eine völkische Bewegung aufgebaut, die jenen Lebensstil nicht weniger hasst und Deutschland dem Kriegsverbrecher im Kreml andienen will. Dazwischen verfallen die einstigen Parteien der Bundesrepublik, feige Schatten ihrer selbst, Mitläufer des Klimawahns, längst infiltriert vom Kreml. Wo sie noch Politik machen, stärken sie den real existierenden islamischen Staat, sie katzbuckeln vor den Mullahs, unterlaufen offen und stolz die amerikanische Politik, die den Iran daran hindern will, den Staat der Juden nuklear zu vernichten. Sie warnen vor Eskalation, NACHDEM der Iran Schiffe angegriffen hat, einen Tanker versenkt, um die Häfen der arabischen Öllstaaten zu blockieren. Sie plappern das simple Märchen nach, man wisse ja gar nicht, wer den kriegerischen Anschlag ausgeführt hätte.

Die Dakotas entschwanden am Himmel. Mit ihnen mein Land. Eines der Fotos, die mein Sohn neben mir stehend aufnahm, es sieht die DC-3 in Richtung einer Wolke schon von hinten, das ist nun das Desktopbild meines Bürorechners. Zuvor prangte dort die ISS im Weltraum über der Erde schwebend, als Zeichen des Aufbruchs der Menschheit. In Germanistan ist der Aufbruch zu Ende, der Rückbau der Zivilisation steht auf der Tagesordnung der Generation Dumpfbacke.
Derniere.

 

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