
Weil die Netze zu schwach sind, droht Deutschland bei KI abgehängt zu werden: Neue Rechenzentren finden keinen Anschluss – und bei Batteriespeichern sieht es nicht besser aus.
Die Sätze im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD klingen entschlossen: „Wir stellen Deutschland als Spitzenstandort für digitale Zukunftstechnologien auf.“ Künstliche Intelligenz wird klar als das benannt, was sie ohne Zweifel ist: eine Schlüsseltechnologie. „Wir setzen auf KI-Sprunginnovationen“, heißt es wenige Zeilen weiter, und dann wird es sogar konkret: Wir stärken den Rechenzentrumsstandort Deutschland als Leuchtturm Europas, indem wir Cluster sowie regionale und dezentrale Ansiedlungen unterstützen. Wir holen mindestens eine der europäischen „AI-Gigafactories“ nach Deutschland. Durch eine Digitalisierungsoffensive bei Stromnetzbetreibern und mehr Transparenz über Netzanschlusskapazitäten soll die Planung und Integration von Rechenzentren in das Stromnetz erleichtert werden. 2027, legt sich die Bundesregierung in ihrer Ende Juli vorgestellten „High-Tech-Agenda“ fest, soll die AI-Gigafactory ihren Betrieb aufnehmen.
Die Pläne sind ambitioniert. Die schwarz-rote Bundesregierung hat sich aufgemacht, die Faxrepublik Deutschland hinter sich zu lassen. Will Deutschland auch künftig eine der wichtigen Wirtschaftsmächte der Welt bleiben, muss es bei der Digitalisierung aufholen und darf bei der Künstlichen Intelligenz nicht von den KI-Weltmächten China und den USA abgehängt werden. Doch die hehren Pläne könnten an der schnöden Wirklichkeit scheitern. Rechenzentren sind Energie-Großverbraucher. Schon ein mittleres Rechenzentrum mit einer Anschlussleistung von fünf bis 20 Megawatt (MW), wie sie etwa Hochschulen oder größere Unternehmen für automatisierte Prozesse oder E-Commerce benötigen, verbraucht so viel Strom wie 11.000 bis 50.000 Haushalte – das entspricht dem Bedarf einer mittelgroßen Stadt.
Ob die Clouds, in denen Unternehmen ihre Daten speichern und auf Programme zugreifen, oder KI-Systeme wie ChatGPT, sie alle benötigen Rechenzentren. Und da alle – vom Privatbürger über die Verwaltungen bis zu den Unternehmen – ihren Alltag zunehmend digitalisieren, wächst der Bedarf an ihnen: Gab es in Deutschland nach Angaben des Branchenverbands Bitkom 2010 nur gut 1.100 Rechenzentren, ist ihre Zahl bis 2024 auf über 2.000 gestiegen. Fast die Hälfte wird für Cloud-Installationen benötigt. In den kommenden Jahren könnte die Zahl auf über 3.000 steigen.
Sind die Stromnetze in Deutschland in der Lage, die benötigte Leistung für die Rechenzentren der Zukunft bereitzustellen? Ippen-Media hat sowohl bei den vier großen Übertragungsnetzbetreibern, die für die Hochspannungsnetze in Deutschland verantwortlich sind, als auch bei den wichtigsten Verteilnetzbetreibern, die dafür sorgen, dass der Strom in den Regionen fließt, nachgefragt. Die Antworten wecken mehr als nur Zweifel, ob sich die KI- und Rechenzentrumspläne der Bundesregierung in absehbarer Zeit umsetzen lassen.
Die deutschen Netze sind nicht am Limit, sie sind überlastet. Die großen Übertragungsnetzbetreiber erreichten nach Angabe des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz, der die großen Netze in Ostdeutschland, Berlin und rund um Hamburg betreibt, „pro Jahr eine Handvoll Netzanschlussanträge von Kraftwerken oder Industriebetrieben“. Nun liegen allein 50Hertz Anträge für Rechenzentren in einer Größe von 150–1.000 MW vor. 1.000 MW reichen aus, um über zwei Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen. Dem Unternehmen E.DIS, das die Verteilnetze in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern betreibt, liegen 170 Anfragen für Rechenzentren mit einer Leistung von 20–320 MW vor. Das gesamte Netz von E.DIS kann allerdings nur 2.400 MW liefern. Die Folge: Schon heute können im Umfeld der Hauptstadt nicht mehr alle Rechenzentrumspläne umgesetzt werden. Google hat bereits aufgegeben.
Doch nicht nur die Rechenzentren belasten die Netze. Da Deutschland bis 2045 eine klimaneutrale Energieversorgung aufbauen möchte, müssen Batteriespeicher gebaut werden, welche die Stromversorgung sichern, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Allein 50Hertz liegen 700 Anträge für Batteriespeicher vor.
Westnetz, dem größten Verteilnetzbetreiber Deutschlands, liegen für NRW, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen Anfragen von Rechenzentren in Höhe von rund 10 GW vor. „Reicht die vorhandene Netzkapazität nicht aus,“ schreibt Westnetz auf Anfrage von Ippen-Media, „muss das Netz ertüchtigt oder ausgebaut werden. Hier können langwierige Genehmigungsverfahren erforderlich werden: Allein der Prozess von der Beantragung bis zur Inbetriebnahme einer Hochspannungsfreileitung kann acht bis zwölf Jahre dauern.“
In Frankfurt betreibt das Unternehmen DE-CIX Frankfurt einen der größten Internetknoten weltweit. Das Rhein-Main-Gebiet wurde auch durch ihn zu einem begehrten Standort für Rechenzentren. Ein Drittel der deutschen Leistung aller Rechenzentren ist hier konzentriert. Doch auch in und um Frankfurt können nicht mehr alle Anfragen bedient werden. „Die derzeitige Nachfrage übersteigt dabei deutlich das verfügbare Leistungsangebot im Frankfurter Netzgebiet“, teilt Mainova auf Anfrage mit.
Und auch zwischen Köln und Aachen, wo Künstliche Intelligenz nach Willen der schwarz-grünen nordrhein-westfälischen Landesregierung die Braunkohle als wichtigste Branche ablösen soll, ist es eng: 14 Rechenzentren haben einen Anschluss an das Netz von RheinNetz beantragt. Aber das ist nicht alles: „Neben den genannten Rechenzentren haben wir tatsächlich auch Anfragen von Batteriespeichern und Industrieprojekten in dieser Größenordnung.“ Sollte an einem Standort die angefragte Leistung nicht zur Verfügung stehen, plant das Unternehmen den Ausbau des Netzes. „Dieser wirkt sich allerdings negativ auf die Realisierungszeiten aus.“
Und Rechenzentren haben auch keine Vorfahrt: Alle Netzbetreiber sind nach dem Gesetz verpflichtet, die Anträge auf einen Netzanschluss in der Reihenfolge ihres Eingangs zu bearbeiten. Sie dürfen weder Rechenzentren noch Batteriespeicher bevorzugen. „Auch wenn Bundeskanzler Merz anruft und uns auffordert, seine AI-Gigafactory ans Netz anzuschließen, könnten wir das nicht tun, wenn andere schon auf der Liste stehen“, sagt der Sprecher eines Übertragungsnetzbetreibers zu Ippen-Media. Die Stadtwerke München sind dafür, die Regeln zu ändern: Unter zeitlichen und technologischen Gesichtspunkten gäbe es klare Argumente für gezielte zentralisierte Standortentwicklungen für Rechenzentren und Großbatteriespeicher, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit: “Für eine effiziente Umsetzung ohne Benachteiligung vorausschauender Netzbetreiber ist eine Anpassung des regulatorischen Rahmens erforderlich.“
Immerhin hat der Bund beschlossen, das Netz massiv auszubauen, dass es Rechenzentren Zugriff auf hoher Leistungen erlaubt. Ab Mitte der 30er könnte sich die Lage deutlich entspannen. Bis dahin werden sich allerdings endgültig andere Regionen auf der Welt als KI-Zentren etabliert haben.
Der Text erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Frankfurter Rundschau
