Werbung

Die Akte des ersten Serienmörders

Peter Kürten (Polizeifoto von 1931) Foto: Bundesarchiv, Bild 102-11502 Lizenz: CC-BY-SA 3.0


Peter Kürten ermordete bis 1929 neun Menschen. Nun übergab das Düsseldorfer Stadtarchiv bis vor Kurzem unbekannte Dokumente über den Fall an das Landesarchiv.

Als Benedikt Mauer, der Leiter des Düsseldorfer Stadtarchivs, im Februar 2021 ein Paket in sein Büro zugestellt bekam, ahnte er nichts von dessen sensationellem Inhalt: „Vor mir lag die Handakte, die Carl Hertel, der damalige Untersuchungsrichter im Fall Peter Kürten, angelegt hatte.“ Peter Kürten gilt bis heute als einer der bekanntesten Mörder der deutschen Kriminalgeschichte. Die Staatsanwaltschaft warf ihm neun Morde, 32 Mordversuche, drei Überfälle, eine versuchte Notzucht und 27 Brandstiftungen vor. Allein von in der Zeit zwischen Februar und November 1929 beging Kürten in Düsseldorf acht Morde.  Die Düsseldorfer lebten in dieser Zeit in Angst. Eltern verboten ihren Kindern, auf der Straße zu spielen. Niemand wusste, wer der unheimliche Mörder war, dem immer wieder Mädchen, Frauen und Männer zum Opfer fielen. Das jüngste, Gertrud Hamacher, war gerade einmal fünf Jahre alt. Weil bekannt geworden war, dass Kürten mindestens einmal das Blut eines seiner Opfer trank, nannte ihn die Presse „Den Vampir von Düsseldorf“.

Die Polizei kam erst auf seine Spur, als er am 14. Mai 1930 eine Frau, die er Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofs angesprochen hatte, würgte, aber nicht ermordete. Wenige Tage nach dieser letzten Tat wurde Kürten verhaftet. Im Prozess bestritt er zu Beginn alle Taten, legte dann aber ein umfangreiches Geständnis ab. Sein Versuch, sich für unzurechnungsfähig erklären zu lassen, scheiterte. Am 22. April 1931 verurteilte ihn das Düsseldorfer Schwurgericht wegen Mordes in neun Fällen neunmal zum Tode. Am 2. Juli 1931 wurde das Urteil im Kölner Gefängnis Klingelpütz mit dem Fallbeil vollzogen. Die Mordserie sorgte damals für weltweites Aufsehen: In den USA berichteten die Zeitungen über die Verbrechen, sie waren das Vorbild für den Fritz Lang Film „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ und der Berliner Kriminalrat Ernst Gennat, Vorlage für eine Figur in der TV-Serie Babylon Berlin, verwendete für Kürten erstmals in der Kriminalgeschichte den Begriff Serienmörder.

„Die Akte von Carl Hertel“, sagt Stadtarchiv-Leiter Benedikt Mauer, „ging später in den Besitz des Generalbundesanwalts Max Güde über, dessen Sohn sie uns übergab. Wir haben sie nun an das zuständige Landesarchiv NRW in Duisburg weitergereicht.“ Hertel war der Richter, der den Haftbefehl gegen Kürten ausstellte und den Fall bis zum Beginn der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht begleitete. In seiner Handakte befinden sich die Ergebnisse der ersten Befragungen des Mörders, darunter stenografischen Notizen, bei denen es sich um Mitschriften der Verhöre handeln könnte. Auch Schreiben der Psychiater, die Kürten begutachteten, befanden sich in dem Paket.

In den Papieren könne man auch den Wandel Kürtens während des Verfahrens nachvollziehen, sagt Mauer. Als er seine Taten endlich gestand, hätte er in einem der Briefe geschrieben, dass ihm klar geworden sei, unrecht begangen zu haben.

„Interessant sind auch die Briefe von Kürtens Frau. Sie wollte ihren Namen ändern und Richter Hertel unterstützte sie dabei.“ Nach einer ersten Namensänderung sei ihre wahre Identität jedoch schnell aufgedeckt worden. Später nannte sie sich Schmitt und zog nach Leipzig. „Dort verliert sich ihre Spur.“

Der Richter, sagt Mauer, habe damals die Akte angelegt, um über den Fall Kürten zu publizieren. Ob er einen längeren Fachbeitrag oder ein Buch schreiben wollte, sei nicht bekannt. „Das eine solche Akte überhaupt die Zeit überstanden hat, im Krieg nicht zerstört und später nicht einfach weggeworfen wurde, ist etwas Besonderes.“ Außergewöhnlich sei auch, wie gut die Schriftstücke erhalten sind: „Die Zeitungsartikel sind vergilbt und müssen restauriert werden, aber der Rest ist in sehr gutem Zustand.“ Nur die Büroklammern hätten etwas Rost angesetzt.

Das Landesarchiv wird die Akte nun aufarbeiten, die alten Zeitungsartikel über den „Vampir von Düsseldorf“ werden restauriert. Dann wird alles digitalisiert. Danach steht die Handakte dann zumindest digital nicht nur Historikern, sondern auch interessierten Laien zur Verfügung. Alle in ihr erwähnten Menschen leben schon lange nicht mehr. Ihre Persönlichkeitsrechte sind erloschen. Fast hundert Jahre nach seinem letzten Mord könnte die Handakte Kürten zu neuen Erkenntnissen über einen der grausamsten Mörder der Weimarer Republik führen.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

 

 

 

 

 

 

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments
Werbung