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Die Geschichte der Vorhersagen über Kriegsverläufe ist eine Sammlung von Fehlprognosen

Ukrainer mit einem erbeuteten russischen Schützenpanzer Foto: Alexander Lipatnikov Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die RAND-Corporation wurde nach dem zweiten Weltkrieg gegründet und berät seitdem unter anderem die Streitkräfte der USA in strategischen Fragen. Zurzeit sorgt eine Studie des Instituts für Aufmerksamkeit. In ihr beschreiben Autoren, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Ukraine alle von Russland besetzten Gebiete zurückerobern kann und dass es eher im Interesse der USA liegt, den Konflikt zügig zu beenden, als sich dauerhaft für die territoriale Integrität der Ukraine einzusetzen.

Sowohl Skeptiker aus dem demokratischen Lager, welche die militärische Unterstützung der Ukraine durch den Westen eher für einen Ausdruck eines übertriebenen Idealismus halten als auch ausgemachte Gegner des Westens sehen sich durch die Studie bestätigt.

Wer sich in Europa auf die aktuelle Arbeit von RAND beruft, übersieht, dass es in ihr ausschließlich um die Interessen der USA geht. Und die sind nicht notwendigerweise denen Europas identisch. Seit dem Ersten Weltkrieg müssen sich die USA immer wieder in europäische Konflikte einmischen, um die Demokratien in Europa zu retten. Das war so in den beiden Weltkriegen, im Jugoslawienkrieg und sogar beim Kampf gegen den Islamischen Staat. Die demokratischen europäischen Mächte sind seit über 100 Jahren nicht in der Lage, ihre existenzielle Sicherheit zu gewährleisten. Sie geben ihr Geld lieber für soziale Wohltaten und Ökoträumereien aus, sehen sich wie die Europäische Union als Friedensmacht und ignorieren, dass die Demokratie auch militärisch abgesichert werden muss. Selbst Kriege gegen kleine Staaten wie Serbien oder islamistische Terrorbanden wie den Islamischen Staat konnten europäische Mittelmächte wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland nicht ohne massive Unterstützung der USA führen.

Das ist im Ukrainekrieg nicht anders: Ohne die massive Waffenhilfe der USA wäre die Ukraine schon längst an Russland gefallen. RAND spricht sich nicht dafür aus, das ganze Land Putin zu überlassen, sondern sieht es im Interesse der USA, die beiden Kriegsparteien zu drängen, einen Kompromiss zu schließen, dem Räuber also einen Teil der Beute zu überlassen. Einen vollständigen militärischen Sieg der Ukraine hält das Institut für unwahrscheinlich.

Aus US-Sicht ist das nachvollziehbar: Das Land sieht aus guten Gründen China für die kommenden Jahrzehnte als seinen Hauptgegner. Russland ist für die Amerikaner eine Regionalmacht, die zwar Atomwaffen hat, aber den USA im konventionellen Bereich militärisch nicht gefährlich werden kann. Auf den Felder Technologie und Wirtschaft spielt es als Schwellenland, das fast ausschließlich vom Verkauf von Bodenschätzen lebt, welche die USA kaum benötigen, ohnehin für Amerika keine große Rolle.

Für die Europäer stellt sich die Lage allerdings anders da: Ein gestärktes Russland wäre eine große Bedrohung im Osten, vor allem für Länder wie Moldawien, Finnland und die baltischen Staaten, die für die Imperialisten im Kreml wie die Ukraine und Belarus „russische Erde“ sind, die es wieder ins Reich einzugliedern gilt. Die USA könnten mit einem Russland, das aus dem Krieg geschwächt, aber nicht sieglos hervorgeht, leben. Für Europa wäre es eine ständige Bedrohung. Innerhalb kürzester Zeit müssten die europäischen Staaten massiv hochrüsten, um Russland nicht nur abschrecken, sondern auch in einem militärischen Konflikt schlagen zu können.

Es ist im Interesse der Europäer, die USA in diesem Konflikt zu halten. Würde Europa sich endlich aufraffen, militärisch zu rüsten, wäre ein Argument dafür, dass man seine Lektion gelernt hätte und künftig auch bereit sei, den USA zu helfen und für seine eigene Sicherheit weitgehend selbst zu sorgen.

Neben den unterschiedlichen Interessen, die in der RAND-Studie deutlich werden, ist die Prognose des künftigen Verlaufs des Krieges zu hinterfragen. Wie sich ein Krieg entwickelt, ist schwer vorherzusagen. Sicher ist nur, dass den Krieg gewinnt, wer seine Verluste ausgleichen kann. Wenn die Ukraine genug Waffen und Munition bekommt, hat sie also eine Chance. Wenn die russische Rüstungsindustrie ihr theoretischen Potential ausspielt, sieht es nicht gut aus. Aber Russland ist nicht gut darin, seine Produktion hochzuskalieren. Viele der aktuell eingesetzten Waffen stammen noch aus der Zeit der Sowjetunion. Sicher, das Land verfügt über hervorragende Ingenieure, doch seine Industriebetriebe werden nicht von fähigen Managern geführt. Dort haben Freunde Putins das Sagen.

Jenseits der Frage von Logistik und Versorgung, auf den Schlachtfeldern, wird es noch komplizierter. Die Geschichte der Vorhersagen über den Verlauf von Kriegen ist eine Sammlung von Fehlprognosen: Deutschland ging im Ersten Weltkrieg davon aus, rasch durch Belgien nach Frankreich vorstoßen zu können. Seine Truppen wurden durch den Widerstand der belgischen Festungen gebremst.

Im Zweiten Weltkrieg gingen viele Experten davon aus, dass Frankreichs Armee hervorragend sei und die Wehrmacht schlagen könne. Frankreich kapitulierte nach fünf Wochen. Im Winterkrieg 1939 gegen Finnland stand Russland phasenweise am Rand einer Niederlage. Niemand hatte das vorausgesehen. Als Deutschland 1941 Sowjetunion angriff, rechneten auch im Lager der Alliierten viele mit einem Sieg der Wehrmacht. Sie wurde vernichtend geschlagen.

Sicher ist nur, dass die Ukraine eine Chance hat, gegen Russland zu bestehen, wenn sie auf die Potenziale der westlichen Rüstungsindustrie zugreifen kann. Die müssen endlich hochgefahren werden. Ein Vorbild dafür gibt es in der Geschichte: Der Lend and Lease Act der USA im zweiten Weltkrieg, über den ihre Alliierten mit Waffen und Rohstoffen versorgt wurden. Würde Putin einen Blick in die Geschichtsbücher werfen, könnte er sehen, dass die Versorgung der Sowjetunion durch die USA einer der wichtigsten Gründe für ihren Sieg über Deutschland und die Achsenmächte war.

Der Westen kann der Ukraine zum Sieg über Russland verhelfen und Europa sollte alles dafür tun, ein militärischer Partner der USA auf Augenhöhe zu werden. Auch um die USA in künftigen Konflikten entlasten zu können. Eine Freundschaft beruht immer auf Gegenseitigkeit.

 

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