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Die künstliche Not lächelt verführerisch – eine Ergänzung zu Stefan Laurin

Ein Problem (nicht nur des Ruhrgebiets) ist doch, dass gedankenloser Überfluss und trostloser Mangel so verflucht nahe beieinander liegen.

Auf der einen Seite z.B. ein Zuviel an immergleichen öden Stadtfesten bis hin zu Mega-„Events“ von der Stange und den dazugehörigen öffentlichen wie privaten/privatwirtschaftlichen Trägern, auch in der Kultur: vom tausendsten blöden Stelzenläufer bis zum Promi-Einkauf in Oper, Philharmonie, Theaterfestival, Klavierfestival, Literatur (jaja, manchmal mache ich da auch mit …).
Einfallsloses Dranhängen an flächendeckend filialisiertes nationales/globales Entertainment mit Zuschauer- und Sponsoring-Garantie. Brot und Spiele für möglichst viele.  Für Eliten dagegen eben nur das scheinbar Beste: Kreativität aus dem Große-Kohle-Konformismus-Katalog. Und für die Ärmeren zunehmend die Abfälle der aufgespritzten Charity-Ladies: was halt so an Sozialprojekt-Krümeln vom Buffet fällt.
Auf der anderen Seite arbeiten neoliberale Lobbyisten wie die Bertelsmann-Stiftung seit Jahren daran, rigoros den schlanken Modellstaat zu fordern und zu fördern – und ihr Projekt scheint sehr gut zu gelingen. Mittlerweile ist der reale Staat so irre schlank, dass er schon hilflos-benommen der Ausplünderung seiner selbst und der schwächeren Bürger zuschaut (bzw. dabei lieber gleich selbst mitmacht). Ergebnis: Der Ausverkauf des Staates und die Privatisierung seiner Aufgaben in der Daseinsvorsorge für Bürgerinnen und Bürger sind bereits weitgehend abgewickelt. „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran!“  (Song der „Fehlfarben“)

Natürlich kann und soll man auch in der Kultur bündeln, zusammenfassen, alte Ziele überdenken und ggf. aufgeben, neue Ziele entwickeln. Aber die Gefahr in Zeiten der kommunalen Pleiten und Haushaltssicherungskonzepte ist doch eher, dass in der Kultur alle sogenannten freiwilligen Leistungen sowieso  bald abgeschafft werden und jeder kritische Inhalt verramscht. Im Bereich der Kultur wird immer  noch modisch-ideologisch zu viel von „Produkten“ und betriebswirtschaftlicher Orientierung geschwätzt, sodass  das Widerständige und Anarchisch-Ungeplante ganz in Vergessenheit gerät.

Und – nur als ein Beispiel: Die einzelnen Stadtbüchereien und -bibliotheken im Ruhrgebiet haben bereits Stillegung von Bücherbussen, Schließung von Zweigstellen, Personalabbau, Erhöhung der Gebühren, Kürzung der Öffnungszeiten und Reduktion der Anschaffungsetats (zum Teil auf Null) hinter sich.
Für das geistige Klima der einzelnen Städte ein Desaster, auch, weil viele Büchereien zunehmend Aufgaben der Sozial- und Integrationsarbeit zu erfüllen hatten. Und dies heute nicht mehr können.
Wäre da der nächste Schritt jetzt, Bibliotheken, die man zunehmend verkommen lässt, bis sie ihre Leser verlieren, mit anderen Bibliotheksruinen in spe zusammenzulegen?
Die effiziente Verwaltung eines eklatanten Mangels ist auch bloß  die falsche Alternative zu überflüssiger Hierarche, aufgeblasenem Personal  oder fehlender Aufgabenabstimmung.

Nur die überfällige öffentlich-demokratische Diskussion um einen „Kulturentwicklungsplan“ (ein schöneres Wort finde ich noch) könnte im Ruhrgebiet deutlicher machen, wo durchaus was wann zu sparen wäre, wo man aber auch energisch und gar nicht defensiv  in Entwicklungen zu investieren hätte (auch mit mehr Geld und Personal).

Also: Not macht erfinderisch, schärft den Verstand? Für eine kurze Zeit vielleicht, aber nicht auf Dauer: So viel ist sicher, wenn ich an all die armen Teufel denke, die durch (Bildungs-)Not und materielles Elend produziert und konsequent dumm gehalten werden. „Umgestaltung“ bzw. „Kooperation“ von kulturellen Einrichtungen in Zeiten der öffentliche Pleite (bei sonstigem gesamtgesellschaftlichem Überfluss) heißt im Klartext und in der Praxis meist nichts weiter als: Kürzung und Abbau, Aufgabe von Inhalten und kulturpolitischer Verantwortung.

Zumindest muss auch die Frage gestellt werden: Was aber ist die Ursache dieser vermeintlichen Not mitten im Überfluss? ( frei nach Moses Hess u.a.). Denn das Spannendste an der Not ist immer noch die Frage, wie man sie wenden kann. Und das wäre dringend notwendig.

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Stefan Laurin
Admin
12 Jahre zuvor

Ich will ja keine Büchereien einsparen – eher ein paar Vorstände von Verkehrsunternehmen, Leiter schwurbeliger Gesellschaften, von denen keiner weiß was sie machen, OBs, Dezernenten und Verwaltungsbeamte. Vieles hier im Ruhrgebiets ist doch nur da, um Parteifreunde zu versorgen. Und da geht noch was… 🙂

trackback

[…] Die künstliche Not lächelt verführerisch (Ruhrbarone) – Eine Ergänzung zum Beitrag Ruhrgebiet: In der Not wächst der Verstand. […]

Torti
Torti
12 Jahre zuvor

@Stefan
Sehr schöne Stilblüte „Promi-Einkauf“ , wenn Du da mitmachst was kauftst Du da denn so ? Vielleicht gibt es ja bald in einem der diversen Konzerthäusern Millionärsmessen mit klassischer Live-Musik oder weisst Du da mehr ? 🙂

Erdgeruch
Erdgeruch
12 Jahre zuvor

Herr Laurin sollte sich darüber bewusst sein, dass einerseits aller Filz nicht ganz die Finanzlage der Kommunen im Ruhrgebiet erklärt. Die sozialen Pflichtausgaben haben die summierten Personal- und Pensionsausgaben längst überholt.

Andererseits ist aber auch durch Abbau von Leistungen, Personal usw. der Stop der Verschuldungsspirale und der Haushaltsausgleich natürlich möglich – Hier geht es in den Großstädten um dreistellige Millionenbeträge pro Jahr, also halten Sie sich nicht zulange an Ihren üblichen Symbolthemen auf.

Aber selbst dann werden noch zwei Probleme bleiben:

1. Es ist dann immer noch kein Geld für den Erhalt oder Ausbau öffentlicher Infrastruktur da (ÖPNV, Schlaglöcher, Energieeffizienz), zumal der Bund die Mittel hier ganz schön zusammengestrichen hat.

2. Es fehlt Geld für Bildung (KiTa-Ausbau, Ganztagsschulen) weil das Land hier auch seit Jahren nicht wirklich welches hat.

Das dies natürlich am Ende auch alles mit Wirtschaft und Bekämpfung von Standortschwächen oder Stärkung von Stärken zusammenhängt, macht es ja umso wichtiger.

Mir
Mir
12 Jahre zuvor

Die künstliche Not lächelt verführerisch und macht erfinderisch: Signal-Begriffe wie Auto oder Fußball versteht jeder aus -welcher Schicht auch immer- im Ruhrgebiet. Das Wort Kultur darf niemals allein für sich stehen. Es muss stets ein Begriff aus dem Fußball mitspiegeln oder nur Autokultur funktioniert immer. Hierfür wird im Ruhrgebiet überhaupt malocht, schon immer. Dafür würde der Ruhrmensch auf die Barrikade gehen und eine Ruhr-Revolution führen. Mit „Kulturentwicklungsplan“ erreicht man nur Verwaltungsbeamte, die nur Zuständigkeit verstehen.

Garantiert Aufmerksamkeit erregt der Begriff AFFiR: Auto,-und Fußballkultur-Förderungungsplan-im-Ruhrgebiet. Die Büchereien- und die Leseförderung zum Beispiel sind auch darin vertreten, dürfen nur niemals separat ausgesprochen werden, also besser „Buchkicker“ sagen. Dortmund macht es vor: DFB Fußballmuseum wird gegenüber der Zentral-Bücherei gebaut. Sehr praktisch, wenn nur nicht irgendwann die Besucherzahl des Museums die der Bücherei übersteigt.

Auch ich denke es ist keine wirkliche Not. Es ist immer eine Frage der Umverteilung der Ressourcen. Darüber muß nochmal neu verhandelt werden, auf Verwaltungsebene, ohne weiter Zeit zu verlieren. Alle müssen mitreden dürfen dabei.

Stefan Laurin
Admin
12 Jahre zuvor

@Erdgeruch: Man kann Busse kaufen oder Vorstände bezahlen. Ich bin für ersteres. Es gibt keinen Grund sich im Ruhrgebiet für diesen schlechten Nahverkehr so viel Doppelverwaltung zu leisten.
und die prekäre Lage ist doch aus eigener Blödheit herbeigeführt worden. Noch in den 60er und 70er Jahren wurden Unternehemsansiedlungen blockiert, um den Bergbau zu schützen. Und die Politiker der Region standen Schlange um Bergbau-Subventionen zu erhalten. Um Zukunftsprojekte kümmerte man sich nicht mit so einem großen Eifer. Die Misere im Ruhrgebiet ist auch hausgemacht. Und mir ist das Gejammer und das Betteln um Hilfe als Bürger der Region einfach nur noch peinlich. Es raubt jeden Stolz und jedes Selbstbewußtsein.

Erdgeruch
Erdgeruch
12 Jahre zuvor

Man muss aber sauber rechnen. Natürlich wird da Geld verschwendet, aber nicht genug, um alles zu kompensieren, was man an Investitionen bräuchte. In der Vergangenheit wurde das sicher versäumt, aber es nützt ja heute wenig.

Thomas
Thomas
12 Jahre zuvor

@Stefan
„von denen keiner weiß, was sie machen“ ist eine schön suggestive Floskel, als ob man, wenn man will, nicht wissen könnte, was sie tun.

Ich denke, dass das Problem sicher nicht in den paar Gehältern zu suchen ist, wenn es denn überhaupt ein Problem auf der Ausgabenseite gibt.

Thomas
Thomas
12 Jahre zuvor

Lohnenswert ist es in meinen Augen, sich die Ausgabenseite einmal komplett anzusehen: In Hamburg lässt sich seit nun etlichen Jahre folgendes beobachten: auf der einen Seite wird bei kulturellen und sozialen Trägern, die sinnvolle Aufgaben wahrnehmen, um einige zehhntausend Euro gefeilscht, die Bildungssenatorin feilscht bei ihrem kompletten Etat um ein paar Euro, während für Projekte wie die Elbphilharmonie problemlos mehrere hundert Millionen (400), einem Unternehmen wie der DASA 1,5 Milliarden bereitgestellt werden und auch die HSH Nordbank wird mit vielen Milliarden gestützt.

Allein aus den Zinsen für diese Summen ließen sich das Geld problemlos bereitstellen, das anderswo eingespart wird.

Ich nehme an, dass sich vergleichbares auch im Ruhrgebiet bzw. NRW finden lässt.

Thomas
Thomas
12 Jahre zuvor

die Bildungssenatorin feilscht natürlich um ein paar MILLIONEN Euro.

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