Die neuen Coronaregeln sind gar nicht so unlogisch

Teddybär mit Maske Foto: Nenad Stojkovic Lizenz: CC BY 2.0

Die ganze Pandemie über war die Coronapolitik davon geprägt, dass Maßnahmen zu spät beschlossen wurden. Man gewann den Eindruck, die Politik werde in erster Linie von der Sorge bestimmt, die Bevölkerung könne die Notwendigkeit der Maßnahmen noch nicht einsehen. Regeln, von denen jeder wusste, dass sie bald kommen würden, wurden immer erst dann beschlossen, wenn die Zahlen dramatisch waren. Jetzt musste jeder einsehen, dass es nicht anders ging. Eine Welle abzufangen war damit freilich unmöglich. Einmal gab es in der Vergangenheit den Versuch eine Art Ampelsystem einzuführen. Da kam allerdings die nächste Welle so schlagartig, dass die einzelnen Stufen dieser Regelung quasi übersprungen wurden und direkt wieder neue Maßnahmen notwendig wurden.

Nun wird erstmals frühzeitig reagiert. Die neuen Regeln tragen der Tatsache Rechnung, dass die Gefährlichkeit der Erkrankung für die allgemeine Bevölkerung abgenommen hat. Eine flächendeckende Verbreitung mit vielen Ausfällen von Arbeitskraft wird die Verordnung nicht vermeiden können. Schließlich können weiterhin Konzerte, Besuche in vollbesetzten Restaurants und Hochzeiten ohne Maske stattfinden. Den Ausfall von Krankenhausmitarbeitern, Feuerwehrleuten und Facharbeiten zu riskieren ist mutig, aber angesichts der Belastungen, die jeder einzelne seit über zwei Jahren zu tragen hatte, nachvollziehbar.
Es gilt aber, wenigstens Risikopatienten die Möglichkeit zu geben, sich weiterhin zu schützen. Und wenn die Herbstwelle kommt, haben diese vulnerablen Personen überhaupt keine Chance, sich vor potentiell ansteckenden Mitbürgern zu verstecken. Die sind dann überall.

Das führt zu dem Punkt, der immer wieder von Populisten und dummen Menschen missachtet oder ins Lächerliche gezogen wurde. Wo Maßnahmen greifen, hat nämlich nicht nur damit zu tun, wie groß das Ansteckungsrisiko dort ist, sondern auch damit, wie gut man es vermeiden kann, diese Orte aufzusuchen. Es gab Zeiten, in denen verschiedene Regeln in Lebensmittelgeschäften und Kleiderläden galten. Da hieß es dann: „Ach im Bekleidungsgeschäft kann mich anstecken, aber im Supermarkt nicht?“ Doch. Aber Lebensmittel zu kaufen ist unvermeidbar, während man die neue Jacke zumeist auch ein paar Wochen vertagen kann. Es ist zumutbar, nicht Shoppen zu gehen, wenn die Krise wirklich so groß ist. Es ist nicht zumutbar, egal wie schwer die Pandemie, Menschen den Zugang zu Lebensmitteln zu nehmen.

Genauso heißt es jetzt: „Ach, im Zug kann ich mich anstecken, aber im Flugzeug nicht?“
Ob die Lüftung im Flugzeug wirklich zu einer anderen Infektionsgefährdung führt, sei dahingestellt. Immerhin sitzt man dort auch oft sehr viel länger an einem Platz und kann sich nicht in ein leeres Abteil bewegen. Aber das ist auch nicht die Frage. Davon abgesehen, dass die deutsche Bundesregierung eben auch auf die europäischen Regelungen Rücksicht nehmen muss, ist eine Flugreise sehr viel leichter zu vermeiden als eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Jeder, der sich schützen will, muss dafür auch persönliche Einschränkungen hinnehmen. Umso mehr, je geringer das Risiko für die allgemeine Bevölkerung ist. Man kann nicht mehr verlangen, dass flächendeckend die Konzerte ausfallen – wer das Risiko zu groß findet, muss eben zuhause bleiben.
Aber man kann nicht einfach zuhause bleiben, wenn man mit dem ÖPNV zur Arbeit muss. Man kann nicht einfach zuhause bleiben, wenn man zum Arzt muss. Eigentlich kann man auch nicht darauf verzichten, Lebensmittel zu kaufen. Deswegen ist das größte Manko der Regelungen, dass die Maskenpflicht nicht auch in Geschäften des täglichen Bedarfs gilt. Überall sonst wäre sie nicht mehr angemessen. Das ist eben genau die Abwägung der Verhältnismäßigkeit, zu der die Politik verpflichtet ist. Dies zu ignorieren ist entweder dumm oder boshaft.

Wir können den Fokus jetzt ändern: Weg von der flächendeckenden Verhinderung von Infektionen, hin zur Ermöglichung von individuellem Schutz für vulnerable Gruppen. Eine Maskenpflicht im Bus ist eine wirklich kleine Einschränkung, die die Gesunden hinnehmen müssen, um den Gefährdeten zu ermöglichen, wenigstens die unvermeidlichen Dinge des täglichen Lebens mit etwas weniger Risiko zu tun.

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Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
1 Jahr zuvor

„Die neuen Coronaregeln sind gar nicht so unlogisch“
Das sind sie tatsächlich nicht, aber sie genügen weder der KISS-Regel (keep it stupid simple), noch entsprechen sie den Regelungen des europäischen Auslandes.
Die Regeln erfordern also einen doppelten Erklärungsbedarf. Das ist auch dumm oder von der gewissen Boshaftigkeit des Besserwissers.

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