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Die SPD, die Macht und das schlechte Gewissen


Die SPD scheut sich vor dem Bruch mit Russland. Verbissen hält sie an überholten Positionen fest und setzt sich selbst und Deutschland damit zunehmend ins Abseits.

Während die letzten Verteidiger Mariupols ihre von der russischen Armee weitgehend vernichtete Stadt verteidigen, die CIA davor warnt, Russland könne im Krieg gegen die Ukraine auch Atomwaffen einsetzen und fast täglich neue Berichte über Verbrechen an der ukrainische Zivilbevölkerung bekannt werden, schreibt der ehemalige SPD-Vorsitzende und Kurzzeit-Außenminister Sigmar Gabriel im Spiegel einen Artikel.  Gabriel geht es nur am Rande um die russischen Verbrechen in der Ukraine, die Bedrohung von Staaten wie Schweden und Finnland oder die Fehler der von den Sozialdemokraten gestalteten oder mitgetragenen Russlandpolitik Deutschlands, sondern um den Umgang des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk. Nach Gabriels Ansicht verbreitet er eine „gefährlichere Variante der Verschwörungstheorien“ wie „die Behauptung des (…) der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe in seiner aktiven Zeit als Politiker »seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft«, die bis in die heutige Regierung hineinwirkten.“ Wo bitte ist das die Verschwörungstheorie? Steinmeier knüpfte ein Netz an Kontakten und es wirkte bis in die Regierung hinein. Er tat es allerdings nicht alleine, viele SPD-Genossen wie Gerhard Schröder, Gabriel selbst oder Manuela Schwesig woben eifrig mit. Und haben sich teilweise auch kaufen lassen. Gabriels Reaktion auf die Vorwürfe Melnyks sind Schuldabwehr statt Aufklärung. Sigmar Gabriel räumt allerdings ein, dass „wir in der deutschen Politik zu großen Teilen den Fehler gemacht, innerlich das heutige Russland mit der alten Sowjetunion gleichzusetzen, die eine Status-quo-Macht war, mit der man relativ einfach umgehen konnte.“

Solange Gabriel mit „man“ Deutschland meint, trifft das vielleicht sogar zu. Für andere, wie die Tschechen, die Polen, die Ungarn oder Dissidenten in der Sowjetunion war der Umgang mit der Sowjetunion nicht „relativ einfach.“ Wehrten sie sich gegen die Unterdrückung, mussten sie damit rechnen, dass die sowjetischen Panzer aus ihren Kasernen rollten. Wer dem roten Zwangssystem entfliehen wollte, konnte sein Leben verlieren: Alleine an der deutschen Grenze brachten DDR-Grenzer mehr als 600 Menschen um. Der letzte Mauertote, Chris Gueffroy, wurde am 6.Februar 1989 umgebracht.

Will man verstehen, warum so viele Sozialdemokraten sich bis heute weigern, gegen Putin und sein Regime eine klare Kante zu zeigen und die Ukraine zum Beispiel mit schweren Waffen zu unterstützten, sollte man sich nicht nur mit der Gegenwart der SPD, sondern auch mit ihrer Geschichte und eine ganz speziellen Parteipsychologie beschäftigen:

Verstrickungen mit Russland

Ob Steinmeier, Schröder oder Schwesig: Die wirtschaftliche, politische und persönliche Nähe vieler Sozialdemokraten zum russischen Regime und Vladimir Putin ist schlicht nichts anderes als eine Schande. Und hat viel mit Korruption zu tun. Die SPD wird sie aufarbeiten müssen.Wenn Steinmeier und Gabriel heute versuchen, sich hinter der gesamten politischen Klasse der Bundesrepublik zu verstecken und betonen, alle hätten sich geirrt, ist das zwar ein nachvollziehbares Manöver, aber man sollte die SPD nicht damit durchkommen lassen: Es gibt keine Fotos von Bundeskanzlerin Merkel, wie sie sich mit Putin in den Armen liegt. Von Gerhard Schröder gibt es sie aus seiner Zeit als Kanzler. Sicher, auch die Union hat ihre erbärmlichen Putin-Versteher wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer oder den ehemaligen Kohl-Berater Horst Teltschik. Aber Sätze wie Peter Struck, der 2007 sagte, man müsse „gleiche Nähe haben zwischen uns und Amerika einerseits, uns und Russland andererseits“ oder Martin Schulz, der als Ziel ausgab, Deutschland müsse „alles Interesse daran haben, dass seine Partnerschaft mit Russland derjenigen mit Amerika mindestens gleichwertig ist.“ hörte man von Christdemokraten nicht.

Natürlich hat sich auch die CDU mitschuldig gemacht, Deutschland von russischen Energielieferungen auf Kosten seiner östlichen Nachbarn abhängig zu machen. Aber es war die SPD, die diesen Fehler ideologisch zur Friedens- und Annäherungspolitik hochstilisierte.

Schröder, Steinmeier, Gabriel, Schulz oder Scholz – all diese politischen Zwerge stehen auf der Schulter eines Giganten und der hieß Willy Brandt. Seine Ostpolitik lief unter dem Motto „Wandel durch Annäherung.“ Brandt, Zeit seines Lebens ein überzeugter Gegner der sowjetischen Spielart des Sozialismus, der nicht nur als Regierender Bürgermeister Berlins den Mauerbau, sondern auch als Journalist die stalinistischen Säuberungen im spanischen Bürgerkrieg miterlebte, erreichte vor allem Reiseerleichterungen und ein besseres Verhältnis mit Deutschlands Nachbarstaaten im Osten. Sein Ziel war die Wiedervereinigung, seine Politik sorgte dafür, die Entfremdung der Deutschen in Ost und West abzumildern. Zum Zusammenbruch der Ostblockdiktaturen führte sie nicht. Dies gelang dem niedrigen Ölpreis in den späten 80er Jahren, der Hochrüstung Ronald Reagens und dem Afghanistan-Desaster der Sowjetunion: Der Sozialismus wurde nicht durch Friedenspolitik besiegt, er war am Ende schlicht bankrott.

Der Respekt vor der Staatsmacht

Aber die SPD setzte bis zuletzt auf die Machthaber im Osten. Ob die polnische Gewerkschaft Solidarnosc oder die Bürgerrechtler in der DDR: Alles, was sich jenseits staatlicher Strukturen organisierte, egal ob in der Bundesrepublik oder in anderen Staaten, war und ist der SPD fremd. Das Staatstragende liegt in den Genen der SPD. Das ist nicht immer schlecht: Die SPD hielt an der Weimarer Republik fest, als Liberale und Konservative längst dabei  waren, die erste deutsche Demokratie zu verraten. Ob Hartz IV oder Radikalenerlass: Die SPD war auch in der Bundesrepublik fast immer bereit, sich für das Land und gegen die Interessen der Partei zu stellen. Das tragische ist, dass die SPD auch bereit ist, staatliche Herrschaft anzuerkennen, die nicht demokratisch legitimiert ist. Sie schätzt die Ordnung, glaubt an Verträge und hat Angst vor dem Chaos, das mit jeder Umwälzung verbunden ist. Bei Erich Honecker wusste man, woran man ist. Bei Vladimir Putin auch. Die scheinbare Stabilität ist für Sozialdemokraten ein Wert an sich. Sie glauben nicht daran, dass Aufstände Staaten ändern, sondern dass Staaten reformiert werden können. Von oben.

Hadern mit dem Westen

Für Kurt Schumacher, den großen Vorsitzenden der Nachkriegs-SPD, der fast im KZ ermordet worden wäre, waren Kommunisten rot lackierte Nazis. Aber dem Westen stand er trotzdem skeptisch gegenüber. Schumacher war gegen Adenauers Politik der Westbindung.  Setze Adenauer auf Europa, vertrat der SPD einen eher nationalen Standpunkt. Sie tendierte zur Neutralität, auch weil ihr die Wiedervereinig wichtiger war als dem Rheinländer Adenauer, dessen Trauer über die Trennung der preußischen Kerngebiete östlich der Elbe sich in Grenzen hielt.

Die SPD war von den demokratischen Parteien immer die deutscheste. Sie haderte mit dem Kapitalismus, war auf Unabhängigkeit bedacht und meist nie bereit, sich so eng an die USA zu binden, wie es die Christdemokraten taten.

Kriegskredite

Für viele Sozialdemokraten ist der 4. August 1914 bis heute der dunkelste Fleck der Parteigeschichte: Damals, der erste Weltkrieg hatte gerade begonnen, stimmten sie Sozialdemokraten im Reichstag der Bewilligung von Kriegskrediten zu. Der rechte Flügel der SPD wollte so seinen Patriotismus unter Beweis stellen und zeigen, dass Sozialdemokraten keine „vaterlandslosen Gesellen“ sind, wie Bismarck sie wohl im 19. Jahrhundert nannte. Für viele Linke war es ein Verrat an der internationalen Arbeiterklasse.  Aber Patriotismus war nicht der einzige Grund der Sozialdemokraten, für die Finanzierung des Krieges zu stimmen. Russland galt als das reaktionärste Land Europas. Nirgendwo wurde die Leibeigenschaft so spät abgeschafft, war die Unterdrückung der Arbeiter härter, wurden alle demokratischen Bestrebungen so brutal niedergehalten und lebten die Bauern elender. Bei einer möglichen Niederlage des zaristischen Russlands hofften nicht wenige auf Verbesserungen für die russischen Arbeiter und Bauern. Aber Sozialdemokraten werden bis heute mit den Kriegskrediten konfrontiert – vor allem von anderen Linken. Was ein Problem zeigt, das viele SPD-Mitglieder haben:

Die Angst, nicht als richtige Linke anerkannt zu werden

Auf die Frage was links ist, gibt es mindestens so viele Antworten wie Scheherazade König Schahriyâr Märchen vortrug: 1001. Den meisten linken Gruppen wird von anderen Linken aberkannt, links zu sein. Und sie können gut damit leben: So ist es Anarchisten vollkommen egal, was Trotzkisten von ihnen denken. Sie sind sich sicher, links zu sein. Bei der SPD ist da anders. Die erfolgreichste linke Partei der deutschen Geschichte zeigt in der Frage der eigenen Positionierung ein erstaunlich geringes Selbstbewusstsein und ein hohes Maß an Unsicherheit: Die SPD war nie linksradikal, sie setzte auf Reformen. SPD-Funktionäre waren schon in den Anfangstagen der Partei keine Revolutionäre, sondern eher Arbeiterbeamte.

Für SPD war die Forderung nach einem sozialistischen Regime immer eher Folklore. Sie wollte die Lebensverhältnisse der Arbeiter und der „kleinen Leute“ verbessern. Und das ist ihr in ihrer langen Geschichte auch gelungen. Dass Deutschland ein Sozialstaat ist, Schulen kostenlos sind und es starke Gewerkschaften gibt, ist auch ein Verdienst der SPD. Keiner ihrer radikalen Kritiker war auch nur annähernd so erfolgreich. Und schon gar nicht so demokratisch, wie es die Sozialdemokraten immer waren.

Doch der revolutionäre Schick, die Aura des Unbedingten, Konsequenten und Wilden geht den Sozialdemokraten vollkommen ab. Lässt sich der Anarchismus als eine romantische Erzählung von der Freiheit beschreiben, ist die SPD eher eine Personalratssitzung, die kein Ende findet. Aber das ist natürlich viel besser als Gulags zu bauen und Millionen Menschen zu ermorden, wie es in der Sowjetunion und in Maos China geschehen ist.

Es ist kaum nachvollziehbar, aber viele Sozialdemokraten möchten von anderen Linken anerkannt werden. Die Kommunisten konnten etlichen von ihnen einreden, dass die Nazis an die Macht kamen, weil die SPD sich nicht mit der KPD zusammentat. Dabei war es die KPD, für die nicht die NSDAP, sondern die Sozialdemokraten der Hauptfeind waren. Die Sozialdemokraten verteidigten, als einzige Partei, bis zuletzt die Republik.

Aber viele in der SPD sind nicht in der Lage, sich von radikalem und undemokratischen Gruppen wie der DKP oder ihrer Vorfeldorganisationen abzugrenzen. Mit der Linkspartei, die man, um Kurt Schumacher aufzugreifen, mit guten Gewissen als rot lackierte AfD bezeichnen kann, geht man sogar Koalitionen ein. Und nach ein paar Gläsern Bier oder Wein gefallen sich biedere Sozialdemokraten, die als Beamte im Ordnungsamt tätig sind, dann doch als Revoluzzer. Nur sieht sie niemand außer ihnen selbst so. Und das tut eben manchmal weh.

Vulgärpazifismus

Die SPD war nie eine militaristische Partei. Die Kriegskredite waren ein einmaliger Sündenfall. Aber als linke und sehr deutsche Partei hadert die SPD mit allem, was mit Militär zu tun hat. Sie stimmte gegen in den 50er Jahren die Wiederbewaffnung und als sie in den 70er und 80er Jahren für hohe Bundeswehretats sorgte, hielt sich die Begeisterung an ihrer Basis in Grenzen.

Für die Skepsis der SPD dem Militär gegenüber gibt es gute Gründe: Es gibt in Deutschland keine Militärtradition, auf die man als linker Demokrat stolz sein kann. Der Bauernkrieg und die Kämpfe der 1848er liegen zu weit zurück. Deutsche Armeen in den vergangenen Jahrhunderten kämpften in der Regel, Ausnahmen sind die Einsätze in Jugoslawien und Afghanistan, nicht für die Freiheit, sondern für die Unterdrückung. Junge Briten, Amerikaner und die Soldaten vieler andere Länder stürmten im Sommer 1944 die Strände der Normandie, um Europa zu befreien. Die Wehrmacht kämpfte als Teil des nationalsozialistischen Deutschlands für die Unterdrückung des Kontinents und die Ermordung der Juden. Schon im Krieg gegen Frankreich 1870/71 begingen die Truppen des Kaiserreichs Kriegsverbrechen an französischen Zivilisten. Auch im ersten Weltkrieg war das nicht anders. Und als deutsche Truppen im August 1914 die Bibliothek von Löwen in Brand setzten, war die zivilisierte Welt schockiert.

Der Vulgärpazifismus vieler Sozialdemokraten, welcher der Behauptung folgt, Krieg sei nie eine Lösung, ist menschlich nachvollziehbar, bequem, aber trotzdem falsch. Krieg kann ein Verbrechen sein, aber er kann auch das einzige Mittel der Politik sein, ein Verbrechen und ein verbrecherisches Regime zu stoppen. Viele Länder haben eine Militärtradition, in der sich entsprechende Beispiele finden. In Deutschland ist das nicht so. Aber die Bundeswehr könnte die Armee sein, die gemeinsam mit den demokratischen Partnern in der NATO so eine Tradition begründet. Die genannten Beispiele Jugoslawien und Afghanistan zeigen, dass die Chance dazu besteht. Die SPD müsste sie, wie viele andere Deutsche, nur erkennen. Dann wäre auch die Hilfe für die Ukraine kein Problem, sondern würde als Möglichkeit gesehen, einen Staat, der sich in Richtung Demokratie bewegt, vor einem faschistischen Angreifer zu schützen.

Die SPD ist eine hadernde Partei. Sie hadert mit ihrer Gegenwart, ihrer Geschichte und ihrem Selbstbild. In der Debatte um Unterstützung der Ukraine kreist sie vor allem um sich selbst. Das lähmt: Die Ukraine in ihrem Überlebenskampf, aber auch Deutschland und die SPD.

 

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Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
2 Jahre zuvor

Danke für den Artikel und die Tiefe der Differenzierung. Dazu wäre ich bei der Sekte Putins Diener nicht mehr bereit.

Ich stimme eher dem Botschafter der Ukraine in unserer Gasprom-Gerd Republik in seinen Ansichten zu. Ein anderer ehemaliger Lawrow-Jünger hat ja auch eine Textabsonderung von sich gegeben, bei der Russia-Today neidisch würde.

https://www.berliner-zeitung.de/news/melnyk-kontert-auf-twitter-gabriel-kritik-scharf-li.222897

trackback

[…] in Duisburg und Bielefeld berichtet haben, nutzte ich den gestrigen Ostersonntag, um einen Artikel über die SPD zu schreiben. Die meisten Sozialdemokraten lassen ja lieber die Ukrainer verrecken, als ihnen die […]

Thomas Schweighäuser
Thomas Schweighäuser
2 Jahre zuvor

(wurde wohl übersehen, Gruß, T. Schweighäuser)
Die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 unterstützte ein millionenfaches Menschenschlachten und hielt die widerliche Kaste aus Hohenzollern und Generälen vier weitere, lange Jahre an der Macht. Wer danach der Mehrheits-SPD nicht mehr traute, sollte sich durch die Paktiererei der Regierung Ebert mit den Rechten bestätigt finden.
Die Wiederbewaffnung war kein Votum gegen „Vulgärpafizismus“ (der mir immer noch sympathischer ist als Vulgärbellizismus), sondern eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für ehemalige Soldaten derjenigen Armee, die den „jüdischen Bolschewismus“ in einem Vernichtungskrieg bekämpfte und dafür sorgte, dass die Vernichtungslager hinter der Front lange ihren Betrieb aufrecht erhalten konnten. Dass die SPD anfangs gegen die Wiederbewaffnung stimmte, hielt sie nicht davon ab, den Nato-Doppelbeschluss durchzusetzen, und der vielgeschmähte Gerhard Schröder machte sich nicht nur durch die Agenda 2010 um den Standort Deutschland verdient, sondern auch durch die Energiekooperation mit Russland. Dazu führte er Deutschland in den Krieg gegen Jugoslawien, den der Blogautor einen Krieg für die Freiheit nennt, andere einen völkerrechtwidrigen Angriffskrieg. Dass die Dinge sich etwas komplizierter verhalten, als der Text suggeriert, sollte auch in Kriegszeiten nicht verschwiegen werden.
Falls den Autor die Sorge umtreibt, Deutschland könnte sich beim Eintritt in einen Dritten Weltkrieg wegen des Lavierens der SPD verspäten, kann er beruhigt werden: Auf den Opportunismus dieser Partei ist ebenso Verlass wie auf ihre Bereitschaft, über Leichen gehen.

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