Die Verzichtsethik gefährdet die Demokratie

Klimademonstrant in Bochum Foto: Stefan Laurin

Gestern habe ich mit Marcus Bensmann im Correctiv-Buchladen in Essen diskutiert. Von der Veranstaltung wird es bald auch ein Video geben. Während unseres Gesprächs erzählte Marcus, der in den 90er Jahren als Journalist im asiatischen Teil der ehemaligen Sowjetunion tätig war, davon, dass damals Europa und die USA, die westlichen Demokratien, die Role-Models für die Menschen in diesen Staaten waren. Heute sei das nicht mehr so, die meisten würden nach China blicken. Dem autoritären China ist in den vergangenen Jahrzehnten ein Aufstieg gelungen, der Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut befreit hat. Auch wenn man das Regime verabscheut, ist das eine historische Leistung. Und die setzt die westlichen Gesellschaften unter Druck.

Marcus Bensmanns Schilderung bedeutet für mich, dass wir schon längst wieder in einer Zeit leben, die vom Wettkampf der Systeme geprägt ist. Das westliche, demokratische Modell wird von autoritären Regimen unter Druck gesetzt. Es kann diesen Wettbewerb nur gewinnen, wenn es zeigt, dass es den Menschen ein besseres Leben bieten kann, als die autoritären Regime, dass man in Demokratien freier und wohlhabender lebt. Hält der Westen sein Wohlstandsversprechen nicht, wird er scheitern. Zurzeit ist Israel das westliche Land, dass dieses Versprechen am ehesten erfüllt: In den vergangenen Jahrzehnten hat es sich aus einer Wirtschaftskrise befreit, die fast schon zur Folklore des Landes gehörte, und sich mit HighTech und Wissenschaft neu erfunden. In Europa sieht es hingegen düster aus: Bei technischen Innovationen spielt die Musik in den USA, China, Südkorea, Japan und Israel. In Deutschland ist es die bekannte Irrsinns-Mischung aus protestantischer Verzichtsethik, Romantik und dem Glauben daran, eine tiefere Bestimmung zu haben. Marx und Engels beschrieben das treffend in „Die deutsche Ideologie“:

„Dieses Luftreich des Traums, das Reich des „Wesens des Menschen“, halten die Deutschen den andern Völkern mit gewaltigem Selbstgefühl als die Vollendung und den Zweck der ganzen Weltgeschichte entgegen; auf jedem Felde betrachten sie ihre Träumereien als schließliches Endurteil über die Taten der andern Nationen, und weil sie überall nur das Zusehen und Nachsehen haben, glauben sie berufen zu sein, über alle Welt zu Gericht zu sitzen und die ganze Geschichte in Deutschland ihr letztes Absehen erreichen zu lassen. Daß dieser aufgeblasene und überschwengliche Nationalhochmut einer ganz kleinlichen, krämerhaften und handwerkermäßigen Praxis entspricht, haben wir bereits mehrere Male gesehen. Wenn die nationale Borniertheit überall widerlich ist, so wird sie namentlich in Deutschland ekelhaft, weil sie hier mit der Illusion, über die Nationalität und über alle wirklichen Interessen erhaben zu sein, denjenigen Nationalitäten entgegengehalten wird, die ihre nationale Borniertheit und ihr Beruhen auf wirklichen Interessen offen eingestehen.“

Wenn Umweltministerin Svenja Schulze (TPFKASPD – The Party formerly known as SPD) nach dem Kohlegipfel stolz verkündet „Wir sind das erste Land, das verbindlich aus Kohle und Atom aussteigt“, schwingt dabei diese Hybris mit.

All die Politiker und Lobbyisten, die vom Glauben an das grüne deutsche Wesen, an dem nun die Welt genesen soll, erfüllt sind, übersehen dabei die Folge einer Politik, die auf Verzicht und Wohlstandsverluste hinausläuft. Eine Folge, die Ulrike Herrmann, taz-Wirtschaftsjournalistin, übrigens vollkommen klar ist. Herrman schreibt: „Noch ist unvorstellbar, dass die Bundesregierung diskutiert, wie sie Stadtbewohner zu Ökobauern umschult. Doch erst wenn diese Debatten einsetzen, wurde das Klimaproblem verstanden.“ Und sie weist zurecht darauf hin: „Der Ökostrom soll genauso sprudeln wie bisher das Öl, das sogar dann noch mühelos verfügbar ist, wenn in den Fördergebieten ein Krieg ausbricht. Öl war nie kostbar, also wird es gedankenfrei verschwendet. Ähnlich ignorant wird nun Strom verschleudert, um Autos auf 240 Stundenkilometer zu bringen. Doch so banal es ist: Ökostrom ist nicht Öl. Öl war nie knapp, aber Windkraft ist es. Leider.“

Doch Wohlstandsverluste bedeuten nicht nur, dass wir alle ärmer werden, in kleineren Wohnungen leben müssen und keine Autos mehr haben dürfen. Die Wohlstandsverluste jedes westlichen Landes rauben auch der Demokratie ihre Strahlkraft. Wenn wir uns protestantischen Volkserziehern unterwerfen und am Ende einen noch halbwegs als ökologisch geltenden Lebensstandard wie in den 50er Jahren haben werden, werden Menschen in Asien und Afrika kaum auf die Idee kommen, sich beim Umbau ihrer Gesellschaften am Westen zu orientieren.

Und auch in Deutschland wird die Reaktion auf eine solche Politik eher ein Zustrom von Wählern für rechte und autoritäre Parteien wie die AfD bedeuten. Der Wohlstand für möglichst viele Menschen sichert die Demokratie, der Verlust von Wohlstand gefährdet sie. Geht es um die Lösung von Problemen wie dem Klimawandel, müssen, wenn wir weiterhin in einem demokratischen Land leben wollen und uns eine Welt wünschen, in der die Menschen überall frei und selbstbestimmt leben können. Wir müssen uns eine Welt wünschen, in der Wege gefunden werden, wie die Menschen global in Wohlstand leben können. Diese Lösungen werden wir, ich habe das schon häufiger geschrieben, nur durch Wissenschaft, Forschung und technische Innovationen erreichen können. Jede Wissenschaftlerin in einem Max-Planck-Institut, jeder Ingenieur in einer Entwicklungsabteilung der Industrie, jede Chemikern, jeder Programmierer leistet damit einen Beitrag zur Sicherung und Ausbreitung der Demokratie. Für die Hohepriester der Verzichtsethik gilt das nicht.

In Abwandlung eines klugen Satzes von Victor Hugo gilt: „In jedem Dorf gibt es eine Fackel, den Naturwissenschaftler, und jemanden, der dieses Licht löscht, den Angstprediger.“

 

 

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Helmut Junge
4 Jahre zuvor

Ja! Stefan Laurin, so ist das. " Jede Wissenschaftlerin in einem Max-Planck-Institut, jeder Ingenieur in einer Entwicklungsabteilung der Industrie, jede Chemikern, jeder Programmierer leistet damit einen Beitrag zur Sicherung und Ausbreitung der Demokratie. Für die Hohepriester der Verzichtsethik gilt das nicht."
Aber wir haben zur Zeit nicht einmal die Einsicht dazu in den Chefetagen von Politik, Verwaltungen und Wirtschaft.
Wenn dieser Gedanke so laut wird, daß er zum Himmel schreit, weil es zur harten Landung auf dem harten Boden der Realität kommt, wird es vermutlich längst zu spät sein. Denn das Problem fängt bereits beim Schulunterricht an, und dann geht es weiter in die Universitäten. Ich bin sehr pessimistisch. Unsere sogenannten Eliten haben die Köpfer mit Problemen voll, die alle nicht geeignet sind, vorhandene Probleme zu lösen. In unserem Dorf gibt es kaum noch Fackeln, aber unzählige Angstprediger.

Arnold Voss
4 Jahre zuvor

Der große Deal der Kommunistischen Partei Chinas mit ihrem Volk lautet: So lange wir weiteren Fortschritt und Wohlstand liefern bleibt ihr ruhig und werdet nicht renitent. Und wenn ihr es trotzdem werdet, werden wir euch daran erinnern, wer in diesem Land das Sagen hat. Um zu liefern, ist Chinas politische Elite dabei in jeder Weise pragmatisch geworden. Es werden kapitalistische und sozialistische Elemente relativ beliebig gemischt, wenn sie denn das Oberziel des technischen Fortschritts und des wachsenden Wohlstandes zu erreichen versprechen. Plan und Markt, bisland von westlichen Ideologen immer für unvereinbar gehalten, werden da eingesetzt wo sie jeweils funktionieren. Tun sie es nicht, werden sie gegeneinander ausgewechselt oder ganz außer Kraft gesetzt, um gänzliche neue Wege zu gehen. Davon können auch Demokratien lernen.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
4 Jahre zuvor

Ich glaube allerdings nicht mehr, das diese Einsicht in den nächsten Jahrzehnten einsichtsfähig ist.
Wer das akzeptiert und zu Ende denkt, müsst sofort einen Großteil der Bildungsrefomen der letzten 40 Jahre zurückschrauben und damit die egoistischen Illusionen eines einfachen Statusaufstieges beenden.
Es ist halt einfacher geworden in einer wohlständigen unbehelligten Gesellschaft Ansprüche auch ohne entsprechende Leistung zu befriedigen, gewisse geschlossene Club Privilegierungen haben da nur eine Alibi geschaffen. Und man sieht es deutlich bei den meisten Umweltaktivisten, kaum einer hat eine Ausbildung die zu Innovationen befähigt.
Was sich auf den billigen gemeinsamen Nenner bringen lässt, Ansprüche aber null Kompetenz diese selbst zu verwirklichen.
Es gibt eine Menge Wahrheiten die bei uns niemand hören will, weil sie so manches hohe Gehalt in Fragestellen würde von Menschen die glauben Probleme zu benennen ohne sie selbst zu lösen sei eine Leistung.

0815
0815
4 Jahre zuvor

Richtig deutsch mal wieder Israel als Projektionsfläche ausgepackt… Könnte man auch einfach mal lassen.

Gerd
Gerd
4 Jahre zuvor

Gefahren für die Demokratie?

Bitte eine Nummer weniger alarmistisch. Mehr als eine Gefahr für die aktuell den Ton angegeben Parteien und Medien gibt es nicht. Und selbst die hält sich in Deutschland in Grenzen, was man an der gestiegenen Zustimmung zu den Grünen sehen kann.

paule t.
paule t.
4 Jahre zuvor

Also, ich habe keine so negative Meinung über die Demokratie wie der Autor. Meiner Meinung nach sind Demokratie und Freiheit auch als Konzepte _selbst_ attraktiv und nicht nur gewissermaßen durch Bestechung ihrer Teilnehmer dann, wenn die entsprechenden Gesellschaften ihnen größeren Konsum versprechen können als andere Gesellschaften.

Ebenfalls nicht teilen kann ich den pseudoreligiösen Technikglauben des Autors. Ja, natürlich hat die Technik in den letzten Jahrzehnten gewaltige Fortschritte gemacht (zB ist die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen in einer Weise leistungsfähig, die auch optimistische Prognosen übertroffen hat), und es gibt eigentlich keinen Grund anzunehmen, dass diese Fortschritte nicht weitergehen. Man kann also durchaus optimistisch sein, dass technischer Fortschritt einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung von Problemen wie der Klimaerhitzung wird leisten können.

Dennoch ist es einfach nur bedenkenlos naiv, darauf zu vertrauen, _alleine_ technischer Fortschritt könnte diese Probleme lösen, ohne dass _irgendetwas_ am Konsumverhalten geändert werden müsste, auch wenn man noch _überhaupt_ keine Ahnung hat, wie das gehen könnte.

Transport von Einzelpersonen in PKWs zB hat nun einmal einen gewissen Mindestbedarf an Energie, der sich auch durch eine (sicherlich zu erwartende) Effizienzsteigerung nicht unterschreiten lassen wird, einfach weil die Bewegung von Masse eine bestimmte Energie erfordert – auch wenn man eine maximal effiziente Technik entwickelt. Gleiches gilt für Ferntransporte von Menschen und Waren, oder auch für die Produktion von Fleisch. Bei all diesen Dingen ist es in keiner Weise absehbar, weil naturwissenschaftlich wohl gar nicht denkbar, wie der derzeitige Konsum in westlichen Ländern auf die ganze Welt ausgedehnt oder auch nur beibehalten werden könnte, ohne die Bewältigung der Klimaerhitzung völlig unmöglich zu machen. (Von anderen Problemen wie der Geährdung der Biodiversität gar nicht zu reden.)

Vor diesem Hintergund die unveränderte Fortsetzung unseres derzeitigen Konsumverhaltens zu predigen, ist einfach nur eine realitätsblinde Traumtänzerei. Dabei ist es mE aber auch völlig unnötig, sich in dieser Weise an den derzeitigen Konsum als Heilversprechen zu ketten, ohne den Wohlstand, Lebensqualität und Demokratie angeblich gefährdet seien. Wohlstand im Sinne eines lebenswerten, wirtschaftlich abgesicherten und genussreichen Lebens ist sicher auch möglich, wenn Mobilität anders ermöglicht wird als durch den privaten PKW, das Kennenlernen der Welt anders als durch jährliche Flugreisen und genussvolles Essen anders als durch täglichen Fleischkonsum.

Helmut Junge
4 Jahre zuvor

@Paule t. Sie diskutieren die Konkurrenzsituation quasi als nicht relevant herunter. Aber die ist treibende Kraft unter menschlichen Zivilisationen. Wer technologisch im Vorteil ist, bestimmt den Markt und damit auch die Lebensumstände seiner eigenen und aller anderen Bevölkerungen.
Wenn das für Sie kein Schreckgespenst ist, für mich ist es das schon.
Denn wenn es hier wirtschaftlich den Bach runter geht, möchte ich nicht wissen, was sich alles an Spannungen innerhalb unserer Gesellschaft entladen könnte.
Ohne jetzt darüber zu spekulieren, vermute ich, daß man erwarten kann, daß es so wird, wie es dort ist, wo die Menschen in solchen Zuständen leben.
Solche Demokratien haben eben keinerlei Anziehungskraft. Denken Sie einmal an die Zeiten der Weimarer Republik, als es vielen Menschen schlecht ging. Anziehungskraft der Demokratie? Ohne Konsum? Gucken Sie doch mal nach Brasilien! Von wegen! Menschen sind keine Asketen. Die werden nervös, wenn sie sich keine MATERIELLEN Träume erfüllen können. Und dann wählen sie den, der ihnen die Efüllung ihrer Träume verspricht.

paule t.
paule t.
4 Jahre zuvor

Lieber Herr Junge, Sie sollten meinen Beitrag noch mal genauer lesen.

Helmut Junge
4 Jahre zuvor

@Paule t., ich beziehe mich nur auf den Absatz 1. Das ist eine Kernfrage, die gerne ausgeklammert wird.
Ansonsten habe ich gegen Ihren Kommentar gar nicht so viel, wie Sie vielleicht denken. Ist doch alles diskutierbar.
Vielleicht doch noch ein Gedanke zum Ersatz für Fleisch durch pflanzliche Produkte.
Der Gedanke ist, daß ich nicht verstehe, wieso solche Produkte in etwa so teuer wie Fleisch sind, wo doch zur Erzeugung von 1kg Fleisch ca. 7kg Soja benötigt werden. Woran liegt das ? Der arme Verbraucher hat von einer Umstellung keinen Vorteil. Warum sollte er dann umsteigen? Und wenn gar gefordert wird kein billiges Fleisch zu kaufen, muß dann nicht erst die finanzielle Grundlage geschaffen werden?
Wenn nicht, kommt es als Borniertheit rüber.
Haben Sie nicht selber gesagt, aber als Anregung möchte ich es trotzdem nicht unerwähnt lassen.

paule t.
paule t.
4 Jahre zuvor

TL,DR: Was ich dem Autor vorwerfe: Zu geringes Vertrauen in die Attraktivität der Demokratie an sich; eine unsinnige Gleichsetzung eines ressourcenverschleudernden Konsums mit Wohlstand; blinde, quaireligiöse Technikgläubigkeit gepaart mit Realitätsverweigerung; Strohmannargumentation gegen eine hauptsächlich imaginierte "Verzichtsethik".

—————————————

Ausführlich @ Helmut Junge:

Nun, die Frage der Konkurrenz: Natürlich gibt es eine Konkurrenz zwischen verschiedenen Regierungsformen. Allerdings halte ich es für eine grausame Verkürzung (die nur durch die Verkürzung des Menschen auf einen homo oeconomicus funktioniert), diese Konkurrenz allein in der Größe des gebotenen Konsums zu sehen, und dann auch noch genau des Konsums, den es im Moment unter großem Ressourcenverbrauch in westlichen Gesellschaften gibt.

Und das tut der Autor oben – am Anfang spricht er zwar einmal von "freier und wohlhabender", aber das "freier" spielt im Verlauf des Textes weiter keine große Rolle, und das "wohlhabender" kommt ausschließlich in Form des derzeitigen Konsumverhaltens vor bzw. in der Polemik gegen Vorstellungen, dass dieses Konsumverhalten nicht beliebig fortsetzbar sei.

Und daran habe ich vier Kritikpunkte (sie kommen alle auch oben vor, seien zur Deutlichkeit aber noch einmal genauer benannt):

1. Der Autor geht (abgesehen von der bloßen Nennung des "frei" am Anfang) daran vorbei, dass zur Konkurrenz der Gesellschaftssysteme auch ein inhärenter Wert der Demokratie selbst gehört. Wenn das aber so wäre, dass die Freiheiten und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Demokratie selbst keine Werte wären, die in der Systemkonkurrenz vermittelbar wären, sondern es nur um den Wohlstand gibge – dann könnten wir's mit der Demokratie auch lassen. Das glaube ich aber nicht – ich habe eben eine höhere Meinung von der Demokratie.

2. Der Autor tut so, als wäre es ausschließlich das _jetzige_ Konsumverhalten, das als "Wohlstand" gewertet werden und den Menschen vermittelt werden könnte (wobei er ja gar nicht viel mehr nennt als Wohnungen und Autos). Es geht aber gar nicht zwingend um eine Einschränkung jeglichen Konsums und Wohlstands (das ist ein Strohmann-Argument), sondern um eine Umsteuerung weg von dem Konsum, der stark ressourcenverbrauchend ist, hin zu einem, der das weniger stark ist. Das muss gar nicht ein geringerer Wohlstand sein, aber ein anderer (zB mehr Konsum von Dienstleistungen statt Ressourcenverbrauch). Und auch ein solcher anderer Wohlstand kann im Wettbewerb attraktiv sein.

Beispiel: Ist der gesellschaftliche Verzicht auf übergroße PKWs notwendigerweise eine Einschränkung des Wohlstands? Diejenigen, die jetzt drinsitzen, werden das so sehen. Ich dagegen würde Städte, die stärker auf Fußgänger, Radfahrer und öffentlichen Verkehr ausgerichtet sind, als erheblichen Gewinn an Lebensqualität und Wohlstand sehen.
Dafür, dass es auch einen _anderen_ Wohlstand geben könnte als da jetzige Konsumverhalten, und ein Verzicht auf bestimmten Konsum nicht notwendigerweise einen allgemeinen Wohlstandsverlust bedeutet, fehlt dem Autor aber anscheinend völlig die Fantasie.

3. Der Autor hat keinerlei Lösungen anzubieten außer einer blinden Technikgläubigkeit. Nun hege ich ja, wie oben hoffentlich klar geworden ist, auch einen großen Technikoptimismus. Aber man müsste schon grob wissen, in welche Richtung die Technik sich denn verbessern müsste und könnte, um etwas zur Lösung aktueller Probleme beitragen zu können – denn die Lage ist nun einmal so (z.B., aber nicht nur in Bezug auf die Klimaerhitzung), dass man nicht einfach abwarten kann, bis eine jetzt gar nicht absehbare Technik alle Probleme löst, sondern _jetzt_ etwas unternehmen muss.

Dazu gehört dann auch, sich gewissen Realitäten zu stellen: Auch eine erhebliche Effizienzsteigerung würde nichts daran ändern, dass z.B. eine bestimmte Menge Energie benötigt wird, um Menschen als Einzelpersonen jeweils in Maschinen mit einem Gewicht von 1,5t oder zu transportieren; und auch CO2-neutral produzierte Energie wird – auch große Fortschritte eingerechnet – nun mal nicht in beliebiger Menge zur Verfügung stehen. Deswegen sind solche Formen des Konsums einfach nicht mehr verantwortbar.
Solche Realitäten nimmt der Autor aber einfach nicht zur Kenntnis.

4. Getrieben wird der Text ferner von einer ziemlich substanzlosen Strohmann-Polemik gegen eine angeblich prinzipielle "Verzichtsethik". Von einer solchen Ethik findet sich im angegriffenen Text Hermanns aber einfach – nichts. Sie legt lediglich dar, dass man auf _bestimmte_, stark ressourcenverbrauchende Verhaltensweisen verzichten müsse (und gegen ihre Argumente für diese Position hat der Autor rein gar nichts zu bieten als die genannte blinde Technikgläubigkeit). Davon, dass ganz allgemein Verzicht höher zu werten sei als Wohlstand (das wäre eine tatsächliche "Verzichtsethik"), steht dort aber einfach nichts.

Ferner tut der Autor – indem er zum Schluss die "Wissenschaftlerin in einem Max-Planck-Institut", den "Ingenieur in einer Entwicklungsabteilung der Industrie", die "Chemiker[i]n" und den "Programmierer" gegen die angeblichen "Hohepriester" der imagninierten "Verzichtsethik" in Stellung bringt – so, als gäbe es einen Widerspruch dazwischen, auf Fortschritte in der Technik zu setzen, und über notwendige Änderungen im Konsumverhalten nachzudenken. Das ist aber einfach Unsinn. Beides ist notwendig – und ich vermute, sehr viele Wissenschaftler und Ingenieure würden das genau so sehen und das blinde Vertrauen in gar nicht absehbare technische Fortschritte, das der Autor zeigt, auch eher kritisch sehen. _Diese_ Leute können nämlich idR ganz gut abschätzen, was ihre Tätigkeit an Beiträgen zur Problemlösung tatsächlich beitragen könnte – und was nicht.

Helmut Junge
4 Jahre zuvor

@Paule T. wir leben nicht (mehr) in der priveligierten Zeit, in der man sich den Diskussionspartner nach dessen echter oder vermuteter Parteizugehörigkeit aussuchen konnte.
Ich muß mit allen Kommentatoren, die ernsthaft auf sachlicher Ebene diskutieren, den Gedankenaustausch hinkriegen. Daran darf mich auch nicht die eigene Filterblase hindern.
Ja, die habe ich auch. Diesesmal haben Sie Gedanken geäußert, die aus meiner Sicht nachdenkenswert sind, und ich werde über Ihre Gedanken nachdenken. Aber nicht mehr heute. Das kann wegen meiner knappen Zeit etwas dauern. Aber Sie gehen mir ja nicht verloren.

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