Frieden gibt es nicht ohne Verteidigung – Was Deutschland von den Polen lernen könnte

F16 im Einsatz in Polen Foto: U.S. Air Force photo by Staff Sgt. Jonathan Snyder Lizenz: Gemeinfrei

Es ist schwer zu begreifen, dass man im Krieg ist, wenn im eigenen Land keine Bomben fallen. Wenn das unausweichliche Leid, das eine bewaffnete Auseinandersetzung mit sich bringt, nicht von einem selbst erlitten wird. Das ging selbst den Deutschen im Zweiten Weltkrieg so lange so, wie die eigenen Soldaten in den von ihnen überfallenen Ländern auf der Siegerstraße waren. Sie konnten und wollten sich nicht vorstellen, dass er auch zu ihnen kommen und ihre Heimat in Schutt und Asche legen würde.

Aber sie waren in geradezu perverser Weise verteidigungsbereit, als er zu ihnen kam, weil sie in einer militärischen Kultur des Gehorsams groß geworden und in der Mehrzahl vom Faschismus als Herrenmenschenideologie angetan waren. Sie folgten, mit wenigen Ausnahmen, ihrem Führer bis in den Untergang und brauchten Jahrzehnte demokratischer Umerziehung, um das auch als politische und kulturelle Katastrophe historischen Ausmaßes zu begreifen. Mit dem Ergebnis allerdings, nicht nur ihren Kriegswillen, sondern auch ihre Verteidigungsbereitschaft zu verlieren.

Nicht nur der Krieg wurde aus guten Gründen verdammt, und die Wiederbewaffnung selbst in der DDR eher widerwillig vollzogen. Im vereinten Deutschland verschwand, in Anbetracht der Auflösung des Eisernen Vorhangs, was Europa betraf, sogar die Möglichkeit eines zukünftigen Krieges komplett aus dem öffentlichen Bewusstsein. Der Verteidigungsbereitschaft wurde so ihr Grund und damit ihre soziale und politische Berechtigung genommen. Das Militär war nicht mehr existenzsichernd, sondern Bündnispflicht.

So wie der Frieden den Deutschen nach dem letzten Weltkrieg mit Waffengewalt aufoktroyiert wurde, so wurde ihnen im Westen über die von der Siegermacht USA geführte NATO und im Osten über den von der Siegermacht Sowjetunion geführten Warschauer Pakt die erneute Kriegsbeteiligung vorgeschrieben. Beides haben sie nicht mit Begeisterung aufgenommen, sondern mehr oder weniger über sich ergehen lassen. Im ersten Fall, weil sie mehrheitlich nicht den Krieg, sondern ihre Niederlage bedauerten. Im zweiten Fall, weil sie im Osten wie im Westen wussten, dass sie sich zu fügen hatten.

Obwohl es im Osten im Gegensatz zum Westen eine als antifaschistisch deklarierte militärische Indoktrination und Mobilisierung gab, war deswegen nach der Wiedervereinigung der Wunsch, als weltweite Friedensmacht angesehen zu werden, in beiden Teilen Deutschlands dominant. Die deutschen NATO-Einsätze wurden in der Mehrheit entsprechend, und teilweise nicht ohne Grund, skeptisch bis ablehnend betrachtet. Erst recht, weil die westdeutsche Linke sich mit der ostdeutschen Rechten im Anti-Amerikanismus genauso einig war wie beim Schönreden russischer Aggressionen.

Der Frieden wurde so in Deutschland geradezu zur Bürgerpflicht, und das Militär sowie alle, die es befürworteten, zu einer Art moralischer Paria. Der Soldat wurde bei der postmodernen Linken zum Sinnbild „toxischer Männlichkeit“ und bei der Mehrheitsbevölkerung zu einem bedauerlichen Menschen, der keine andere Alternative hatte und/oder eine rechtsextreme Gesinnung besaß. Berufssoldat wurde zum Antiberuf, Generäle zu potenziellen Massenmördern und Verteidigungsminister zum unbeliebtesten Regierungsamt.

Die Deutschen sind so – zum Glück der restlichen Welt – von Kriegstreibern zu Friedensaposteln mutiert und wurden dafür obendrein als hochproduktive Exportweltmacht fürstlich belohnt. Nur verteidigen wollen sie diesen Erfolg nicht. Und selbst wenn sie es wollten, könnten sie es nicht, weil ihnen auf dem Weg dahin alles abhandengekommen ist, was man dazu in der heutigen Militärwelt braucht: hochtechnisierte Waffen, hochmotivierte Soldaten, hochsichere Schutzräume für Zivilisten und vor allem eine ausreichend hohe Zustimmung in der Bevölkerung.

Die wiederum hängt nicht nur davon ab, dass das Militär einen neuen und stärkeren Stellenwert in der öffentlichen Meinung bekommt, sondern auch davon, wie hoch die notwendige militärische Aufrüstung die Bevölkerung an Wohlstandsverlusten kostet. Denn mittlerweile fehlen Deutschland auch die Wachstumsraten, um das alles ohne einen horrenden Schuldenberg zu finanzieren bzw. diesen je wieder abbauen zu können. Was wiederum erhebliche Einschnitte und Sparmaßnahmen in anderen Bereichen erfordert.

Deutschland ist damit – in die Börsensprache übersetzt – zum Übernahmekandidaten geworden, was militärisch nichts anderes als freiwillige und bedingungslose Kapitulation bedeutet, um den Totalverlust zu verhindern. Das also, was die Ukraine eventuell noch vor sich hat, wenn Westeuropa und die USA ihr nicht weiter ausreichend zur Seite stehen. Und genau hier schließt sich der Kreis, denn auch wenn in Deutschland keine Bomben fallen, ist der Krieg schon da. Und das nicht nur in Form hybrider Nadelstiche, sondern als vollumfängliche militärische Bündnispflicht zum Schutz des eigenen Landes.

Dabei kann Deutschland froh sein, dass zwischen seiner und der ukrainischen Westgrenze das mittlerweile hochgerüstete Polen liegt, dessen Bewohner ihren Hass auf Deutschland gegen die Angst vor einer Wiederkehr der russischen Herrschaft ausgetauscht haben. Denen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht die Westmächte auf den Sprung geholfen haben, sondern die stattdessen den Knüppel von Sowjetrussland im Rücken hatten. Für die die Russen, im Gegensatz zu Ostdeutschland, trotz prorussischer Indoktrination nie Freunde, sondern potenzielle Unterdrücker waren.

Die ihr Land gerade wegen seiner Geschichte bis heute der Verteidigung wert halten und immer wieder bewiesen haben, dass sie dafür mehrheitlich auch ihr Leben zu opfern bereit sind. Ein Land, das weder besonders amerikafreundlich noch feindlich eingestellt ist und deswegen auch kein Problem mit seiner NATO-Mitgliedschaft hat. Im Gegenteil: Es wollte unbedingt in die NATO, weil seine Bevölkerung bitter erfahren musste, dass gegen die Aggression eines Imperiums nur eine starke, das heißt hochgerüstete Verteidigungsgemeinschaft schützt.

Während die Polen aber aus ihrer mehrfachen Teilungshistorie einen friedlichen Nationalstolz entwickelt haben, der das Militärische nicht ausschließt, sondern integriert, haben die Deutschen aus ihrer Teilungsgeschichte diesbezüglich nichts gelernt. Während der Westen Deutschlands sich mehrheitlich jeden Nationalstolz hat austreiben lassen bzw. ihn aus nachvollziehbaren Gründen als rechts außen definiert hat, ist im Osten dieses Landes in immer größeren Teilen der Bevölkerung nach der Wende ein völkischer Nationalismus entstanden, der sich dem Westen zunehmend entfremdet.

Statt sich in einem gemeinsamen, friedlichen und europafreundlichen Nationalismus zu einen, finden sich beide Teile Deutschlands nur in der Ablehnung der USA, der NATO und jeglichen militärischen Engagements zusammen. Diese rechts-linke Querfront des Friedens um jeden Preis findet zwar zunehmend weniger Zustimmung in der Gesamtbevölkerung, ist aber mächtig genug, um einen neuen kollektiven Lernprozess hin zu einer auch militärisch fundierten Verteidigungskultur zu torpedieren. Ein Lernprozess, der dringend notwendig ist und zugleich die Chance böte, die Wiedervereinigung – die in Wirklichkeit eine Übernahme des Ostens durch den Westen war – auf eine neue gemeinsame Wertebasis zu stellen.

Mit dem Nebeneffekt, dass damit auch die AfD wieder auf den politischen Platz gestellt werden könnte, der ihr sowieso nicht zu nehmen ist: als Partei der 15–20 % der gesamtdeutschen Bevölkerung, die immer schon und weiterhin völkisch-nationalistisch, ordnungsautoritär und familiär patriarchalisch leben wollen. Diesen Teil kann man weder durch politische Verbote noch durch kulturelle Diskriminierung verkleinern, geschweige denn durch Erwachsenenpädagogik belehren. Auch die von einigen ventilierte Wiedererrichtung der Mauer hilft da nicht. Stattdessen sollten wir unser Geld flächendeckend lieber in bestens ausgestattete Kitas und Schulen sowie in demokratisch gesinnte und engagierte Lehrer und Erzieher investieren.

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