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Für Hrant. Für die Gerechtigkeit.

Katil 301 – Mörder 301 – gemeint ist der Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der die „Herabwürdigung des Türkentums“ unter Strafe stellt. Unter dieser Anklage stand Hrant Dink in seinem letzten Prozess. Foto: Saban Dayanan

Heute vor 10 Jahren wurde Hrant Dink, Herausgeber der armenisch-türkischen Wochenzeitung AGOS in Istanbul erschossen. Auch im zehnten Jahren der Ermordung sind die Drahtzieher dieses politischen Mordes noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen. Von unserem Gastautor Ilias Kevork Uyar.

Der armenische Journalist und Menschenrechtsaktivist wurde am 19. Januar 2007 auf offener Straße kaltblütig erschossen. Was viele befürchtet hatten, wurde wahr. Hrant wurde umgebracht, seine Gedanken wurden zu gefährlich.

Vorausgegangen war eine lange, öffentliche Treibjagd auf ihn. Unverhohlene Drohungen von Nationalisten, mediale Kampagnen, die ihn als Landesverräter, als Feind der Türken zur Zielscheibe abstempelten, wurden immer lebensbedrohlicher. Die Justiz tat ihr Übriges, nationalistische Staatsanwälte überzogen Dink mit Prozessen nach dem Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der die „Herabwürdigung des Türkentums“ unter Strafe stellt. Unter dieser Anklage stand Hrant Dink in seinem letzten Prozess, wegen eines Artikels, den er in der AGOS veröffentlicht hatte. Die Wochenzeitung AGOS hatte er 1996 gegründet. Sie war etwas Besonderes, erschien sie doch auf Türkisch und Armenisch; in der Redaktion arbeiten Armenier, Türken, Kurden gemeinsam. In der AGOS erschienen offene und mutige Artikel, welche die Diskriminierungen ansprachen und historische Aufklärungsarbeit leisteten.

Obwohl in der Auflage klein bekam die AGOS eine immense Breitenwirkung, nicht zuletzt wegen des charismatischen, meinungsstarken und wortgewaltigen Hrant Dink. Er gab der armenischen Gemeinde in der Türkei eine Stimme und wurde zugleich zum Sprachrohr der Verfolgten und Unsichtbaren. Für seine Verdienste und seines Engagements für Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei wurde er mehrfach ausgezeichnet, so unter anderem 2006 mit dem Henri-Nannen-Preis.

„Derin“den Vurulduk – ein Wortspiel: kann vordergründig mit „Tief betroffen“ übersetzt werden, meint aber „Aus der Tiefe erschossen“ hinweisend auf die Urheber des Mordes. Gemeint ist der sogenannte „Tiefe Staat“, verdeckt operierende, illegitime Einheiten des Staates.

Nationale Tabus wurden in der AGOS nicht ausgeklammert: Dink sprach offen vom Völkermord, dessen Opfer sein Volk geworden war. Er deckte auf, dass die Stieftochter des Staatsgründers ein armenisches Waisenkind war, das seine Eltern im Völkermord verloren hatte. Hrant Dink geriet dadurch immer mehr in den Fokus radikal-nationalistischer Kräfte.

Am 19. Januar 2007 wurde Hrant Dink mit drei Schüssen auf seinen Kopf hinterrücks vor seinem Redaktionsgebäude von dem noch minderjährigen Ogun Samast, einem rechtsradikalen Nationalisten, ermordet.

Die Ermordung Hrant Dinks löste eine unerwartete und bis dahin noch nie dagewesene Reaktion in der Bevölkerung aus.

Wut, Empörung, Solidarität, Ohnmacht brachten viele Menschen zueinander: Menschen aller Konfessionen, aller sozialen Schichten und aus einem breiten politischen Spektrum solidarisierten sich mit dem Ermordeten. Seine Beisetzung war etwas noch nie Dagewesenes. Hunderttausende Menschen gingen auf die Straße, es wurde kein Staatsbegräbnis, sondern ein Volksbegräbnis, für den Armenier.

Die bislang als Schimpfwort verwendete Bezeichnung „Armenier“ wurde zur Losung dieser Menschen: „Wir sind alle Hrant Dink“ und „Wir sind alle Armenier“. Mit diesen Bannern auf Armenisch, Kurdisch und Türkisch bekannten sich Hunderttausende zu den Werten, wegen denen Hrant Dink ermordet wurde.

Das war in der langen Reihe der politischen Morde in der Türkei ein Novum. So wie Hrant Dinks Rolle ein Novum war, als Brückenbauer, der Tabus hinterfragte, der gesellschaftliche Trennungen aufbrechen wollte, fernab der nationalen, ethischen und religiösen Fraktionen. Oder wie er es selbst beschrieb:

„Ich bin ein Bürger der Türkei und gehöre zu diesem Land, ich bin Armenier, und ich bin bis auf die Knochen Anatolier. Ich habe mit meinem Land geweint, als es wegen Sivas in Tränen ausgebrochen ist. Und als mein Land mit kriminellen Politikbanden gerungen hat, rang ich mit. Ich will und kann mein Schicksal nicht vom Kampf für mehr Freiheit in diesem Land trennen. Für die Rechte, die ich genieße, habe ich ein Preis gezahlt, und für die Rechte, die ich will, zahle ich diesen Preis noch heute!“

Die Blaupause eines politischen Mordes wird auch im Fall Dink deutllich. Der Todesschütze wurde schnell gefasst. Vielen war jedoch klar, dass der 17-jährige Attentäter kein Einzeltäter gewesen sein konnte.

„Er wurde getötet, weil dem Staat seine Gedanken nicht genehm waren. Wir haben jemanden umgebracht, dessen Gedanken wir nicht ertragen konnten“, wusste der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk nur zu genau.

Nach der Tat kursierten Bilder, auf denen Polizisten stolz mit dem gerade festgenommenen Attentäter vor einer türkischen Flagge posierten und ihn wie einen Helden behandelten. Auch diese Bilder haben diesen Verdacht nicht gerade erschüttert. Noch im vergangenen Jahr tauchten Videos mit diesen Szenen auf, die nochmals verdeutlichten, wie stolz die Offiziere aus der Jandarmerie und Gemeindienst mit dem Mörder umgingen.

Der Mörder wurde im Juli 2011 zu 22 Jahren Haft verurteilt wurde. Ein Jahr später erfolgte die Verurteilung zweier Hintermänner, die ihn direkt instruiert hatten – dennoch alles kleine Fische. Die Anwälte der Familie Dink erkannten schon im Ermittlungsverfahren, dass die Staatsanwaltschaft weniger an der Aufklärung als vielmehr an der Verdunkelung der Tatbeteiligung der Hintermänner gelegen war.

Die Ermittlungen endeten dort, obwohl wichtige Beweismittel wie Kameraaufzeichnungen verschwanden, Zeugen nicht gehört, Aktenteile unter Verschluss gehalten wurden.

2012 dann der Schock: „Hrant Dink wurde ein zweites Mal erschossen“, titelten Zeitungen. Die 14. Strafkammer des Istanbuler Gerichts konnte keine Organisation hinter dem Attentat auf Dink erkennen und sprach die 18 Angeklagten vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung frei.

Was das türkische Strafgericht nicht erkennen konnte, sah 2010 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als erwiesen an. Die Richter im fernen Straßburg verurteilten die Türkei, weil die Sicherheitsbehörden der Türkei Hrant Dink nicht geschützt hatten, obwohl sie von den Mordplänen wussten. Die Türkei habe es auch unterlassen, ihre Versäumnisse gegenüber dem Mord zu untersuchen. Das Straßburger Urteil fiehl einstimming.

In der Tat, die Sicherheitskreise in Trabzon waren ein Jahr vor der Tat von den möglichen Plänen zur Ermordung Dinks bestens informiert. Es gingen mehrfach Berichte an den Polizeipräsidenten und andere Sicherheitsbehörden nach Istanbul und sogar ins Innenministerium, die sehr konkret waren. Dennoch wurde Hrant Dink nicht geschützt, obwohl schon die medialen Lynchkampagnen gegen ihn liefen. Auch das ist nicht untypisch für den politischen Mord in der Türkei.

2013 wurde der Prozess dann neu aufgerollt und Mitarbeiter aus dem Geheimdienst und Sicherheitsbehörden saßen erneut auf der Anklagebank. Und alle beschuldigten sich gegenseitig.

Die politische Führung des Landes bezichtigte immer jeweils seine stärksten Widersacher: Urheber des Mordes seien nationalistische Ergenekon-Vertreter gewesen, dann wiederum sollten Güllenisten hinter dem Mord gestanden haben. Obwohl der Prozess gegen die Mörder von Hrant Dink der wichtigste politische Prozess des letzten Jahrzehnts in der Türkei ist, war in der AKP-Regierung von einem Aufklärungswillen nicht viel zu erkennen.

Heute versammeln sich wieder unzählige Menschen am Redaktionsgebäude der AGOS in Istanbul, um an Hrant Dink zu erinnern. Auf Ihren Banner wird wieder stehen: „Für Hrant, Für Gerechtigkeit.“

Morgen ist der nächste Verhandlungstag im Dink-Prozess. Der Türkei ist es in zehn Jahren nicht gelungen, den Mordfall lückenlos aufzuklären und die verantwortlichen Hintermänner zur Verantwortung zu ziehen. Auch das entspricht der Blaupause eines politischen Mordes in der Türkei.
Ilias Kevork Uyar ist Rechtsanwalt, Publizist und aktives Mitglied der Initiative „Anerkennung Jetzt“

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