Gefordert? ja. Ratlos? Nein – Soziale Straßenzeitungen und Roma

Am vergangenen Wochenende trafen sich Vertreter der deutschsprachigen sozialen Straßenzeitungen in Wien. Das Thema war provokativ und mit einem – nicht ganz unwesentlichen – Fragezeichen versehen: „Arm gegen Ärmer?! Roma, AsylbewerberInnen und die „Einheimischen“. Ein Gastbeitrag von Bastian Pütter.

Soziale Straßenzeitungen – unbekannte Wesen

Die Idee ist immer dieselbe: Ein Magazin, meist erstellt von einer Redaktion aus Journalistinnen und Journalisten wird vertrieben von Wohnungslosen, Suchtkranken, Armen. Mindestens die Hälfte des Kaufpreises behält der Verkäufer / die Verkäuferin.

Hier enden scheinbar die Gemeinsamkeiten, denn vom alternativen Wagenburg-Projekt bis zum hochprofessionellen Stadtmagazin ist alles dabei, die Auflagen reichen von 5.000 bis zu 80.000 Heften im Monat.

Doch noch etwas Entscheidendes eint alle Straßenmagazine (übrigens weltweit – im internationalen Verband INSP sind Zeitungen aus 38 Ländern organisiert.): Der Vertrieb steht gleichberechtigt neben dem journalistischen Produkt. Das heißt: Kern der Arbeit ist, Menschen in Not mit dem „Produkt“ zu versorgen, das sie von Almosenempfängern zu Verkäufern macht.

Der von Anfang an intendierte Nebeneffekt ist die Integration von aus allen Bezügen gefallenen Menschen in neue soziale Netzwerke, die Halt geben, selbstbewusst machen und Wertschätzung vermitteln. Wem auf der Straße gesagt wird, dass er oder sie am Tag zuvor vermisst wurde, fühlt sich angenommen.

Die Erfolge, die die selbst organisierte Arbeit als Straßenverkäufer vorweisen kann, spricht für dieses Konzept des „sich-selbst-wieder-Integrierens“. Der eigentliche Verdienst steht weit hinter diesen Effekten zurück – als Bettler würden die meisten unserer VerkäuferInnen mehr verdienen. Sie verkaufen Straßenmagazine im Rahmen ihres selbst gewählten Ausstiegs aus dem Abseits und der Einsamkeit.

Roma und die neue Armut aus Südosteuropa

Wir Straßenzeitungen leben ganz gut mit Gegensätzen und Widersprüchen. Jede Zeitung hat einen eigenen Zugang, auch was den Vertrieb angeht. Bei bodo liegt der Schwerpunkt auf der sozialen Reintegration von Verkäuferinnen und Verkäufern. Wir ermutigen zum Beitritt zur bodo-“Community“, vermitteln Kontakte unter den Verkäufer_innen, ermöglichen den Zugang zu Kulturveranstaltungen, machen unsere Verkäufer_innen zu Kunden unseres Buchladens, ermöglichen den „Aufstieg“ in unsere weiteren Beschäftigungsprojekte usw.

Um es kurz zu machen: Der Schwerpunkt unserer Arbeit ist, unseren Verkäufern das (zurück) zu geben, was die Roma, die zu uns kommen, längst haben: Netzwerke, Bezüge, Kultur.

Die angeblichen Lawinen, die über die Dortmunder Nordstadt hereingebrochen sind, bestehen aus Menschen aus intakten Großfamilien, in denen niemand fallengelassen wird, um es polemisch zu sagen. Die neuen Zuwanderer haben alles – nur kein Geld. Die Armut und nicht zuletzt die  während jahrhundertelanger Ausgrenzung entwickelten Bewältigungsstrategien haben dazu geführt, dass nicht nur in Dortmund die helle Panik herrscht. Lokalpolitik und Mainstream-Medien haben sich in den letzten Monaten rassistische Ausfälle geleistet, die ihnen noch lange nachhängen werden.

Gleichzeitig sind Menschen, die so verzweifelt sind, dass sie Ihre Angehörigen – Frauen wie Männer – anschaffen lassen, zu Dingen bereit, die wir aus unseren Zusammenhängen nur am Rande kennen.

In Wien haben wir diskutiert, wie mit kultureller Fremdheit einerseits und erworbenen „Techniken“ andererseits umgegangen werden kann, die unsere Kunden und die Stadtbevölkerung allgemein ablehnen. Was ist, wenn Straßenzeitungsverkäufer betteln und einzelne gar stehlen? Wie lassen sich Familien statt isolierter Einzelpersonen einbinden?

Im aktuellen rassistischen Klima sind wir sicher: eine große Zahl an Roma-Verkäufern bei bodo würde den Fortbestand unserer Arbeit massiv gefährden. Schon jetzt sind unsere sich meist angepasst und regelkonform verhaltenden Verkäufer Opfer von Repression vor allem durch private Sicherheitsdienste, aber auch Polizei, Ordnungsämter, Stadtwerke, Gewerbevereine usw. sind nicht gerade Randgruppen-Fans.

Wir bringen aus Wien viele Anregungen, Konzepte, Kontakte zu Roma-Organisationen und viel Mut mit, unsere Arbeit neu zu denken und uns der neuen europäischen Situation zu stellen. Denn eins ist sicher: Die Freizügigkeit innerhalb der neuen, großen EU ist ein unumstößliches Faktum.

Sie verlangt einen neuen Umgang mit Fremdheit und auch mit Armut. Sie wird soziale Kosten in Rechnung stellen und uns einiges abverlangen. Aber sie ist auch die Verwirklichung eines europäischen Traums, an dessen Verwirklichung wir gerne mitarbeiten.

Bastian Pütter leitet die Redaktion des Straßenmagazins bodo

www.bodoev.de

www.facebook.com/bodoev

 

 

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Jule
Jule
11 Jahre zuvor

Roma im Ruhrgebiet gibt es viele. Viele ehemalige Kriegsflüchtlinge aus ExJuguslavien sind gut integriert und werden als Serben, Albaner oder eben Jugos angesehen, mit ihnen hat normalerweise keiner ein Problem.
In den Blickpunkt stehen z.Z. Roma aus Bulgarien und auch aus Rumänien, als Eu-Bürger nutzen sie das Recht auf Freizügigkeit um dem Elend in ihrer Heimat zu entfliehen. Hier beginnt auch meine Ratlosigkeit. Gebe ich ihnen Geld (den Musikanten und Bettlern) kommen dann morgen noch mehr? Wie können wir in Deutschland dazu beitragen, dass sich die Lebensverhältnisse in ihren Heimatländern für sie bessern?

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