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Grenzgänge – Wie die Drogensucht erfunden wurde

grenzgaengeRobert Feustels Buch „Grenzgänge – Kulturen des Rauschs seit der Renaissance“ ist eine Geschichte der Rauschwahrnehmung und -debatte der letzten Jahrhunderte.

Der Rausch hat zur Zeit einen schlechten Ruf, für immer mehr Politiker ist die drogenfreie Gesellschaft ein ernsthaftes Ziel. Drogenkonsumenten werden pauschal zu Opfern gemacht, die  staatliche Hilfe benötigen – und, wenn nichts anderes hilft, dazu gezwungen werden müssen, ohne Drogen zu leben. Nur noch von den Piraten und Teilen der Linkspartei wird eine zumindest Teilweise Freigabe von Drogen gefordert. Das Recht auf Rausch, die Akzeptanz gegenüber Lebensentwürfen, die dem neopuritanischem Denken entgegenstehen, war wohl selten so gering wie in den vergangenen Jahren. Robert Feustels Buch „Grenzgänge – Kulturen des Rauschs seit der Renaissance“ verfolgt die Debatten über Rausch und Drogenkonsum der vergangenen Jahre. Es beschreibt die unterschiedliche Wahrnehmung der verschiedenen Drogen: Ein spirituelle Bedeutung hatten auch in Europa viele Drogen schon zur Zeit der Renaissance, nur der Alkohol nicht. Schwer fassbar war zur jeder Zeit auch was das überhaupt ist – ein Rausch. Diejenigen, die ihn erleben, können ihn während des Zustandes schlecht beschreiben, wer andere dabei beobachtet nicht nachvollziehen, was mit und in ihnen geschieht.

Feustel beschriebt, wie in im 19. Jahrhundert die Drogensucht als Krankheit erfunden wurde: Englische Ärzte stellten fest, dass auch ältere Damen nach Jahrzehnten des Opiumkonsums nicht krank waren und keine körperlichen Beschwerden hatten – bis man ihnen das Opium entzog. Damit war der Suchtbegriff entstanden, wie wir ihn heute kennen. Und er passte in das viktorianische Zeitalter, in dem der Puritanismus fast so populär war wie heute, wo die Weltgesundheitsorganisation Rausch nur noch als Problem sieht, als „Störung von Bewusstsein, kognitiven Fähigkeiten, Wahrnehmung, Affekt und Verhalten“. Ein ideologisches Konstrukt – mehr nicht.

Im 19. Jahrhundert waren Drogen fest im Alltag verwurzelt – und wurden von da an bis heute bekämpft. Eine Ausnahme bildeten die sechziger und siebziger Jahre als Drogen, ein ebenso idiotisches  Konzept wie das der drogenfreien Gesellschaft, eine besonders emanzipatorische Wirkung nachgesagt wurde. Das fand bei den Ravern der 90er noch seinen, wenn auch weniger politischen, Nachhall. Ebenso als Umkehrung des Hippiedenkens die Verwendung von Kokain zur Leistungssteigerung und als Lifestyledroge der Yuppies.

Feustels Buch ist eine interessante Reise durch die Kulturgeschichte des Rausches und wenn Feustel besser schreiben könnte, was leider nicht der Fall ist, würde das Buch deutlich gewinnen. So ist es eher für ein wissenschaftlich interessiertes Publikum geeignet, was schade ist, denn die Debatten über den Umgang mit Drogen sind ein Lackmustest für die Liberalität einer Gesellschaft und damit in Zeiten immer stärkerer Einschränkungen hochaktuell.

Robert Feustel: „Grenzgänge – Kulturen des Rauschs seit der Renaissance“
Fink-Verlag, München 2013
335 Seiten, 39,90 Euro

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Karsten
Karsten
10 Jahre zuvor

„Nur noch von den Piraten und Teilen der Linkspartei wird eine zumindest Teilweise Freigabe von Drogen gefordert.“

Dieser Satz ist natürlich völliger Unsinn! Sowohl von Piraten, Linken, als auch von den Grünen wird die vollständige Freigabe aller Drogen gefordert. Aber sie alle fordern es nicht sofort, leider. Die Grüne Jugend hat z.B. das Konzept des Drogenfachgeschäfts entwickelt. Das ist das bisher einzige wirkliche Konzept im politischen Raum: https://www.drogenfachgeschaeft.de/

Fast alle Linken sind sich darin einig, dass alle Menschen so viele und so unterschiedliche Drogen nehmen können und sollen, wie sie wollen. Solange sie dabei keine anderen schädigen 😉

discipulussenecae
discipulussenecae
10 Jahre zuvor

Beißt sich Ihre These vom Neupuritanismus der Drogengegner und vom Lackmustest der liberalen Gesellschaft nicht mit dem weiter unten angekündigten Hörspiel zum Thema ‚Heroin‘? Schließlich geht es dort um „die Geschichte eines Stoffes, der zahlreiche Menschen in seinen Bann zieht und mindestens ebenso viele auf dem Gewissen hat, einschließlich seines Erfinders selbst. Ein rauschhaftes Hörspiel über allzu naiven Fortschrittsglauben und dessen Nebenwirkungen.”

discipulussenecae
discipulussenecae
10 Jahre zuvor

Und zu #1: Selten habe ich einen so naiven Einwurf gelesen! Zum einen ist das Potential einer körperlichen Abhängigkeit etwa von Heroin unbestritten extrem hoch. Und die zieht medizinische Kosten nach sich, die von der Solidargemeinschaft der Versicherten getragen werden.

Zum anderen kosten Drogen Geld. Und das verdienen eben nicht ehrbare und akademisch ausgebildete Apotheker, sondern ganz andere Bevölkerungskreise, die mit Sicherheit nicht aus linker Menschenliebe die Preise senken werden. Die Frage nach der Freigabe von Drogen ist daher immer mit dem Problem der Beschaffungskriminalität verbunden. Und die schädigt fast immer andere!

Nansy
Nansy
10 Jahre zuvor

Bei der Debatte um eine „drogenfreie Gesellschaft“ darf auch nicht die inflationäre Ausweitung des Suchtbegriffs vergessen werden. Was mit den „stoffgebundenen Abhängigkeiten“ begann, ist immer mehr auf „stoffungebundenen Verhaltensstörungen“ (Süchte) ausgeweitet worden – von sprachlichen Neuschöpfungen wie „Abenteuersucht“, „Effektsucht“, „Geltungssucht“, oder „Profitsucht“ bis hin zu neuen „Krankheitsbildern“ wie „Sexsucht“, „Handysucht“, „Onlinesucht“ oder „Spielsucht“ – alles Süchte, die heute ein Heer von Wissenschaftlern und Politiker in Trab halten und für die Zuteilung von Forschungsgeldern und für neue „Studien“ sorgen.

Zitat: „Zu den Strukturmerkmalen des Suchtbegriffs gehört es, unerwünschtes Verhalten beliebig pathologisieren zu können“ (Spode 1993b: 273).

Karsten
Karsten
10 Jahre zuvor

@Stefan: Da zeigst du mal wieder, dass du keine große Anhnung von der Materie hast, echt schade. Im Grünen Programm steht ganz klar: „Die Kriminalisierung von DrogenkonsumentInnen muss beendet werden.“ Dies geht nur mit einem Mittel, indem Drogenkonsum nicht mehr illegal ist! Das Problem in den rot-grünen Landesregierungen besteht darin, dass sich die SPD strickt dagegen weigert, etwas in Richtung Liberalisierung zu ändern. Dann zum Thema Alkoholverbot. Es gibt zwei Grüne, die der Meinung sind, dass Kommunen selbst entscheiden sollen, ob es Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen gibt, die heißen Kretschman und Palmer. ALLE anderen Grünen sind anderer Meinung. Es gibt bisher nur zwei Parteien, die Alkoholverbote durchführen (oder es versuchen). Das sind CDU und SPD. Z.B. haben sie versucht den Trinkraum in Dortmund zu verhindern, der von Grünen eingeführt wurde. Auf Bundesebene haben wir das auch ganz klar geregelt. So steht im Bundestagswahlprogramm: „Alkoholverbote und Aufenthaltsverbote auf öffentlichen Plätzen lehnen wir ab.“

Deine Methode ist ja klar: Ein Grüner sagt etwas gegen Alkohol, also sind alle dagegen! Das ist genauso redlich, wie: Ein CDUler hinterzieht Steuern, also tun es alle! Solange du gegen Grüne hetzen kannst, bist du eben glücklich.

Aber vielleicht sehen wir uns doch mal auf einer Hanfparade 😉

Karsten
Karsten
10 Jahre zuvor

@Stefan: Ich sehe, du warst bei den Koalitionsverhandlugen in Düsseldorf dabei, interessant. Ich habe da andere Informationen bekommen. Ja, es sind nicht zwei „einfache“ Grüne. Sondern zwei randständige Grüne. Gerade Palmer wird auf öffentlichen Sitzungen von anderen Grünen ausgebuht. Und sag mir eine rot-grüne Kommune, die Alkoholverbote eingeführt hat?
Die CDU in Dortmund war auch erst nicht glücklich mit dem Trinkraum, die Grünen mussten sie erst in langen Verhandlungen überzeugen.
Und, dass du zu den klaren Aussagen im Programm nichts sagst, spricht schon Bände. Übrigens haben auch Kretschmann und Palmer nicht versucht die Punkte im Programm zu ändern. Sie haben sie akzeptiert.

Und den Begriff „Neopuritanismus“ auf die Grünen anzuwenden ist auch sehr spaßig. Sag mir einen Bereicht, wo die Grünen so sind (außer aus deiner Sicht beim Rauchen). Ich wusste nicht, dass es puritanistisch ist, sich für Homosexuellenrechte einzusetzen, für Frauenrechte, für Prostituiertenrechte, für die Legalisierung von Drogen, für Antifaschismus, für Drogenkonsumräume usw. usf. Puritanismus steht für traditionelle Familen, Gläubigkeit und Fleiß. Alles drei ist nicht so die Sache der Grünen 😛

Nansy
Nansy
10 Jahre zuvor

@ Stefan – die Prohibition nimmt Fahrt auf, nur einige naive Zeitgenossen wollen das noch nicht wahr haben….

Überschrift in der englischen Presse: „Das Krebsrisiko von zwei Glas Bier im Jahr“

Zitat: Neue Forderungen für Schock-Gesundheitswarnungen auf Alkohol-Etiketten -vergleichbar mit Zigaretten- wurden gestern erhoben, nachdem Spitzenwissenschaftler enthüllt haben, dass das Trinken von mehr als zwei Pint Bier im Jahr das Krebsrisiko erhöht.

Prof. Anderson: „Alkohol ist ein Karzinogen und ich bezweifle, dass die Alkohol-Industrie dabei ertappt werden will, ein krebserregendes Produkt zu verkaufen, ohne ihre Verbraucher zu warnen.“

Und er kommt zu dem Schluß, dass Verbraucher sicherlich ein Recht auf die selbe Information auf Alkoholflaschen haben, wie auf Zigarettenschachteln.

https://www.express.co.uk/news/health/406192/Cancer-risk-of-two-beers-a-year

Es wiederholt sich alles – die Menschen sind leider noch nicht dahintergekommen…..

Karsten
Karsten
10 Jahre zuvor

@Stefan: Sehr gut abgelenkt! Das ist doch ein ganz anderes Thema! Meinst du, das gefällt mir etwa?

Und, dass zwei rechte Seiten die Grünen schlecht finden, ist ja nichts Neues. Dazu passt auch dieser Artikel: https://www.tagesspiegel.de/meinung/gutmenschen-und-tugendterroristen-roesler-ist-der-spiesser-nicht-trittin/8170708.html

Der Artikel im Cicero ist echt einer der schlechtesten, den ich je gelesen habe. Er hat nicht ein einziges Argument oder gar einen Fakt! Und, wenn du damit wirklich übereinstimmst, dann bist du wirklich ein Rechter! Geifernde alte Männer, die jammern, dass die Welt nicht mehr so ist, wie in den 50er Jahren!

Ich glaube, es bringt echt nichts mehr, mit dir zu diskutieren!

Nansy
Nansy
10 Jahre zuvor

@Karsten: Auch sehr gut abgelenkt! Man braucht offenbar dringend die FDP und Herrn Rösler als Krücke, um vom Spiesservorwurf an die Grünen abzulenken. Dabei zieht sich der Vorwurf des grünen Spiessertums inzwischen durch viele Zeitungen und Blogs und kommt nicht nur aus den „rechten“ Lager…

discipulussenecae
discipulussenecae
10 Jahre zuvor

Davon abgesehen, daß ein deutscher Alleingang bei einer evtl. Freigabe sog. Harter Drogen EU-rechtlich gar nicht möglich wäre, würde diese unsinnige Maßnahme einen unkontrollierbaren Drogentourismus nach sich ziehen, gegen den der cannabis-induzierte deutsch-niederländische Grenzverkehr geradezu lächerlich wäre.

Zudem bin ich mit Anfang 50 noch in einem Alter, in dem ich gesehen habe, was Heroin aus Leuten macht. Und ich habe genug Bekannte, die ihren vorgeblich kontrollierbaren Koks-Konsum dann doch nicht mehr in den Griff bekommen haben und heute nicht nur finanziell ruiniert sind.

Ich trinke auch gern Alkohol und auch in gern größeren Mengen und mit proportional begleitendem Tabakgenuß. Aber jeder weiß, daß Freund Alk eben auch nicht ohne ist. Und diesem Gift jetzt noch weitere hinzuzufügen, halte ich ich für keine ganz so kluge Idee. Ohne als Katholik neupuritanischer Tendenzen verdächtig zu sein!

rtq
rtq
10 Jahre zuvor

@4 discipulussenecae

„Zum einen ist das Potential einer körperlichen Abhängigkeit etwa von Heroin unbestritten extrem hoch. Und die zieht medizinische Kosten nach sich, die von der Solidargemeinschaft der Versicherten getragen werden.“

Das Suchtpotential von Heroin ist tatsächlich sehr hoch. Medizinisch reines Heroin macht allerdings nur süchtig, nicht krank. Sie können, auch bei Dauergebrauch von medizinisch reinem Heroin ohne körperliche Gebrechen, Organschäden und sonstige Krankheiten, uralt werden. Krank machen die dem Heroin beigefügten Streckmittel, wie z.B. Strychnin (innere Blutungen), Paracetamol (Leberschäden), Chloramphenicol (Knochenmarkschäden), u.v.a.

Die von Ihnen angesprochenen Kosten, die heute der Solidargemeinschaft entstehen, würden schlagartig gegen Null sinken, wenn allen Heroinnutzern ab sofort nur noch medizinisch reines Heroin zur Verfügung stände.

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