Hast Du Töne!

David Tudor and Compsers Inside Electronics. Rainforest V, 1963, Foto Dirk Rose/Kunstmuseen Krefeld


Eine Ausstellung im Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld widmet sich dem Klang des Materials in der Kunst der 1950er bis 1970er Jahre.

Im schalltoten Raum hörst Du nur Dein Herz klopfen – eine künstliche Versuchsanordnung. Klack! Klack! Klack! Der Knopf, auf den ich mehrmals drücke, macht ein Geräusch, aber weiter passiert nichts. Die „Revolution“ von Günther Uecker bricht akustisch nicht aus, weil die gleichnamige Installation aus einer Vielzahl metallischer Objekte gerade nicht betriebsbereit ist, wie sich herausstellt. Kein Höllenlärm also, weil dafür die Blecheimer, Hammer, Stangen und Ketten, in Bewegung versetzt, einander berühren und Geräusche erzeugen müssten. Andere Installationen operieren mit Ton-Konserven vom Band. Ohne diese „Tonspur“ fehlt diesen Kunstwerken ihre bessere Hälfte. Das unverschlossene Vorhängeschloss am Uecker-Käfig mag an die Renitenz der Zero-Künstler in den 1960er und 70er Jahren erinnern, in denen vieles möglich schien. Gearbeitet wurde damals oft in Gruppen, Gattungsüberschreitung hieß das Kernprogramm. Kinetik wurde aus ihrem wissenschaftlichen Käfig gelassen, Tänzer und Tänzerinnen rückten Gemälden oder Skulpturen auf den Leib, Musiker übten den Schulterschluss mit Dichtern. Den Künstlern waren die Ohren aufgegangen, ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf elektronische Töne und experimentelle Musik, und auch Alltagsgeräusche integrierten sie in ihre Kunstwerke, Naturtöne oder der Eigenklang der Dinge erweiterten Werke der bildenden Kunst oder standen gar in ihrem Mittelpunkt.

Dass vor einem halben Jahrhundert die britische Band Pink Floyd bei der Aufnahme der LP „Dark Side of the Moon“ sich auch Techniken der Avantgarde und der Musique concrète bediente, zeigt wie wirkmächtig die früheren Klangexperimente waren. Brian Enos elektronische Ambient-Klanglandschaften etwa, oder Robert Fripps Frippertronics lassen sich ohne den Schulterschluss von technischen Neuerungen und einer unter zeitgenössischen Künstlern weit verbreiteten Offenheit für Experimente nicht denken.

Der Aufbruchsgeist jener Jahre zeigte sich in vielen Bereichen der Gesellschaft. Erinnert sei nur an die Besucherschlangen, die „Poème Electronique“ erleben wollten, jene avantgardistische Multimedia-Show aus Raum, Licht, Ton und Farbe, von Le Corbusier (Architektur) / Edgar Varèse (Musik) / Iannis Xenakis (Design), auf der Brüsseler Weltausstellung 1958.

Einblick in die Einbeziehung des Klangs in die bildende Kunst der ersten Nachkriegsjahrzehnte gibt jetzt eine Ausstellung im Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld. Katja Baudin, die Museumsleiterin, spricht von einer der experimentierfreudigsten Phasen in der Kunst des 20. Jahrhunderts, deren audiovisuelles Panorama sie aktuell präsentiere. Die Kunstwissenschaftlerin konnte sich dabei aus der reichen museumseigenen Sammlung bedienen, die bezeugt, welche Spitzenposition das Kaiser Wilhelm-Museum sowie Haus Lange in der Nachkriegsmoderne einnahmen.

Zudem traf sich die internationale Szene der Neuen Musik in den 1960er Jahren, als Künstler auch Techniker und Forscher waren, im Rheinland. Das Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln mit Karlheinz Stockhausen galt als Zentrum für interdisziplinären Austausch.

„On Air“präsentiert erstaunliche Klangereignisse, Mitmach-Objekte und Konzeptkunst. Aus der hörenswerten Gesamtschau seien nur einige vorgestellt: David Tudor lockt in seine Installation „Rainforest V“ (1973), die er im Eingangssaal aus 20 abstrakten Objekten aufgebaut hat, aus denen jeweils andere Geräuschkulissen des Regenwalds erschallen.

David Tudor and Compsers Inside Electronics. Rainforest V, 1963 Foto Dirk Rose/Kunstmuseen

Jean Tinguely bezaubert mit seiner maschinellen Wand-Installation „Le Chant du Cygne du Bambou“ (1963) auf bekannt verspielt poetische Weise. Das sägt und knarzt, klirrt und scheppert, dass einem Hören und Sehen vergeht.

Als Beispiel der Konzept-Kunst der frühen 1970er Jahre provoziert das „Geräuschstück Nr. 2“ von Reiner Ruthenbeck ein Schmunzeln: Ein Perserteppich ist auf dem Boden ausgebreitet, darauf platziert ein altes Tonbandgerät, das, mal laul, mal verhalten, das Teppichklopfen in Erinnerung ruft, ein Geräusch, das wie der Arbeitsvorgang selbst längst aus unserem Alltag verschwunden ist.

Timm Ulrichs präsentiert gewohnt tiefsinnig in seiner Arbeit „Einton-Musik außerhalb des menschlichen Hörbereich“ (1969 / 70) einen Lautsprecher, einen Oszillographen und einen Sinusfrequenzgenerator nebeneinander.

Der Wandgemälde-Zyklus „Lebensalter“von Jan Thorn Prikker wird unterbrochen von dem Gemälde „Senza Titolo“ von Jannis Kounellis. In Öl auf Leinwand hat der Künstler einen Teil der Partitur aus Igor Strawinskys La Pulcinella gemalt. Ein Video zeigt eine Ballerina, die zu dieser Melodie, wenige Takte nur und gespielt von einem Violinisten, tanzt. Ein Fragment in Endlos-Schleife, das Malerei, Musik und Tanz zusammenbringt.

(ON AIR läuft bis 26. März und ist Di. – Do. und So., 11-17 Uhr, Fr. und Sa., 11-18 Uhr geöffnet; Do., 16. März, 19 Uhr findet ein Kino-Abend zum Thema „Sound im Avantgardefilm“ statt;)

Link: Kunstmuseum Krefeld

 

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