Hausdurchsuchung bei Norbert Bolz – ein unglaublicher Vorgang mit Signalwirkung und notwendigen Konsequenzen

Norbert Bolz in einer Phoenix-Talkshow Screenshot: Ruhrbarone


Der Vorgang an sich klingt wie aus einem schlechten Lehrbuch zur Erosion der Meinungsfreiheit: Bei Norbert Bolz, einem der bekanntesten Medienwissenschaftler des Landes, rückte am Donnerstag, 23. Oktober 2025, die Polizei an. Der Grund: Ein X-Post aus dem Januar 2024, in dem er ironisch auf eine (mittlerweile umgeänderte) Schlagzeile der taz reagiert hatte. Seine Formulierung „Deutschland erwache“ wurde nun zum Anlass für ein Ermittlungsverfahren wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB).

Dass ein ironischer Medienkommentar zu einem Durchsuchungsbeschluss führt, zeigt, wie verschoben die Maßstäbe inzwischen sind. Die Parole ist historisch zweifellos belastet – aber die Einordnung des Kontextes ist kein Nebenschauplatz, sondern das, was Rechtsstaatlichkeit ausmacht.

Wenn ein Richter so etwas unterschreibt, drängt sich die Frage nach seiner fachlichen Eignung auf. Die Verhältnismäßigkeit wurde hier offenbar entweder nicht geprüft oder grob fahrlässig ignoriert. Wer eine Hausdurchsuchung bei einem derart öffentlich bekannten Publizisten zulässt, ohne milderes Vorgehen auch nur zu erwägen, verletzt das Grundprinzip des freiheitlichen Rechtsstaats. Und das eklatant.

Mehr als ein Einzelfall

Dieser Fall ist nicht nur ein Angriff auf Bolz, sondern ein Angriff auf die vierte Gewalt insgesamt. Wenn selbst Journalisten und Publizisten für Ironie und Kontextbruch kriminalisiert werden können, dann ist Meinungsfreiheit kein Grundrecht mehr mit Substanz, sondern ein Gnadenrecht der Staatsanwaltschaft.

Das Fatale: Einschüchterung muss nicht laut erfolgen. Sie kann auch im Schutzmantel des Rechts kommen – leise, formal korrekt und doch tief gefährlich. Eine Hausdurchsuchung ist kein Pappenstiel. Sie ist eine massive staatliche Maßnahme mit erheblichem Eingriff in die Privatsphäre. Wer sie gegen einen Journalisten wegen eines klar kontextualisierbaren Posts anordnet, weiß entweder nicht, was er tut – oder tut es wider besseres Wissen. Beides ist fatal für einen Richter.

Meinungsfreiheit ist kein Lippenbekenntnis

Die Ermittler mögen sich auf den Buchstaben des Gesetzes berufen. Aber der Geist dieses Gesetzes war nie dazu gedacht, Ironie, Satire oder medienkritische Anspielungen zu kriminalisieren. Meinungsfreiheit gilt nicht nur für Wohlgefälliges. Und: Es ist nicht der erste bekannt geworden Fall dieser Art. Aber das erste Mal, dass es einen renommierten Publizisten trifft. Wie tief liegt die Hemmschwelle mittlerweile also?

Dieser Fall wird Folgen haben müssen – juristisch, politisch und medienethisch. Wenn Staatsanwälte und Richter den Schutzraum freier Rede nicht mehr verinnerlicht haben, dann ist es an der Presse, ihn zurückzuerobern.

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