„Jerusalem dem Erdboden gleichmachen“: Morgen ist Israel-Sonntag in deutschen Kirchen. Ein Stimmungsmacher

Jeder Mensch ein Heiligtum: ZAKA nach 10/7 (Public Domain)

Früher hieß er „Judensonntag“, es gibt ihn seit Jahrhunderten. Freundlich ging es selten zu an diesem Tag. Dann Auschwitz, es begann ein Umdenken. Das morgen wieder beginnt? Oder längst begonnen hat. Morgen ist „Israelsonntag“.

Im August des Jahres 70, dem jüdischen Monat Aw, wurde Jerusalem von römischen Truppen verwüstet, der Tempel zerstört, die Stadt geplündert. „Sie hängten viele Männer, Frauen und Kinder an Kreuze“, heißt es bei Flavius Josephus, an einem Tag waren es „mehr als 500 Männer gleichzeitig“. Bis heute ist Aw ein Monat der Trauer im jüdischen Jahr, an Tischa beAw, dem neunten Tag, wird daran erinnert, dass Hunderttausende ermordet worden sind, versklavt, vertrieben. Unter ihnen die ersten Christen. Dringlich für beide, Juden wie Christen, eine Erklärung zu finden für das Unheil. Mit dessen Deutung trennten sich die Wege: Dass die Zerstörung Jerusalems eine göttliche Strafe sein könnte, verhängt über Israel und Kirche, das ließ sich noch beiderseits denken. In christlicher Theologie wurde daraus eine Strafe, die allein Juden ereilen würde. Ihnen der Fluch, den Christen der Segen. Ein Sonntag im Jahr, zeitlich nahe zum Tischa beAw gelegen, wurde zum „Judensonntag“ im Kirchenjahr erklärt, so hieß der Tag durch Jahrhunderte hindurch bis in die jüngsten 60er Jahre hinein. Ein Stimmungsmacher. Ging es glimpflich ab, ging es um „Judenmission“, lief es weniger gut, dann darum, die göttliche Strafe vorab zu vollstrecken.

Regulär wird der Tag inzwischen nur noch in Deutschland und ein wenig noch in Österreich begangen und nur in protestantischen Kirchen, die katholischen haben ihre eigenen antijüdischen Feiermomente. Das Thema „Strafe“ ist offiziell durch, das Thema „Judenmission“ ebenso, heute geht es um Dialog, um Trauer und um Buße und möglicherweise darum zu begreifen, was es bedeutet, dass Jesus nur einer von ungezählten Juden war, die von den Römern gekreuzigt worden sind und später von Christen massakriert.

„Die christliche Schuldgeschichte fordert zum bußfertigen Gedenken auf“, erklärt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihrem Pfarrpersonal im „Perikopenbuch“, es legt die Bibelstellen fest, die sonntags im Gottesdienst ausgelegt werden. Juden und Christen seien einander „unlösbar“ verbunden, man möge sich geschwisterlich verhalten, das Verhältnis zum Judentum sei dabei „vom Verhältnis zum Staat Israel und seiner Politik zu unterscheiden“.

Jerusalem längst umgepflügt

Und da wird es interessant. Das geltende „Perikopenbuch“  –  früher hieß es „Ordnung“  –  trat 2018/19 in Kraft. Anders als zuvor stellt es  –  und zwar nur für diesen Sonntag, sonst nicht  –  jeden Prediger vor die Wahl, welche von zwei Bibelstellen er auslegen möchte. Die eine ist auf Dialog gestimmt, die andere auf Zerstörung. Die eine auf Augenhöhe, die andere auf „das traditionelle Evangelium dieses Sonntags“, eine Passage aus dem Lukas-Evangelium Kapitel 19, die klingt so:

„Und als er (Jesus) nahe hinzukam und die Stadt (Jerusalem) sah, weinte er über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest an diesem Tag, was zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du besucht worden bist.

Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler hinauszutreiben und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: »Mein Haus wird ein Bethaus sein«; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht. Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und die Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, dass sie ihn umbrächten und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn alles Volk hing ihm an und hörte ihn.“ 

Geschrieben wurde das Lukas-Evangelium, als Jerusalem längst umgepflügt war. Die nachträgliche Prophezeiung, die es dafür liefert, hat es in sich: Alle Juden hätten ihren Erlöser „nicht erkannt“, hätten ihm zwar zugehört, aber lieber Business betrieben und ihre Strippenzieher einen Mordplan ausgeheckt, deshalb sei Jerusalem  –  die Stadt steht für ganz Israel  –  dem Erdboden gleichgemacht worden, alles von Gott gewollt und den Römern erledigt.

Wer das tatsächlich predigen möchte, kann nur mit diesem Text gegen diesen Text predigen. Die EKD  bemüht sich, sie betont eine „Solidarität der Trauer und der Buße“. Ihr Vorschlag allerdings  –  „eine Feier auf dem Friedhof“, am besten mit „jüdischer Beteiligung“  –  befremdet.

Ali-Khamenei-Sound

Wer dagegen mit diesem Text direkt gegen Israel  –  den Staat Israel  –  vom Leder zieht, ist der Weltkirchenrat, World Council of Churches (WCC), der an die 600 Mio Christen  –  EKD: 18 Mio  –  zu repräsentieren glaubt. Ende Juni  –  die Ruhrbarone haben hier darüber informiert  –  hat sein Zentralkomitee, darin vier Delegierte von Putins Russisch-orthodoxer Kirche und vier der EKD, der Welt die Welt erklärt. Die „Zeichen der Zeit“, so der einstimmige Beschluss, müssten dringend gelesen werden „im Licht“ der Passage aus dem Lukas-Evangelium, andernfalls drohe „ein Gericht“.

Endzeit-Stimmung. Die Lukas-Passage zunächst verschwiemelt zurechtgestutzt: „Wenn doch auch du erkenntest an diesem Tag, was zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen … weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du besucht worden bist.“ Und schon schießt es aus allen Rohren gegen Israel, das „rücksichtslos Angriffe“ verübe, den „Frieden weltweit“ bedrohe, einen Atomkrieg heraufbeschwöre usw., dazu kein Wort über Hamas, keines über Terror usf. Stattdessen beschloss der WCC noch ein weiteres Verdikt eigens gegen Israel, faselt von einem „System der Apartheid“ und spult das komplette BDS-Programm ab. In der öffentlichen Wahrnehmung hat das Stichwort „Apartheid“ dominiert, für deutsche Ohren hat der Vorsitzende des ZK, der deutsche Theologe Heinrich Bedford-Strohm, das „Trigger-Wort“ auf mittellaut gedimmt.

Was dagegen glatt durchging, ist der eigentlich theologische Skandal: dass die Weltkirchen sich in einem Endkampf wähnen, den sonderlich Israel gegen sie führe. Explizit beruft sich der WCC darauf, dass die Zeit gekommen sei, da werden deine Feinde dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir …  

Ali Khamenei-Sound. Zugleich Textvorgabe der EKD für den Israelsonntag auf deutschen Kanzeln. Wer morgen predigt, hat die Wahl: ob Israel dem Erdboden gleichgemacht werden möge oder ob  –  das die alternative Textvorgabe aus dem Markus-Evangelium  –  es nicht doch eher darum gehe, Gott zu lieben „von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit aller Kraft und seinen Nächsten wie sich selbst“.

Ein Stimmungsmacher so oder so. Und ein Stimmungstest in einer Zeit, in der, so die EKD, „der alte und neue Antijudaismus/Antisemitismus in Deutschland“ auf dem Vormarsch ist, es ist ein Marsch zurück. Ob sich morgen am Israelsonntag  –  ein Lebensalter nach Auschwitz  –  ein solches Umdenken auf deutschen Kanzeln zeigt, für das der WCC den Kronzeugen stellt und das schönste Gewissen dazu, das haben wir die EKD gefragt. Sobald uns die Antwort erreicht, reichen wir sie nach.

 

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