Kernfusion: Wenn es um Hightech geht, wird NRW nicht einmal mehr gefragt

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, Die Grünen (Foto: Roland W. Waniek)


Sechs Bundesländer haben sich mit dem Ziel zusammengeschlossen, dass das erste Fusionskraftwerk in Deutschland gebaut wird. Nordrhein-Westfalen wurde nicht einmal gefragt, ob es sich der Allianz anschließen möchte.

Neben Künstlicher Intelligenz, Gentechnik und Robotik gehört Kernfusion zu den zentralen technologischen Zukunftsthemen weltweit. Die USA, China, Südkorea, Japan und Europa liefern sich ein Wettrennen um den ersten kommerziell nutzbaren Fusionsreaktor. Lange galt die Arbeit an Fusionsreaktoren als Geld- und Zeitverschwendung. Das änderte sich 2022, als es in der National Ignition Facility in Kalifornien erstmals gelang, einen Nettoenergiegewinn nachzuweisen. Seitdem ist klar: Kernfusion ist physikalisch machbar, die Chance auf eine ressourcenschonende, saubere, sichere, grundlastfähige und bezahlbare Energieversorgung real. Deutschland braucht für seine Industrie und die boomenden Rechenzentren eine sichere und CO₂-neutrale Stromversorgung. „Eine Industrienation kann nicht nur mit Sonne und Wind betrieben werden, auch nicht in Kombination mit Batterien“, zitiert der Branchendienst Datacenter Insider den Energieexperten Staffan Reveman.

Jetzt kommt es darauf an, den Sprung vom Labor zur Anwendung zu schaffen. Damit das gelingt, muss noch viel geforscht und erprobt werden: Je nachdem, nach welchem Verfahren – Magnetfusion wie beim Forschungsreaktor ITER oder Laserfusion, auf die Focused Energy setzt – müssen Materialien Temperaturen von 15 bis 100 Millionen Grad aushalten. Zum Vergleich: Im Inneren der Sonne herrschen 15 Millionen Grad, auf der Oberfläche immer noch 5600 Grad Celsius. Solche Materialien gibt es noch nicht – sie müssen erst noch entwickelt werden. Fusionsforschung muss wissenschaftliches Neuland erobern, wenn sie erfolgreich sein will.

Und da will Deutschland mitspielen. Im Koalitionsvertrag haben sich CDU und SPD auf das Ziel geeinigt, dass der erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland stehen. Und das kann gelingen: Neben weltweit führenden Forschungsinstituten gibt es mit Focused Energy, Marvel Fusion, Proxima Fusion und Gauss Fusion vier Start-ups, die an kommerziellen Fusionsreaktoren arbeiten. Der Essener Energiekonzern RWE hat sich – wenn auch nur mit zehn Millionen Euro – an Focused Energy beteiligt. Das Unternehmen soll seinen Versuchsreaktor auf dem Gelände des geschlossenen Kernkraftwerks Biblis bauen, das einst von RWE betrieben wurde. Auch die Bundesländer Hessen, Bayern, Hamburg, Schleswig-Holstein, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben sich in einer Allianz zusammengeschlossen, um die Entwicklung und den Bau eines Fusionsreaktors voranzutreiben. Doch in der Liste fehlt das „Energieland Nummer 1“, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) Nordrhein-Westfalen bezeichnet. Es gibt im Land mit dem Forschungszentrum Jülich eine der Topadressen Deutschlands im Bereich Fusionsforschung, und auch an den Universitäten und Instituten in Aachen, Bochum und Münster wird an dem Thema gearbeitet – aber NRW hat sich der Allianz der Fusionsländer nicht angeschlossen. Im Landtag vom FDP-Abgeordneten Dietmar Brockes gefragt: „Warum um alles in der Welt verpassen Sie es dann, jetzt bei dieser Allianz der Fusionsforschung dabei zu sein?“, antwortete NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne): „Hätte uns oder unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Wissenschaftsministerium eine Anfrage dazu von den diese Forschungsallianz formenden Ländern erreicht, hätten wir das selbstverständlich ergebnisoffen geprüft. Dazu hat uns nur niemand gefragt.“

Warum auch? Einen Antrag der FDP, dass NRW die Weichen stellen soll, damit das erste Fusionskraftwerk im „Energieland Nummer 1“ stehen soll, erhielt Anfang November keine Unterstützung von CDU, SPD, Grünen und AfD. Kernfusion wurde von deren Rednern als ferne Utopie dargestellt – mit denselben Sprüchen wurde vor gar nicht allzu langer Zeit auch Künstliche Intelligenz abgetan. Julia Eisentraut (Grüne) sagte, man habe keine Zeit für hypothetische Lösungen und brauche jetzt reale Antworten. „Die alternativen Technologien sind doch da. Sie sind bezahlbar, skalierbar und sicher, dank jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung. Photovoltaik und Windkraft liefern heute schon Energie – nicht erst in 30 Jahren, sondern ganz real heute Nachmittag.“ Die eskalierende Deindustrialisierung Deutschlands durch eine immer teurere und unsichere Stromversorgung trotz Milliardensubventionen für Sonne, Wind und Netzumbau scheint an Eisentraut vorbeigegangen zu sein.

Auf Anfrage dieses Blogs gab sich das grün geführte Wirtschaftsministerium nicht so ablehnend: Die Landesregierung stehe im kontinuierlichen Austausch mit den Akteuren der Fusionstechnologie. „Es ist Teil der energiepolitischen Verantwortung der Landesregierung, das Themenfeld langfristig zu verfolgen und zu unterstützen.“ Anfang Oktober habe die Bundesregierung einen Aktionsplan zur Fusionstechnologie vorgelegt. „An der Umsetzung der darin enthaltenen Maßnahmen durch den Bund wird sich Nordrhein-Westfalen beteiligen.“

Angela Freimuth (FDP) ist das zu wenig: „Nordrhein-Westfalen ist als führender Industriestandort mit hoher Energienachfrage und einer der dichtesten Forschungslandschaften mit exzellenter Kompetenz prädestiniert, auch bei der Erforschung und Anwendung der Fusionstechnologie eine führende, wenn nicht sogar eine Schlüsselrolle zu übernehmen.“ An Instituten und Hochschulen in NRW werde exzellente Fusionsforschung betrieben: „Angesichts dieser Kompetenzen in unserem Bundesland ist es nicht nachvollziehbar, warum sich NRW nicht an der Allianz zur Fusionsforschung mit dem konkreten Ziel eines ersten kommerziellen Fusionskraftwerks beteiligt.“ Es reiche nicht aus, die Entwicklung mit Interesse zu verfolgen, wie Ministerin Neubaur in der Plenardebatte sagte, NRW müsse diese Entwicklung aktiv vorantreiben.

Teile dieses Textes wurden bereist bei Ippen-Media veröffentlicht.

 

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Thomas
Gast
Thomas
25 Tage zuvor

Nun muss auch erwähnt werden, dass das mit der generativen KI bislang ein Schuss in den Ofen ist. Bei anwendungsspezifischer KI hingegen ist Deutschland gut aufgestellt.
Ein Fusionsreaktor erzeugt auch wieder zu viel Wärme für den Planeten.

paule t.
paule t.
25 Tage zuvor

Zitat:
„Das änderte sich 2022, als es in der National Ignition Facility in Kalifornien erstmals gelang, einen Nettoenergiegewinn nachzuweisen.“

Ich müsste genauer nachsuchen, aber wenn ich mich richtig erinnere, war dieser „Nettoenergiegewinn“ ein rein physikalischer Gewinn. D.h., verglichen wurden nur die aufgewendete Energie unmittelbar für die Fusion selbst und die unmittelbar dabei freiwerdende Energie.

Nicht einbezogen wurde hingegen auf der Aufwendungsseite die komplett aufgewendete Energie für den Betrieb der kompletten Anlage, die weitaus höher war und unter deren Einbezug es längst kein Nettogewinn mehr gewesen wäre. Für den angestrebten wirtschaftlichen Betrieb wäre das ja aber unbedingt miteinzubeziehen.

Wikipedia dazu:
„Im Dezember 2022 wurde berichtet, Kernfusionen des Instituts hätte ca. 150 % der Energie ergeben, der dieser direkt über Laser zugeführt wurde (3,15 MJ Output / 2,05 MJ Input). Wird jedoch die indirekte Energieverwendung durch die genutzten Laser berücksichtigt, handelt es sich um rund ein Prozent (3,15 MJ Output / 322 MJ Input). Das Vorgehen im Experiment eignet sich dementsprechend nicht zur Stromerzeugung. Im Mai 2025 wurde ein neuer Rekord mit einer erzeugten Fusionsenergie von 8,6 MJ öffentlich.“
https://de.wikipedia.org/wiki/National_Ignition_Facility

So gerechnet, hat man also keineswegs einen Energiegewinn erzielt, sondern die entstandene Energie bewgt sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich der aufgewendeten Energie.

Dazu kommt noch, dass ebenfalls nicht einbezogen wurde, wieviel tatsächlich nutzbare elektrische Energie dabei rausgekommen ist, denn deren Betrag lag m.W. bei exakt Null, weil man nicht einmal versucht hat, die entstandene Energie auch tatsächlich einzufangen und damit Strom zu produzieren.

Trotzdem ist der Nachweis eines physikalisch möglichen Energieüberschusses natürlich ein toller wissenschaftlicher Erfolg, der zumindest belegt, dass die Technik zumindest theoretisch funktionieren könnte. Deswegen sollte man die Forschung natürlich auch ruhig fortsetzen.

Aber zusammen mit den anderen technischen Schwierigkeiten, die im Artikel ja teilweise erwähnt werden, ist m.E. sonnenklar, dass man von einer tatsächlichen auch nur technischen, geschweige denn wirtschaftlichen Nutzbarkeit noch Jahrzehnte entfernt ist, wenn man sie denn überhaupt erreicht. Und wenn man diese Zeiträume mit den Zeiträumen vergleicht, in denen wir auf eine CO2-freie Energieversorgung umstellen müssen, merkt man sofort, dass diese Technik dazu keinen Beitrag leisten kann und die Kosten völlig unabsehbar sind. Und im Gegensatz dazu stehen Photovoltaik und Windkraft nun mal jetzt als Technlogien zur Verfügung und sind billig.

Das ganze ist also eher etwas für Fans halbrealistischer Science-Fiction, die darüber nachdenken möchten, wie die Energieversorgung vielleicht mal aussehen könnte, wenn auch die Nachfolger der Nachfolger der jetzt neu zu bauenden Windräder, PV-Anlagen etc. außer Dienst gestellt werden. Aber es ist nichts für die jetzt anstehenden Planungen für die Energieversorgung in der absehbaren Zukunft.

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