Kunst im Licht des Windes – nächtliche Fotografie trifft auf bewegte Installation

Halde Norddeutschland Foto: Jens Herre Lizenz: Copyright


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ine besondere Nacht auf der Halde Norddeutschland: Jens Herre und Torsten Thies setzen das Kunstwerk „Windzeichnung“ von Danuta Karsten eindrucksvoll in Szene.

Wenn sich die Dämmerung über die Halde Norddeutschland senkt und der Wind durch das Hallenhaus streicht, beginnt „Windzeichnung“ zu leben – und zu leuchten. Die aktuelle temporäre Kunstinstallation der Künstlerin Danuta Karsten zieht nicht nur tagsüber Besucherinnen und Besucher in ihren Bann, sondern zeigt in der Nacht ein ganz eigenes Gesicht. Diesem besonderen Moment widmeten sich die Fotografen Jens Herre und Torsten Thies in einem außergewöhnlichen Fotoprojekt.

Bereits 2023 hatten Jens Herre und Torsten Thies mit einem nächtlichen Fotoprojekt an der Halde Haniel für Aufmerksamkeit gesorgt. Dort beleuchteten sie die legendären Totems des baskischen Künstlers Agustín Ibarrola, eine der markantesten Kunstinstallationen im Ruhrgebiet. Die Inszenierung verband gezielte Lichtsetzung mit der kraftvollen Symbolik der bemalten Bahnschwellen – ein fotografisches Denkmal an einen inzwischen verstorbenen Künstler. Die beeindruckenden Aufnahmen machten deutlich, welches Potenzial in der nächtlichen Neuinterpretation von Landmarkenkunst liegt – und bildeten zugleich die konzeptuelle Grundlage für das Folgeprojekt auf der Halde Norddeutschland.

Diesmal war die Idee: das fragile, windbewegte Kunstwerk nicht nur zu dokumentieren, sondern es durch gezielte Beleuchtung neu erfahrbar zu machen. Das Ergebnis: eine nächtliche Inszenierung mit über 100 akkubetriebenen LED-Scheinwerfern – eindrucksvoll, atmosphärisch und technisch herausfordernd zugleich.

Halde Norddeutschland Foto: Jens Herre Lizenz: Copyright

Vom Licht geführt

Einer der Hauptakteure des Projekts ist Jens Herre. 1980 in Wanne-Eickel geboren, war er als technischer Leiter maßgeblich an der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 beteiligt – ein prägendes Großprojekt für das kulturelle Selbstverständnis des Ruhrgebiets. Diese Erfahrung im Bereich Eventmanagement prägte nicht nur seine berufliche Laufbahn, sondern öffnete ihm auch den Blick für raumbezogene Kunst und Inszenierungen.

Nach seiner Übersiedlung in die Schweiz wandte sich Herre intensiv der Fotografie zu. Er absolvierte eine fotografische Ausbildung mit CAS-Diplom an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und entwickelte eine künstlerische Handschrift, die sich besonders auf Nachtfotografie, Industriekultur und atmosphärische Langzeitbelichtungen konzentriert. Seine Arbeiten wurden europaweit gezeigt – darunter mehrfach auf der renommierten photoSCHWEIZ und in der Photobastei Zürich.

Ein persönlicher Höhepunkt war die Deutschlandpremiere seiner Serie „Blue“, die 2023 im ArtPark Hoher Berg stattfand. In dieser Arbeit verknüpft Herre Architektur, Licht und Raum zu stillen, eindringlichen Bildkompositionen – ein Konzept, das sich auch in der nächtlichen Inszenierung der „Windzeichnung“ wiederfindet.

„Die größte Herausforderung war diesmal nicht nur die Ausleuchtung selbst, sondern die Bewegung der Installation“, erklärt Herre. „Die von Danuta Karsten eingesetzten Stoffbahnen tanzen im Wind – das ist wunderschön, aber fotografisch eine echte Gratwanderung zwischen Schärfe, Unschäfe, Bewegung und Ausdruck.“ Die durch Regen entstandenen Pfützen nutzten Herre und Thies gezielt, um Lichtreflexe, Spiegelungen zu fotografieren – ein weiteres Beispiel für seine sensible Auseinandersetzung mit Umgebung und Zufall.

 

Eine fotografische Handschrift aus dem Ruhrgebiet

Der andere Hauptakteuer ist Torsten Thies, geboren 1966 in Essen und im Ruhrgebiet tief verwurzelt. Seit seiner Jungend ist er mit einer Kamera unterwegs und als freiberuflicher Fotograf tätig, bekannt für seine Langzeitbelichtungen, Arbeiten zur Industrienatur und dem Ruhrgebiet. 2010 gründete er die IG RuhrPOTTFotografie, eine Plattform für ambitionierte Fotografie abseits des Mainstreams. Seine Bilder wurden vielfach, auch international ausgestellt, Thies unterrichtet an mehreren Volkshochschulen und wirkt regelmäßig als Juror bei Fotowettbewerben. Auch er war 2010 im Team der europäischen Kulturhauptstadt Europas und hier im Projekt SchachtZeichen tätig.

Auch für Thies war die Inszenierung der „Windzeichnung“ eine besondere Herausforderung: „Man muss Geduld mitbringen – für das Licht, den Wind, das Wetter. Und gleichzeitig sehr schnell reagieren, wenn die Elemente sich fügen.“ Die entstandenen Bilder zeigen genau das: ein Moment zwischen Kontrolle und Chaos, zwischen Natur und Gestaltung.

 

 

 

 

 

Windzeichnung im Dialog mit der Nacht

Danuta Karstens „Windzeichnung“ ist ein Spiel mit Raum, Luft und Licht – und lädt zum Dialog mit der Umgebung ein. Die Künstlerin hat sich seit vielen Jahren auf raumgreifende Installationen spezialisiert, oft in beeindruckenden Industriehallen oder Sakralbauten. Ihre Werke intervenieren zart, fast poetisch, und lassen Räume anders erfahrbar werden.

Mit ihrer Installation auf der Halde Norddeutschland knüpft Karsten an die große Resonanz an, die 2022 Jens J. Meyers „Kathedrale des Windes“ erzeugt hatte. Sie gewann die Ausschreibung der Stadt Neukirchen-Vluyn und des Sponsorenkreises Wirtschaft & Kultur zum Thema „RAUSSICHT – FREIRAUM:WANDEL“ mit einem Konzept, das Wind, Landschaft und Erinnerung kunstvoll verwebt.

Durch die künstlerische Beleuchtung von Herre und Thies entstehen völlig neue Perspektiven auf Karstens Werk. Die fließenden Stoffbahnen wirken im künstlichen Licht wie schwebende Wesen – mal geisterhaft, mal kraftvoll. Die Silhouette des Hallenhauses, einst durch die Künstlergruppe OBSERVATORIUM entworfen, wird zur Projektionsfläche einer begehbaren Lichtskulptur.

Fotokunst für alle

Passend zur Installation ruft die Stadt Neukirchen-Vluyn zum Fotowettbewerb auf. Die „Windzeichnung“ kann den gesamten Sommer über in drei Kategorien fotografisch eingefangen werden: Laie, Profi und Inszenierung. Ob Detailaufnahme, Lichtspiel oder kreative Interaktion – der Wettbewerb soll die Vielfalt der Wahrnehmung feiern. Einsendeschluss ist Ende September 2025. Auf Social Media freut sich die Stadt über Markierungen, um die besten Beiträge sichtbar zu machen – vorausgesetzt, das Kunstwerk bleibt unversehrt.

Ein Ort des Wandels

Die Halde Norddeutschland hat sich in den letzten Jahren als kultureller Begegnungsort etabliert. Nicht nur durch die stetig wechselnden Kunstinstallationen im Hallenhaus, sondern auch durch Projekte wie jenes von Jens Herre und Torsten Thies, die weit über dokumentarische Fotografie hinausgehen. Es geht um das Sichtbarmachen von Bewegung, Wandel und Atmosphäre – und um das, was Kunst im besten Fall schafft: neue Perspektiven eröffnen.

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