Lauterbach spielt mit dem Feuer

Karl Lauterbach, SPD (Foto: Roland W. Waniek)


Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat in einem Gutachten festgestellt, dass Staaten zu Schadensersatz verpflichtet werden können, wenn sie sich nicht an die Klimaschutzabkommen halten. Der IGH erkennt damit das Recht auf eine saubere Umwelt als ein Menschenrecht an. Für die Stabilität der Demokratien kann das Gutachten verheerende Folgen haben.

Über Jahrzehnte hinweg interessierte die Frage, wen die Fraktionen des Bundestags, zumeist im Konsens, als Richter an das Bundesverfassungsgericht schickten, nur wenige Experten. Das hat sich geändert, wie die Auseinandersetzungen um die Berufung der beiden SPD-Kandidatinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold zeigen. In den USA, wo die Richter des Obersten Gerichtshofs vom Präsidenten berufen und vom Senat bestätigt werden, sind solche Debatten seit 40 Jahren üblich. Mit der Berufung von konservativen oder liberalen Richtern wird Politik gemacht – und das über sehr lange Zeit: Richter des Obersten Gerichtshofs werden auf Lebenszeit berufen.

Der Vorwurf, Richter für die Umsetzung der eigenen politischen Agenda zu nutzen, ist dabei weder in den USA noch in der Bundesrepublik von der Hand zu weisen, wie ein Tweet des SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach als Reaktion auf das Urteil des IGH zeigt. Denn Lauterbach setzt auf Gerichte, wenn es darum geht, Politik im Zweifelsfall auch gegen den Willen der Mehrheit durchzusetzen. Auf X schreibt der ehemalige Bundesgesundheitsminister: „Klimaziele werden zunehmend völkerrechtlich einklagbar. Ich begrüße das ausdrücklich. Weil ich nicht im Ansatz glaube, dass ohne die Kraft der Gerichte die Klima-Ziele erreicht werden. Politik versagt zu oft an den eigenen Zielen und die Wissenschaft ist alleine machtlos.“

Lauterbach liegt damit im Trend. Er setzt nicht mehr darauf, die Wähler von seiner Politik zu überzeugen. Gerichte sollen seine politische Agenda auch gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen. Eine Sicht, die beispielsweise von Ann-Katrin Kaufhold, einer der SPD-Kandidatinnen für das Bundesverfassungsgericht, ausdrücklich nicht geteilt wird. Im Interview mit der Ludwig-Maximilians-Universität München, an der Kaufhold lehrt, sagt sie auf die Frage, welche Institutionen jetzt schneller handeln müssten, um Klimaanpassungen durchzusetzen: „Die zentrale Institution ist und bleibt das Parlament, auch bei Klimaschutz und Klimaanpassung. Der grundlegende gesellschaftliche Wandel, den wir so dringend benötigen, kann nur von den Parlamenten ausgehen. Gerichte, Zentralbanken, Wissenschaft und Verwaltungsbehörden – sie alle müssen mitziehen und unterstützen. Sie können die Parlamente an ihre Aufgaben erinnern und verfügen über zum Teil mächtige Hebel, um Anpassungen umzusetzen. Aber in einer Demokratie kann keine Institution das Parlament als Motor gesellschaftlicher Veränderung ablösen.“

Der Siegener Politikprofessor Philip Manow hat in seinen beiden Büchern „(Ent-)Demokratisierung der Demokratie“ und „Unter Beobachtung“ den Trend, Politik an den Parlamenten vorbeizumachen, für den für ihn vor allem die Europäische Union steht, nicht nur beschrieben, er sieht in ihm auch einen der Gründe für den Aufstieg populistischer Parteien: „Das Erreichen oder Verfehlen der demokratischen Werte wird überwacht durch die neuen Zertifizierungs- und Verifikationsinstanzen (nicht zuletzt durch Gerichte). Die Demokratie steht unter Beobachtung und unter Korrekturvorbehalt. Die Korrektur wird nun allerdings von außen vorgenommen, sie erfolgt nicht mehr als demokratische Selbstkorrektur über Wahlen oder über das Regierung/Opposition-Schema der öffentlichen Debatte.“ Der Bevölkerung wird misstraut. Es gilt, sie zu erziehen. Ob sie das will oder nicht, spielt keine große Rolle mehr: „An diesen Zusammenhang von Einschluss und Ausschluss ist zu erinnern in Zeiten, in denen die Demokratie in Gefahr scheint – angeblich gefährdet durch einen Populismus, dessen Charakterisierungen in vielerlei Hinsicht jenen Beschreibungen gleichen, durch die die Ablehnung der Demokratie über Jahrhunderte hinweg begründet wurde. »Das Volk ist wieder der ›große Lümmel‹, hässlich in seiner Übergewichtigkeit, geschmacklos in seinen Jogging-Anzügen, ungezügelt in Gelüsten wie Alkohol- und Zigarettenkonsum, dazu politisch volatil und zu autoritären Lösungen neigend.«

Und da es auch in der Klimapolitik nicht so will wie Lauterbach, soll das Parlament entmachtet werden. Doch wenn Wahlen nichts mehr ändern, wird das nicht zur Stabilisierung der Demokratie beitragen. Die Mehrheit wird sich irgendwann an Systemsprenger, siehe Trump, wenden, denn sie muss ja erkennen, dass sie nicht mehr als ein Störfaktor bei der Durchsetzung einer Politik ist, die von einer beseelten Minderheit vorangetrieben wird. Lauterbach spielt also mit dem Feuer, wenn er seine Hoffnung auf den IGH setzt. Kaufhold, die durchaus die Macht der Gerichte sieht, warnt: „Keine Institution kann auf Dauer gegen eine Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung agieren. Auch das Bundesverfassungsgericht etwa ist darauf angewiesen, dass die anderen Institutionen seine Entscheidungen umsetzen. Es fällt seine Urteile unabhängig, aber wenn die Umsetzung auf massiven Widerstand stößt, ist das auf Dauer nicht durchhaltbar.“

Sätze, die Lauterbach auswendig lernen sollte.

 

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hase12
hase12
4 Monate zuvor

Ein sehr gut geschriebener und lesenwerter Text! Wenn man so genau darüber nachdenkt, erinnert der Text einen an einen Ausspruch von Walter Ulbricht: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“

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