Libertäre Medienmesse: „Anarcho-Kapitalisten segeln unter falscher Flagge“

zechecarl_maerz10_1kZwischen dem 29. und 31. August wird in der Zeche Karl in Essen die dritte libertäre Medienmesse stattfinden. In unserem Interview erklärt Hans, einer der Veranstalter, warum. Und nebenbei ein bisschen, was Anarchismus bedeutet.  Von unserer Gastautorin Ronja Mercedes Nabert

Das Internet ist so etwas wie die größte Messe der Welt. Mit Anhängern des Primitivismus oder Öko-Anarchismus ist bei der LiMesse doch bestimmt  nicht zu rechnen. Um was geht es Euch? 

Im Internet gibt es zwar schon sehr viel, aber noch gibt es doch zahlreiche weitere Medien. Eben diesen wollen wir eine Plattform geben. Natürlich ist das nicht alles. Das wichtigste an einer Messe ist ja der persönliche Kontakt. Das Ziel der ersten Libertären Medienmesse, nämlich zu helfen eine effektive Selbstorganisation von Medienschaffenden mit an zu stoßen, haben wir ja damals leider nicht erreicht. Inspiriert durch die Messe entstand zum Jahreswechsel 2010/11 die Gǎi Dào als neues anarchistisches Monatsmagazin, das gleich mehrere Medien nutzt. Jetzt, auf der dritten Libertären Medienmesse stellt sich auch die tatsächlich entstandene „Anarchistische Föderation Rhein/Ruhr“ vor. Neben einer dreimonatigen Kampagne mit dem Titel „Zeit für Plan A“ (Winter 2013) haben sie aktuell im August 2014 auch noch eine Kampagne mit dem Titel „Heute wie vor hundert Jahren: Krieg dem Krieg!“ veranstaltet.

Seit der ersten Libertären Medienmesse ist die Öko-Anarchistische Fraktion übrigens mindestens durch die Graswurzelrevolution (GWR) vertreten. Auch dieses mal hat die GWR einen eigenen Stand. Darüber hinaus wird es aus dem Öko-Anarchistischem Spektrum auch Veranstaltungen auf der Messe geben.

Wenn Ihr gerade keine Medienmessen veranstaltet, veranstaltet Ihr Büchermessen. Werden Bücher heute noch gelesen?  

Ja. Und ich glaube das liegt nicht nur daran das sich ein Buch in der Hand einfach immer noch besser anfühlt als eBook, Pad oder Smartphone. Noch ist es so, dass die Akkulaufzeit eines Buches einfach unschlagbar ist. Außerdem kann man selbst bei größter Sonneneinstrahlung lesen und auch der Winkel spielt im Bereich von bis zu 180° so gut wie keine Rolle. Unschlagbar auch die Funktion „Seite, die ich zuletzt gelesen habe, wieder finden“. Viele Bücher liefern diese Funktion direkt kostenlos mit. Im Ausnahmefall kann man diese aber jederzeit upgraden. Und, im Gegensatz zu den anderen Lesegeräten, ist die Startzeit, sollte man es mal ganz ausgeschaltet haben, bei weit unter einer Sekunde!

Das Gerücht, dass „Anarchie gleich Chaos“ sei hält sich in Deutschland hartnäckig. Von Menschen die herrschaftsfreie Strukturen anstreben solle man sich besser fernhalten und niemand weiß dagegen so recht etwas zu unternehmen. Zieht die LiMesse üblicherweise nur Genossen an oder kommen auch Menschen aus Interesse vorbei?  

Unserer Erfahrung nach ziehen wir ein breites Publikum an. In den letzten Jahren ist ja, aus verschiedenen Gründen, das Interesse an „Anarchie“ weltweit wieder gestiegen. Das merken wir natürlich auch auf den Messen. Es kommen Menschen aller Altersklassen, die sich zum Teil zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Thema auseinandersetzen (wollen). Ihnen, wie auch den langjährigen Aktivist*innen wollen wir den Zugang zu den verschiedenen Medien ebenso erleichtern, wie einen Raum zum Kennenlernen und Vernetzen bieten.

Die diesjährige Veranstaltung ist geziert von den Schlagworten „Frauen.Arbeit.Migration“ und auf Ihrer Website ist dabei die Rede von einem Themenkomplex. Wird der Schwerpunkt dieses Mal schlicht die Mehrfachdiskriminierung weiblicher Migranten auf dem Arbeitsmarkt sein? Oder was ist der Zusammenhang?

Die Idee hinter dem Themenkomplex „Frauen.Arbeit.Migration.“ ist der, das jedes dieser Schlagworte schon ein umfassendes Thema für sich ist. Bei uns im Ruhrgebiet, treffen diese drei Themenkomplexe aber auf verschiedenste Art und Weise immer wieder neu zusammen. Die dreifache Diskriminierung als Arbeiterin, Frau und Migrantin könnte so durchaus ein Thema auf der Messe sein. Bei der Themenwahl lassen wir aber ein

möglichst weites Feld offen. So können auch Vorträge, Workshops, Lesungen usw. usf. angeboten werden, die sich nur mit einem dieser drei Komplexe beschäftigen, die zwei von ihnen frei kombinieren, die alle drei miteinander verbinden oder gar noch einen vierten oder fünften Komplex mit einbringen.

Wie das Programm am Ende genau aussehen wird, könnt ihr in den nächsten Tagen auf unserer Homepage erfahren. Ab Ende Juli wollen wir so nach und nach die Veranstaltungen bekannt geben.

Auf diese drei „Sorgenkinder“ konzentrieren sich sehr viele „Linke“. Gibt es Ansätze, diese Probleme staatlich bzw. minarchistisch dauerhaft unter Kontrolle zu kriegen? 

Zum einen würde ich diese Felder nicht als „Sorgenkinder“ bezeichnen wollen. Zum anderen bezweifle ich, das sich wirklich „viele Linke“ darauf konzentrieren. Vielmehr denken wir, dass diese Themen schlussendlich viel zu wenig in der öffentlichen Debatte präsent sind. Unserem libertären Anspruch verpflichtet, suchen wir auch keine staatlichen Lösungen (auch keine minarchistischen). Wir leisten uns den Luxus in die Fähigkeiten der Menschen zu vertrauen, sich selbst organisieren zu können. Unsere Messe, die ja auch zu 100% selbstorganisiert ist, ist nur ein Beispiel dafür, dass dies tatsächlich geht. Viele andere Beispiele, wie die Fabrik Vio.me in Griechenland, sind unter diesem Aspekt sicher viel spektakulärer. Die Tendenzen zur Selbstorganisation sind aber natürlich nicht neu. Sie haben historische Vorläuferinnen und wir finden diese nicht nur in Europa. Auf der Messe werdet ihr u.a. auch zu diesem Themenkomplex viele interessante Medien finden.

Dass der Diskussionsstoff nie ausgeht und die Ideen immer weiter gestrickt werden, ermöglicht Euch die Zeche mit einem derartigen Konglomerate an Informationen zu füllen. Wo, beim Freiheitsbegriff, ist Euer Konsenz? 

Die Ablehnung jeder Form der Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen ist das, was wir ablehnen.

Positiv ausgedrückt, sind wir für den freien Zusammenschluss auf föderaler Basis, also ohne ein Zentrum zu bestimmen, sondern als Netzwerk. Das könnte man so als unseren kleinsten gemeinsamen Nenner bezeichnen.

Darüber hinaus haben wir im Detail sicher alle sehr verschiedene Ansätze, wie das ggf. zu realisieren ist oder was davon und wie schon heute machbar ist. Einige von uns beziehen auch andere Tiere  mit in ihre Überlegungen mit.

Ich sah kürzlich, völlig überraschend, auf Facebook das Logo der LiMesse bei einer Fürsprecherin dieser sich selbst als Friedensbewegung bezeichnenden Initiatoren der neurechten Montagsdemonstrationen. 

(Lacht) Das ist ja nun keine Frage. Aber ich ahne worauf du eventuell hinaus willst. Mit der Entscheidung, unsere Werbematerialien im Internet zu veröffentlichen, haben wir natürlich auch ein Stück weit die Kontrolle darüber abgegeben. Jede und jeder kann sich die entsprechenden Daten von unserer Homepage holen und benutzen. Da ich nicht weiß, um wen es sich dabei konkret handelt, gehe ich mal davon aus, das es eine Person ist, die vielleicht noch schwer auf der Suche nach Alternativen zu dem als „falsch“ Erkannten ist. Bei einer solchen Suche könne viele Irrwege beschritten werden, vor allem dann, wenn man noch über keine Richtschnur verfügt.

Ich wollte Euch ganz einfach die Möglichkeit geben, Euch von diesen Menschen zu distanzieren, was Du hiermit getan hättest. Die Begriffe Anarchismus und Libertarismus vereinen unter sich zahlreiche Strömungen und Streitpunkte. 

Gibt es anarchistisch-geprägte Ausrichtungen, mit deren Vertretern Ihr keinen Störtebecker-Kaffee trinken würdet? 

An dieser Stelle will ich darauf hinweisen das wir nichts (!) mit dem sogenannten „Libertarimus“ zu tun haben. Wir verwenden den Begriff „libertär“ in seiner ursprünglichen Bedeutung als Synonym für „anarchistisch“. Dabei bedeutet für uns „Anarchie“ ganz klar die Ablehnung jeder Form der Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen. Sogenannte „Anarcho“-Kapitalisten fallen da eindeutig aus der Definition heraus, da sie so überhaupt kein Problem mit der Ausbeutung von Menschen haben. Sie segeln unter Falscher Flagge, wie auch die selbsternannten „Anarcho-Stalinisten“ (die zugegebener Maßen seit ein paar Jahren ausgestorben zu sein scheinen) und die leider immer noch existierenden „Anarcho“-Nationalisten. Alle drei begehen einen leicht zu durchschauenden Etikettenschwindel. Sie sind aber einfach nur Kapitalisten, Nationalisten oder Stalinisten und manchmal mischen sie sich auch noch.

Um jetzt aber noch kurz deine Frage zu beantworten: Es gibt keine anarchistische Strömung, die wir ausgrenzen würden.

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Archophob
Archophob
9 Jahre zuvor

Ich kann ja im Grunde allem oben gesagtem zustimmen, aber eines ist absurd: die Gleichsetzung von Anarchokapitalisten mit Ausbeutern. Der Anarchokapitalismus basiert schließlich auf der Erkenntnis, daß es ohne staatlichen Zwang und ohne Gewalt gar keine Ausbeutung geben kann – selbstverständlich kann es in einer auf Freiwilligkeit basierenden Gesellschaft auch Industrie geben, und selbstverständlich kann es Menschen geben, denen die Sicherheit eines festen Einkommens so wichtig ist, daß sie mit einem Industriellen einen Arbeitsvertrag abschließen, der einer klassischen Festanstellung entspricht. Nur ist diese keine Ausbeutung, solange jeder Vertragspartner die Freiheit hat, Angebote auch abzulehnen, wenn diese nicht seinen Vorstellungen entsprechen.

Es gibt keine Freiheit ohne Vertragsfreiheit.

Ronja Mercedes Nabert
Ronja Mercedes Nabert
9 Jahre zuvor

Sehe ich genauso. Danke für die Anmerkung.

Robby
Robby
9 Jahre zuvor

Hans, der Begriff „Ausbeutung“ existiert aus anarcho-kapitalistischer Sicht überhaupt nicht. Hier ist der Gedanke des freien (oder auch freiwilligen) Austausches dominierend – das Recht auf weitestgehende Selbstbestimmung fundiert die Handlungsoptionen des Individuums.
Wenn man die freie Entscheidung für einen Stundenlohn von z.B. 3,00 € zu arbeiten als Ausbeutung ansieht muss man die vollkommen ohne Bezahlung geleistete ehrenamtliche Tätigkeit ebenfalls als Ausbeutung (mit umgekehrtem Vorzeichnen) betrachteten.

Ronja Mercedes Nabert
Ronja Mercedes Nabert
9 Jahre zuvor

„Der Anarchokapitalismus basiert schließlich auf der Erkenntnis, daß es ohne staatlichen Zwang und ohne Gewalt gar keine Ausbeutung geben kann.“ 😉

Ana
Ana
9 Jahre zuvor

Sehe ich nicht so. Im Anarchokapitalismus geht der Anarchokapitalist davon aus, das jemand seinen Reichtum mit seinen, ihm gehörenden Produktionsmitteln erarbeitet.
Solidarität gibt es nicht.

bob hope
bob hope
9 Jahre zuvor

„Die kapitalistische Produktion beruht darauf, dass der produktive Arbeiter seine eigene Arbeitskraft als seine Ware dem Kapitalisten verkauft, in dessen Händen sie dann bloß als Element seines produktiven Kapitals fungiert(…) (…) Die Produktion eines Gebrauchswerts und selbst die einer Ware ist hier nur Mittel für die Produktion von absolutem und relativem Mehrwert für den Kapitalisten.“ (Marx, Das Kapital Bd. 2, S. 384, zitiert nach MEW Bd. 24)

Ich denke mal, im „Anarchokapitalismus“ wird diese Gesetzmäßigkeit nicht außer Kraft gesetzt, ansonsten wäre die Bezeichnung irreführend.

Ronja Mercedes Nabert
Ronja Mercedes Nabert
9 Jahre zuvor

Wenn ich den Sinn des Kommentars über mir richtig „verstanden“ haben, finde ich ihn dumm. Nicht nur, dass da jemand, der sich selbst Hoffnung nennt, es offenbar als hinreichende Bedingung für Ausbeutung (oder notwendige für Kapitalismus?) begreift, wenn etwas an jemandem verkauft wird, der nach dem Mehrwert strebt („nach Marx“), nein, ihm ist außerdem entgangen, dass es in der Diskussion um eine Idee geht welche aus der Kritik an den Thesen desjenigen entstanden ist, den er hier zitiert.
Der Begriff Anarchokapitalismus ist so wenig irreführend, wie durch Dich zitiertes eine Gesetzmäßigkeit darstellt; wie Marx sein Werk vollendet hat; wie das Kapital heute wirtschaftswissenschaftliche Relevanz hätte; wie Anarchismus einseitig ist. Anarchie (=ohne Herrschaft) in Verbindung mit Kapitalismus (freier Markt: selbst operierendes Wirtschaftssystem in welchem die Nachfrage das Angebot bestimmt und Privateigentum an Gebrauchswerten möglich ist) bedeutet zunächst einmal Autonomie auf dem Arbeitsmarkt und als allerletztes die Möglichkeit(!) der Existenz von so etwas wie einem „Chef“.

Dixi. Da bekommt man doch instinktiv politische Bauchschmerzen…!

Holger Pauler
Holger Pauler
9 Jahre zuvor

Dass „Das Kapital“ innerhalb der Wirtschaftswissenschaften keine Relevanz hat, ist zunächst einmal kein Gegenargument – im Gegenteil: Da die Wirtschaftswissenschaften ja selbst keine Relevanz besitzen, sich irgendwo zwischen Konjunkturforschung, Wirtschaftsprognosen und Krisenbewältigung bewegen (und daran regelmäßig scheitern), ist die Kritik der politischen Ökonomie immer noch eine gute Basis, um die Gesetze der Marktwirtschaft zu analysieren.

Ich möchte von den „Anarchokapialisten“ gerne wissen, wie sie den Widersprüche Privateigentum und Herrschaftsfreiheit auflösen wollen? Das Privateigentum an Produktionsmitteln ist ist Voraussetzung für die Produktion von Waren, die auf dem „freien“ Markt angeboten werden. Ein Arbeitsverhältnis auf der Basis der Produktion von Waren bleibt ein Abhängigkeitsverhältnis, das nicht frei von Herrschaft sein kann. Wer sich dem unterwirft, wird ausgebeutet. Dass Einige (natürlich auf Kosten anderer) damit dennoch ganz gut über die Runden kommen können, hat vor allem die zweite Hälfte der 20. Jahrhunderts – zumindest in den westlichen Industrienationen – gezeigt.

Der Zweck der kapitalistischen Produktion ist und bleibt die Verwertung des Kapitals, d.h. Aneignung von Mehrarbeit. Oder, um mit Marx zu reden:

„Alle Ausbeutungsverhältnisse sind gekennzeichnet durch den Ausschluss des Arbeiters vom Produkt“ (K. Marx, Kapital Bd. 1, MEW Bd. 23, S. 555).
„Wenn der Produzent sich zu seiner Arbeit als einer unfreien verhält, so verhält er sich zu ihr als der Tätigkeit im Dienst, unter der Herrschaft, dem Zwang und dem Joch eines anderen Menschen.“ (K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW 40, S. 519.)

Im übrigen würde ich mich weder als Kommunist noch als Sozialist beschreiben. Der Gedanke der individuellen Freiheit und der Emanzipation des Menschen ist mir besonders wichtig. Das mit dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität in Einklang zu bringen, ist schwierig und bislang nicht gelungen. Der real existierende Sozialismus hat dies nicht geschafft und bei der Marktwirtschaft (vulg. Kapitalismus) habe ich da auch keine Hoffnung.

PS. Der Anarchismus ist wesentlich älter als der Marxismus. Und auch unter den Anarchisten gibt es nicht Wenige, die Marx‘ Kritik der politischen Ökonomische unterstützen.

PPS. Ich hoffe, die politischen Bauchschmerzen haben nicht zur ökonomischen Verstopfung geführt.

Robby
Robby
9 Jahre zuvor

@Holger Paul

Zitat „Widersprüche Privateigentum und Herrschaftsfreiheit auflösen wollen“ – dass dieser Widerspruch in der analytisch geprägten Gedankenwelt v. K. Marx vorhanden ist heißt ja nicht dass er auch realiter existiert.

Aus anarch-kap. Sicht gilt der Freiheitsgedanke (annähernd)uneingeschränkt. Diese Freiheit kann auch die Wahl zur Unfreiheit einschließen, nämlich ein Arbeitsverhältnis einzugehen.

Wer das dann als Ausbeutung betrachtet ist wiederum frei das Arbeitsverhältnis zu beenden, sich selbständig zu machen oder als Einsiedler in den Wäldern Kanadas zu leben.

Ronja Mercedes Nabert
Ronja Mercedes Nabert
9 Jahre zuvor

„Das Privateigentum an Produktionsmitteln ist ist Voraussetzung für die Produktion von Waren, die auf dem „freien“ Markt angeboten werden. Ein Arbeitsverhältnis auf der Basis der Produktion von Waren bleibt ein Abhängigkeitsverhältnis, das nicht frei von Herrschaft sein kann.“ Das stimmt schlicht nicht. Es ist denkbar, dass der freie Markt zu einer Art „Schenkwirtschaft“ mutiert, um nur ein extremes Gegenbeispiel zu nennen. Aber die Freiwilligkeit legitimiert Privateigentum eh und macht die Abgrenzung zum Besitz überflüssig. Denk doch mal nach!,

Und Anarchokapitalismus entstand aus Marxismuskritik. Punkt.

Ana
Ana
9 Jahre zuvor

@Ronja Mercedes Nabert:
Also ich komme schon mit dem Wesen des Kapitalismus nicht klar.
Und jetzt verkaufts du mir einen Kapitalismus ohne Regeln.

Ganz ehrlich: Wenn sich von heute auf morgen der Staat auflöst und die Produktionsmittel in den Händen derer verbleiben, die sie wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben angefaßt haben (glaubst du, Susanne Klatten hat schon mal einen BMW zusammengeschraubt?)… Ich sehe feudale Zeiten.
Ich mag deinen Anarchokapitalismus nicht.
Ich mag die Theorien des Vordenkers Murray Rothbard nicht und die österreichische Schule, der er anhängt ebenso wenig.

Ana
Ana
9 Jahre zuvor

und außerdem: Produktionsmittel sind Voraussetzung zur Herstellung von Waren. Wer sagt, das sie Privat sein müssen? Ist das irgendein universell physikalisches Gesetz aus den Zeiten des Urknalls?

Arnold Voss
9 Jahre zuvor

Nein Ana, müssen sie natürlich nicht. Sie könne natürlich auch komplett unter öffentliche Verfügung gestellt werden. Die Praxis dieses Konzeptes hat sich in der bisherigen Fassung allerdings als ökomisches und soziale Desaster herausgestellt.

Privateigentum kann aber auch kolletiv sein, ohnen verstaatlich zu werden, und zwar in Form von Genossenschaften. Dieses Eigentümerkonzept war übrigens von Anfang an ein wichtiger Teil des anarchistischen Erprobungen einer anderen Ökonomie und ist später auch von der Sozialdemokratie übernommen worden, weil es sich problemlos in eine freie Marktwirtschaft integrieren ließ.

Die sogenannte Lohnabhängigkeit kann Ausbeutung bedeuten, muss es aber nicht. Das hängt ganz von der Verhandlungsstärke derer ab, die sich in diese Lohnabhängigkeit begeben. Wenn diese dann obendrein noch Aktienbesitzer sind, wohlmöglich sogar im selben Betrieb in dem sie arbeiten, wird die Sache noch etwas komplizierter.

Selbst der Besitz von Produktionsmittel ist heute nicht mehr die unbedingte Voraussetzung zur Herstellung von Waren, sondern ausschließlich der Zugang zu ihnen. Der kann ohne weiteres, durch Miete und/oder zeitweisen Tausch hergestellt werden.

Das eigentliche Problem jeder anarchistischen Produktionsweise ist nicht der Kapitalismus sondern die in ihm liegenden Tendenzen zur Mono- und Oligopolbildung im bereich des Marktes und beim Zugang zu den Produktionsmitteln. Wer die nicht in den Griff bekommt, der wird weder einen wirklich freien Markt noch einen Anarchokapitalismus hinbekommen.

Mit einer Monpolbildung durch den Staat, und nichts anderes waren die bisherigen Real-Versuche einer kommunistischen Wirtschaft, treibt man allerdings den Teufel mit dem Bellzebub aus. Man muss stattdessen die kapitalistische Dynamik statt sie zu verbieten, in bestimmten Bereichen zu zähmen versuchen. Das ist die einzige humane Chance die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen einzuschränken. Ganz verhindern wird man sie in keimem System dieser Welt.

Archophob
Archophob
9 Jahre zuvor

Ach der olle Marx. Der hatte von Wirtschaft so wenig Ahnung, daß er „Produktionsmittel“ als quasi gottgegeben betrachtete.

Die Brüder Albrecht haben die ALDI-Märkte nicht von einer alten Raubritter-Familie geerbt, sondern mit Mut zum Risiko, den richtigen Ideen und klugen Entscheidungen überhaupt erst aufgebaut. Wobei Supermärkte nicht mal ein Mittel zur Produktion, sondern mehr eines zur Distribution sind.

Überhaupt, was ist ein „Produktionsmittel“? Wenn ich bei Obi oder Hornbach einen Schraubendreher kaufe, um damit die Computer meiner Kunden zu reparieren, dann ist der Schraubendreher für Hornbach nur eine Ware, für mich aber ein Produktionsmittel. Wenn ich nun mit diesem Schraubendreher im selben Hornbach-Markt eine Kasse repariere, ist umgekehrt die Kasse für mich nur eine Ware, für Hornbach aber ein Produktionsmittel. Wessen Eigentum soll der (mit selbstverdienten Zahlungsmitteln gekaufte) Schraubendreher nun sein, wenn nicht mein persönliches, privates Ich-AG-Betriebskapital?

Die Frage, was „Ausbeutung“ ist, ist ebenfalls eine rein subjektive. Nach Marx werden ja Festangestellte grundsätzlich vom Produktionsmittel-Eigentümer ausgebeutet – wenn ich also selbständig mit meinem eigenen Schraubendreher arbeite, kann das keine Ausbeutung sein. Ich habe allerdings dann kein fixes Monatsgehalt und auch keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub, was z.B. meine ziemlich sozialdemokratische Mutter für „Ausbeutung“ hält.

Das Privateigentum an Schraubendrehern schränkt weder meine Freiheit ein, noch die meiner Kunden oder gar die meiner „Lieferanten“ – und ob ich so viel reicher würde, wenn ich andere Menschen mit meinen Schraubendrehern arbeiten ließe, wage ich zu bezweifeln – eigene Schraubendreher kann sich eigentlich jeder leisten, die Fähigkeit, damit sinnvoll umzugehen ist weniger verbreitet.

Was meine Freiheit dagegen erheblich einschränkt, ist die Forderung unserer Regierung, ich möge doch eine Einkommenssteuererklärung abgeben (Ergebnis wie jedes Jahr: nach Abzug aller Betriebskosten und Vorsorgeaufwendungen gerade mal das steuerfreie Existenzminimum meiner 4-köpfigen Familie) und dazu auch noch eine Mehrwertsteuererklärung (Ergebnis vorhersehbar: was ich abführe, haben meine Kunden bereits als Vorsteuer verrechnet) – ich habe also erheblichen Arbeitsaufwand in einer Tätigkeit, die ich mir nicht ausgesucht habe, die ich sogar hasse, nur damit der Staat sicher weiß, daß bei mir nichts zu holen ist bis auf das, was er mir über die Grundsteuer unserer Mietwohnung, die KFZ- und Treibstoffsteuern des Autos, mit dem ich überhaupt zu meinen Kunden erst hin komme, und die allgegenwärtigen Steuern auf Dinge des täglichen Bedarfs ohnehin schon abgezwackt hat.

Privateigentum, egal ob an Schraubendrehern, an Autos, oder an einem selbst geschnitzten Jagdbogen, ist keine Gefahr für die Freiheit, sondern im Gegenteil eine Voraussetzung derselben. Wie kann ein Schnitzer frei sein, wenn er jederzeit befürchten muß, daß ein Jäger-Krieger kommt und sagt „der Bogen, den Deine Fähigkeit hervorgebracht hat, ist mein Bedürfnis – gib her!“ – ohne daß der Schnitzer das Recht hätte „nein, das ist mein Eigentum“ zu antworten? Der Bogen mag erst in den Händen eines Jägers zum Produktionsmittel werden, dennoch muß der Erschaffer des Bogens frei entscheiden können, zu welchem Preis und an welchen Jäger er ihn verkaufen will.

Wer immer sich anmaßt, über das Eigentum anderer Menschen zu entscheiden, schlüpft damit in die Rolle der Staatsgewalt. Das kann ein Anarchist doch nicht gut finden?

bob hope
bob hope
9 Jahre zuvor

Ach, der olle Marx hatte hatte schon sehr viel Ahnung von Wirtschaft. Und sorry Ronja und Robby und Co, aber eine derartige Sichtweise auf Markt, Macht und Gesellschaft ist zwar irgendwie lustig vor allem aber: naiv. In einer durch den Markt geregelten Ökonomie kommt es, grob verkürzt betrachtet, darauf an, Tauschobjekte (-werte) herzustellen, deren Verkauf maximalen Gewinn abwerfen sollte, um im Wettbewerb überleben zu können – was Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft notwendigerweise impliziert und auch immer dazu führt, dass Menschen auf der Strecke bleiben.

Lohnarbeit ist Arbeit, die verrichtet wird, um Einkommen zu erzielen. Sie ist ein gesellschaftliches Verhältnis, in das der Lohnarbeiter zu einem Geldbesitzer tritt, der an seiner Arbeit interessiert ist. Durch das Geld hat er prinzipiell Zugang zu allen Waren, die die Gesellschaft hervorbringt. Leute, die im Besitz der Produktionsmittel sind und somit auch in Besitz des Geldes sind, welches der Lohnarbeiter verdienen möchte, gehen dieses Verhältnis aber selten ein, weil sie ein großes Herz oder schlechtes Gewissen haben. Dahinter steckt immer die Absicht, Mehrwert oder Profit sich anzueignen und dies geht nur dadurch, in dem er den Lohnarbeiter für sich arbeiten lässt, was nichts anderes als Ausbeutung ist.

Ausbeutung ist die Aneignung unbezahlter Arbeit und keine moralische Kategorie. Und da ist es für den Charakter der Lohnarbeit zunächst egal ob der Arbeiter jetzt einen von der IG Metall ausgehandelten hohen Tariflohn bekommt, ob er als Minijobber arbeitet oder ob er als Minderjähriger in Asien oder Afrika sein Leben ruiniert. In allen drei Fällen verkauft er seine Arbeit und arbeitet einen Teil seiner Zeit für denjenigen, der im Besitz der Produktionsmittel ist.

Aber natürlich habt ihr mich überzeugt: In der extremsten Form mutiert der freie Markt zu einer Art „Schenkwirtschaft“. Zudem schließt die Freiheit auch die Wahl zur Unfreiheit ein (was jeder absolutistischer Herrscher, Autokrat und auch so mancher Bundesbanker sofort unterschreiben würden) und außerdem ist die Erde eine Scheibe!

Aber wenn ich ehrlich bin: Ich ziehe die Schankwirtschaft der Schenkwirtschaft vor, da weiß ich wenigstens (zumindest meistens) was ich bekomme und was ich dafür bezahlen muss. Cheers!

Ronja Mercedes Nabert
Ronja Mercedes Nabert
9 Jahre zuvor

Liebe Baronen,
Darf ich als nächstes einen Text über Anarchokapitalismus (und evtl. auch die AWT bei Marx) schreiben? Mangels Nachfrage durch Eure Leser sehe ich da eine gewisse Notwendigkeit! 😉

Stefan Laurin
Admin
9 Jahre zuvor

@Ronja Mercedes Nabert: Klar – wo, wenn nicht hier? 🙂

Arnold Voss
9 Jahre zuvor

@ Bob Hope

Ohne einen Gewinn kann kein Unternehmen auf Dauer existieren. Selbst eine Genossenschaft muss sich also von ihren Arbeiterbesitzern „unnbezahlte Arbeit“ aneignen.

Was ist mit den quasi unkündbaren Lohnabhängigen im Staatsapparat, was mit den Beamten die absolute Lohn und Rentensicherheit haben, wo werden die „ausgebeutet“?

Was ist mit den Einkommen im großen Finanzkarrussel, dass sich von jeglicher „Mehrwert-Produktion“ abgekoppelt hat und Gehälter + Boni für Lohnabhängige abwirft, die kein normaler Kapitabesitzer je als Gewinne einstreichen kann?

Es ist eben nicht egal, zu welchen Bedingungen „unbezahlte“ Arbeit angeeignet wird. Das kann nur einer schreiben der hier auf einem warmen Staatssesselchen oder sonstwie dauerhhaft abgesichert sein schlaues Köpfchen mit Platt-Marxismus vollgestopft hat.

Robby
Robby
9 Jahre zuvor

@ Bob Hope

Zitat „Lohnarbeit ist Arbeit, die verrichtet wird, um Einkommen zu erzielen. Sie ist ein gesellschaftliches Verhältnis, in das der Lohnarbeiter zu einem Geldbesitzer tritt, der an seiner Arbeit interessiert ist“

Man kann Lohnarbeit auch „vertragstheoretisch“ betrachten: Lohnarbeit ist das Resultat einer freiwilligen, vertraglich fixierten Übereinkunft von Individuen. Der AN schuldet Arbeitsleistung, der AG schuldet Lohn.

Das Problem an dieser Konstruktion dürfte auf Sicht die inzwischen weitgehend reglementierte „Verhandlungssituation“ sein, Stichwort „Mindestlohn“.

Man könnte sinnvollerweise den Mindestlohn als Ausbeutung der Arbeitgebers betrachten: Dadurch dass der Arbeitgeber daran gehindert wird, Lohn auf Basis seines betrieblich-optimalen Niveaus zu zahlen werden ihm Zwangslasten aufgebürdet denen er sich nicht entziehen kann.

Man kann davon ausgehen, dass wir bei nach unten freier Lohnbildung ein enormes Potential an Billig-Arbeitsplätzen realisieren könnten die inzwischen ins Ausland abgewandert sind.

Archophob
Archophob
9 Jahre zuvor

Bob Hope,

„Lohnarbeit ist Arbeit, die verrichtet wird, um Einkommen zu erzielen. Sie ist ein gesellschaftliches Verhältnis, in das der Lohnarbeiter zu einem Geldbesitzer tritt, der an seiner Arbeit interessiert ist.“

Da haben wir es wieder: der „Geldbesitz“ wird als gegeben hingenommen. Aber woher hat der „Geldbesitzer“ denn das Geld? es gibt 3 Möglichkeiten:

1. er hat das Geld von zufriedenen Kunden bekommen, die damit seine Arbeit oder seine Produkte honorieren. Auf diese Weise bekommen Unternehmer ihr Geld, aber ebenso der Lohnarbeiter (dessen „Kunde“ eben wiederum ein Unternehmer ist)

oder

2. er hat es von widerstrebenden Steuerzahlern abgepresst. Auf diese Weise finanziert sich die Mafia, ebenso wie Raubritter, Warlords, sowie das Finanzamt unseres ach so modernen Rechtsstaates

oder

3. er druckt es selbst. Das tun nicht nur Falschmünzer und die EZB, sondern praktisch alle Geschäftsbanken im heutigen Teilreservesystem.

(Das Schöne an der bitcoin-Wirtschaft ist, daß sie die Möglichkeiten 2 und 3 stark erschwert…)

Vor nicht all zu langer Zeit sind nacheinander die Brüder Albrecht und Herr Hornbach gestorben. Die drei waren keine Ausbeuter, (ein Begriff, der ebenso wie der „Mehrwert“ aus einer als Sachbuch getarnten dystopischen Fiktion von Karl Marx stammt) sondern Unternehmer, deren „Geldbesitz“ nicht vom Himmel fiel, sondern von zig Millionen zufriedener Kunden freiwillig bezahlt wurde.

Ich habe grundsätzlich nichts gegen Science-Fiction, aber genau wie „Neusprech“ in der wirklichen Welt etwas anderes bedeutet als in George Orwells „1984“ (wir haben kein „Ministerium für Wahrheit“), genauso kann man die „Ausbeutungs“ und „Mehrwert“ Konzepte aus „das Kapital“ nicht 1:1 auf die heutige Wirtschaft übertragen. Mal ganz davon abgesehen, daß „das Kapital“ einfach schlechter erzählt ist als „1984“ oder „Animal Farm“ oder „Atlas Shrugged“ oder „I, Robot“…

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