
Während die ökologische Transformationsideologie an Zustimmung verliert, inszeniert sich Maja Göpel erneut als Warnerin vor dem technischen Fortschritt. Doch ihr Kulturpessimismus erklärt nicht die Welt, sondern nur die eigene Angst vor ihr.
Von Oswald Spengler bis Maja Göpel konnte man Reaktionäre stets an ihrem Kulturpessimismus erkennen. Sollte bei Spengler das Abendland nach seinem Untergang durch eine on ihm so genannte „Fellachenkultur“, also eine dumpfe, erschöpfte Restzivilisation, ersetzt werden, ist für Göpel eine große ökologische Transformation der Hebel, den technischen Fortschritt in die Schranken zu weisen. Denn wer auf Technologien setzt, um zum Beispiel den Klimawandel in den Griff zu bekommen, wird nicht auf mehr Nachhaltigkeit setzen. Göpel glaubt, dass Verbote viele Menschen befreien würden.
Blöd für Göpel, dass sich der Zeitgeist gedreht hat. Die Folgen der „großen Transformation“ bekommen immer mehr Menschen zu spüren, und sie sind zunehmend weniger bereit, sie zu ertragen: Deindustrialisierung, Wohlstandsverluste, hohe Energiepreise, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und der Aufstieg rechtsradikaler Parteien. „Grün macht Braun und genau das Göpel-Milieu hat diese Entwicklung durch seine Wachstums- und Technikfeindlichkeit erst befeuert. Und nun ist mit Künstlicher Intelligenz auch noch eine neue Technologie angetreten, in rasender Geschwindigkeit die Welt zu verändern – und die Menschen mögen sie, selbst in Deutschland: Weltweit gibt es nirgendwo außerhalb der USA mehr zahlende ChatGPT-Nutzer. Ein Indiz dafür, dass die Skepsis gegenüber KI vor allem in bestimmten Milieus gepflegt wird, nicht in der Bevölkerung.
Während die Bodentruppen der Stiftung Mercator mit Millionen Euro Unterstützungsgeldern im Rücken gegen den Bau neuer Rechenzentren trommeln, warnt Göpel in einem Essay in der taz davor, dass Menschen zunehmend durch den Kontakt mit Chatbots vereinsamen. Die Studienlage ist da nicht so eindeutig: KI kann Menschen helfen, sich weniger einsam zu fühlen, aber auch reale soziale Kontakte gefährden oder gar keine Auswirkungen haben. Sie ist ein Tendenzverstärker, wie es sie schon zuvor gab: Wer einen intakten Freundes- und Familienkreis hat und beruflich viel mit Menschen zu tun hat, wird durch KI nicht einsamer. Wer all das nicht hat, erhält nun einen Gesprächspartner – und wird sich vielleicht noch mehr zurückziehen. All das ist allerdings nicht neu: Einsame Menschen hatten schon immer einen Hang, sich in Parallelwelten zurückzuziehen, schauten den ganzen Tag Trash-TV oder versanken in der Welt der Rollenspiele.
Was Göpel nicht erwähnt, ist das emanzipatorische Potenzial von KI: Menschen haben nun die Möglichkeit, sich auch komplizierte Sachverhalte wie die Relativitätstheorie so erklären zu lassen, dass sie sie auch verstehen. KI ist nie arrogant, immer freundlich und passt sich dem Niveau ihres Gegenübers an. Die Schwellenangst sinkt, Nachfragen werden geradezu provoziert, Widerspruch wird nicht übel genommen. KI ist aber auch ein Distinktionskiller und daher eine reale Gefahr für Intellektuelle mit wenig Substanz, aber beeindruckendem und elitärem Auftritt: Sie zeigt, dass mancher Kaiser nackt ist und nivelliert kulturelles Kapital. Systeme wie ChatGPT sind für Kinder kostenlose Nachhilfelehrer – und das global: Mit einem billigen Smartphone haben Kinder weltweit Zugriff auf Chatbots, die ihre Fragen mit Engelsgeduld beantworten und ihnen nie das Gefühl geben, zu dumm oder zu langsam zu sein. Dazu kommt, dass die Technik niedrigschwellig ist und zum Spielen einlädt: Selten war der Einstieg in eine neue Technologie so einfach. Man muss sich nicht einmal schriftlich ausdrücken können, denn die Chatbots reagieren auch auf gesprochene Sprache. Die Bots können die Grundlagen vermitteln, die es braucht, um mit Google überhaupt vernünftig arbeiten zu können, und liefern nicht nur Links: Mit OpenAIs Browser Apollo kann man sich gemeinsam mit seinem gewohnten KI-Partner Webseiten anschauen, Fragen zu ihnen stellen und über ihre Inhalte diskutieren. Es ist die größte egalitäre Dialog- und Wissensmaschine, die Menschen je besessen haben.
Wie jede Technik ist auch KI nicht frei von Risiken, und wir werden lernen müssen, mit ihr umzugehen und zu leben – aber das war auch schon beim Feuer und beim Faustkeil nicht anders. Es gibt also keinen Grund für ein kulturpessimistisches Lamento. Die Vorteile überwiegen die Nachteile – und Millionen Menschen erleben das jeden Tag. Das verändert nicht nur ihre Einstellung zu KI, sondern zu Technik. Und das ist schlecht für die grünen Untergangspropheten, aber gut für eine Gesellschaft, die Wohlstand und Lebensqualität nur wird erhalten können, wenn sie deren Ideologie überwindet. Am Ende wird nicht die KI entscheiden, ob wir scheitern, sondern unser Verhältnis zu Fortschritt.
