
Überraschend wurde in Washington unter der Vermittlung der USA zwischen Aserbaidschan und Armenien nach Jahrzehnten des Konflikts ein Friedensabkommen geschlossen. Wohlmöglich könnten Trumps Ambitionen, schöne Bilder zu erzeugen und endlich den Friedensnobelpreis zu bekommen, für alle Beteiligten von Vorteil sein. Für die wirtschaftliche und politische Entwicklung im Kaukasus könnte der Friedensvertrag eine gute Grundlage bilden.
Die Ausgangslage
„Armenien ist von Feinden umringt“, sagte unsere Reiseleiterin in Armenien im Oktober 2022 zu uns. Zu Georgien im Norden und zum Iran im Süden hat Armenien gute Beziehungen. Der Rest des Landes grenzt an die Türkei und Aserbaidschan. Diese Grenzen sind geschlossen. Es sind 955 km von den 1218 km der gesamten Staatsgrenze. Mit Aserbaidschan hat Armenien seit den neunziger Jahren immer wieder Krieg geführt. Die letzten beiden Kriege 2020 und 2023 hat Armenien verloren. Die Türkei, die Aserbaidschan als Bruderland sieht und militärisch unterstützt, hat bis heute den Genozid an den Armeniern, bei dem 1,5 Millionen Armenier ermordet wurden, nicht anerkannt. Russland hat keine direkte Grenze zu Armenien, aber traditionsgemäß eine Vormachtstellung im Kaukasus. Europa und die USA hatten bisher wenig Einfluss auf die Region.
Während Russland und der Iran durch das Friedensabkommen an Einfluss verlieren, ist es für alle drei beteiligten Länder ein Gewinn.
Armenien
Die Menschen in Armenien fühlen sich sicher etwas überrumpelt von Trumps Friedensarrangement und werden mit dem trilateralen Abkommen vor vollendete Tatsachen gestellt. Der ein oder andere Armenier wird die gegenseitig ausgetauschten Schmeicheleien der drei Staatschefs sicher auch sehr befremdlich finden. Im November sprach jedoch Jonathan Spangenberg, Vorstandsvorsitzender des Zentralrates der Armenier, für Anfang 2024 noch von einer akuten Bedrohungslage durch Aserbaidschan. Diese akute Bedrohung Armeniens durch den Nachbarstaat ist jetzt vom Tisch.
Die Erzählung, dass Bergkarabach völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört und in fast allen Medien so verbreitet wurde, ist zwar nicht korrekt, doch was nützt es Armenien, wenn militärisch Tatsachen geschaffen werden und die armenischen Bewohner Bergkarabachs komplett vertrieben werden, während die Weltgemeinschaft schweigt. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde ignoriert, und Premierminister Nikol Paschinjan, der eher pragmatisch agiert, bleibt nicht viel übrig, als das Beste aus der Situation zu machen. Er muss nur aufpassen, dass ihm sein Pragmatismus nicht zum Verhängnis wird, denn 2026 sind in Jerewan Wahlen. Im Gegensatz zu Alijew, der als uneingeschränkter Diktator herrscht, ist Paschinjan auf Mehrheiten angewiesen. Die prorussische Opposition sitzt schon in den Startlöchern. Nur wenn es ihm gelingt, die Bevölkerung zu beruhigen, die wegen des endgültigen Verlustes von Bergkarabach – wo Alijew im Übrigen ethnische Säuberungen betreibt und armenisches Kulturgut vernichtet – zu Recht verärgert ist, kann er die Wahl gewinnen. Auch wenn Armenien wirtschaftlich von der politischen Entspannung profitiert, kann Paschinjan punkten. Aus seiner Sicht ist die Versöhnung mit Aserbaidschan und der Türkei momentan auch wichtiger für Armenien als das Streben nach dem Westen, zumal Europa Armenien immer wieder im Stich ließ und nur halbherzig agierte. Zaghafte Schritte zur Entspannung mit der Türkei, zu der die Grenze seit über 30 Jahren geschlossen ist, gab es, als nach dem schweren Erdbeben 2023 erstmals Lastwagen mit Hilfsgütern die Grenze passierten. Ein dauerhafter Frieden mit den „Türken“, wie die Armenier sowohl Aserbaidschaner als auch die Türken in der Türkei nennen, könnte das Land nach vorn bringen.
Aber Armenien zahlt dafür natürlich einen hohen Preis. Die Gerichtsverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, die Armenien angestrengt hat, sind vom Tisch, und über ein Rückkehrrecht der über 100 000 vertriebenen Bewohner nach Bergkarabach wurde in dem Friedensabkommen gar nicht erwähnt. Vielleicht ist dies möglich, dann allerdings nur von Alijews Gnaden. Für Paschinjan sind Sicherheitsgarantien und wirtschaftliche Möglichkeiten für Armenien momentan wichtiger als Gebietsansprüche. Viele Menschen in Armenien sind müde vom Krieg, auch wenn der Verlust von Bergkarabach die Armenier sehr schmerzt. Es besteht auch weiterhin eine gewisse Angst, dass Aserbaidschan sich auch noch den Süden von Armenien aneignet. Hier muss noch viel Vertrauen aufgebaut werden.
Ob die Mehrheit der Bevölkerung schließlich hinter Paschinjan steht, wird die Wahl 2026 zeigen. Es bleibt zu hoffen, dass sich Armenien nicht ähnlich wie Georgien wieder Russland annähert. Das wäre der Fall, wenn die prorussische Opposition, die durch entsprechende Propaganda und eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit Armeniens von Russland gestärkt wird, die Wahl gewinnt. So erweist sich nicht nur die ökonomische Abhängigkeit von Russland, sondern auch die Staatsform der Demokratie für Armenien in den kommenden Monaten als schwierig. Trotzdem ist das Friedensabkommen für Armenien ein Fortschritt.
Aserbaidschan
Spätestens seit September 2023 ist Alijew der Sieger. Nachdem er 2020 nach dem 44-Tage-Krieg schon einen größeren Teil von Bergkarabach und allen umliegenden Provinzen zurückgewonnen hatte, hat er 2023 nach der Sperrung des Latschin-Korridors und dem Aushungern der Bevölkerung schließlich an einem Tag ganz Bergkarabach erobert und alle Bewohner vertrieben. Seine militärische und wirtschaftliche Überlegenheit hat das ermöglicht. Aber auch die EU hat ihn indirekt unterstützt. Statt Armenien zu helfen, wurde Alijew zum vertrauenswürdigen Partner erklärt. Um russisches Öl zu ersetzen, waren Ölgeschäfte mit einem Diktator wichtiger, als ein Land zu unterstützen, das sich an den Westen annähert. Wahrscheinlich waren hier auch die als Kaviar-Diplomatie bekannten Bemühungen Aserbaidschans äußerst erfolgreich.
Was Alijew noch zum Glück gefehlt hat, bekommt er jetzt von Trump. Im Gegenzug für die einigermaßen verlässliche Sicherheitsgarantie wird Armenien erlauben, eine Verbindung zwischen Nachitschewan und dem aserbaidschanischen Kernland herzustellen. Nachitschewan ist eine aserbaidschanische Exklave, die eingeschlossen zwischen Iran und Armenien liegt und eine kurze Grenze (17 km) zur Türkei besitzt. Das Problem bei der bisher als Sangesur-Korridor bekannten, knapp 40 Kilometer langen Verbindung ist, dass sie einen Teil von Armenien abschneiden und seine Verbindung zum Iran kappen würde. Um das Problem zu lösen, wird es einen Pachtvertrag zwischen den USA und Armenien geben. Das Projekt verbleibt unter armenischer Gerichtsbarkeit, wird aber an ein privates US-Unternehmen verpachtet, das Bau und Verwaltung von Eisenbahnlinie, Öl- und Gasleitungen sowie Glasfaserleitungen übernimmt und damit auch den Transport von Gütern und Menschen ermöglicht. Diese Verbindung soll dann ganz nach Trumps Geschmack in „Trump-Route für internationalen Frieden und Wohlstand“ (TRIPP) umbenannt werden. Die Transitstrecke wird laut Trump Aserbaidschan mit seiner Exklave „unter vollem Respekt für die Souveränität Armeniens“ verbinden. Armenien sei mit den USA eine Partnerschaft zum Ausbau der Straße eingegangen, die auf bis zu 99 Jahre verlängert werden könnte.
Niemand redet mehr groß darüber, dass Alijew sich wie Putin verhalten hat und ein Diktator ist. Die ethnischen Säuberungen in Bergkarabach? Interessiert die Welt nicht mehr. Die Aserbaidschan-Affäre ist auch schon fast vergessen. Bei der Weltklimakonferenz konnte sich Alijew der Welt als normaler Leader eines normalen Landes präsentieren. Warum? Weil Aserbaidschan den Vorteil hat, als einziges Land im Kaukasus nicht abhängig von Russland zu sein. Aserbaidschan mit seinen reichlichen Vorkommen an Gas und Öl hat von den Kaukasus-Ländern am meisten wirtschaftlich vom Krieg in der Ukraine profitiert.
Seit dem Abschuss eines aserbaidschanischen Flugzeugs im Dezember 2024 ist die Situation mit Russland angespannt, und seit Juli unterstützt Alijew offen die Ukraine im Krieg gegen Russland. Daran erkennt man, dass für Alijew sein Diktatoren-Freund Putin nicht mehr wirklich wichtig ist. Mit dem TRIPP (im Original: Trump Route for International Peace and Prosperity) hat Alijew bekommen, was er wollte, und Armenien kann, wenn alles wie geplant läuft, damit leben. Wegen seiner militärischen und wirtschaftlichen Überlegenheit bekommt Alijew seine Verbindung nach Nachitschewan, und Trump sorgt dafür, dass der Siegfrieden für Aserbaidschan geordnet verläuft.
USA
Europa hat den Kaukasus vernachlässigt. Halbherzige Aktionen wie die Beobachtermission (EUMA) an der Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien und diplomatische Lippenbekenntnisse führten zu keiner Lösung. Die OSZE-Minsk-Gruppe, unter gemeinsamer Leitung von Russland, Frankreich und den USA, wurde durch die Tatsachen, die Aserbaidschan geschaffen hat, obsolet gemacht. Die USA hatten sich bisher weitestgehend aus dem Konflikt herausgehalten. Nun hat Trump die Chance für sich genutzt. Trump sieht nicht nur gut aus, wie er die beiden Staatschefs mit seinem Dreierhändedruck vereint, auch haben die USA mit dem TRIPP einen Schlüsselzugang zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer und sind nun dauerhaft in der Region präsent. Das ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sicherheitspolitisch für die USA von Vorteil. Der Dealmaker Trump profitiert vielfach von der neuen Trump-Route, und wenn sie ihm nebenbei auch noch den Friedensnobelpreis einbringt, wird er sicher äußerst zufrieden sein. Die beiden Staatschefs von Armenien und Aserbaidschan haben ihn nämlich dafür vorgeschlagen. Das klingt erst mal wie Heuchelei, aber am Ende profitieren ja sowohl Aserbaidschan als auch Armenien von der Unterstützung durch Trump.
Alijew hat nun klare Verhältnisse, seine gewünschte Landverbindung und ist noch weniger auf Putin angewiesen. Und auch wenn es eine bittere Pille für die Armenier sein wird, auf Bergkarabach zu verzichten und eine gewisse Angst besteht, was die Aserbaidschaner vielleicht auf ihrem Territorium anstellen mögen, wenn der TRIPP erst ausgebaut ist, so haben sie jetzt echte Sicherheitsgarantien für ihr Territorium und könnten wirtschaftlich von der Transitroute profitieren. Auch eine mögliche Entspannung mit der Türkei eröffnet neue wirtschaftliche Möglichkeiten für Armenien. Die Türkei kann sich ebenfalls über das Abkommen freuen. Erdogan hat innenpolitisch viel zu tun und ist sicher froh darüber, dass eine Einigung ganz in seinem Interesse ohne sein Zutun zustande kam, denn eine Entspannung mit Armenien, vor allem aber die Verbindung zum Kaspischen Meer, sind für die Türkei ein großer wirtschaftlicher Vorteil. Auch Erdogan wird Trump den Friedensnobelpreis sicher gönnen.
Die Verlierer
Russland betrachtet sich als Schutzmacht über den Kaukasus. Putin hat von dem Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien immer profitiert. Dass dieser nun beigelegt wird, gefällt ihm sicher nicht so gut. Russland hat keine direkte Grenze zu Armenien, grenzt aber an Aserbaidschan. Was Putin und Alijew eint, ist die Art, wie sie ihr Land regieren, und dass sie sich mit militärischen Mitteln nehmen, was sie möchten. Da Alijew aber weitestgehend unabhängig von Russland ist, kann er sich den Alleingang mit Armenien und den USA erlauben. Mit Trump als Unterstützer und der Lösung des Konflikts mit Armenien braucht er Putin nun nicht mehr.
Armenien wurde von Russland in dem Konflikt mit Aserbaidschan in den 1990er-Jahren militärisch unterstützt. Allerdings hat es im 44-Tage-Krieg an beide Parteien Waffen verkauft und auch nur halbherzig vermittelt. Die danach installierten „Friedenstruppen“ haben weder die Eroberung Bergkarabachs noch die Vertreibung der Karabach-Armenier verhindert. Die Gründe dafür liegen in der Etablierung einer Demokratie in Armenien. Nach der Samtenen Revolution 2019 und den Bemühungen des Landes, nach westlichem Vorbild zu leben, kühlte sich das Verhältnis zwischen Moskau und Jerewan merklich ab. Vor allem aber die Bindung des russischen Militärs im Ukrainekrieg hat Alijew genutzt und 2023 Tatsachen geschaffen und Bergkarabach zurückerobert. Russlands Einfluss in der Region wird nun durch das Abkommen mit Trump noch weiter verringert. Die Kritik an dem Abkommen fällt allerdings eher verhalten aus: „Dauerhafte Lösungen sollten von den Ländern der Region mit Unterstützung von Nachbarn wie Russland, Iran und der Türkei entwickelt werden. Man hoffe, die ›unglückliche Erfahrung‹ westlich geführter Konfliktlösungen im Nahen Osten zu vermeiden.“
Vielleicht hofft Putin darauf, dass in Armenien georgische Verhältnisse entstehen und prorussische Kräfte an die Macht kommen. Wie bereits erwähnt, ist dies möglich, wenn bei der nächsten Wahl die Opposition gewinnt. Wie in Georgien könnte sich die führende Partei dann vom prowestlichen Kurs verabschieden und Armenien im Sinne Putins regieren. Zunächst ist das Friedensabkommen jedoch eher nachteilig für Russland.
Der Iran ist bisher das einzige Land, das sich energisch gegen die Pläne des TRIPP stellt. Das ist nachvollziehbar. Der Iran verdient schließlich gut an der jetzigen Route von Nachitschewan nach Aserbaidschan, denn sie verläuft über iranisches Territorium. Zudem bestehen sehr gute wirtschaftliche und politische Beziehungen zu Armenien. Deshalb hat das Land Widerstand angekündigt. „Der Iran werde die Schaffung eines Korridors zwischen Aserbaidschan und seiner Exklave Nachitschewan nicht erlauben“, teilte ein Berater des geistlichen Oberhaupts, Ajatollah Ali Chamenei, mit. Der von den USA als „Trump-Straße für internationalen Frieden und Wohlstand“ angekündigte Korridor sei „eine unmögliche Idee, und dies wird nicht geschehen“.
Fazit
Viele wichtige Punkte zu TRIPP bleiben offen: Wer ist für die Sicherheit und den Zoll zuständig? Gelingt es, die armenische Bevölkerung zur Streichung des Anspruchs auf Bergkarabach per Volksabstimmung aus der Verfassung zu bewegen? Wie wird ein „Verzicht auf Rache und Revision“ konkret aussehen? Gibt es keinerlei Aufarbeitung? Wie wird Aserbaidschan den Schulunterricht gestalten, in dem bis heute Hetze gegen Armenien verbreitet wird?
Dennoch scheint das Projekt vielversprechend. Es könnte Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung für die Kaukasusregion bedeuten. Trump war als Dealmaker erfolgreich. Es bleibt abzuwarten, wie nachhaltig der erste Frieden, den er vermittelt hat, sein wird.
Was man natürlich auch akzeptieren muss: Tatsachen zu schaffen mit Waffengewalt ist heute nichts Ungewöhnliches mehr. Mit militärischer Stärke und den richtigen Partnern läuft das in der Welt. Die Europäer sollten sich daran ein Beispiel nehmen.
