Werbung

„Nie wieder wähle ich die SPD!“

Aus einer ‚klassischen SPD-Familie‘ im Ruhrgebiet stammend geriet unser Gastautor Franz Frust vor einigen Jahren ‚in die Hände‘ des örtlichen Jobcenters. Eine Erfahrung die sein Leben dauerhaft negativ prägte, ihm mit Macht und sehr plötzlich die Augen öffnete und ihn von ‚seiner‘ SPD stark und endgültig entfremdete, was nun auch einer der Hauptgründe dafür ist, warum er sie längst schon nicht mehr wählt. Auch am kommenden Sonntag natürlich wieder nicht.

Heute erzählt er uns bei den Ruhrbaronen seine Geschichte:

Ich stamme aus einer klassischen SPD-Familie. Oma, Opa und Eltern, alle haben sie die stets SPD gewählt, so lange ich denken kann. Immer. Aus Tradition. Die Partei der kleinen Leute. Es gab keine ernsthafte Alternative.

Auch ich habe mich schon relativ früh in meinem Leben für Politik in NRW interessiert. Das fing so mit 12 oder 13 Jahren an. Für mich war die SPD dann auch rasch gefühlt ‚meine‘ Partei. Arbeitnehmerrechte stärken, die Interessen der ‚kleinen Leute‘ entschlossen und konsequent vertreten. Johannes Rau war für mich der ideale Landesvater damals.

Nach dem Abi habe ich dann eine Berufsausbildung in der Medienbranche absolviert. Ich hatte viel Spaß daran. Das war genau mein Ding. Die Prüfungsnote war so gut, dass ich vom Arbeitgeber eine Geldprämie erhielt. Ich war glücklich.

Nach den ersten Jahren im erlernten Beruf, welcher von Kollegen mir gegenüber mehrfach als ‚Job fürs Leben‘ betitelt wurde, erwischte mich die Medienkrise erstmals. Betriebsbedingte Kündigung mit Anfang 30. Ich war geschockt, doch zuversichtlich. Schließlich war ich noch relativ jung, meine Ausbildung top. Das dürfte doch recht leicht zu überwinden sein. War es auch.

Jedoch machte ich damals erste Erfahrungen mit dem Arbeitsamt. Und das war keine schlechte. Ein vernünftiger Umgang mit den Leuten, tatsächlich praktische Hilfe bei der Jobsuche. Es gab nichts zu meckern damals. Den neuen Job habe ich mir trotzdem durch eine Initiativbewerbung gesorgt. Kein großes Drama. Rund drei Monate war ich damals ‚arbeitslos gemeldet‘.

Dann ging es mit frischem Schwung und Optimismus beruflich ohne große Schäden weiter. In dieser Phase startete in der Öffentlichkeit dann jedoch schon die Debatte um die Agenda 2010 der SPD. Klar, habe ich sie damals auch schon wahrgenommen, doch so wirklich hingehört habe ich da nicht. Mir ging es ja vergleichsweise gut. Das betraf mich alles irgendwie nicht. Ein böser Fehler, wie ich im Nachhinein festgestellt habe.

Denn ein paar Jahre später wurde mir erneut betriebsbedingt gekündigt. Der Medienbranche ging es nun auch schon bereits deutlich schlechter. Ein neuer Job ließ sich nun, mit Ende 30, auch schon nicht mehr so leicht finden, wie ich rasch feststellen musste. Das eine Jahr in ‚Arbeitslosengeld 1‘ war so auch schneller vorbei als gedacht. Was also tun?

Ich entschloss mich notgedrungen die Medienbranche erst einmal zu verlassen, habe mich damals selbstständig gemacht. Das war eine interessante Erfahrung, lief auch ein paar Jahre ganz gut. Am Ende des dritten Jahres jedoch blieb am Ende des Tages kaum noch Geld zum Leben übrig. Ich entschied mich die Selbstständigkeit an diesem Punkt zu beenden, so lange ich noch ohne Schulden aus der Angelegenheit herauskam.

Und nun machte ich im Anschluss eine Erfahrung, welche mein Leben, meine gesamte politische Einstellung gründlich ändern sollte: Ich wurde jetzt ‚Kunde‘ im örtlichen Jobcenter, da ich als zuvor Selbstständiger ja keinen Anspruch auf ‚Arbeitslosengeld 1‘ und somit das Arbeitsamt mehr hatte.

Schon der erste Auftritt im Jobcenter meines Wohnortes im Ruhrgebiet war eine Demütigung erster Kajüte. Die zuständige Sachbearbeiterin äußerte süffisant, nachdem ich sie nur freundlich zur Begrüßung anlächelte: ‚Na Sie sind ja offenbar noch selbstbewusst!‘ Ich entgegnete sinngemäß ‚Ja, warum denn auch nicht?‘. Innerlich fiel mir jedoch hier bereits die Kinnlade herunter.

Ein Schock, der sich über Monate immer tiefer in meiner Psyche verfestigen sollte. Von Besuch zu Besuch, von Kontakt zu Kontakt mehr. Ich stellte rasch fest, dass mir hier offenbar auch keinerlei praktische Hilfe angeboten wurde, dass ich ein aus meiner Sicht unmenschliches System der Demütigung geraten war.

Einige Zeit konnte ich damit umgehen, auch wenn mir vor jedem neuen Besuch regelrecht schlecht wurde, ich alles versuchte um möglichst wenig anzuecken im System, welches mich mehr schlecht als recht über Wasser hielt.

Wirkliche Jobs von denen man geregelt hätte leben können wurden hier ohnehin nicht vermittelt. Das wurde mir sehr schnell klar. Jobvorschläge waren u.a.: Machen Sie sich doch als Hausmeister selbstständig, oder gehen sie Pizza ausliefern. Eine Fortbildung wurde abgelehnt, da ich ja schon eine gute Berufsausbildung hätte. Meine Bewerbungen bei seriösen Unternehmen und Behörden wurden hingegen zu meiner völligen Verwunderung von der Sachbearbeiterin offen kritisiert. Das wäre doch ohnehin so alles ziemlich sinnlos, meinte die Arbeitsvermittlerin, die selber jedoch auch nichts Gescheites zu vermitteln hatte. Jobvorschläge waren, wenn ich mal einen bekam, stets von Hilfsarbeiterqualität.

Ich schrieb unbeirrt Bewerbungen so viele ich konnte, auch wenn mir die Kosten dafür nicht mehr erstattet wurden, da ich mich ‚zu viel bewerben‘ würde. Ich sollte doch besser im Industriegebiet von Betrieb zu Betrieb gehen, das wäre günstiger. Ich hätte echt heulen können.

Durch Erfahrungen dieser Art kann ich heute jedenfalls tatsächlich jeden grundsätzlich verstehen, der in einem Jobcenter ausrastet, auch wenn ich das natürlich nicht gutheißen möchte. Ich selber wurde in dieser Phase, wie wohl auch die Masse der dortigen Kundschaft, immer kleinlauter. Das System war dabei mich regelrecht zu brechen.

Dann das große Glück, ein Freund half mir dabei aus dieser Patsche urplötzlich herauszukommen, vermittelte mir einen Job, den ich mir zuvor noch nicht einmal hätte erträumen können. Ich war von einem Tag auf den anderen endlich erlöst.

Doch die tiefen Wunden die das Jobcenter bei mir gerissen hatte, die blieben. Teilweise träume ich heute noch schlecht, nachdem inzwischen schon Jahre vergingen, von diesen demütigenden Erlebnissen, welche ich der ‚Agenda 2010‘ und größtenteils auch der SPD mit zu verdanken hatte.

Eine Veränderung der Arbeitsmarktsituation, welche zwar grundsätzlich zur Flexibilisierung und Modernisierung des Arbeitsmarktes sorgen soll, was sich grundsätzlich ja gut anhört, mich jedoch an den Rand des Wahnsinns bzw. der puren Verzweiflung trieb. Und das kann ich der SPD, der Partei die ich etliche Male gewählt hatte, so eben nicht verzeihen. Ex-Kanzler Schröder & Co, die ich selber damals sogar noch mit ins Amt gewählt hatte, haben die Situation für die ‚kleinen Leute‘, für die sozial Schwachen, zumindest gefühlt deutlicher verschlechtert als es wohl jemals eine CDU-Regierung in der Geschichte der Republik tat. Und das nehme ich den Sozialdemokraten dieses Landes persönlich noch immer übel. Sehr sogar! Auch wenn ich aktuell zum Glück nun keine großen wirtschaftlichen und beruflichen Sorgen mehr habe. Doch diese schlechten Erlebnisse waren für mich prägend.

Eine Erfahrung, welche mich von der Partei, welche ich in den ersten Jahrzehnten meines Lebens regelmäßig unterstützt hatte, auf Dauer entfremdet hat, mir ein Stück weit die Augen geöffnet hat. Und ich bin mir sicher, viele Leute werden diese Problematik auch erst wirklich erkennen, wenn sie selber einmal in eine solch missliche Lage im örtlichen Jobcenter geraten. Wünschen tue ich das allerdings niemandem!

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
13 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Axel-Rainer Schmitt
6 Jahre zuvor

Über jedem Jobcenter hängt im Grunde ein Schild. Darauf steht: Vae victis!

Jürgen Hellwig
Jürgen Hellwig
6 Jahre zuvor

dann wird man mit 63 zwangsverrentet und muß enorme Anschläge in kauf nehmen.
Soziale Gerechtigkeit kann ich nicht mehr hören…….

Werntreu Golmeran
Werntreu Golmeran
6 Jahre zuvor

Ich hoffe, Sie haben die richtigen Konsequenzen gezogen und wählen jetzt die einzige sozialdemokratische Partei, die bei der Bundestagswahl auf dem Wahlzettel steht:

Die LINKE!

ke
ke
6 Jahre zuvor

Welche Probleme wurden angesprochen?
– Das Arbeitsamt ist nicht in der Lage Jobs zu vermitteln
– Wir müssen heute davon ausgehen, mehrere Jobs im Leben auszuführen
– Es gibt zu wenig Jobs unter guten Bedingungen
– Selbständigkeit ist nicht einfach, aber in vielen Branchen üblich. Dies mögen auch viele Selbständige

Was hat damit die SPD zu tun, abgesehen davon, dass die Politik hier nicht in der Lage ist hier bessere Rahmenbedingungen für mehr Jobs zu schaffen?
In einem weiteren Artikel wurde berichtet, wie lange bspw. der Duisburger Bahnhof leer steht und wie lange die Prozesse für die Bebauung dauern. In anderen Ländern ist das anders. Da erkennt man in 7 Jahren die Stadt nicht mehr.

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

#3 Die Linke sozialdemokratisch? Während meiner Mitgliedschaft in dieser "sozialdemokratischen Partei" habe ich vor allem eines erlebt: blanken Hass gegenüber den Mitgliedern, die sozialdemokratisch dachten und handelten .Was zwangsläufig zu Austritten dieser Mitglieder führte.

Siegfried
Siegfried
6 Jahre zuvor

Die Agenda 2010 war ein Verbrechen am Deutschen Volk. Schröder ist damit eidbrüchig geworden. Er hat nicht nur Schaden von Deutschland nicht abgewendet, er hat den Schaden bewusst und vorsätzlich herbeigeführt. Und Schulz und seine heutige SPD? Man will an diesem System ein klein wenig herumpolieren. Als ob das diese massive Ungerechtigkeit beseitigen würde. So lang die SPD nicht eine komplette Kehrtwende macht und sich von dieser Agenda 2010 komplett löst, ist sie für mich unwählbar. Schulz mag ein netter Kerl sein, aber das ändert Nichts daran, dass diese Partei keine Alternative zur CDU mehr ist.
Ich habe mich noch nicht ehdgültig entschieden, aber vermutlich werde ich, zum ersten Mal in meinem Leben, die LINKE wählen. Obwohl ich weiss, dass ich damit Merkel nicht verhindern werde.

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

#6 Mit dem Begriff "Verbrechen" sollte man in der Politik ein wenig vorsichtig sein. Einmal im Hinblick auf wirkliche Verbrechen, aber auch vor allem dann, wenn man eventuell . eine Partei wählen will, die sich bis heute in weiten Teilen nicht von der DDR-Diktatur distanzieren will. Von den größten Gegnern des H4 in der Linkpartei habe ich bspw. nie ein Wort über den §249 des DDR-STGB gehört. Ginge es heute hier nach diesem § 249, da säßen nicht wenige H4er im Knast oder würden unter der Androhung von Haftstrafen zur Arbeit gezwungen werden.
Nicht zu vergessen, dass die Linkspartei sich laut ihres amtierenden Schatzmeisters als "Interessenvertretung" ehemaliger Stasimitarbeiter sieht. usw, usf.
DANN DOCH LIEBER SPD ALS PDL!!

gerdos
gerdos
6 Jahre zuvor

Was hat die LINKE noch mit Hartz 4 am Hut?

Illner gibt den drei Gästen in ihrer Talkshow am 05.09.2017 die Möglichkeit, zu sagen, welche zwei Dinge sie zuerst regeln würden, wenn ihre Partei die Mehrheit im BT hätte. Wagenknecht nennt 2 Punkte, von denen aber keiner eine 4 am Ende hat. Es geht ihr nur um die arbeitsplatzbesitzenden Wähler. Von der Abschaffung der H-4-Terrorregeln, ja nicht einmal der Sanktionen war keine Rede.

Die ALG-2 Looser sagen "DANKE!"

https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner/illner-intensiv-vom-5-september-2017-100.html
(ab Min. 28:10)

Joe Wilder
Joe Wilder
6 Jahre zuvor

Klar, die SPD hat die Sachbearbeiterin selbst ausgewählt und ist auch zuständig für schlechtes Wetter. Es ist zu billig, einer Partei, die offenbar Sündenbock für alle sozialen Probleme der Welt ist, die alleinige Schuld zuzuschieben. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass wir nicht dauernd jammern sollten!

gerdos
gerdos
6 Jahre zuvor

Joe Wilder: Hartz 4, Vorratsdatenspeicherung, Maut, Tarifeineitsgesetz, Rentenabsenkung, Rente mit 67, Privatisierung der Autobahnen, Verlängerung aller Bundeswehrmandate im Ausland, Broncemedaille im Waffenexport, Verweigerung einer Mietrechtsreform (Antrag der LINKEN) abgelehnt, keine Umsetzung des Parteitagsbeschlusses von 2007 über ein Tempolimit von 130 kmh auf Autobahnnen, Anteileignere des Abgasbetrügers VW, Einfrieren des Arbeitgeberanteils zur gesetzl. Krankenversicherung, Arbeitsverweigerung bei der überfälligen Pflegereform, Absahnen bei jeder Diätenerhöhung, Telekommunikationsüberwachung (Maas)……..

Dazu passt dies hier:
https://www.facebook.com/OliverPocher/photos/a.10153666546260321.1073741825.74638205320/10159284909145321/?type=3

Horst bichler
Horst bichler
6 Jahre zuvor

Da läuft gerade was über die 70er Jahre und wer kommt da vor? Richtig, der Strauss. Der ist Gott sei Dank tot, aber sein Bruder im Geiste erscheint selbst 2017 noch bei SPD Veranstaltungen und darf nicht nur salbadern, sondern kriegt auch Applaus. Wer hat uns verraten?

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

#11 Wir wären heute heilfroh, wenn Straussens Dictum RECHTS VON DER CSU DARF NUR DIE WAND SEIN noch Gültigkeit hätte. In den 70ern hat uns dieser Satz aufgeregt.
Es war ja damals sehr modern gegen Strauss zu sein. Ich kann von mir behaupten, dass ich besonders modern war. Im Nachhinein aber sieht manches anders aus.
Als er denn Milliardenkredit an die DDR vermittelte, da tat er das, weil er "polnische Verhältnisse", also Kriegsrecht u.ä. in der DDR verhindern wollte.
Dem Ruhrgebiet täte ein Strauss vielleicht ganz gut, denn dieser war maßgeblich daran beteiligt, dass Bayern vom Nehmer- zum Geberland wurde.

trackback

[…] Ruhrbarone: „Nie wieder wähle ich die SPD!“ (via […]

Werbung