NRW-Theaterfestival Favoriten 2014: Ein Hoch auf die freie Szene

 

vorschlaghammer: morinokokyu; Foto: Sebastian Hoppe
vorschlaghammer: morinokokyu; Foto: Sebastian Hoppe

Acht Tage lang konnte man die Besten der freien NRW-Theaterszene auf dem Festival Favoriten 2014 kennenlernen. Den künstlerischen Leiterinnen Felizitas Kleine und Johanna-Yasirra Kluhs war es gelungen mit über 40 Veranstaltungen an 7 verschiedenen Spielorten eine große Spannweite der freien Theater- und Kunstszene zu zeigen – von der Performance und Tanztheater über Stadterkundungstouren bis hin zum Hörspiel und Konzert war der Begriff „Theater“ weitestgehend ausgereizt. Geschadet hat dies dem Festival nicht – denn statt eines Wettbewerbes der besten NRW-Theaterproduktionen mit Preisträgern war das Credo der Macherinnen diesmal ein anderes. Für sie stand, statt harter Konkurrenz untereinander, das Verknüpfen und Netzwerken der Freien und das gegenseitige Kennenlernen im Mittelpunkt. Das Konzept der Veranstalterinnen ist offensichtlich aufgegangen – die Besucherzahlen gingen weit über die Erwartungen hinaus.

Zahlreiche ausverkaufte Vorstellungen und lange Wartelisten auf freiwerdende Plätze zeigten, dass das Interesse an der freien Theaterszene und Produktionen jenseits des Mainstream in Nordrhein-Westfalen ungebrochen ist und das NRW-Festival ein echter Publikums-Favorit ist.

Der Urbane Raum und die Bewohnerschaft waren eines der zentralen Themen von Favoriten 2014. Bei den Live-Hörspielen „Aufs Ohr“ wurden die Anwohner zu Geschichtenerzählern. Jens Heitjohanns „I PROMISE…“ entführte die Festivalbesucher auf einem Audiowalk zu den Bewohnern eines Stadtviertels beim Spywalk konnte man bei einemdigitalen Abhör-Spaziergang gewissermaßen einen Lauschangriff auf das Alltägliche machen. Die Produktion des Drama e.V. ist für den Kölner Theaterpreis 2014 nominiert. Das Rheinland war zudem mit dem Köln-Düsseldorfer Theaterkollektiv SUBBOTNIK gleich mit zwei Produktionen vertreten – mit der musikalischen Erzählung „Die weiße Insel“ und den vertonten Inuit-Märchen in „Die Sehnsucht des Menschen ein Tier zu werden“.

Aus dem „White Cube“ des ehemaligen Kunstmuseums Museum am Ostwall (MOM) hat das Festival einen Begegnungspunkt, ein Kunstzentrum und einen sehr lebendigen Theater- und Ausstellungsraum gemacht. Auf diesen „Kunst-Abenteuerspielplatz“ konnte man sich von Raum zu Raum und von Etage zu Etage bewegen. Bei der Begehung der Installationen, Performances und Tanztheaterproduktionen gab es viel zu entdecken, nicht zuletzt sich selbst.

White Void #4, Foto: Susanne Schröder
White Void #4, Foto: Susanne Schröder

Im Foyer begrüßten Schafe auf einer „Echtgras-Wiese“ die Besucher, was dem Lichthofes des ehemaligen Museums seine Altehrwürdigkeit nahm und gleich beim Eintreten in das ehemalige Bergbauamt erkennen liess, dass es sich hier zu einen Festivalort der Visionen und Utopien handelt. Die Schafe waren Teil der Serie  „White Void #4“ des Choreografen
Ben J. Riepe – ein Grenzgang zwischen Peformance, Skulptur, Tanz, Lichtkunst, Objekten und Musik. Ohne Frage eines der spannendsten Projekte des Festivals.

In mehreren Räumen baute Riepe eine täglich sich wandelnde Installation. Diese „polyphone Landschaft“ konnte man als Besucher durchschreiten, ohne irgendetwas „Vorgefertigtes“ vorgesetzt zu bekommen. So war eine Entdeckungsreise möglich, in deren Zentrum das eigene Erleben und Empfinden stand. Ob schemenhaft Gegenstände und lebende Figuren in einem nebeligen Raum langsam hervortraten, ein Maler in geblümten Kostüm in der Blümchen-Tapete verschwindet, die er gerade an die Wand malt, die Natur in Form von Hühnern und im Raum verteilten Birkenästen simuliert wird, in der die Darsteller traumverloren umherwandeln oder sich am Boden wälzen oder eine goldener Raum-Schlauch durchschritten wurde – im Zentrum von Riepes Werk stand immer die individuelle Wahrnehmung des einzelnen Betrachters. Ein Parcours für die Sinne – mit starken, suggestiven und in der Erinnerung verbleibenden Bilder. Etwas, das einen tatsächlich „leise überwältigte“.

SEE! Ok Panik, Foto: Christian Knieps
SEE! Ok Panik, Foto: Christian Knieps

Das MOM wurde auch als Theater-Spielstätte genutzt. Die Aufführung von „SEE! Ok, Panik“ verwandelte die ehemalige Ausstellungsfläche für expressionistische Kunst in einen Tanzraum. Für die beiden Regisseurinnen war diese (Spiel)Fläche ideal, erklärten sie doch: „Alles beginnt mit dem Raum. Das leerstehende Museum offenbart sich für uns als ein Ort, in dem schon alles war und zugleich nichts mehr ist. Ideal, um die Frage zu stellen, wo fängt das Ich an und hört das Wir auf.“ So gab es kein Entrinnen, das ich war nicht dort und das Du nicht dahinten – vielmehr war der Betrachter statt außen vor mitten drin und musste sich mit der Inszenierung mitbewegen, sich umsetzen, aus dem Weg gehen, sich zur Seite lehnen, denn die beiden Tänzer tanzten zwischen den eng im Raum sitzenden Zuschauern „poem-rappend“ hindurch. Der Raum, rundum ausgestattet mit schallisolierenden Matratzen und Schaumgummimatten verhinderte den „globalen Tinnitus“ nicht, verwiesen viel mehr auf ihn als immer anwesendes Grundrauschen der Welt. Die beiden Regisseurinnen interpretierten in dem Stück PeterLichts Text über „Das Sausen“ eigenwillig, poetisch, manchmal traurig und komisch zugleich – und künstlerisch großartig umgesetzt.

vorschlag:hammer: morinokokyu; Foto: Sebastian Hoppe
vorschlag:hammer: morinokokyu; Foto: Sebastian Hoppe

Ein weiteres Highlight des Festivals war „Mori no kyoko. Das Atmen des Waldes“. Das Regiekollektiv vorschlag:hammer war zu Gast im Düsseldorfer Schauspielhaus und hat während seiner Residenzzeit das Leben der großen japanischen Exilgemeinde in Düsseldorf erkundet. Aus diesen Recherchen vor Ort ist eine wunderbare Inszenierung über Japan und uns geworden, mit hinreissend komischen Monstern, Menschen in bizarren Strickkostümen, einem aufwendig gepolsterten Geisha-Ninja-Zwitter und seltsamen Wesen wie den Butterschnitzer. So wurde der Zuschauer zunächst zum Fremden, der das Ferne erkundet, während der Fremde der Wissende ist, der einem unbekannten Rituale und anderen Sichtweisen auf die Welt nahebrachte. Ein gelungener Rollentausch. In dem von den Regisseuren geschaffenen „riesigen Garten für uns und das Publikum“ begegneten sich die Kulturen. Das dies zu Verwunderung angesichts zwergenreich dekorierter Schrebergärten auf der einen Seite und Irritation angesichts schräger Karaokegesänge und fetter Sumo-Ringer auf der anderen Seite führt, zeigt humorvoll, das zumindest dies alle Kulturen eint: Das Staunen über die Eigenarten der jeweilig anderen.

Zentraler Ort und „Herzkammer“ des Festivals war diesmal das ehemalige Museum am Ostwall, dessen Räume seit dem Umzug des Museums in den U-Turm, verwaist ist. Das sich das Haus eine Woche lang mit vielen Menschen füllte, könnte erneut die Diskussion aufflammen lassen, ob es zu der Gebäudenutzung des NRW-Baukunstarchivs nicht doch attraktivere Lösungen geben könnte, die mehr bieten als die Aufbewahrungsort zu sein und ein „special interest“-Thema zu bedienen. In der vergangenen Woche hat sich jedenfalls gezeigt, dass die Akteure ebenso wie die Besucher einen Raum an zentraler Stelle in der Stadt nicht nur mit Begeisterung nutzen, sondern ihn auch mit viel Kreativität und prallem Leben füllen können.

Kreidler; Foto: Ketuta Alexi-Meskhishvili
Kreidler, Foto: Ketuta Alexi-Meskhishvili

Das die Favoriten zu einem der ältesten deutschen Off-Theaterfestivals gehört und bereits mit 30 Jahre eigentlich eine alte Theatertante ist, merkte man beim Konzert der Elektorock-Gruppe Kreidler nicht. Es tobte der Saal und tanzte der Bär bis spät in die Nacht und auch bei der Abschiedsparty war die Feierlaune groß.

Zu feiern gab es genug: Das Erfolgsgeheimnis des Festivals war die Mischung aus innovativen Theater-Projekten, spannenden Orten, musikalischen Veranstaltungen und der kulinarischen Genüssen. Vor allem aber ist es tatsächlich gelungen, ein Treffpunkt für die freie Szene und das interessierte Publikum zu sein. Das genreübergreifende Konzept zeigt einmal mehr, das durch den Blick über den Tellerrand der Sparten spannende künstlerische Synergien entstehen. Favoriten 2014 darf sich im besten Sinne ein Kunstfestival nennen – wenn das Konzept so erhalten bleibt, kann man sich in jedem Fall auf 2016 freuen.

 

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
1 Kommentar
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Werbung