Offene Briefe, gefühlte Fakten: Ein Teil der Kulturszene kämpft gegen den drohenden Bedeutungsverlust

Richard David Precht Foto: Ji-Elle Lizenz: CC BY-SA 4.0

Jakob Augstein, Richard D. Precht und Harald Welzer werden den Ukrainern nie verzeihen, dass sie nicht einfach vor der russischen Armee und Vladimir Putin kapitulierten, sondern seit dem 24. Februar dafür kämpfen, so zu leben, wie sie es wollen: In einer Demokratie, einem Land mit wachsender Wirtschaft und Aussichten auf ein gutes Leben. Für Kapitalismuskritik und Postwachstumsökonomie, die Verachtung dessen, was die meisten Menschen auch im Westen für erstrebenswert halten, sind die Ukrainer nicht zu haben. Jede Form der Diktatur, auch einer Ökodiktatur, mit der ein Welzer ab und an gerne kokettiert, lehnen sie ab. Es sind hungrige Menschen, diese Ukrainer. Hungrig nach Freiheit, nach Wohlstand und nach der Welt. Für die Denker, die aus Sattheit und Überdruss den Verzicht predigen, sind sie ein Graus.

Nichts sehnen sie mehr herbei als die Niederlage der Ukrainer. In einem offenen Brief – man hat anscheinend in diesen Kreisen nicht viel anderes zu tun als solche wie am Kopiergerät herzustellen – fordern sie einen Waffenstillstand. Das hat nichts mit Ahnungslosigkeit zu tun, sondern mit Zynismus: Seit Monaten beweisen die russischen Verbrechen, dass ein Waffenstillstand für die Menschen hinter der Frontlinie nichts anderes als Tod, Vergewaltigung und Folter bedeutet. Autoritäre Regime, das haben Historiker zu Genüge belegt, sind keine gnädigen, sondern furchtbare Sieger. Und jeder Meter, den Putin und seine Armee von der Ukraine erobern, ist ein Sieg. Und dem würden weitere Angriffe folgen. Die Prechts und Welzers basteln sich eine Wirklichkeit zurecht, deren Preis zuerst den Ukrainern und dann den Menschen im gesamten Westen in Rechnung gestellt werden würde.

Auch die Schriftstellerin Eva Menasse und Elke Buhr, die Chefredakteurin der Kunstzeitschrift Monopol, wollen da nicht hintenan stehen. Wie Welzer, Precht und Augstein erfinden die beiden eine für sie bequeme Welt, in der es nur noch gefühlte Fakten gibt. Buhr sagt im Monopol-Podcast über den Antisemitismus auf der Documenta, dass der BDS ist eine Gruppe sei, die sich für einen Kulturboykott israelischer Institutionen einsetze, um damit auf die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Palästinensern hinzuweisen. BDS steht indes für „Boycott, Divestment and Sanctions“. Hätte Buhr einen Blick auf die Internetseite der BDS-Kampagne geworfen, wüsste sie, dass es auch um den Boykott von Unternehmen, Bauern und Hochschulen geht, kurzum um alles, was israelisch ist.

Menasse fantasiert im Spiegel, dass im Jahr 2019, dem Jahr des BDS-Beschlusses des Bundestages, kaum jemand gewusst habe, was BDS eigentlich ist. Das ist natürlich Unsinn. Es ist auch eine Legende, der Bundestag hätte mit seinem BDS-Beschluss auf einen Antrag der AfD reagiert. Bereits 2018 hat der nordrhein-westfälische Landtag einen ähnlichen BDS-Beschluss gefasst wie später der Bundestag. Zur Erinnerung: NRW hat doppelt so viele Einwohner wie Menasses Heimatland Österreich. So ganz ohne Bedeutung war die Haltung des Landtags in Düsseldorf zum BDS also nicht und sie wurde in Deutschland wahrgenommen. Nur im Kronenzeitungsland hat man das vielleicht nicht mitbekommen.

Wenn der BDS nur die Siedler boykottiert hätte, schreibt Menasse, wäre das eine vernünftige Idee gewesen. Dummerweise sei der Boykott dann ausgedehnt worden. Doch eine Ausweitung gab es nicht. BDS hatte immer den Boykott Israels in allen Bereich zum Ziel. Begeistert verteidigt die österreichische Autorin dann die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ der deutschen Kulturfunktionärselite. Dabei hat die Initiative mit ihrer Verteidigung des BDS einen herausragenden Beitrag zum Scheitern der Documenta geleistet: Die Klasse der selbsternannten und mit Steuergeldern duchgefütterten Schwerstintellektuellen hat den Durchbruch des Antisemitismus im Kulturbereich zu verantworten. Wenn in den kommenden Jahren das Geld knapp wird, sollte man sich mit einem harten Sparkurs dafür revanchieren. Man kann auch als Uber-Fahrer glücklich sein. Niemand muss für das Humboldt-Forum arbeiten.

Ob Buhr oder Menasse, ob Augstein, Precht oder Welzer, die angeblichen Großdenker der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“: Allen ist eine Strategie der Verharmlosung gemein: Mal ist es der Antisemitismus der BDS-Kampagne, deren Ziel das Ende Israels als jüdischer Staat ist, mal ist es der russische Imperialismus. Die Verniedlichung dieser Bedrohungen hat eine Funktion: Sie soll die Bedeutung derjenigen sichern, die zu allen Debatten der vergangenen Monate nicht ein kluges Wort beigesteuert haben, die mit jeder Einschätzung daneben lagen und nur durch eine Kenntnislosigkeit, die einher ging mit der strikten Weigerung, etwas dazuzulernen, auffielen.

Längst hat die Diskussion die wesentlichen Punkte erreicht: Öffnen wir dem Antisemitismus eine weitere Tür, um ihn als „Israelkritik“ und angebliche Eigenschaft eines von westlichen Intellektuellen herbei phantasierten globalen Südens Fuß fassen zu lassen? Welchen Wert hat für uns die Freiheit? Geben wir Aufklärung und Moderne auf für einen Relativismus, der keine individuellen Menschenrechte mehr kennt und sich an reaktionären Vorstellungen von Identität, Tradition und Glauben berauscht? Wie erhalten wir den Wohlstand in diesem Land, der die Demokratie absichert? Und vor allem: Sind wir bereit, für diese Werte einzustehen, auch wenn der Preis dafür hoch sein wird?

Buhr, Menasse, Welzer, Precht, die vermeintlich Weltoffenen und all ihre „Allys“ wissen, dass sie zu diesen Debatten nichts beizutragen haben. Sie wirken mit jedem Tag dieses Jahres mehr aus der Zeit gefallen. Ihre Beiträge dienen allein dem verzweifelten Erhalt der eigenen schrumpfenden Bedeutung und der wirtschaftlichen Absicherung ihrer Existenz.

 

 

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
5 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Vera Wisseler
Vera Wisseler
1 Jahr zuvor

Bin mit Allem einverstanden außer mit den ebenfalls verharmlosenden Begriff „russischer Imperialismus“- es muss heißen „russisch-orthodoxer Faschismus“ das macht die Sache klarer. Der Begriff „Imperialismus“ ist zu abgenudelt.

Berger Luise
Berger Luise
1 Jahr zuvor

einfach nur Danke für Ihren Beitrag. Diese Diktatoren, allen voran der Chef der Diktatoren in Moskau zerstören nicht nur die Weltorrdnung, sondern auch die Lebensgrundlege. und da sitzen so satte oberkluge Theoretiker innen satt, arrogant und meinen , sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen und die Wahrheit für sich gepachtet. Shame on them.
die sollen doch bitte sich ein Bild vor Ort machenund danach ihre hochnäsigen Urteile fällen. es ekelt mich regelrecht an.

Reginald
Reginald
1 Jahr zuvor

Es gilt die Wahrheit des faktischen.Philodophie ist ja was tolles.Aber in Anbetracht des bestialische faschistischen Angriffs von Obernazi Putin gibt es nichts mehr zu Philosophieren.Im übrigen will ich dass der BND alle Geldbewegungen die von Putin an irgendwelche Menschen,Parteien oder Institutionen geflossen sind ausfindig macht Die müssen sie trockengelegt werden Wir müssen die Reihen schließen.Da darf es keine Verräter in den eigenen Reihen geben.

Markus Kellner
Markus Kellner
1 Jahr zuvor

Wir reden immer noch von einem Irren mit Atomwaffen. Ich meine da darf der Denkansatz einer Ukrainischen Kapitulation um schlimmeres zu verhindern durchaus ernsthaft diskutiert werden.

Deshalb muss mann menschen die sich dafür aussprechen nicht gleich in die Putinversteher ecke stellen.

Nachdenklicher Mensch
Nachdenklicher Mensch
1 Jahr zuvor

@Markus Kellner

Bei dieser Argumentation könnten wir Putin auch gleich bis nach Portugal durchmaschieren lassen. Er hat ja Atomwaffen und kann uns damit Angst machen.

Ich halte es da eher mit Churchill:

„“Ein Appeaser ist einer, der das Krokodil füttert, in der Hoffnung, dass es ihn zuletzt frisst“

P.S

Deshalb muss man den Menschen, die den Kampf der Ukraine unterstützen, nicht unterstellen, dass sie sich nicht auch vor einem Atomkrieg fürchten

Werbung