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Ruhr2010: Eine kleine, unerfüllte Wunschliste

Kreativer am Morgen danach

Die Kulturhauptstadt ist fast zu Ende. Und bald ist Weihnachten. Zeit für eine kleine, unerfüllte Wunschliste.

Jetzt beginnt die Zeit des Jubilierens. Ja, die Kulturhauptstadt war ein Erfolg. Auch Abseits der peinlichen Zahlenhuberei, des Protzens damit größer als Liverpool, ja, die Kulturhauptstadt mit den meisten Besuchern überhaupt gewesen  zu sein. Nach dem  der Loveparade-Katastrophe darf eine solche Zahlenprahlerei nicht mehr sein. Da hat die Ruhr2010 GmbH nichts gelernt.

Viele Menschen, auch in den kleinen Städten, wurden durch Local Heroes in das Programm eingebunden und werden sich noch in vielen Jahren daran erinnern, bei der Kulturhauptstadt mitgemacht zu haben. Egal was sie da gemacht haben und auch egal ob es jemanden interessiert hat: Wenn viele Menschen ein gutes Gefühl haben, ist das schon etwas wert. Und das meine ich ohne jede Ironie.

Die Odysse, das Henze-Projekt, das Ruhr Museum, die Schachtzeichen, die Party auf der A40 – das alles war schon gut. Das Ruhr Museum wird bleiben. Das neue Museum Folkwang auch und vielleicht fällt irgendeinem ja noch was Vernünftiges für das Dortmunder U ein.

Aber war da nicht die Rede davon, dass mehr bleiben soll als ein paar Gebäude? Fiel im Vorfeld nicht immer dieses unsägliche Modewort „Nachhaltigkeit“? War das Motto nicht „Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur“ – oder umgekehrt?

Zwei Themen kamen zu kurz. Und das ist schade, weil es ein Projekt gab, dass beide miteinander verbunden hätte. Es hieß Land for free:

Mit den Brachen des Ruhrgebiets als regionale Erscheinung beschäftigt sich das Kulturhauptstadt-Projekt Land for Free, das ab 2007 mit offenem Ende läuft. Zusammengestellt wird ein Pool von Flächen auf der so genannten Emscherinsel, einem etwa 30 Kilometer langen Band zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal, von Duisburg bis Castrop-Rauxel.

(…)

Land for free ist eine konkrete Utopie. Die Utopie einer Stadt in und zwischen den Städten des Ruhrgebiets. Keine Stadt im herkömmlichen Sinne (mit Planstraßen, Kanalnetzen, Baubehörden, Grundstückswerten), sondern eine Stadt, entstanden einzig aus der Verwirklichung individueller Lebensträume, ermöglicht durch die Aneignung von brachliegendem Ruhrland.

Das übrig gebliebene Land ist der natürliche Boden dieser Stadt; offenes, disparates, nur wenig vorbestimmtes Land, das sich Menschen mit ihren Ideen, ihren Träumen und Sehnsüchten aneignen. Es ist Land, das darauf wartet, neu in Besitz genommen zu werden – von Menschen, die sich auf diesem Stück Ruhrland ihren Traum erfüllen wollen. Könnte dieses Land, genauso wüst, verbraucht, romantisch wie es ist, mit diesen Menschen in Verbindung gebracht werden, es entstünde eine völlig neue Stadt. Eine Stadt der Möglichkeiten.

Für eine schrumpfende Region, in der immer weniger Menschen leben, wäre Land for free ein Projekt gewesen, das über den Tag hinaus gereicht hätte. Es hätte zudem das Potential gehabt, im Ruhrgebiet exemplarisch an der Fragestellung zu arbeiten, wie denn schrumpfende Regionen mit ihren freien Flächen umgehen. Und welche Möglichkeiten, welche Chancen  in den Brachen liegen. Das Projekt wurde nie umgesetzt, obwohl man sich mit ihm um die Kulturhauptstadt beworben hatte. Es war den Machen zu riskant, zu wenig planbar. Und es passte auch nicht in das PR-Gerede von der Metropole Ruhr. Denn Metropolen schrumpfen nicht. Brachen sind in London, Paris oder New York nicht das Problem. Im Ruhrgebiet schon, dass keine Metropole ist. Auch keine der anderen Art. Aber gerne so tut.

Der Ansatz von Land for free hätte sich auch auf die Innenstädte und ihre Randlagen übertragen lassen. Auch hier gibt es längst Leerstände in erheblichem Ausmaß. In unserer kleinen Reihe zur Zwischennutzung haben wir versucht, darauf hinzuweisen.

Das PR-Thema Kreativwirtschaft hätte sich damit verbinden lassen. Wenn man sich denn wirklich dafür interessiert hätte, jungen Künstlern und kleinen Unternehmen Entwicklungsmöglichkeiten einzuräumen. Es wäre vom finanziellen Aufwand her überschaubar gewesen. Man hätte allerdings über Freiräume diskutieren müssen. Und die Städte hätten die Chance erkennen müssen, loszulassen und einfach mal zu schauen, was passiert. Sicher, so etwas wäre nicht ohne Risiko gewesen. Aber ohne den Mut zum Risiko kann es auch keine Erfolge geben.

Und so hat sich die Kulturhauptstadt um das spannende Thema des demographischen Wandels weitgehend gedrückt. Das Versprechen, eine Entwicklung anzustoßen, die auch nach der Kulturhauptstadt weiter geht, wurde nicht eingehalten. Es fehlte den Machern der Kulturhauptstadt das Format, sich mit diesen Fragen ernsthaft zu beschäftigen.

Und was hat Euch gefehlt?

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[…] Ruhr2010: Eine kleine, unerfüllte Wunschliste (Ruhrbarone) – […]

Antonia Colloni
Antonia Colloni
13 Jahre zuvor

Mir z.B. hat eine Erklärung darueber gefehlt, warum statt z.B. Land for free, ja klingt gut und klug, ein ganzes Jahr lang die Freimaurerlogen des Potts Programm machen durften und dann noch nicht mal ein Interview geben, so geschehen in Duisburg. Ich versuche das Interesse an dieser Spezies Mensch in Bezug aufs Ruhrgebiet zu verstehen. Pleitgen ist, wie er sagt, kein Freimaurer. Wer aber sagt uns, was die tatsächlichen Pläne fuer dieses angebliche Herz Europa sind? Dass Kultur auch ganz viel anderes bedeutet ist als das Bekannte, als das, was wir damit assoziieren. Gebe man einfach mal „Kultur“ bei wikipedia ein. Nicht aber wurde die Frage erläutert, was Kultur anno 2010 so meint. Auch ist nicht klar, welchen Wandel man sich erträumt. Man geht davon aus, einer hin zum Guten, zum Besser, Schneller, Weiter, Höher. Und wenn es einen Wandel Richtung Neue Ordnung ist, hin zu einem „befreiten“ Europa? Fragt man sich, wie es sein kann, dass ausgerechnet Foster (der Astana baute!) an Duisburg herumfrickelt, dort ein Tor zu Europa (Watergate?) hinsetzen darf und von einer „Duisburger Freiheit“ labern darf? Ich frage mich, welchen Masterplan die Ruhr.2010 GmbH wirklich fuer „unser“ Ruhrgebiet verfolgt, unser?

Vermisst habe ich vor allem Fuersorge, Menschlichkeit und Sicherheit.
Vom Blitz hätte man getroffen werden können bei der Eröffnung, weil der große Fritz es feige gefunden hätte in eine Halle vor Daisy zu fluechten (im Winter), von einer ungesicherten, nicht TUEV-abgenommenen Treppe hätte man stuerzen können beim Versuch bei der Eröffnung der Duisburger Akzente von der Bruecke auf die Mercatorinsel zu kommen (im Fruehling), im Sommer wurde man dann zerquetscht, worueber ich jetzt nicht reden will, und was war im Herbst los, die Herren?

Und dass die Europäische Kulturkommission sich einen Scheiß fuer die vielen gefälschten Besucherzahlen aus Essen interessiert und dass nicht erzählt wird, dass schon im Jahr 2009 feststand, wer die Kulturhauptstadt everever sein wird, das habe ich auch vermisst.

Und muss auch ich jetzt eine Unterlassungserklärung unterschreiben bei einem Streitwert von 50.000 Euro, Herr Dr. h.c. Pleitgen und Herr Hänig, mache ich aber nicht, weil’s nämlich stimmt.

anni2010
anni2010
13 Jahre zuvor

Hier die Idee fuer das Dortmunder U:
Dortmunder Untergang

Arnold Voß
Arnold Voß
13 Jahre zuvor

@ Antonia Coloni

Natürlich sind die Zahlen purer Fake. Aber das machen alle so. Seit der Loveparade in Duisburg wissen wir das alle endlich auch offiziell. Es gibt die reale und die Marketingzahl. Der Unterschied liegt mindesten bei 30%.

Bei den kleineren Veranstaltungen die ich selbst besucht habe, ist der Unterschied noch viel größer, weil da ja keiner genau hinschaut bzw. es keine Polizei gibt, die schon im eigenen Interesse an realen Zahlen interessiert sein muss und damit einen eingebauten Korrekturfaktor darstellt.Die lokalen Medien spielen dabei auch gerne mit. Soviele bei uns in der Stadt, oohmann!

Ist die Zahl der Besucher jedoch so groß, dass einerseits die Medien bzw. der Publikum selbst nicht mehr durchblicken kann und andererseits die überlokale/regionale (kritische) Aufmerksamkeit sehr groß ist, gibt es immer noch ein Spielraum (nach oben) für interne Absprachen, an die sich, wenn die Vorgesetzten mitspielen, mittlerweile sogar die Polizei hält.

Das ganze hat allerdings einen großen Nachteil: Die Veranstalter glauben irgendwann selbst an ihre Zahlen weil mit ihnen jede öffentliche Kritik schon im Keim erstickt wird. Die Insider lachen sich darob bei Lachshäppchen schief und das Volk hält die Klappe und glaubt überhaupt nichts mehr.

So ist es dann unvermeidlich das nach dem pflichtgemäßen Dauergrinsen und Jubilieren der Macher irgendwann doch die Ernüchterung für die kommt, die das alles bezahlen mussten. Und trotzdem war die Kulturhauptstadt im Großen und Ganzen ein Erfolg für die Region. Allerdings bislang kein nachhaltiger.

Wenn allerdings

Eva
Eva
13 Jahre zuvor

Mein Verwendungsvorschlag für die Brachen des Ruhrgebiets: Renaturieren! Alles abreißen, was darauf steht, bepflanzen und dazwischen Spazierwege anlegen. Denn was wir bestimmt nicht brauchen, sind neue Gebäude zum Wohnen, Arbeiten oder Einkaufen – davon haben wir ohnehin zu viele, der Leerstand zeigt es. Mehr Grünflächen aber erhöhen die Lebensqualität und sind auch noch ökologisch sinnvoll.
Ich hätte es auch schön gefunden, wenn der Platz in Bochum, der ursprünglich für das Konzerthaus vorgesehen war, nicht in einen tristen Parkplatz verwandelt worden wäre und statt dessen das Wäldchen aus Flieder, das dort in den Zeiten der Absperrung von allein gewachsen war, geblieben wäre.

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