Werbung

Ruhrgebiet: Das Land, wo die Mimosen blühen…

rex_kinoVorgestern gab Ruhrbischof Overbeck der WAZ ein Interview. Thema war das Ruhrgebiet. Nun steht Overbeck in der Kritik – er hatte die Wahrheit gesagt.

Es gibt da diesen Unsinn, den man sich im Ruhrgebiet erzählt, damit die eigene, miese Lage erträglicher wird und die Schuld am Versagen der Region besser auf andere abgewälzt werden kann: „Wir“ haben nach dem Krieg das ganze Land mit „unserer“ Arbeit hochgeholt und deswegen schulden uns „die anderen“ jetzt Dankbarkeit – und am Besten jede Menge Geld. Die simple Erkenntnis, dass nichts bleibt wie es ist und sich die Zeiten ebenso ändern wie die Umstände wird im Ruhrgebiet „Strukturwandel“ genannt und gilt als Entschuldigung für den Niedergang. Ein Strukturwandel ist so etwas wie  zehn Tsunamis in Verbindung mit Kometeneinschlägen und und ganz vielen Nachbeben.

Bischof Overbeck hat im Interview mit der WAZ an diesen Mythen gerüttelt:

„Ich weiß, dass die Bergbautradition noch sehr viel Kitt gibt, aber machen wir uns nichts vor: Der Kitt von Schalke ist größer… “

„Wenn die Region nicht dauerhaft abgehängt werden soll, ist allerdings auch ein Umdenken erforderlich. Bildlich gesprochen: Sie können nicht wie im Theater einen alten Menschen immer weiter schminken, damit er nicht als alt erkannt wird…“

„Man hätte sich im Ruhrgebiet viel früher auf die modernen Technologien einlassen müssen. Was in der Vergangenheit versäumt worden ist, kann heute nicht ohne weiteres gut gemacht werden.“

„Bayern hat auf die richtigen Felder gesetzt, auf moderne Technologien.“

„Es geht nicht um Subventionen in alte Strukturen. Subventionen mögen kurzzeitig eine befriedende Wirkung haben, dauerhaft sind sie kontraproduktiv. Zugespitzt formuliert: Sie verderben den Charakter, denn sie hemmen die Bereitschaft zur Veränderung.“

Es ist ein sehr gutes Interview – und deswegen hat Overbeck jetzt Ärger: Die Bergleute fühlen sich von ihm im Stich gelassen und sind „tief getroffen„, Oberhausens Oberbürgermeister Wehling ist sauer, dass Overbeck sagt, was alles wissen: Die CSU hat den Wandel in Bayern besser hinbekommen als die SPD. Und das Subventionen, die sozialdemokratische Variante des afghanischen Schlafmohns, die Menschen nicht dynamischer und erfindungsreicher machen kann Wehling auch nicht erkennen. Klar, von dem Zeug ist er ja selbst abhängig.

Von intellektueller Schlichtheit geprägt ist auch die Antwort von Norbert Römer, dem Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion: „Ich halte nichts davon, die Lage schlecht zu reden: Das LogPort in Duisburg, der Technologiestandort Dortmund, der Gesundheitsstandort Bochum, das Designzentrum Zeche Zollverein in Essen und die vernetzte Wissenschaftslandschaft im Ruhrgebiet sind nur einige Beispiele für erfolgreichen Strukturwandel.“ Klar – weil das alles so toll ist, haben wir hier auch eine Arbeitslosenquote wie in Frankfurt, ein Wachstum wie in München und Zuwanderung wie in Hamburg…

Overbeck hat das Ruhrgebiet nicht schlecht geredet. Ein paar Blicke in die Arbeitslosenstatistik, die Bevölkerungsentwicklung, die Zahl der Gründungen zeigen: Overbeck hat sich eher noch zurückgehalten mit seiner Kritik. Allerdings hat er nicht die übliche Schönfärberei betrieben – jeder weiß, dass das Ruhrgebiet in einer katastrophalen wirtschaftlichen Lage ist und sich viel ändern muss. Arbeitsplätze fehlen, die Infrastruktur ist zum Teil miserabel, die Kirchturmspolitik lähmt die Region, der Abstand zu anderen Städten wird immer größer. Aber die Wehlings und Römers können das kaum zugeben, denn sie sind mitverantwortlich für die Probleme und sind beide bislang noch nicht  durch eine einzige Idee aufgefallen, die etwas zum Guten ändern würde. Liegt wohl am roten Schlafmohn…

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
44 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
abraxasrgb
abraxasrgb
10 Jahre zuvor

Ich hätte ja auch nie gedacht, dass ich diesem Oberhirten mal zustimme, aber das Interview habe ich mit großer Freude ob seiner luziden Einsichten gelesen.

Einige sehr prägnant formulierte Kurzanalysen und Wahrheiten, die man mit der rosa-rot-grünen Staatsbrille aber nicht sehen kann oder will.

Ein wenig mehr von Schumpeters „kreativer Destruktion“ würde die Region mit Schwung ins 21. Jahrhundert bringen, die sozialromantisch und mentalitätsgeschichtlich noch dem 19. Jahrhundert nachtrauert.

Die Einenkels und Wehlinge (nomen est omen?) steuern diese Region noch weiter in die wirtschaftspolitische Sackgasse der Vergangenheit(en).

Was gibt es denn daran zu kritisieren, dass ein Bischof einfach die klare Wahrheit ausspricht, dass es nur noch drei(!) Zechen und zwei(!) Stahlwerke in der Region gibt?

Wie paradox ist es denn, wenn ein Vertreter einer der konservativsten und ältesten Institutionen dieser Region (längst überfällig) Innovation empfiehlt?
Doppelt schlechte Prognose, wenn auch unfreiwillige Komik 😉

der, der auszog
der, der auszog
10 Jahre zuvor

Als Schalke das letzte Mal deutscher Meister wurde, begann auch das Zechensterben im Ruhrgebiet. Das war Ende der 1950er Jahre, aus heutiger Sicht also irgendwann kurz nach dem Krieg. Hört man die Gelsenkirchener über ihre Kohle und ihre Königsblauen reden, gewinnt man den Eindruck, es wäre gestern gewesen, gerade mal ein paar Jährchen her. Voller Begeisterung erzählen sie dann, wie sich Schalke in der Endphase der Bundesligasaison 2001 gegen den Favoriten Bayern durchsetzte und in einem nur 4 Minuten und 38 Sekunden dauernden Handstreich „Meister der Herzen“ wurden.

Meister der Herzen… das müssen die Bayern erst einmal hinbekommen. Und gäbe es nicht Borussia Dortmund, könnte man den Eindruck gewinnen, dass das ganze Ruhrgebiet diesen Titel verdient, den überhaupt erst ein einziger Verein in der 50 jährigen Geschichte der Deutschen Bundesliga erringen konnte.

Staf
Staf
10 Jahre zuvor

Ach Stefan, dann wähle du bei der nächsten Landtagswahl am Besten die CSU…

Nadine
Nadine
10 Jahre zuvor

Der ewige Vergleich mit Bayern hinkt doch, lieber Stefan. Bayern hat zu einer „anderen Zeit“ mit anderen Voraussetzungen einen anderen Strukturwandel eingeleitet. Einer der im Ruhrgebiet so nicht möglich war und jetzt auch nicht mal nebenbei einleitbar ist. Der Blick in andere ehemalige Industrieregionen (Süd-Belgien, Nordengland, Nord-Frankreich) ist mMn angebrachter als der nach Bayern. Und im Vergleich zu einigen Städten in Belgien oder England geht es Duisburg und Gladbeck noch richtig gut.

Auch die simplen Schuldzuweisungen an Politiker und andere „Entscheidungsträger“ gehen mMn am Kern des Problems vorbei. Natürlich mag es „cleverer“ und weniger versierte geben, doch ist auch deren Einfluss nur begrenzt und ökonomischen und politischen „Sachzwängen“ unterworfen, welche als unumstößlich gelten. Unterm Strich können diese also auch nur den Status Quo mehr oder minder gut verwalten.

Stefan Schierke
Stefan Schierke
10 Jahre zuvor

Der Bayernvergleich hinkt entsetzlich, das muß man mit Blick auf die völlig unterschiedlichen Strukturen und Historie nicht groß ausführen. Und „katastrophal“ nennt die wirtschaftliche Lage hier wohl nur jemand, der dem wohligen Grusel vor der kühlen Betrachtung den Vorzug gibt. Warum das Schrumpfen der Region so viele Herren mal in Panik oder aber in Verleugnungsstarre versetzt, statt das vernünftig zu managen, wäre ein Thema für einen Psychoanalytiker.

Es wäre auch eine Bennenung derjenigen interessant, die den „Strukturwandel“ verzögert haben; da war u.a. die Groß- bzw. Montanindustrie nicht gerade unbeteiligt. Wie toll wir allerdings jetzt daständen, wenn die Kohleförderung abrupt eingestellt worden wäre (wann übrigens?), würde ich gerne einmal dargestellt sehen.

Naja, Schnee von gestern.

Ruhrpott-Mao
Ruhrpott-Mao
10 Jahre zuvor

Manchmal hat der Stefan auch Recht! 🙂
Hätte man nur einen Bruchteil der rund 100 Milliarden Euro (sic!), die in den letzten Jahrzehnten sinnlos als Subventionen durch CDU und SPD in den Kohlebergbau gesteckt worden sind, in einen wirklichen Strukturwandel investiert (also Hochschulen als Dreh- und Angelpunkt für gesellschaftliche Entwicklungen) – das Ruhrgebiet stünde heute viel besser da. Doch was futsch is, ist futsch – aber die SPD hält weiterhin an der Bergbaufolklore fest und wird dem Ruhrgebiet (siehe Debatte um Kommunal-Soli) immer weiter Geld in das Fass ohne Boden werfen. Da hat schon Rau so gemacht und wird sich unter Kraft nicht ändern. Könnte ja die Harmonie stören…..

der, der auszog
der, der auszog
10 Jahre zuvor

@#3,4,5

Der Vergleich mit Bayern bietet sich schon deshalb an, weil sich das Ruhrgebiet in seiner Selbstdarstellung allgemein als Motor der ganzen Republik versteht und man bis heute in Nordrhein Westfalen den Wohlstand und Fortschritt der Bayern mit dem Länderfinanzausgleich erklärt, indem Bayern lange Zeit ein Nehmer- und NRW ein Geberland gewesen ist. In Wirklichkeit sind es nämlich die Nordrheinwestfalen, so zumindest die sozialdemokratische Logik, die die Bayrische Spitzenposition in Deutschland erst möglich machte und deshalb sollen die Bayern gefälligst einen Teil ihres Geldes zum Fenster heraus werfen, wobei NRW seine Rolle darin sieht, dieses Fenster zu öffnen und auf Dauer offen zu halten. Das nennt man dann Strukturwandel und fertig ist die Kiste.

M.
M.
10 Jahre zuvor

Ich weiß nicht, aus verschiedenen Gründen hat man im Revier nie gelernt was es heißt Selbstständig zu sein sondern sich viel zu lange auf sogenannte „Macher“ verlassen, irgendwer wird das schon regeln- diese Mentalität macht es momentan so schwierig den Karren aus dem Dreck zu fahren.
Wenn man sich weiterhin einzig auf D-dorf & berlin(ausgerechnet) verlässt wird es niemals besser werden.
Im Grunde braucht man eine neue Partei für das Ruhrgebiet,ein Partei die diese Region als Einheit begreift und sie auch dementsprechend vertritt, eine neue Generation mit neuen Ideen, die sich vom alten Denken löst.
Es ist zwar der momentane Zustand aber nirgendwo steht das es immer so bleiben muß

Thomas Krämerkämper
Thomas Krämerkämper
10 Jahre zuvor

Das Interview von Overbeck sollte man ausdrucken und z.B. an die Dattelner Rathaustür nageln. Es trifft 1000%ig den Kern des Ruhrpottproblems. Der heutige Aufschrei in den Zeitungen von einschlägig vorbelasteten „Mittätern“ ist amüsant.

TuxDerPinguin
TuxDerPinguin
10 Jahre zuvor

hm. Overbecks Interview war doch ziemlich nüchtern.
Alles, was er sagte, weiß man auch, wenn man mal einen Monat lang die Schlagzeilen aus der Region liest.

Der Vergleich mit Bayern hinkt auf der einen Seite – man kann das hier nicht kopieren und der Zug dafür wäre auch schon abgefahren – andererseits sind die heutigen Probleme stark mit den Subventionen verbunden, die jahrelang einen Strukturwandel verzögerten.

Solche Diskussionen sind aber nicht so fruchtbar. Völlig normal, dass sich Leute zu Wort melden, die sich keine Schuld eingestehen wollen. Die Suche nach Schuldigen nützt auch nichts hinsichtlich der Zukunft.

Overbeck fördert Subventionen für zukunftsträchtige Wirtschaftsbereiche im Ruhrgebiet…
Sachsen wollte mit Silicon Saxony eine starke Industrie rund um Halbleiter aufbauen. Leider erwies es sich, dass Ostasien ein viel besseres Standort für Halbleiter ist (Infineon, Qimonda, AMD). Und es verdeutlicht eben, dass es nicht leicht ist, planwirtschaftlich vorauszusagen, welche Industrien am Standort zukunftsfähig sind (sobald die Subventionen eingestellt werden)…

Helmut Junge
Helmut Junge
10 Jahre zuvor

Kaum sagt ein Bischoff mal offen die Wahrheit, kriegt er auch schon Ärger von allen Seiten. Jetzt wundert es mich überhaupt nicht mehr, warum sich die anderen Bischöfe in dieser Hinsicht so schwer tun.
Manche Gläubigen wollen anscheinend, dass die lügen. Das ist halt ihr Verständnis vom Glauben.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

Bischhof Overbeck
hat tendentiell nicht Neues gesagt und nichts angeprangert, was nicht schon mehrfach angeprangert worden ist -auch hier bei den Ruhrbaronen-.

Und trotzdem verdient das Interview höchste Anerkennung, denn es wird im nachhinein sehr deutlich -sh. die vehemente Kritik-, daß es einen Unterschied macht, ob ein Bischof die Realitäten im Revier anspricht oder beispielsweis „unsereins“.

68er
68er
10 Jahre zuvor

@ Walter Stach

Aus meiner Sicht stößt der Bischof aber die von der Krise gebeutelten Familien, die von Hartz IV leben, vor den Kopf. Was verbessert sich denn für deren konkrete Lebenssituation, wenn hier Hochtechnologie angesiedelt wird?

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
10 Jahre zuvor

@68er: Wenn Sie heute im Ruhrgebiet die Menschen auf Bildungschancen einschwören wollen, dann hören Sie ja häufig: „Bringt dem Ruhrgebiet nix, nach dem Studium müssen die Leute ja nach Bayern zum Geldverdienen“. Wir können natürlich hier auch weiterhin – wie Clement und die restlichen SPD-Blitzbirnen damals mit ihren Bergarbeiter-in-CallCentern-Offensiven – den unteren Rand der Bildungspyramide feiern und Ruhrgebietler per se in die Dummmalocher-Kiste stecken. Was leider viel zu viele von denen heute immer noch selbst tun.

68er
68er
10 Jahre zuvor

@ Stefan Laurin

Sie glauben wirklich noch an Wunder. Für die meisten heutigen Arbeitslosen wird das alles zu lange dauern und sie werden dann als Rentner weiter von Hartz IV leben.

Im übrigen haben Sie mit Ihrem Spruch natürlich recht, so denkt ja auch die Wirtschaft. Als Opel damals nach Bochum kam, hat ja nicht GM die Grundstücke erschlossen und für guuutes Privatgeld gekauft. Damals wurde mit böösem Staatsgeld subventioniert und die Grundstücke bööserweise an GM verschenkt. Heute will Opel für die geschenkten guuuten Grundstücke wieder böööses Staatsgeld von der Stadt Bochum

Nach Ihrer Logik müsste die Stadt Bochum zu GM sagen: Wir geben nix, verkauft doch die Grundstücke zum Marktpreis an die vielen Interessenten, die hier Schlange stehen, um mit den vielen qualifizierten Hartz IV-Empfängern ein deutsches Silicon-Valley zu gründen.

Und für Sie fällt in Ihrer schönen neuen Wirtschaftswunderwelt wohl auch noch ein Job als Pressesprecher ab. Denn wie Sie sagen, die gut qualifizierten Jobs ziehen auch… 😉

68er
68er
10 Jahre zuvor

@ Klaus Lohman

NRW als Jobcenterwunderland unter Wert zu verkaufen, war nicht mein Gedanke.

Grundlage einer jeden Umstrukturierung, die auf höherwertige Dienstleistungen oder Produkten abzielt, muss immer eine gut ausgebildete Bevölkerung sein. Hier hat NRW in den letzen 40 Jahren fast total versagt. Das hätte der Bischof stärker ansprechen müssen. Auch mit noch so vielen Investitionen wird es den meisten, denen es heute schlecht geht, auch in Zukunft noch schlecht gehen.

Für die meisten ist der Zug abgefahren. Für deren Kinder aber noch nicht. Für die muss die beste Bildung her, damit sie, wenn sie mal 20 sind, wenigsten die Chance haben, nach München oder ins Ausland zu gehen, um dort einen qualifizierten Job zu bekommen. Und das fängt bei den ganz Kleinen an.

Und wenn der Bischof ehrlich wäre, müsste er eingestehen, dass die Schließung von 300 katholischen Kindergartengruppen durch seinen Amtsvorgänger Felix Genn wohl das falsche Signal war.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

68 er

Den Hinweis von Overbeck auf die sog. Hochtechnologien verstehe ich nicht als seine Absage an den Erhalt, den Ausbau „klassicher“ Gewerbe- und Industrieunternehmen oder an Dienstleistungsunternehmen aller Art“, einhergehend mit Beschäftigungsmöglichkeiten auch für weniger beruflich- qualifizierte Menschen, sondern als Hinweis darauf, daß das Revier es versäumt hat, sich rechtzeitig auf „Neues“ in Forschung und Anwendung bis hin zur industriellen Nutzung einzulassen. Und dieses sich nicht Einlassenwollen auf „Neues“, das stete „Zuspätkommen“ scheint eines unserer Probleme im Revier zu sein.
Insofern, ich wiederhole mich:
Nichts substantiell Neues vom Bischhof, aber offensichtlich trotzdem „Aufsehenerregend“, weil es nicht „unsereins“, sondern ein Bischhof! verkündet hat.

68er
Losgelöst von aktuellen Sorgen und Problemen hier im Revier:

Weltweit, vornehmlich in Europa und den USA, ist festzustellen, daß „Produktivität“ immer weniger vom Einsatz des Produktionsmittels Arbeit, sondern immer mehr vom Einsatz von Kapital abhängt. Und da das so ist, sinkt stetig der „Preis für die Arbeit“ und steigt stetig der „Preis für das eingesetzte Kapital“. Und in der Konseqeunz bedeutet das: Immer weniger und immer schlechter bezahlte Arbeit für Viele. Und immer höhere Renditen für diejenigen, die über das (Finanz-)Kapital verfügen.

Wenn das so ist, bedarf es in Deutschland, in Europa, in der Welt revolutionärer
Veränderungen in der Bestimmung, in der Bewertung dessen, was Beschäftigung ist, eingeschlossen die Diskussion darüber, ob und inwieweit Beschäftigung allein weiterhin für das verfügbare Einkommen der Mehrheit der Menschen bestimmend sein darf und ob „Kapitalerträge“ in unbegrenzter Höhe als Preis für die Kapitalnachfrage auf einem „freien Markt“ weiterhin einigen Wenigen zugestanden werden können.

68er
Im übrigen meine ich, kurzfristig -schon morgen, spätestens übermorgn-könnte
der Staat für die sozial benachteiligten Menschen soviel tun, daß auch ihnen ein Leben in Würde möglich ist und für sie die reale Chance besteht, sich frei zu entfalten. „Man“ muß nur wollen; das scheitert nicht an leeren Kassen des Bundes.

Wenn es „meiner“ SPD nur gelingen sollte, in den Koalitionsverhandlungen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50€ durchzusetzen, ist das aus meiner Sicht völlig unzureichend, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, „mehr soziale Gerechtigkeit“ zu realisieren.
Aber selbst von „einem sofortigen, ausnahmslosen, gesetzlich festzulegenden Mindestlohn von 8,50 € in ganz Deutschland“ wird es vermutlich Abstriche geben. Und „meine“ SPD wird das (er-)tragen, befürchte ich.

68er
68er
10 Jahre zuvor

@ Stefan Laurin

Ihr Statement zeigt, dass Sie die Wirtschaft immer noch nicht verstanden haben.

Das Ruhrgebiet hatte früher mal Kohle (die schwarze meine ich) deshalb kamen die Leute hier her. Heute gibt es die nicht mehr. Es gibt auch kein schönes Wetter, kein Meer und leider auch keine ausreichende Zahl hochqualifizierter Leute für Dienstleistungen oder die Herstellung von Produkten, die auf dem Weltmarkt gefragt sind. Es gibt aber viele freie Industrieflächen, die aber auch niemand kaufen will, weil es sich meistens nicht lohnt, hier was neues auf die Beine zu stellen.

Und da hat der Bischof recht, hat zu einem großen Teil die von ihm nicht namentlich genannte SPD dran schuld. Die Zeit kann man aber nicht zurückdrehen und deshalb wird ein Strukturwandel nur mit ganz viel böööser Staatsknete funktionieren. Wenn man rein wirtschaftlich denken würde, müsste man das Ruhrgebiet abschreiben, zumachen. Wie die DDR.

Denn auch mit den derzeitigen Umsatzrenditen wird uns der BVB allein nicht aus der wirtschaftlichen Krise führen.

68er
68er
10 Jahre zuvor

@ Walter Stach

Mir ging es nur darum, dass der Bischof mit seiner Aussage den einfachen Leuten vor den Kopf gestoßen hat.

Bichof Hengsbach war ja nicht als Bergarbeiterbischof oder Arbeiterbischof bekannt sondern als Ruhrbischof. Das zeigte seine Verbundenheit mit den Menschen. Das Interview von Overbeck dagegen könnte auch mit einem Manager von Mc Kinsey geführt worden sein. Da fehlt die Perspektive von unten, da spricht der Landwirts- und Schnapsbrennersohn, der Arbeiter eher als Lohnfaktoren sieht.

P.S.: McKinsey hat übrigens, wen ich mich richtig erinnere, die Umstrukturierung für das Bistum Essen geplant und einen guten Draht zur katholischen Kirche.

Thomas Krämerkämper
Thomas Krämerkämper
10 Jahre zuvor

@68er: Also, was das Wetter angeht sind wohl fast alle städtischen Regionen in Deutschland sofort zu schließen. Auch liegen die allermeisten Städte weder direkt am Meer noch haben sie nennenswerte Bodenschätze. Deswegen würde ich das Ruhrgebiet noch nicht abschreiben. Es hat nur leider die dritte Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung versäumt und mehrheitlich immer noch nicht begriffen, dass es diese zu nehmen gilt. Die erste, Landwirtschaft, war hier in der Region ziemlich erfolgreich. Dann gab es einen Entwicklungsschub durch die Kohle, die quasi geschenkter Reichtum bedeutete. Ein großer Teil davon ist in teurere Infrastruktur und Bevölkerungszuzug investiert worden, die nunmal da ist und genauso gut wie in irgendwelchen anderen inländischen Schlechtwetterstädten die Basis für den nächsten Schritt sein müsste. Die Ruhrgebietsromantiker stehen leider nicht für Wandel. Der bei weitem größte Teil der Entwicklungsleistungen der Region geht nach wie vor in völlig veralteten Krempel, den in Welt niemand mehr haben will. Im Zweifel ist es immer noch wichtiger, eine unrentable Zeche ein paar weitere Jahre rumsiechen zu lassen, als eine kleines innovatives Pflänzchen zu pflegen. Würde sich auch nur die entfernteste, fremdfinanzierte Option ergeben, im Ruhrgebiet eine neue Kohlezeche oder noch ein Kohlekraftwerk zu eröffnen, würden beide Volksparteien voll zugreifen. Und wenn doch mal ein etwas modernes Pflänzchen unterstützt wird, hat man hierzulande eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Verantwortlichen unter all den tollen Optionen die Niete greifen, weil sie schlichtweg nichts davon verstehen.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
10 Jahre zuvor

@#21 | 68er: Genauso schnell, wie die Nicht-Kohle-Industrie aka Automobilfirmen hier Fuß fassten, hatten sich die damals unter Tage schuftenden Arbeiter umorientiert und stürmten bei Opel die Werkstore. Die Drecksmaloche unter Tage durften dann die mit viel Aufwand herbeigebettelten Ausländer machen.

Dieser völlig überhitzte Nachfragemarkt nach gut ausgebildeten Arbeitskräften hat dann die alte Industrie dazu gebracht, auf ihren Flächen bis in alle Ewigkeit sitzen zu bleiben, um ja keine abwerbende Konkurrenz im Ruhrgebiet zu ermöglichen. Die Auswirkungen haben wir heute noch zu tragen, wenn es keine größeren, zusammenhängenden Areale für neue Industrie mehr gibt.

Die Ruhr-Politik hat dem über all die Jahrzehnte nur buckelnd und schleimend zugeschaut.

Dummkopf
Dummkopf
10 Jahre zuvor

Ja, ja, das ist ja alles so beschi…. hier in NRW, einfach zum sterben.

WARUM ZIEHT IHR DENN NICHT NACH BAYERN!

Aber mal was anderes:

#20 | Walter Stach

„Wenn es “meiner” SPD nur gelingen sollte, in den Koalitionsverhandlungen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50€ durchzusetzen, ist das aus meiner Sicht völlig unzureichend, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, “mehr soziale Gerechtigkeit” zu realisieren.“

Lieber Walter Stach,

vorab, ich hatte schon vor ein paar Tagen angemerkt, was gibt es beim Mindestlohn noch zu verhandeln?????

Wenn sich der B-tag nächste Woche (?) konstituiert, kann das Gesetz eingebracht und mit der Mehrheit der Stimmen veranschiedet werden, Punkt

Warum ich mich aber hier an Sie wende, einen mutmasslich altgedienten Genossen: Bietet diese Situation nicht die Chance für die SPD, ihre Mitgliederanzahl signifikant zu erhöhen?

Motto: Wer keine große Koalition will, tritt hier und heute ein und kann bei der Mitgliederbefragung entsprechend votieren.

Oder steht dem satzungstechnisch etwas entgegen?

Franz Przechowski
Franz Przechowski
10 Jahre zuvor

Hoffnungslose Debatte. Spiegelt die Gründe für das politische und wirtschaftliche Scheitern meiner Heimat.

Björn Wilmsmann
10 Jahre zuvor

Das Thema ist mittlerweile auch zu meinem persönlichen Ceterum censeo geworden:

https://www.bottblog.de/2013/07/31/ruhrpott-abgehangt/
https://www.bottblog.de/2013/08/07/unser-dorf-soll-schoen-werden-ideen-fuern-arsch/

Aber gut zu sehen, dass das mittlerweile auch prominente Köpfe wie der Ruhrbischof so sehen. Die Reaktion der Politik zeigt, dass er in ein Wespennest gestochen hat und völlig richtig liegt.

Und nein: Noch mehr Staatsknete ist mit Sicherheit nicht das Allheilmittel. Sie ist vielmehr sogar schädlich für einen nachhaltigen Strukturwandel. Was hat uns die ganze tolle Staatsknete denn bisher gebracht? Als da wären:

– Milliarden Euro bzw. DM, die jahrzehntelang sinnlos buchstäblich im Untergrund des Ruhrgebiets verbuddelt wurden. Die RAG und Evonik haben sich das Geld dankend eingesteckt.
– Weitere Staatsknete in horrender Höhe wurden General Motors über den Umweg Opel geschenkt. Mit bekanntem Ergebnis.
– Nokia. Noch mehr Staatsknete. Mit ebenso bekanntem Ergebnis.
– RIM. Wieder Staatsknete. Wer schließt Wetten ab, wie lange die noch in Bochum bleiben werden (falls es sie in ein paar Jahren überhaupt noch gibt)?
– Wolkenkuckucksheim Ruhr 2010. Kreativwirtschaft? Bullshit! Alles eine große Geldverteilungsmaschine ohne nachhaltigen Effekt.

Es müssen hier endlich vernünftige Bedingungen für eine Vielzahl von kleinen Unternehmen geschaffen werden. Dazu gehört auch die Nutzbarmachung von brachliegenden Flächen – meinetwegen auch mit Staatsknete – aber vor allem gehört dazu, dass die Verantwortlichen im Ruhrgebiet endlich das Wohl der Stadt und der Menschen über ihr eigenes Wohl stellen. Das Ruhrgebiet ist doch zu einem einzigen Genossenversorgungswerk verkommen: Viel zu viele Stadtverwaltungen, viel zu viele dysfunktionale Versorgungsbetriebe und ein völlig lächerlicher ÖPNV. Aber Hauptsache, der subventionierten Klasse geht es prima. Was gut für die Mehrheit der Menschen wäre, ist egal.

Und dieser so genannte Strukturwandel ist älter als ich und ehrlich gesagt denke ich mittlerweile, dass er mich auch überleben wird. Denn der Strukturwandel ist längst zum Selbstzweck geworden. Er gehört zum Ruhrgebiet wie Lederhosen und Oktoberfest zu Bayern.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

Dummkopf -25-

1.
Kritiik bezogen auf den Zustand im Revier hat bei mir vor allem damit zu tun, daß ich hier zu Hause bin. Und ich will mithelfen, daß mein Zuhause auch für nachkommende Menschen als ihr Zuhause Bestand hat; Kritik also als Ausdruck von Besorgheit über Einiges, was bereits am Negaitiven da ist und an Negativem bevor zu stehenden scheint. Ich kritisiere aus vergleichbarem Motiv Manches, was mir in meiner Heimatgemeinde Waltrop mit Blick auf Gegenwart und Zukufnt nicht gefällt, was mich nicht dazu treiben kann, meine Heimatstadt nicht zu mögen oder gar sie verlassen zu wollen.

„Woanners isset noch schöner.“
Ja, mag so sein. Aber auch hier gibt es viel Schönes.

2.
SPD-Mindestlohn-Koalition

Ich habe so eben per Mail „meinen SPD-Bundestagsabgeordneten und SPD-Unterbezirksvorsitzenden Recklinghausen“ so nebenbei gesagt, daß sich die LINKE doch schon jetzt auf eine für sie schöne und im Ergenis positive Zeit einer großen Koalition freuen kann.So würde ich als LINKER über 4 Jahre immer wieder per Faktionsantrag all das in die Beratungen und Abstimmungen des Bundestages
einbringen was Inhalt des SPD-Wahlprogrammes war. Und dann?

Leider,leider,leider hat „meine“ SPD kategorisch und viel zu früh eine Rot-Rot-Grüne Koalition ausgeschlossen, selbst die Duldung einer Rot-Grünen Minderheitenregierung, die z.B. glaubwürdig von einer Kanzlerin Kraft hätte geführt werrden können. Nur dieses „Leider,leider,leider“ nutzt nichts.

Neue Mitglieder für die SPD werben, um……..
1.
Ich befürchte, daß eine Koalition der SPD mit CDU/CSU ähnlich viele Mitglieder dazu bringen wird, die Partei zu verlassen wie seinerzeit nach Inkraftreten der sog. Agenda 2o1o. Mir scheint, dem Genossen Gabriel u.anderen ist nicht hinreichend bewußt, was da auf sie zu kommen wird.

2.
Dummkopf, wenn ich heute Bekannte,Freunde ansprechen würde, in die SPD einzutreten, würde Einige von ihnen das ganz sicher ablehnen mit dem Bemerken: „Ihr habt doch schon längst pro großer Koaltion entschieden“. Und ich befürchte, daß sie damit recht haben , und das vermutlich sogar bundesweit eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für die große Koaltion optieren wird, vermutlich nicht in NRW.
Und wenn ich die neuesten Nachrichten richtig verstanden habe, wird es selbst in Sachen Mindestlohn so kommen wie ich es unter -20-abschließend formuliert habe.

Ich habe heute ‚mal in meinem Parteibuch nachgesehen und festgestellt, daß ich bis auf einen Monat exakt seit 4o Jahren in der SPD bin -Eintritt 1973, wie so Viele wegen Willy Brandt und seiner Politik.
Jetzt die Partei verlassen?
Das hätte einen Vorteil: Ich könnte den eingesparten Mitgliedsbeitrag für meinen 6 jährigen Enkel Jan verwenden;wäre ja eine sinnvolle Alternative.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
10 Jahre zuvor

Ja, im Revier fehlt Initiative, Unternehmertum und eine Aufbruchstimmung.

Es geht nur noch um Abfindungen, sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen und Transferleistungen an Städte, um irgendwelche sozialen Aktionen zu starten. Diese versorgen meistens, fördern aber keine Eigeninitiative.

Dass Geld erwirtschaftet werden muss, ist unwichtig geworden.

Bildung ist angeblich wichtig, aber der Ruhri ist der Meinung, dass der Staat dafür sorgen muss. Warum eigentlich?

Wo bleibt die eigene Bildung/Weiterbildung etc? Mit Internet, Fernsehen etc. ist alles doch so einfach geworden.

Es ist gut, dass es endlich auffällt, dass der Strukturwandel nicht stattfindet. Wer mit der Bahn/mit dem Auto durchs Revier fährt, sieht eine Industriebrache nach der anderen. Es gibt -wenn überhaupt – Baumärkte, Discounter und Logistikunternehmen, die sich ansiedeln. Bei den dort gezahlten Löhnen, ist auch mit keinem nachfrageorientierten Aufschwung zu rechnen.

Was soll denn ein Mindestlohn von ein paar Euros bringen? Wo ist denn die Kontrolle von Betrieben und Arbeitsverhältnissen?
Wenn von sehr schlechten Arbeitsbedingungen berichtet wird, kommen die Beispiele doch zu oft aus NRW.

Es fehlen Jobs und Möglichkeiten für die Menschen. Da die Städte und das Land wenig erfolgreich im Schaffen von besseren Lebensbedingungen sind, hilft nur Eigeninitiative und eine Aufbruchstimmung, mit der es gelingt, auch die hellen Köpfe unserer eher mäßigen Bildungseinrichtungen (siehe Bildungsvergleiche), im Land zu halten. Auf die Politik können wir uns nicht verlassen.

Es muss doch aufrütteln, dass bspw. Autobauer lieber an Standorten mit hohen Kosten produzieren als im günstigen Ruhrgebiet.

Die Politik im Land scheint eher besorgt zu sein, dass das Volk die fehlenden Chancen endlich bemerkt und Leistung statt Parteizugehörigkeit als Qualifikation für Führung fordert.

Es ist gut, dass sich die Kirche einmischt bzw. dass sie überhaupt wieder zu gesellschaftlichen Problemen Äußerungen abgibt.

Die Arbeiter des Wirtschaftswunders waren wichtig, sie gehören aber in eine andere Zeit, und wer sich nicht anpasst, wird nicht erfolgreich sein.

Ben
Ben
10 Jahre zuvor

„Mir ging es nur darum, dass der Bischof mit seiner Aussage den einfachen Leuten vor den Kopf gestoßen hat.“

Kappes.

Irgendwer muss auch die Technologien zusammenbauen und reparieren, die z.B. im Gesundheitscampus Bochum entwickelt oder erprobt werden. Und dafür braucht es keine Schrauber mit Uni-Abschluss, sondern den ganz normalen Techniker von nebenan.

Moderne Hochtechnologien sind und bleiben in erster Linie oftmals Maschinen . komplexe zwar, aber dennoch Maschinen. Die zu reparieren, zu warten und zu pflegen kann und sollte Aufgabe „einfacher Leute“ sein.

68er
68er
10 Jahre zuvor

@ Ben

Wenn es so viele neue Stellen bei Forschungsunternehmen gibt, dass all die „ganz normalen Techniker“ und Stahlfacharbeiter, die demnächst bei Opel und Outokumpu entlassen werden sollen, wieder beschäftigt werden könnten, wäre Bochum schon fast ein neues Silikon Valley. Ich weiß nicht, wie in den 50er Jahren das Verhältnis Ingenieur zu Facharbeiter war. Ich schätze mal das wird irgendwo bei 1 zu 10 oder 1 zu 20 gewesen sein. Beim Gesundheitscampus würde ich auf 1 zu 2 oder 3 tippen.

68er
68er
10 Jahre zuvor

@ Walter Stach

Bei den Sondierungsgesprächen hat mich gewundert, dass die GRÜNEN ihr Scheitern vor allem mit unüberbrückbaren Differenzen im sozialen Bereich begründet haben. Man konnte sich nicht über den Mindestlohn einigen und auch nicht über die Frage von Steuererhöhungen.

Und dann geht die SPD hin und verhandelt noch mit CDU/CSU ohne vorher klar zu sagen, wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit und auch bei uns geht es nicht ohne Mindestlohn und Steuererhöhungen für Bestverdiener.

Ich tippe, die SPD wird sich wieder in eine große Koalition zwängen lassen und dort aus Angst, dass die GRÜNEN jederzeit für sie einspringen könnten, Kompromisse schließen, die sie eigentlich mit ihrem ehemals sozialen Markenkern gar nicht vereinbaren kann.

Das hält sie entweder 4 Jahre durch und wird dann bei der nächsten Wahl fünftstärkste Fraktion im Bundestag oder es gibt irgendwann nach 2 Jahren den Bruch und die letzten 2 Jahre regiert schwarz-grün. Dann könnte die SPD zwar auf ein besseres Wahlergebnis 2017 hoffen, aber mit einer Mehrheit links der Mitte wäre es für die nächsten 10 Jahre wohl vorbei, denn die Grünen wären, wie die FDP nach 1982 aus dem linken Lager ausgeschieden. Ein doppeltes Umfallen, könnten sich auch die Grünen nicht leisten.

Albrecht Müller schreibt auf den Nachdenkseiten zwar, dass man sich auch in einer großen Koalition als Juniorpartner profilieren könne, er übersieht aber, dass es in der SPD fast gar keine Menschen mehr gibt, die unter den derzeitigen gesellschaftlichen Bedingungen so leiden, dass sie mit Verve und Mut für eine moderne soziale Gesellschaft kämpfen, Menschen, die wissen, dass es nicht so weiter gehen muss wie bisher, die Visionen haben und nicht das Hier und Jetzt verwalten.

Willy Brandt hat damals die Nord-Süd Kommission geleitet, deren Empfehlungen leider nie umgesetzt worden sind. Der Mann hatte Visionen und musste deswegen nicht zum Arzt. Er hatte auch die Vision, der Verständigung mit dem Osten, die man Mitte der 60er Jahre für unmöglich hielt. Er hat eine Strafrechtsreform angepackt und unserer Gesellschaft den Weg in die Zukunft gewiesen. Diese gestalterische Kraft hatte in der SPD nach ihm im positiven Sinne eigentlich nur noch Oskar Lafontaine. (Im negativen Sinn noch Gerhard Schröder.) Sigmar Gabriel, Andrea Nahles, Frank-Walter Steinmeier und Co. sind dagegen biedere Sparkassentypen, die nur an ihre eigene Karriere zu denken scheinen.

Auch dass Kurt Beck sich jetzt in der Wirtschaft prostituiert, finde ich bezeichnend für den Zustand „unserer SPD“. Der bekommt doch eine ordentliche Pension als Ministerpräsident, wieso macht der so etwas?

Willy Brandt hätte nach 1974 auch seine Memoiren schreiben, sich als Schönredner bezahlen lassen können oder einen Beraterjob annehmen können. Aber er blieb Parteivorsitzender, Präsident der Sozialistischen Internationalen und Vorsitzender der Nord-Süd Kommission. Der Mann „brannte“ für die soziale Sache und für seine Partei.

Der „Asylkompromiss“ oder die Pläne für Auffanglager in Nordafrika, die sich ein Herr Schily ausgedacht hatte, wären unter Willy Brandt undenkbar gewesen. Wer hat in der SPD laut etwas gegen Frontex gesagt?

Die SPD hat doch mit der SPD von 1973 nur noch den Namen gemein. Sigmar Gabriel hat sogar den Austritt aus der Sozialistischen Internationalen erklärt. Die SPD verteidigt lieber ihre „Freiheit am Hindukusch“ oder die Seewege im Golf von Aden als sich darum zu kümmern, dass die Menschen in Somalia eine Perspektive für die Zukunft geboten bekommen.

Und hier im Ruhrgebiet sieht es nicht viel anders aus. Hier hat niemand eine Vision wie es wieder bergauf gehen könnte, wie man die Menschen motiviert, wie man sie ermutigt, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Dabei gibt es hier noch die vielbeschworene Solidarität. Die ist in unserer Gesellschaft aber nicht mehr gewünscht.

Im Kulturhauptstadtjahr gab es doch mal den einen Tag, als die A40 zur Kulturmeile umfunktioniert wurde. Wieso gab es nie einen Aufstand des Ruhrgebiets gegen das Ausbluten der Kommunen? Wieso nicht eine Blockade der A40, A2 und A42 an einem ersten Ferientag mit der Forderung, einen Solidarpakt West aufzulegen, um die Bildungslandschaft und die Infrastruktur hier in der Region zu stärken?

discipulussenecae
discipulussenecae
10 Jahre zuvor

Wie naiv ist Herr Römer eigentlich? Wie sollen der „LogPort in Duisburg, der Technologiestandort Dortmund, der Gesundheitsstandort Bochum, das Designzentrum Zeche Zollverein in Essen und die vernetzte Wissenschaftslandschaft im Ruhrgebiet“ auch nur eine Frühschicht bei Opel in Bochum ersetzen?

Die hochgelobte, sich noch nicht in irgendeiner Praxis bewährt habende ‚Hochschule für Gesundheit‘ fristet in Bochum ein lausiges Dasein an der Ecke ‚Uni-Straße‘ und ‚An der Schalwiese‘. Und über die Pleiten und Pannen im ‚Designzentrum Zeche Zollverein‘ muß kaum noch ein Wort geschrieben werden.

Aber egal: Es würde mich wirklich interesieren, wer da wieviele Arbeitsplätze schönrechnet!

Und wenn ich Deutschlehrer wäre, würde ich die Formulierungen „Technologiestandort Dortmund“ und „Die vernetzte Wissenschaftslandschaft im Ruhrgebiet“ als Beispiel für leere Worthülsen im Unterricht verwenden.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
10 Jahre zuvor

Visionen gibt es im Ruhrgebiet:

– Alte Industrieanlagen als Freizeitanlagen
– Phoenix-See
– Emscher-Renaturierung
– Radautobahn
– Abwassergebühr (Visionen müssen ja nicht sinnvoll sein)

Leider haben alle Visionen keinen kurzfristigen Effekt, sie benötigen sehr hohe Summen in der Investition und im Unterhalt.

Die Priorität sehe ich in:
– Bildung inkl. Motivationsförderung durch Praktiker, die schon Grundschülern zeigen, welche Chancen die Welt jenseits von H4 bietet
– einem effizienten Staat, der seine Kontrollaufgaben wahrnimmt (Schiedsrichterfunktion), aber den Menschen Luft zur Gestaltung lässt und das Geldverdienen nicht ständig negativ besetzt (Leistung muss sich lohnen, Wer arbeitet muss auch mehr haben)
– Konzentration der Städte und ihrer Gesellschaften auf Kernaufgaben und nicht im Ansammeln von möglichst vielen Unternehmensbeteiligungen, die über die Welt verstreut sind und teure Geschäftsführer brauchen

Das sind viele kleine Punkte, die uns solidarisch nach vorne bringen können.

Solidarität bedeutet bei uns zu oft, dass versorgt werden muss. Die Perspektive ist nur selten interessant (siehe erster Kommentar). Das erinnert an Entwicklungshilfe der 60er.

Thomas Krämerkämper
Thomas Krämerkämper
10 Jahre zuvor

@discipulussenecae, 68er: in Ihren letzten Beiträgen liegt ein guter Teil des Problems. Allein im Technologiepark Dortmund arbeiten wesentlich mehr Menschen, als in der Frühschicht bei Opel Bochum. Sogar mehr Menschen, als bei Opel Bochum insgesamt. In einem unserer letzten Bergbaukreise, Kreis Recklinghausen, arbeiten mehr Menschen im Gesundheitssektor, als im gesamten industriellen Sektor. Der Kreis Recklinghausen ist mit seiner Anzahl Arbeitsplätze in diesem Bereich sogar bundesweit führend. Der industrielle Sektor hingegen ist dort nur unterdurchschnittlich vertreten.
Trotz der klaren Fakten nennt man sich aber viel lieber Bergarbeiterregion oder Industriestandort und führt ganz ähnliche Argumente an, wie sie es tun. Sie werden dort kaum einen Politiker vorfinden, der den eigenen Kreis überzeugend als Gesundheitsstandort bezeichnet – ganz sicher nicht bei der SPD. Die Politik beschäftigt sich viel lieber mit den vermeintlich Großen (Evonik in Marl, der Zeche AV o.ä.), die eigentlichen Stärken spielen fast keine Rolle. Ich glaube es liegt daran, dass die SPD (und Teile der CDU) mit den heterogenen Strukturen von mittelständisch geprägten Wirtschaftsbereichen nicht so gut umgehen kann, es fehlt dort einfach an entsprechender Kultur. Und das führt dann zu diesem seltsamen politischen Rückwärtsmarketing, dass sich leider im Resonanzkörper der Bevölkerung verstärkt, das Bild des Ruhrgebiets nach außen schwächt und die tatsächlichen Zukunftsoptionen behindert.

Ben
Ben
10 Jahre zuvor

@Thomas Krämerkämper

Und es fehlt der Rückhalt. Sieht man ja auch an den Kommentaren hier. Statt die neuen Betätigungsfelder zu stärken, wird alles negativ geredet. Denn das Ruhrgebiet ist eher zweitrangig die Region der Mimimi-Sager. Allen voran hört man hier immer die Pessimisten und Nörgler, für die jedes Projekt eine Totgeburt ist.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
10 Jahre zuvor

@#35 | Thomas Krämerkämper: Kein Wunder. Mittelständler, Freiberufler, Angestellte mit Jobs in neuen Technologien – alles Wählerschichten, die für die SPD im Ruhrgebiet unbekannte Welten sind und die für die noch vorhandenen Stammwählerreste ebenso ein rotes Tuch für deren Lebenseinstellungen darstellen. Mit solchem „neuen Kram“ kommt man auch innerparteilich nicht weit, also bleibt es bei der jahrzehntelang fortschreitenden Verknöcherung.

Apropos Technopark Dortmund: Man ist dort seit einigen Jahren aber im Trend wieder in Richtung Opel-Frühschicht unterwegs, wie die vielen „For rent!“-Maklerschilder in den Bürofenstern oder am Straßenrand offenbaren. Selbst das auf Expansion ausgelegte Erweiterungsgebiet „Weißes Feld“ direkt nebenan und in bester Lage dümpelt seit über 10 Jahren leer vor sich hin, weil man lieber effekthaschend Phoenix-West vollsetzen wollte – was auch nicht klappt.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
10 Jahre zuvor

@#36 | Ben: Wenn aus großmäuligen Projekten wie dem 70.000-Arbeitsplätze-geilen „dortmund-project“ teure Totgeburten werden, weil die Stadtoberen sklavisch an den Lippen der blonden, ahnungslosen Beraterhünen von McKinsey klebten, liegt das an den Kritikern??

Überbringer schlechter News lieber erschießen – ist es diese Logik, die Ihnen Spaß macht?

Bernd
Bernd
10 Jahre zuvor

… da haben ein paar der Menschen die sich jetzt beschweren nur die (blöde) Überschrift in der Print-Ausgabe der WAZ gelesen und dann vergessen das sich Zeitungen immer noch über Provokationen verkaufen. Im Internet-Auftritt der WAZ hat der selbe Artikel interessanter Weise eine andere Überschrift und kommt für die Wenig-Leser besser rüber.

Naja … und dann tut Wahrheit weh.
Das Ruhrgebiet hat sich verändert.

Anfangs leider trotz und gegen Politik und Konzerne.
Später mit Ideen von denen aber auch nicht alle gefruchtet hat.
Ich hab noch die Solarstadt Gelsenkirchen vor Augen (wo ist die heute) oder eine Industriebrache am Kanal die die Bürgermeister Baranowski, Wittke und ich weiß nicht vielleicht schon Rauer gefühlte 10 mal „eröffnet“ haben.

Es gibt in den Wandel.
… er kommt spät aber er kommt.

Und deshalb ist das Ruhrgebiet eben nicht mehr „nur“ das Zuhause von Bergbau und Stahlindustrie.
Viel davon ist … leider … Geschichte.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

68er -32-

Ich müßte mich extrem bemühen, um dem Beitrag widersprechen zu können. Das gilt für den Tenor und die Tendenz des Beitrages, das gilt aber auch für die meisten Details.
Ich bemühe mich aber nicht, denn ich bin keine Parteifunktionär, der z.B. im Wahlkampf krampfhaft bemüht zu sein hat, die „SPD schön zu reden“.

Vielleicht liest ja der eine oder der andere Funktionär den Beitrag und nutzt in als Grundlage für die nächsten Diskussion in einem Parteigremium vor Ort, in der Region, im Land, im Bund, wenn es denn dort ‚mal dazu kommen sollte, sich losgelöst von allen politisch-taktischen Spielchen damit zu befassen, was das denn im Kern eigentlich (noch) sein soll: eine s o z i a l demokratische Partei in Deutschland.
CDU/CSU haben es da besser. Sie titulieren sich ja auch nicht als Partei, sondern als eine UNION. Und unter das Dach einer solchen UNION paßt Alles und paßt Jeder und vor allem paßt Frau Merkel an die Spitze einer so verstandenen UNION. CDU/CSU und Frau Merkel sind für alles zu haben. Für eine Partei, die sich
s o z i a l demokratisch nennt, kann es diese Beliebigkeit nicht geben.
Ich muß leider zur Kenntnis nehmen, daß der eine oder der andere innerhalb der SPD das aus aktuellem Anlaß zu bedauern scheint.

68er
Kommen wir jetzt vom Thema ab:“Overbeck und das Ruhrgebiet“?

Als Sozialdemokrat habe ich seit vielen Jahren zunehmend den Eindruck, daß wir hier im Revier uns nur sehr vordergründig und sehr oberflächlich dem Thema „soziale Gerechtigkeit“ stellen.
Damit die Schwächeren in der Gesellschaft „nicht auf der Strecke bleiben“, damit es für sie ein Basis für ein Leben in Würde gibt, ist eben mehr notwendig, als ein minimal erhöhter Hartz IV-Regelsatz, als eine geringfügige Verbesserung im Rentenbereich, als geringfügige Verbesserung im Bereich der Altenpflege, notwendig ist vor allem, und dann bin ich wieder bei meinem „Hauptanliegen“ als Sozialdemokrat,daß Allen ohne Wenn und Aber von der KITA bis zur UNI gleiche Chancen auf BILDUNG zugestanden werden, nicht im Widerspruch zum Leistungsprinzip, sondern als dessen elementare Voraussetzung!
Und das ist eben nachwievor nicht eines der primären Zielen „meiner“ s o z i a l demokratischen Partei, auch nicht im Ruhrgebiet und selbstverständlcih mit negativen Auswirkungen auf den sozialen, den kultuellen, den wirtschaftlichen Zustand im Revier und für dessen Perspektiven.

Aquii
10 Jahre zuvor

So als „Zugereister“ Es gibt keine Gegend in D, die so spannend ist wie das Ruhrgebiet, das erst einmal vorweg.

Als das größte Problem sehe ich die schlechte Politik, die über 50 Städte nur für sich machen und sich nicht darauf einigen können, endlich mal an einem Strang zu ziehen und gemeinsam als starke Region anzutreten. Es gibt immer noch keinen Plan, wie das gesamte Ruhrgebiet aus dieser missslichen Situation heraus kommt. Da ist auch eine starke Landespolitik gefragt, die hat es aber in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben. Alles sehr schade, denn es lebt sich wirklich sehr gut hier.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

-41-
Spannend.
Wenn das so ist, wäre das ein Zustand, den wir Menschen im Revier nutzen sollten -selbstbewußt, kritisch, offen für alles Neue – in der Sache, gegenüber Menschen-, risikobereit,kreativ, innovativ.
Aber……………..

Christian Lukas
10 Jahre zuvor

Ich bitte den Kommentar #4 zu lesen, der alles auf den Punkt bringt, differenziert, ohne Schönfärberei und der eben klar aufzeigt – es gibt in dieser Diskussion nicht falsch oder richtig. Meine Verneigung vor der Kommentatorin.

trackback

[…] und werden deshalb nicht aufgegriffen, sondern unter Protest abgewehrt. Die Ruhr-SPD neigt dazu, das Ruhrgebiet als ihre Wagenburg zu verstehen. Das Beharrungsvermögen ist so groß wie die Hilflosigkeit. Der Verband der Revier-Städte soll […]

Werbung