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Slime: Bizarre Entwicklungen

Slime Foto: Mirja Nicolussi Lizenz: Copyright


1979 gegründet, wurde Slime zu einer der stilprägenden Bands des Punkrocks. Die Band kombiniert Punkrock mit symbolischen Parolen, um gesellschaftliche Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen. Diesen inhaltlichen Faden führt die Band auf ihrem neuen Album „Hier und Jetzt“ (erscheint am 29. September auf dem Dortmunder Label People Like You) fort. Peter Hesse traf Sänger Dirk „Dicken“ Jora, sowie die Gitarristen Christian Mevs und Michael „Elf“ Meyer zum Gespräch. Von unserem Gastautor Peter Hesse.

Hallo Slime. In eurer Bandgeschichte hat die Aussagekraft der Song-Inhalte schon immer eine besondere Wertschätzung erhalten. Ein bekanntes Slime-Zitat ist zum Beispiel: „Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure, als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz.“ Hat es schon mal Fälle gegeben, wo ihr in einem falschen Kontext zitiert worden hat?

Dirk: »Es gibt zwei oder drei Nazibands, die Songs von uns gecovert haben. Die liegen auch auf der Hand, es sind ’A.C.A.B.’, ’Linke Spießer’ und ’Yankees Raus’. Wenn wir versuchen uns dagegen zu wehren, dann stellst du sehr schnell fest: es nervt total, aber du kannst nichts machen. Siehe das Heino-Album, wo er ’Junge’ von den Ärzten nachgespielt hat. Die Ärzte sind auch Amok gelaufen, aber wenn du am Text und der Komposition nichts veränderst, dann musst da das als Urheber hinnehmen und irgendwie darüber stehen. Wir haben jetzt beim neuen Album viel mehr darauf geachtet, dass wir keine Schnittmenge bieten, dass man uns falsch interpretieren könnte. Aber natürlich ist das schwer. Alles vermischt sich so stark – an anderer Stelle kannst du äußerlich kaum unterscheiden, wer jetzt von der Antifa ist, oder wer jetzt ein Nazi-Hooligan ist. Einfach weil beide Gruppierungen sich sehr ähnlich kleiden.«

Auf dem neuen Album habt ihr ein paar Texte zusammen mit Max Richard Lessmann von der Band Vierkanttretlager geschrieben. Wie kam es dazu?

Dirk: »Max hat ein großes Talent für Texte und hat einen sehr guten Riecher zu abstrahieren, für wen er gerade schreibt. Er hat ja schon für so unterschiedliche Leute wie den Rapper Casper oder sogar für Mary Roos getextet. Und jetzt schreibt er auch für Slime. Wir erzählten ihm die unglaubliche Geschichte, dass in Guantanamo Gefangene nicht nur mit Metallica ”gefoltert“ werden, sondern auch mit dem Sesamstraßen-Song. Heraus gekommen ist dann unser Lied ’Ernie und Bert in Guantanamo’. Aber Max hat nur einen Teil für das Album geschrieben, vieles stammt von Elf. Oder von mir und unser Bassistin Nici. Die Inhalte und Grundideen sind auf jeden Fall alle von uns.«

Christian: »Vieles wird unter unser Ägide ja auch immer wieder verändert bis es am Ende richtig rund ist. Aber ich finde schon, dass man hört, wer jetzt für ’Die Geschichte des Andreas T.’ oder ’Ich kann die Elbe nicht mehr sehen’ verantwortlich ist – weil hier unterschiedliche Autorentechniken zugrunde liegen. Bei ’Andreas T.’ geht es beispielsweise um V-Mann-Verstrickungen im NSU-Komplex, wo mit einer Sprechstimme eine Geschichtsform gewählt wird und so erzählt wird, was passiert ist. Wir haben probiert die Ungeheuerlichkeiten sichtbar zu machen.«

Elf: »Bei unserem Album „Schweineherbst“ (1994) stammen fast alle Texte von unserem ehemaligen Drummer Stephan Mahler. Man nimmt nicht immer irgendwas – sondern es gibt immer wieder Situationen, wo man sich an einer Zeile stört und die wird dann noch einmal ausgewechselt. Anderes Beispiel: einen Song wie ’Brandstifter’ vom neuen Album habe ich bis auf zwei oder drei Zeilen, die geblieben sind, komplett umgeschrieben.«

Neben dem Album „Schweineherbst“ hat euch auch die Platte „Viva La Muerte” sehr nah in den Fokus der Metalszene gerückt. Ist es euch wichtig, ein gutes Standing unter Schwermetallern zu haben?

Dirk: »Wir haben mal auf Wacken gespielt, da waren wir schon erstaunt wie gut wir da angekommen sind. Oder wenn wir jetzt ein Konzert in Essen geben, stehen ganz viele Kuttenträger in den ersten Reihen. Aber generell ist es nicht so, dass wir uns bewusst hinsetzen, um einen Metalsong zu komponieren…«

Christian: »Ja, richtig, so denken wir nicht. Es geht bei uns nie darum, das wir uns fragen, was die Leute vielleicht hören wollen. Wir haben aber schon eine Affinität zum Metal, das haben wir eigentlich alle. Das spürt man und das schlägt sich dann auch irgendwo in den Produktionen nieder. In meiner Hamburger Zeit habe ich im Studio ziemlich viele Metalbands produziert. Aber mit Slime ist das schon etwas differenzierter. Uns geht vor allem darum das umzusetzen, worauf man als Band Bock hat. Mir ist zudem immer wichtig eine Härte zu erzeugen, die vielschichtig ist und eine zusätzliche Schärfe bekommt – und nicht nur dem Signet „Deutschpunk“ entspricht.«

Habt ihr gerade Bock auf die Postpunkband Wipers? Die Gitarren in ’Unsere Lieder’ klingen ein bisschen so…

Dirk: »Cool, dass du das erwähnst. Ich hatte jetzt mit einem anderen Journalisten vom Rock Hard ein Interview und der sagte, dass ihn der Song an die Toten Hosen erinnert. Wie und warum kommt der darauf? Ich verstehe das auch inhaltlich gar nicht. Von meinem Gefühl ist das schon eher wie die Wipers, die ich übrigens sehr gerne höre. Wir haben den Song jetzt auch schon ein paar mal gespielt, der vermittelt mir auf der Bühne ein bisschen ein Feeling wie unser Song ’Goldene Türme’. Anderes Beispiel: der Stadion-DJ von Fortuna Düsseldorf ist ein alter Kumpel von uns. Er schrieb mir, dass ’Unsere Lieder’ klingt wie Stadion-Rock und er es daher im Fortuna-Stadion spielen wird – das war ein ganz witziges Statement…«

Elf: »Es kommt ja auch immer daraufhin an, wo man jetzt musikalisch seine Wurzeln liegen hat und was man in der Vergangenheit an Sachen gehört hat. Ich war mal großer Metal-Fan als das alles anfing, hatte auch lange Haare eine zeitlang. Unser ehemaliger Plattenboss Karl Walterbach hat ja eInen „Metal Massacre”-Sampler lizensiert und dann kam er gleich mit Bands wie Celtic Frost um die Ecke – das hat mich schon fasziniert. Eine Band wie Slayer ist ja bis heute toll, bei Metallica sind es ja nur die ersten drei Alben. Eine Platte, die ich mit der Band Abwärts gemacht hatte, wurde ja sogar vom Metallica-Produzenten Flemming Rasmussen produziert. Da sind wir nach Kopenhagen geflogen, hatten einen Major-Deal in der Tasche – das war schon irre…«

Immer wieder habt ihr euch auch als Fans von Hardrock aus den 1970er Jahren geoutet. Christian, du bist großer Bewunderer von Ritchie Blackmore, oder?

Christian: »Absolut. Mein allererstes Konzert war Ritchie’s Blackmore Rainbow 1978 in der Hamburger Musikhalle. Auf einem sogenannten „sichtbehindertern Platz“ auf dem zweiten Rang habe ich gesessen, die Tickets gab es damals für etwa 10 Mark. Diese Ära hat mich schon sehr geprägt. Mein Aufnahme-Studio hat jetzt auch einen extra Drum-Room, wo du nun so aufnehmen kannst, dass es klingt wie bei Jon Bonham von Led Zeppelin.«

In der Anfangsphase vom Label Aggressive Rockproduktionen habt ihr unglaublich viele Alben verkauft – euer Debüt aus dem Jahr 1981 sogar über 50.000 mal. Wie sieht es aus, wenn ihr an euren ehemaligen Plattenboss Karl Walterbach denkt?

Dirk: »Ich persönlich hab ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihm, trotzdem ist er irgendwie schon ein „alter Genosse” geblieben. Viele Geschichten aus seinem Umfeld haben sich auch komisch verselbstständigt, da muss man nicht alles glauben. Er wird gerne an den Pranger gestellt, aber manchmal stecken da auch schwierige und komplexe Vertragsdinge dahinter – wie zum Beispiel im Falle von der Band Helloween.«

Anderes Thema: euer Drummer Alex trommelte bei Eisenpimmel und spielt aktuell bei dem Freejazz-Duo Frustice. Verträgt sich das gut mit Slime?

Elf: »Im direkten Vergleich zu unserem ehemaligen Drummer Stephan Mahler finde ich, dass Alex sogar besser spielt. Er ist straigter im Drumming und bringt mehr Timing mit. Zudem ist er ein echt geiler Typ.«

Dirk: »Alex ist ein vitaler Typ, das ist verdammt gut. Aber es ist es nicht so, dass wir nun ein paar Jazz-Elemente verarbeitet haben – das bezweifle ich. Andererseits würde es mir auch schwer fallen, Songs wie die ’Fotzenpimmelbahn’ von Eisenpimmel live vorzutragen…«

Ist es eigentlich schwierig zu proben, wo ihr fast alle an unterschiedlichen Orten wohnt?

Dirk: »Mittlerweile wohnen wir in Schleswig Holstein, Gladbeck, Berlin und Bremen. Geographisch gesehen ist Bremen schon ein guter Schnittpunkt – und da treffen wir uns dann auch.«

Die Welt im Jahre 2017 ist von vielen Problemen durchsetzt. Es gibt den Brexit und zahlreiche Despoten wie Donald Trump oder Erdogan. Wie nehmt ihr den derzeitigen demokratischen Verfall wahr?

Dirk: »Wir haben gerade für eine Solidaritätsveranstaltung gespielt für den Journalisten Deniz Yükzel von der Tageszeitung Die Welt, der in der Türkei seit Februar im Gefängnis sitzt. Es gibt derzeit einen Roll-Back hin zu Regimen mit Diktatoren. Ich finde, gerade wenn man sich die Türkei und Ungarn näher betrachtet, das es besonders schwierig ist. Denn dort haben sich die Staatsführer nicht an die Macht geputscht, sondern wurden von großen Teilen der Bevölkerung gewählt. Wenn ich mir die Zahlen von den Türken ansehen, die in Deutschland wohnen und „Pro-Erdogan“ sind – da schlackerst du mit den Ohren. Das ist absolut erschütternd.«

Christian: »Meiner Meinung nach ist das nicht nur ein Roll-Back, sondern eine richtig neue Entwicklung. Es ist ja nicht nur ein Phänomen eines Landes, die dann den Nährboden für rechten Populismus liefert. Sondern das ist ja umfassend. Viel hat einfach mit dem Wunsch der Menschen nach Sicherheit zu tun, der gespeist wird aus der Schwierigkeit der globalisierten Welt. Durch das Internet wächst der Globus immer näher zusammen und das bereitet den Boden für Parteien, die harsche Positionen vertreten und faschistische Strukturen mit sich bringen. Menschenführer treten dann auf den Plan, die süchtig nach Macht sind und die sehen dann, welche Strippen sie ziehen müssen, um die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Das erleben wir in Europa und in den USA gerade. Es geht um Umwälzungen, wo der Staat immer überflüssiger wird. «

Welche meinst du genau?

Christian: »Es gibt eine Stiftung, die gerade Inseln planen, die sich nicht explizit in Hoheitsgewässern von Staaten aufhalten sollen – sondern wirklich künstlich irgendwo angesiedelt werden sollen. Die Protagonisten, die dahinter stehen, wollen keinen Staat mit Funktionen wie Sozialabgaben, die Solidargemeinschaft unterstützen oder Steuern. Die wollen die Staatenlosigkeit etablieren, um mit ihrem Geld das machen zu können, was die wollen und um eine gewisse Sicherheit zu haben. Das sind so Brückenköpfe von Entwicklungen, die gerade am Entstehen sind. Das ist echt bizarr.«

www.slime.de

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