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Übersetzungssoftware: „Ein gewaltiger Schritt hin zu schrankenloser Kommunikation“

HAL9000 Grafik: Cryteria Lizenz: CC BY 3.0

Künstliche Intelligenz hat in den vergangenen Jahren zu massiven Verbesserungen in Übersetzungssoftware geführt. Wir wird sich die technologische Entwicklung auf die Gesellschaft auswirken? Von unserem Gastautor Robert Herr.

„Das Atelier war mit dem reichen Geruch von Rosen gefüllt, und als der leichte Sommerwind inmitten der Bäume des Gartens aufrührte, kam durch die offene Tür der schwere Duft der Flieder oder das zartere Parfüm des rosa blühenden Dorns.“ So beginnt, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, ‚The Picture of Dorian Gray‚ von Oscar Wilde. Übersetzt wurde dieser Satz jedoch nicht von einem menschlichen Übersetzer, sondern vom künstlichen neuronalen Netzwerk, das nun hinter Google Translate steht. Mit den oft extrem schlechten Übersetzungen und zuweilen unfreiwillig komischen Stilblüten, die früher in großer Regelmäßigkeit von nach der ‚phrase-to-phrase‘-Methode arbeitender Übersetzungssoftware produziert wurde, hat das nicht mehr viel zu tun.

Ende letzten Jahres bereits fiel aufmerksamen Beobachtern auf, dass die Übersetzungen von Google Translate quasi über Nacht signifikant besser geworden waren. Im November gab Google dann auch offiziell bekannt, dass die von Google Brain entwickelte ‚Google Neural Machine Translation‘ (GNMT) von nun an offiziell mit einem stetig wachsenden Angebot an verschiedenen Sprachen für Google Translate in Betrieb genommen wurde. Google konnte damit Übersetzungsfehler bei Google Translate nicht nur um Werte von bis zu 85% verringern, sondern kommt nun bei manchen Sprachenpaaren sogar sehr nah an die Qualität menschlicher Übersetzer heran (siehe Grafik).

Grafik: Google-Brain – Screenshot. Copyright: Google

Möglich wurde diese enorme Verbesserung dadurch, dass das neuronale Netzwerk hinter Google Translate so aufgebaut ist, dass es nicht auf vorgefertigte ‚phrase-to-phrase‘-Übersetzung zurückgreifen muss, sondern in der Lage ist, die Semantik des Satzes zu erfassen und durch Selbstoptimierung fortlaufend besser darin zu werden.

Doch auch die Konkurrenz schläft nicht. Facebook, dessen Firmenchef Mark Zuckerberg sich oft persönlich um die vielversprechendsten Nachwuchsforscher in der KI-Forschung bemüht und siebenstellige Einstiegsgehälter anbietet, kündigte erst im Mai dieses Jahres ebenfalls einen Durchbruch in der auf neuronalen Netzwerken basierenden Maschinenübersetzung an. Christopher Manning, Professor an der Stanford University und Experte für Maschinenübersetzung, durfte Facebooks Forschungsergebnisse durchsehen und befand den Fortschritt für beeindruckend. Seiner Einschätzung nach lieferte die neue maschinelle Facebook-Übersetzung im Vergleich zu allen anderen Konkurrenten die deutlich besten Ergebnisse. Facebook deutete an, dass seine Entwickler nun damit begännen, die Verbesserungen Stück für Stück auf dem sozialen Netzwerk Facebook zu implementieren. Auch Microsoft und dem chinesischen Suchmaschinen-Riesen Baidu wird nachgesagt, erhebliche Summen für Forschung in diesem Bereich zu investieren.

Aber was bedeuten diese Fortschritte eigentlich für unser alltägliches Leben und die Gesellschaft insgesamt?

Eine direkte Folge dürften erhebliche wirtschaftliche Veränderung bei den Dienstleistern im Bereich Übersetzung sein. Wenn auch aufgrund der immer noch bestehenden Qualitätsunterschiede zwischen menschlicher Übersetzung und Maschinenübersetzung nicht davon auszugehen ist, dass professionelle Übersetzer mittelfristig komplett durch Google Translate und Konsorten ersetzt werden, ist dennoch festzustellen, dass die zunehmende Qualitätssteigerung der maschinellen Konkurrenz einen großen Einfluss auf die Branche haben wird. Menschliche Übersetzer brauchen sehr viel länger für ihre Arbeit und sind erheblich teurer, wenn man bedenkt, dass Qualitätsspitzenreiter Google seine Maschinenübersetzung vollständig kostenfrei anbietet. Wann immer es also in Zukunft darauf ankommen wird, große Textmengen in kurzer Zeit mit annehmbarer Qualität zu übersetzen, wird man auf Maschinenübersetzung zurückgreifen und nicht mehr auf menschliche Übersetzer, die inzwischen oft ebenfalls mit maschineller Hilfe arbeiten. Die Folge dürfte ein erheblicher Preis- und Lohnverfall im Übersetzungsgewerbe sein, sowie eine zunehmende Spezialisierung.

Doch auch der Mehrheit der Gesellschaft, die nicht im Übersetzergewerbe arbeitet, werden die Auswirkungen dieser Entwicklung im alltäglichen Leben begegnen. Wenn Google, Facebook und Microsoft mit ihren Ankündigungen ernst machen – und davon ist auszugehen – dann wird uns immer besser werdende auf neuronalen Netzwerken basierende Maschinenübersetzung überall begegnen: In unseren sozialen Netzwerken, auf unseren Smartphones und Tablets, bei unseren digitalen Assistenten wie Siri und Cortana, aber auch im ganz gewöhnlichen Web, wenn wir Online-Medien konsumieren, E-Mails lesen oder arbeiten.

Das ist auf der einen Seite natürlich eine sehr begrüßenswerte Entwicklung. Es eröffnet uns die Möglichkeit Informationen von Homepages, Zeitungen oder Blogs in den unzähligen Sprachen zu erhalten, die wir nicht sprechen. In den sozialen Netzwerken wird uns ermöglicht werden, auch mit der großen Menge an Menschen in Kontakt zu kommen und uns mit ihnen auszutauschen, zu denen wir vorher niemals hätten Kontakt aufnehmen können, weil wir sie und sie uns nicht verstanden hätten. Es wäre ein gewaltiger Schritt hin zu schrankenloser Kommunikation und hin zu einem noch freieren Austausch von Informationen.

Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass vergangene Innovationen uns gelehrt haben, dass mit der Einführung jeder neuen digitalen Hilfestellung an und für sich wichtige Fähigkeiten zunehmend verkümmern. Mit der flächendeckenden Nutzung von Navigationssystemen für Autos, GoogleMaps für Fußgänger und der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, sind heutzutage immer weniger Menschen in der Lage, sich ohne Hilfestellung durch digitale Assistenzsysteme zu orientieren. Es sollen sich schon Leute kaum drei Straßenzüge von ihrem Heimatkiez entfernt verlaufen haben, weil die Smartphonebatterie zur Neige ging. Wie oft schon hatte man eine wichtige Telefonnummer, die man dringend brauchte, nicht zur Hand, weil das Handy verloren ging und darin alle wichtigen Nummern gespeichert waren und nicht mehr im Kopf? Wer außer nerdigen Mathematikstudenten ist noch wirklich fit im Kopfrechnen, wenn es doch Taschenrechner gibt? Es ist davon auszugehen, dass auch im Falle der Maschinenübersetzung ein wichtiger Impuls dafür, Fremdsprachen zu lernen, verloren geht.

Und natürlich – auch das sollten wir nicht vergessen – begeben wir uns damit in eine noch größere Abhängigkeit zu den Anbietern der Maschinenübersetzung. Wenn wir unser Leben auch Google, Facebook und Co. inzwischen schon so vollständig und umfassend anvertraut haben, dass dieser weitere Etappenschritt für uns kaum mehr ins Gewicht fallen dürfte.

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Robert Friedrich von Cube

Und die Menge verfügbarer Quellen wird noch mehr wachsen, was vielleicht einerseits zu begrüßen ist, andererseits aber auch noch mehr Chaos bedeutet. Wer weiß schon, wie die Seriosität eines übersetzten Beitrages aus einer kirgisischen Zeitung einzuschätzen ist?

Robert Herr
Editor
6 Jahre zuvor

Friedrich von Cube Das ist natürlich ein vollkommen richtiger, wenn auch etwas pessimistischer, Punkt. Leider war das bei vielen vorangegangenen Innovationen schon genau so. Es war auf jeden Fall beim Internet so. Und schon Gustave Flaubert sagte, dass er die Eisenbahn ablehne, da sie es noch mehr Menschen gestatte zusammen zu kommen und zusammen dumm zu sein. Im Prinzip wäre damit dann auch zur Maschinenübersetzung schon alles gesagt 😉

ke
ke
6 Jahre zuvor

Der Steppenbewohner Mensch hat schon viele seiner ursprünglichen Fähigkeiten verloren und dafür neue erhalten, die ihn in seiner Umgebung und Zeit weiterhelfen.

Das ist zu begrüßen.

Auch heute arbeiten schon viele Menschen mit automatisierten Basisübersetzungen, die dann bei Bedarf verfeinert werden.

Meine Großmutter hatte in ihrer Jugend gar keine Telefonnummern im Kopf. Sie nutze keine Telefon zu dieser Zeit. Was soll so schlimm daran sein, wenn man die Fähigkeit, eine Übergangstechnologie zu nutzen, wieder verliert?

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

Da ich häufiger Bachelor-/Masterarbeiten bzw. Abschlusspräsentationen korrigiere und redigiere, wäre es interessant zu erfahren, ob man demnächst evt. auch die eigene, nicht mehr regelkonform beherrschte Muttersprache "ins Reine übersetzen" kann, ob also solche neuen Technologien auch problemlos als automatische Rechtschreibkorrektursysteme einsetzbar wären oder ob es für Sprache abseits von Umgangs-/Alltagssprache, z.B. halt deutsche Wissenschaftssprache, weiterhin so gut wie keine einigermaßen praktikable Softwarelösung auf KI-Basis gibt bzw. geben wird.

Robert Herr
Editor
6 Jahre zuvor

@Klaus Lohmann

Das 2008 gegründete US-Unternehmen Grammarly Inc. dass genau die von Ihnen beschriebenen Dienstleistungen anbietet, hat Anfang 2016 verkündet, dass es begonnen habe zusätzlich zu den bereits vorher genutzten Verbesserungstools nun auch neuronale Netzwerke einzusetzen. Mindestens ein weiteres Unternehmen "Deep Grammar", ein Startup aus Austin will sich in Zukunft komplett auf so genanntes "natural language processing", basierend auf neuronalen Netzwerken, konzentrieren und gibt Stand heute an: "Unser Grammatikkorrektor ist in Entwicklung und kommt bald auf den Markt."

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